Die italienische Commedia all'improvviso hat sich über mehr als zwei Jahrhunderte – vom späten 16. Jh. bis zum frühen 19. Jh. – zu einem gesamteuropäischen Theaterphänomen entwickelt. Die Ursachen ihres Erfolges werden oft auf die hohe Improvisationskunst sowie die Faszination der in ihr auftretenden Masken zurückgeführt.
Da die Forschungs- und Inszenierungsgeschichte der Commedia all’improvviso oftmals ein widersprüchliches Bild der Masken darstellt, liegt der Fokus dieser Arbeit ganz auf den Besonderheiten der Masken selbst, sowie deren Vielseitigkeit. Der Versuch, diese in einer abgegrenzten Definition zu fassen, würde zudem ihre Bedeutung mindern und einen missverständlichen Eindruck der Commedia vermitteln. Durch diverse Interpretationen der verschiedenen international arbeitenden Theatertruppen kommt es zu einer Vielzahl von Szenarien und Darstellungsarten. An geeigneten Beispielen sollen die Bedeutungen und die Funktionen der Masken herausgearbeitet werden.
Besonderes Augenmerk wird zunächst auf die Begrifflichkeit der „Maske“ sowie die Darstellungskonventionen des maskierten Spiels gelenkt. Hieraus sollen sowohl die Besonderheiten der einzelnen Maskenfiguren als auch die Bedeutung der Masken für die Dramaturgie herausgearbeitet werden. Von außerordentlicher Wichtigkeit sind dabei die Untersuchungen der Theaterwissenschaftler A.K. Dshiwelegow und Rudolf Münz. Dshiwelegow stellt tief greifende – wenn auch inzwischen unter historischem Aspekt zu betrachtende – Untersuchungen über die Ursprünge der Masken an; in den Büchern von Münz finden sich wertvolle Hinweise zur Theaterpraxis der italienischen Renaissance und zu den Besonder-heiten der Konfiguration. Aus den Unterschieden der einzelnen Masken lässt sich auf die soziale und kulturelle Bedeutung der Commedia schließen, welche im letzten Teil der Arbeit untersucht wird. Ziel ist es schließlich, sich durch das Verständnis der Konfiguration an die andersartige Dramaturgie sowie an die eigenständige Theaterform der Commedia all'improvviso anzunähern und ihre kulturellen und theatralen Besonderheiten zu erarbeiten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Masken und ihre dramaturgischen Funktionen
2.1 Zur Begrifflichkeit der „Maske“
2.2 Die Masken auf der Bühne
2.2.1 Die Vecchi
2.2.2 Die Zanni
2.2.3 Die Innamorati
3. Von der Figur zur Struktur-Figur
4. Soziale und kulturelle Bedeutung der Masken
5. Schlusswort
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die italienische Commedia all'improvviso hat sich über mehr als zwei Jahrhunderte – vom späten 16. Jh. bis zum frühen 19. Jh. – zu einem gesamteuropäischen Theaterphänomen entwickelt. Die Ursachen ihres Erfolges werden oft auf die hohe Improvisationskunst sowie die Faszination der in ihr auftretenden Masken zurückgeführt.
Da die Forschungs- und Inszenierungsgeschichte der Commedia all’improvviso oftmals ein widersprüchliches Bild der Masken darstellt, liegt der Fokus dieser Arbeit ganz auf den Besonderheiten der Masken selbst, sowie deren Vielseitigkeit. Der Versuch, diese in einer abgegrenzten Definition zu fassen, würde zudem ihre Bedeutung mindern und einen missverständlichen Eindruck der Commedia vermitteln. Durch diverse Interpretationen der verschiedenen international arbeitenden Theatertruppen kommt es zu einer Vielzahl von Szenarien und Darstellungsarten. An geeigneten Beispielen sollen die Bedeutungen und die Funktionen der Masken herausgearbeitet werden.
Besonderes Augenmerk wird zunächst auf die Begrifflichkeit der „Maske“ sowie die Darstellungskonventionen des maskierten Spiels gelenkt. Hieraus sollen sowohl die Besonderheiten der einzelnen Maskenfiguren als auch die Bedeutung der Masken für die Dramaturgie herausgearbeitet werden. Von außerordentlicher Wichtigkeit sind dabei die Untersuchungen der Theaterwissenschaftler A.K. Dshiwelegow und Rudolf Münz. Dshiwelegow stellt tief greifende – wenn auch inzwischen unter historischem Aspekt zu betrachtende – Untersuchungen über die Ursprünge der Masken an;[1] in den Büchern von Münz finden sich wertvolle Hinweise zur Theaterpraxis der italienischen Renaissance und zu den Besonderheiten der Konfiguration.[2] Aus den Unterschieden der einzelnen Masken lässt sich auf die soziale und kulturelle Bedeutung der Commedia schließen, welche im letzten Teil der Arbeit untersucht wird. Ziel ist es schließlich, sich durch das Verständnis der Konfiguration an die andersartige Dramaturgie sowie an die eigenständige Theaterform der Commedia all'improvviso anzunähern und ihre kulturellen und theatralen Besonderheiten zu erarbeiten.
