Charles Dickens gilt als einer der größten Schriftsteller seiner Zeit, dem Viktorianischen Zeitalter. Im Nachhinein betrachtet mangelte es zu seiner Zeit lange an vergleichbaren Schriftstellern, die auch später von Literaturkritikern und Liebhabern ähnlich hoch eingeschätzt wurden. 1 Auch heute behält der Autor seinen Status als wichtiger Vertreter seiner Zeit und bedeutender Autor. Dies spiegelt sich sowohl in immer weiter erscheinender neuer Fachliteratur zum Thema, als auch der Präsenz der Werke in Schule und Universität wider. Diese Arbeit schließt als konsequente Weiterführung meines besonderen Interesses am Autor und an ausgewählten Themen, das im Seminar „Charles Dickens“, im Sommersemester 2005 an der Uni Oldenburg geweckt wurde, an. Es ist meine feste Überzeugung, dass jeder Autor in seiner Zeit verhaftet ist und in seinem Werk auf einfache oder auch sehr schwer zu entschlüsselnde Art und Weise einen Teil dessen preisgibt, was ihn in seinem Innersten bewegt und antreibt. Durch aufmerksames Lesen können wir uns in vielen Romanen ein Bild davon machen, wie der Autor zu den Vorgängen seiner Zeit stand, oder eine Bild davon entwickeln, wie Menschen zur Zeit des Autors gelebt haben mögen. Mit Hilfe von Sekundärliteratur, ausführlicher Recherche und aufmerksamen Lesens der Werke ist es uns möglich hinter Vordergründiges zu schauen und den Autor so für uns zu entdecken. In der vorliegenden Arbeit möchte ich versuchen an ausgewählten Beispielen und Themenkomplexen, ein Bild davon zu zeichnen, welche vielfältigen Faktoren und Geschehnisse den Autor und Mensch Charles Dickens zu Lebzeiten beeinflusst und angetrieben haben mögen. Einen biographischen Ansatz, oder gar einen psychologischen/ psychoanalytischen Ansatz, wie er in der Literaturwissenschaft praktiziert wird 2 kann und will ich hierbei aber aus unterschiedlichen Gründen nicht, oder nur in kleinen Teilen, wählen. Mein Erkenntnisinteresse soll ein breiteres und allgemeiner gefasstes sein. [...]
Inhalt:
1. Dickens Zeit – Zeithintergrund
2. Kurzbiographie
3. Ausgewählte Themenkomplexe und ihre Bedeutung für Werk und Autor
3.1 Religion
3.2 Frauenbild
3.3 Armut
4. Fazit
Einleitung:
Charles Dickens gilt als einer der größten Schriftsteller seiner Zeit, dem Viktorianischen Zeitalter. Im Nachhinein betrachtet mangelte es zu seiner Zeit lange an vergleichbaren Schriftstellern, die auch später von Literaturkritikern und Liebhabern ähnlich hoch eingeschätzt wurden.[1] Auch heute behält der Autor seinen Status als wichtiger Vertreter seiner Zeit und bedeutender Autor. Dies spiegelt sich sowohl in immer weiter erscheinender neuer Fachliteratur zum Thema, als auch der Präsenz der Werke in Schule und Universität wider.
Diese Arbeit schließt als konsequente Weiterführung meines besonderen Interesses am Autor und an ausgewählten Themen, das im Seminar „Charles Dickens“, im Sommersemester 2005 an der Uni Oldenburg geweckt wurde, an.