2. Die Masken und ihre dramaturgischen Funktionen
2.1 Zur Begrifflichkeit der „Maske“
Abbildung 1: Tristano Martinelli als Arlecchino
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Begriff der Maske scheint oft missverstanden. Die Masken der Commedia all'improvviso verstehen sich als Ganzkörpermasken und sind nicht nur als Larve zu betrachten. Zwar stellt auch die Larve einen bedeutenden Teil des Kostüms dar, doch gleichermaßen typisieren auch die Kleidung und der Dialekt die theatrale Maske in ihren Eigenarten. Zwar deutet die Epoche der Renaissance auf eine Rückbesinnung zur Antike hin, dies spiegelt sich allerdings nur in den Typisierungen der Masken der Commedia wider, jedoch nicht in der hier untersuchten Aufführungspraxis. Die Masken der Commedia sind zudem handwerklich nicht mit denen der Antike zu vergleichen. Sie können zwar ebenfalls als Resonanzkörper dienen[3], sind aber feiner gestaltet und decken in den meisten Fällen auch nicht das komplette Gesicht ab, sondern betonen lediglich bestimmte Gesichtszüge oder Aspekte der dargestellten Maske. Jürgen von Stackelberg kommt zu dem Schluss, dass durch die gesichtsbedeckenden Larven ein mimisches Spiel verhindert und dadurch die körperliche Komik hervorgehoben würde.[4] Dies ist jedoch fraglich, da die Masken in einem komplizierten Verfahren vornehmlich aus Pappe oder Wachstuch gefertigt wurden und die Mimik nicht vollkommen verdeckten – zumal sie ohnehin nur einen Teil des Gesichtes verbargen. Weiterhin trugen nicht alle sogenannten „Masken“ auch eine Larve: Die Gesichter der Frauenfiguren wurden nur selten bedeckt, die der Innamorati nie. A.K. Dshiwelegow stellt fest, dass bei den anderen Masken ein Großteil der Mimik oft zu sehen war: „Zuweilen wurde sie [die Maske] auch durch ein weißgepudertes Gesicht, eine riesenhafte Brille oder eine aufgeklebte Nase ersetzt.“[5] Masken wie der hier erwähnte Pierrot, Tartaglia oder auch der Dottore haben somit dennoch die Möglichkeit eines mimischen Spiels. Robert Henke spricht selbst bei dem Arlecchino-Darsteller Tristano Martinelli von einer lebhaften Mimik: „Harlequin's plastic and grotesque use of his face as a comedic mask (‚luy tiriot la langue e luy tiriot les yeux’) recalls the buffoni's storehouse of grimaces [...]“.[6] Anscheinend denkt Henke jedoch einen Schritt zu weit. In dem von ihm angegebenen französischsprachigen Zitat zeitgenössischer Beobachter ist nur von Martinellis Augen die Rede, Henke spricht ihm jedoch ein komplettes mimisches Spiel zu. Zudem ist auf zeitgenössischen Abbildungen Martinelli als Arlequin stets mit einer das gesamte Gesicht abdeckenden, schwarzen Maske dargestellt, welche also die Maskierung selbst in den Vordergrund stellt und hier die Mimik in den Hintergrund treten lässt.
Unbestritten ist aber auch das körperliche Spiel von zentraler Bedeutung. Besonders Masken wie Arlecchino wird eine hohe Beweglichkeit zugeschrieben, die sich in späteren Arlecchino-Versionen in eine katzenhafte Akrobatik steigert. Dario Fo führt die körperlichen Bewegungen im Zusammenspiel mit der Larve sogar auf animalische Ursprünge zurück: „Der Ritus, sich mit Fellen und Tiermasken zu verkleiden, ist in den Kulturen beinahe aller Völker dieser Erde überliefert“[7]. Die Imitation tierischer Bewegungen ließe sich deshalb auf Jagdtraditionen zurückführen. Auch Masken wie Pulcinella – dessen Name bereits auf ein Huhn schließen lässt – sowie Pantalone – der bei schlechten Nachrichten wie ein Käfer auf den Rücken fällt – weisen aus der Tierwelt entlehnte Verhaltensmuster auf. Selbst wenn diese zunächst weniger akrobatisch als bei Arlecchino erscheinen, erfordern sie dennoch eine hohe schauspielerische Leistung. Die Ursachen für derartige, teils technisch aufwändige Darstellungen sind in den elementaren Prinzipien der Komik zu suchen; durch die Nachahmung dieser Verhaltensweisen entsteht unweigerlich ein komischer Effekt.