Es ist meine feste Überzeugung, dass jeder Autor in seiner Zeit verhaftet ist und in seinem Werk auf einfache oder auch sehr schwer zu entschlüsselnde Art und Weise einen Teil dessen preisgibt, was ihn in seinem Innersten bewegt und antreibt. Durch aufmerksames Lesen können wir uns in vielen Romanen ein Bild davon machen, wie der Autor zu den Vorgängen seiner Zeit stand, oder eine Bild davon entwickeln, wie Menschen zur Zeit des Autors gelebt haben mögen. Mit Hilfe von Sekundärliteratur, ausführlicher Recherche und aufmerksamen Lesens der Werke ist es uns möglich hinter Vordergründiges zu schauen und den Autor so für uns zu entdecken.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich versuchen an ausgewählten Beispielen und Themenkomplexen, ein Bild davon zu zeichnen, welche vielfältigen Faktoren und Geschehnisse den Autor und Mensch Charles Dickens zu Lebzeiten beeinflusst und angetrieben haben mögen. Einen biographischen Ansatz, oder gar einen psychologischen/ psychoanalytischen Ansatz, wie er in der Literaturwissenschaft praktiziert wird[2] kann und will ich hierbei aber aus unterschiedlichen Gründen nicht, oder nur in kleinen Teilen, wählen. Mein Erkenntnisinteresse soll ein breiteres und allgemeiner gefasstes sein.
Mit der Hausarbeit möchte ich mein Verständnis des Autors Charles Dickens, in seiner Zeit und Lebenswelt, aufbauend auf den vielfältigen Informationen aus dem Seminar, vertiefen und dem Leser der Arbeit einen interessanten und eventuell neuen Einblick verschaffen. Die Auswahl der näher untersuchten Themenbereiche Religion, Frauenbild und Armut sowie die sich anschließenden Vergleiche und Bezüge zu Werken, sowie Persönlichkeiten aus dem Leben des Autors, mag im Hinblick auf die Rezensionen, Kritiken und die zahlreichen anderen Veröffentlichungen zu Charles Dickens als eher kleiner Beitrag erscheinen, diese Auswahl ergibt jedoch eine Collage dessen, was während der Arbeit im Seminar mein besonderes Interesse weckte, hier aufgrund des zeitlichen Rahmens aber nur angedeutet werden konnte.
Zum Zweck der besseren Verständlichkeit und einer Möglichkeit der Einordnung in ein größeres Gefüge, stellt die Arbeit in kurzer Form den Zeithintergrund und die Biographie Charles Dickens vor, um sich dann explizit den oben erwähnten Themenkomplexen zu widmen, die, neben anderen, eine entscheidende Rollen im Leben des Schriftstellers gespielt haben und die sich auf die eine oder andere Art und Weise in seiner literarischen Arbeit widerspiegeln.
Im Vordergrund stehen hierbei insbesondere die Wirkung und der Einfluss dieser Themenbereiche und Persönlichkeiten auf das Werk und den Autor aus einem literaturwissenschaftlichen Blickwinkel.
1. Dickens Zeit – Zeithintergrund
Nur sehr kurz soll zur besseren Einordnung im Folgenden der Zeithintergrund erläutert werden. Wo nötig, wird an gezeichneten Stellen später auf entscheidende Entwicklungen und Umstände gesondert hingewiesen.