Ebenso wie der Larve und der Proxemik, kommt dem Kostüm eine zentrale Bedeutung zu. Für die meisten Masken war dieses ebenso konstant und änderte sich im Laufe der Jahrzehnte kaum.[8] Zudem verlieh der einstudierte, regionale Akzent der Darsteller ihren Masken eine unverkennbare Typisierung und vervollständigte die Maske. Der Schauspieler musste sich demnach oft in jahrelanger Übung auf die zu spielende Maske einstellen: „the personality of the actor is thus overtaken not by an author’s scripted character, but by the persona of the mask to be played“.[9] Die Darstellung des Szenarios wird somit durch die typisierten Masken übernommen.
Der zeitgenössische Zuschauer konnte sich lange Zeit auf die Standards der Masken einstellen und wohnte den Theatervorstellungen mit der Erwartungshaltung bei, diese in ihrem bekannten Verhaltensmuster auftreten zu sehen. Auch aus diesem Grund ist an den Masken im Laufe der Jahrzehnte nur eine sehr geringe äußerliche Veränderung festzustellen. Sicherlich werden – wie beispielsweise bei der Ästhetisierung des Flickenkostüms Arlecchinos – visuelle Modifikationen im Gesamtbild vorgenommen, doch diese beeinflussen die Darstellung selbst nur langsam und für die jeweilige Publikumsgeneration unmerklich. Rudolf Münz stellt fest, dass die Vorlagen für die Masken zwar aus dem real-lebendigen Volksbewusstsein stammen, diese jedoch in die Kunst überführt wurden und nun „außerhalb der Natur“ stehen.[10] Letztlich können die Masken als das stabile und stützende Element der Commedia betrachtet werden: die zentrale Gemeinsamkeit, die die italienische Improvisationskomödie als eigenständige Theaterform mit vielen Variationen zusammenfasst.
2.2 Die Masken auf der Bühne
Die große Anzahl von über 100 existierenden Masken scheint zunächst überwältigend, dennoch lassen sich die meisten von ihnen auf eine kleine Zahl von Grundtypen reduzieren, so dass alle weiteren Masken nur Abwandlungen dieser Grundform darstellen. Oftmals sind jedoch auch bedeutende Masken in Szenarien nicht vertreten. Ursache hierfür ist die Zusammensetzung der Schauspieltruppen. Da ein Darsteller immer dieselbe Maske spielt – also keine Rollenfächer, sondern Masken besetzt werden – richtet sich die Besetzung des Szenarios nach den Möglichkeiten der Truppe. Hinzu kommen historische und regionale Unterschiede der Masken zwischen Nord- und Süditalien und schließlich zahllose internationale Abwandlungen.
Besonders auffällig ist allerdings die dialektische Grundstruktur, mit der die Masken stets dargestellt werden. So bilden die vier Grundmasken zwei Alte (Vecchi) und zwei Dienerfiguren (Zanni). Zu diesen kommen dann zwei Verliebte (Innamorati) hinzu, die auch ohne Larven als Masken betrachtet werden: „In Commedia, ‚Mask’ refers to character type and is inclusive of each individual mask. Thus the Lovers are still ‚Masks’ even though they do not wear actual masks.“[11] Die zusammengehörigen Masken lassen sich damit in zwei Kategorien einteilen: Den aktiven und den passiven Part, so dass beispielsweise ein berechnender Zanni 1 und ein naiver Zanni 2 sich gegenseitig ergänzen.
[...]
[1] Siehe Dshiwelegow 1958.
[2] Siehe Münz 1998, Münz 2000.
[3] Siehe Fo 1989, 36.
[4] Siehe Stackelberg 1996, 14.
[5] Dshiwelegow 1958, 126.
[6] Henke 2002, 157.
[7] Fo 1989, 28.
[8] Die Kostüme der Innamorati hingegen boten dem Zuschauer ein zeitgenössisches Element.
[9] Rudlin 1994, 34.
[10] Siehe Münz 2000, 115.
[11] Rudlin 1994, 35.
- Citation du texte
- Julius Pöhnert (Auteur), 2006, Bedeutungsanalyse der Masken der Commedia dell'arte und ihrer dramaturgischen Funktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63950
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