Die Lebensspanne Charles Dickens fällt in das Viktorianische Zeitalter, eine Zeit der Veränderungen und des Umschwunges. Die von Zeitgenossen mit dem Namen der von 1837-1901 herrschenden Königin Viktoria bezeichnete Epoche[3] wurde von ebendiesen bereits als eine Zeit des schnellen Wandels wahrgenommen. Wie A. Maack[4] in dem ersten Kapitel ihres Buches, auf das ich mich im Folgenden größtenteils stützen möchte, treffend beschreibt, waren die Veränderungen bereits für Zeitgenossen sichtbar. So war London in kürzester Zeit um ein vielfaches angewachsen (von 1088000 im Jahre 1801 auf 2491000 im Jahre 1851), was zu schlechten Wohnbedingungen und mangelnder Hygiene führte. Das Transportsystem änderte sich nachhaltig, die Erfindung und Verbreitung der Eisenbahn verdrängte stetig Postkutschen, außerdem wuchsen durch die neuen Transportmöglichkeiten industrielle Zentren. Auch das Kommunikationssystem machte dank der neuen Telegraphen, für diese Arbeit aber besonders bedeutend, durch die stärkere Produktion und Verteilung von Büchern und Zeitungen, einen Wandel durch. Die Dampfschifffahrt und die Entdeckung und Eingliederung neuer Kolonien machte England zu der größten Überseemacht der Welt, was zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein führte. Die Veränderungen führten aber vor allem auch zu vielen gesellschaftlichen Umbrüchen, die ihren Ausdruck auf der einen Seite in geänderten Gesetzen, einer zunehmenden Demokratisierung und einem Wandel der Wertevorstellungen, auf der anderen Seite aber auch in zunehmender Armut (hierzu mehr in 3.3), fanden.[5]
Die zeitgenössische Leserschaft des Charles Dickens bestand zum größten Teil aus der stark angewachsenen Mittelschicht, teilweise aber auch aus der Arbeiterklasse. Die Erwartungen, die die Leser an die Autoren stellten, waren laut Maack (1991) durchaus widersprüchlich, beispielsweise standen sich eher an der Wirklichkeit orientierte Romane und die Forderung nach „Happy endings“ gegenüber.[6] Nur kurz möchte ich hier auf die Publikationsbedingungen, mit denen Charles Dickens sich konfrontiert sah eingehen, da sich dieses Thema verständlicherweise an späteren Stellen - in Form einer Einordnung der Themen in Zeit und Rezeption - noch wieder findet. Die Romane und Veröffentlichungen Dickens waren unterschiedlichsten Faktoren unterworfen. Oliver Twist etwa war als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung abgedruckt, was ermöglichte, teilweise aber auch dazu zwang, die Handlung, die Charaktere und die Themen ständig den Wünschen der Leserschaft, besonders aber denen des Verlegers anzupassen, was teilweise einen erheblichen Druck auf die Schriftsteller ausübte.[7] Die „Viktorianische Prüderie“ und die weit verbreitete Konvention, Romane vor der versammelten Familie vorzulesen, sowie die Monopolstellung von Leihbüchereien, deren Besitzer Romane je nach Inhalt anboten oder aus dem Sortiment verbannten, schränkten den Inhalt und die kritische Auseinandersetzung mit Themen der Zeit stark ein.[8] Wenn Dickens diese Konvention des angepassten Schreibstils auch in Nebenbemerkungen satirisch hinterfragte, so hielt er sich im Streben nach Erfolg doch weitestgehend an sie.[9] Wie diese und weitere Einflüsse sich also konkret in seinen Werken äußern soll an späterer Stelle, anhand der früher erwähnten Beispiele, aufgezeigt und erläutert werden.
2. Kurzbiographie
Im Folgenden wird nun kurz die Biographie Charles Dickens vorgestellt. Die hier vorgestellten Lebensabschnitte und Begebenheiten sollen den Punkten 3.1, 3.2 und 3.3 als Hintergrundfolie dienen, als Verständnisgrundlage dessen, was im weiter gefassten Sinne den Autor prägte und ihn in seinem Schaffen beeinflusst haben mag.
Charles Dickens wurde am 7. Februar 1812 in Landport, Hampshire als zweites Kind von John und Elizabeth Barrow Dickens geboren. Sein Vater John war als Marinezahlmeister in der königlichen Marine angestellt und obwohl er gut bezahlt wurde, bestimmten die Geldsorgen des Vaters einen grossen Teil der Kindheit Charles, wie sich im Weiteren zeigen wird.[10] Im Jahr 1815, mit dem Ende des Krieges in Amerika und dem Sieg über Napoleon wurde Charles Vater nach London versetzt, hier blieb die Familie für zwei Jahre und zog dann nach nur kurzem Aufenthalt in Sheerness, nach Kent, genauer nach Chatham, einer kleinen Stadt am Südufer der Themse, wo der Junge sowohl von seiner Mutter, als auch in der Schule, schreiben lernte. Nachdem er eine weitere Schule besucht hatte zog die Familie aufgrund eines verminderten Einkommens des Vaters zurück nach London.[11] Charles soll diese frühen Jahre in Chatham sehr genossen haben, so fand sich die Stadt später in The Uncommercial Traveller als „Dullborough Town“ wieder; die ihm damals von dem Kindermädchen Mary Weller erzählten Geschichten wurden ebenso in den von 1860-1869 erschienen Aufsätzen verarbeitet und wiedergegeben.[12]
Die ständigen Geldsorgen des Vaters, der sich in Chatham, im Bestreben nach gesellschaftlichem Ansehen, viel Geld geliehen hatte und der gescheiterte Versuch seiner Mutter eine Privatschule zu gründen, zerstörten jegliche Hoffnung Charles darauf, wie vorher wieder eine Schule besuchen zu können und gipfelten schließlich sogar darin, dass er arbeiten geschickt wurde.[13] Damit nicht genug musste Charles Vater auf Grund seiner hohen Schulden kurze Zeit später in das Gefängnis, in das auch die Mutter und die Kinder, abgesehen von Charles selbst und seiner älteren Schwester Fanny, die eine Ausbildung an der „Royal Academic of Music“ erhielt, einzogen. Von der nun für Charles folgenden Zeit soll der Schriftsteller seine Leben lang beeinflusst worden sein. Dreizehn Monate lang musste er die Arbeit in der „Blacking Factory“ (eine Fabrik, die Schuhwichse herstellte) eines entfernten Bekannten ertragen: „a soul-destroying job for a well-read and educated boy“,[14] die ihm gerade sechs Schillingen in der Woche einbrachte[15]. Diese Erfahrung, die Charles Dickens teilweise in David Copperfield verarbeitete, soll sich auch in Dickens späterem aggressivem Geschäftsgebaren widergespiegelt haben, welches ihn zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller seiner Zeit machte und zumindest teilweise auf die ihn immer begleitende Angst vor finanzieller Not und dem damit verbundenem sozialen Abstieg zurück zu führen sein soll.[16] Nachdem sich Charles Vater für zahlungsunfähig erklärt hatte, konnte er das Gefängnis im Mai 1824 verlassen und später, mit Hilfe einer Erbschaft, sogar einen Großteil der Schulden zurückzahlen, Charles selbst musste fortan nicht mehr in der Fabrik arbeiten.[17] Im Hinblick auf Kapitel 3.2 bleibt an dieser Stelle jedoch noch zu erwähnen, dass seine Mutter sich dafür ausgesprochen hatte, ihn weiterhin in der Fabrik arbeiten zu lassen, eine Tatsache, die Dickens seiner Mutter nie verziehen haben soll und die auch sein Verhältnis zu Frauen im Allgemeinen beeinflusst haben soll.[18]
[...]
[1] Vgl. Maack 1991, S.23
[2] Vgl. Korte/Müller/Schmied 1997, S.96
[3] Vgl. Maurer 1997, S.353
[4] Vgl. Maack 1991, S.19f
[5] Alle Angaben sind Maack 1991, S.18-21 und Maurer 1997, S.354f entnommen
[6] Vgl. Maack 1991, S. 21, sowie Gissing 1898, S.67
[7] Vgl. Ford 1974, S.23, sowie Maack 1991, S.28 und 29
[8] Vgl. Goetsch 1986, S.18 und S.19
[9] Vgl. Maack 1991, S.26 und S.27
[10] Vgl. Fido 1970, S.15
[11] Vgl. Schlicke 1999, S.157
[12] Vgl. Glancy 1999, S.2 und 3, sowie Schlicke 1999, S.578
[13] Vgl. Schlicke 1999, S.157, sowie Glancy 1999, S.3
[14] Zitat: Glancy 1999, S.4
[15] Vgl. Fido 1973, S.14
[16] Vgl. Fido 1973, S.16
[17] Vgl. Maack 1991, S.37
[18] Vgl. Glancy 1999, S.5
- Arbeit zitieren
- Florian Zibell (Autor:in), 2005, Charles Dickens - Das Leben des Autors und sein Werk als untennbare Einheit - Eine exemplarische Untersuchung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63982
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