Der Parzivalroman Wolframs von Eschenbach ist die Geschichte der Entwicklung des Menschen zu einer idealisierten Form seiner selbst.
Er ist aber ebenso eine Geschichte von Raum und Zeit. Jede der Hauptpersonen - ob Gahmuret, Gawan oder Parzival selbst - ist in Bewegung; nur durch ihre Reisen treffen sie auf Liebe und Gefahren, auf Personen, die für ihre Entwicklung notwendig sind. Wolfram von Eschenbach zeigt vor allem an der Figur des Parzival, wie die Wanderung auf dem Lebensweg vom Naturzustand in die Zivilisation und schließlich zum Heil/ zur Erlösung führt. Eine nähere Betrachtung der Geographie im Roman ist also unabdingbar. Zunächst werde ich mich mit der Quellenlage beschäftigen und versuchen aufzuschlüsseln, woher Wolfram von Eschenbach seine geographischen Fakten und Termini nahm. Danach werde ich mich mit verschiedenen Schwerpunkten der Parzival-Bücher befassen. Zum einen ist hier die reale europäische Geographie zu nennen, die der Dichter dem Orient gegenüberstellt. Mein Hauptaugenmerk gilt dabei den Namen als Herkunftsbezeichnungen und der Landschaft im Hintergrund. Die von Panzer und Snelleman propagierte Löwenherzthese wird in einem gesonderten Punkt behandelt.
Der zweite Abschnitt befasst sich mit der wundersamen Geographie, welche sowohl Soltane, als auch Munsalwäsche und Schastel marveille enthält. Diesen Punkt konnte aufgrund seiner bibliographisch immensen Dimensionen nicht besonders ausführlich behandelt werden. Dennoch habe ich versucht, die neuste Forschung von Michael Horchler einzuarbeiten. Mein letzter Abschnitt schließlich widmet sich dem Orient. Aus dem Blickwinkel des europäischen Mittelalters versuche ich mit der Ausformung, die der Orient bei Wolfram annimmt, seine Funktion zu ergründen.
Inhalt
Einleitung
1 Quellenlage
1.1 Lateinische Quellen
1.1.1 Bischof Otto von Freising
1.1.2 Willhelm von Tyrus
1.1.3 C. Julius Solinus
1.2 Altfranzösische Quellen
1.2.1 Chretien de Troyes
1.2.2 Die Anjou – Chronik
1.3 Zeitgenössische Autoren – Hartmann von Aue
1.4 Kyo
2 Reale Geographie
2.1 Herkunftsbezeichnungen
2.1.1 Helden und Edelfrauen
2.1.2 Gegenstände und Tiere
2.2 Die Landschaft im Hintergrund
2.2.1 Die Blutstropfen im Schnee
2.2.2 Gawan und Orgeluse
3 Gahmuret von Anschewîn
3.1 Löwenherzthese
3.2 Gegenthese
4 Wundersame Geographie
4.1 Soltane – das verlorene Paradies
4.2 Die Reise ins Wunderbare
4.2.1 Gawan von Norgal und Schastel marveille
4.2.2 Parzival und Munsalwäsche
5 Der Orien
5.1 Der Orient aus dem Blickwinkel des europäischen Mittelalters
5.2 Der Orient bei Wolfram von Eschenbach
5.3 Formulierung einer Verschmelzung von Orient und Okzident unter dem Banner einer Anti - Ritterschaft
Fazi
Bibliographie
Einleitung
Der Parzivalroman Wolframs von Eschenbach ist die Geschichte der Entwicklung des Menschen zu einer idealisierten Form seiner selbst.
Er ist aber ebenso eine Geschichte von Raum und Zeit. Jede der Hauptpersonen – ob Gahmuret, Gawan oder Parzival selbst – ist in Bewegung; nur durch ihre Reisen treffen sie auf Liebe und Gefahren, auf Personen, die für ihre Entwicklung notwendig sind. Wolfram von Eschenbach zeigt vor allem an der Figur des Parzival, wie die Wanderung auf dem Lebensweg vom Naturzustand in die Zivilisation und schließlich zum Heil/ zur Erlösung führt[1]. Eine nähere Betrachtung der Geographie im Roman ist also unabdingbar.
Zunächst werde ich mich mit der Quellenlage beschäftigen und versuchen aufzuschlüsseln, woher Wolfram von Eschenbach seine geographischen Fakten und Termini nahm.
Danach werde ich mich mit verschiedenen Schwerpunkten der Parzival-Bücher befassen. Zum einen ist hier die reale europäische Geographie zu nennen, die der Dichter dem Orient gegenüberstellt. Mein Hauptaugenmerk gilt dabei den Namen als Herkunftsbezeichnungen und der Landschaft im Hintergrund. Die von Panzer und Snelleman propagierte Löwenherzthese wird in einem gesonderten Punkt behandelt.
Der zweite Abschnitt befasst sich mit der wundersamen Geographie, welche sowohl Soltane, als auch Munsalwäsche und Schastel marveille enthält. Diesen Punkt konnte aufgrund seiner bibliographisch immensen Dimensionen nicht besonders ausführlich behandelt werden. Dennoch habe ich versucht, die neuste Forschung von Michael Horchler einzuarbeiten.
Mein letzter Abschnitt schließlich widmet sich dem Orient. Aus dem Blickwinkel des europäischen Mittelalters versuche ich mit der Ausformung, die der Orient bei Wolfram annimmt, seine Funktion zu ergründen.
1 Quellenlage
1.1 Lateinische Quellen
1.1.1 Bischof Otto von Freising
Bischof Otto von Freising wurde ca. 1112 als Sohn des ostmärkischen Markgrafen Leopold des III. geboren und starb am 22.09.1158 in Morimund[2]. Er war der Onkel Friedrichs Barbarossa, dem Herrscher über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.
Otto von Freising studierte wahrscheinlich unter Hugo von St. Victor und Gilbert von Poitiers und war somit geprägt von der Schule von Chartres. Er begleitete seinen Neffen auf seinem Kreuzzug 1146/47 und verfasste über ihn und seine Taten die Gesta Friderici. Sein zweites Werk, die ‚Chronica’, scheint Wolfram von Eschenbach als Quelle für seinen ‚Parzival’ herangezogen zu haben. „Zu Wolframs Beschreibung der Stellung des Baruks von Bagdad als Analogie zum Christen-Papst in Rom findet sich eine Parallelstelle in der Chronik Ottos von Freising“[3] Des Weiteren erkennt man auch Hinweise zu Wolframs Babylon und zum Priesterkönig Johannes.[4] Dennoch lässt sich nicht sicher sagen, ob der Dichter diese Quelle gekannt und tatsächlich benutzt hat.
1.1.2 Willhelm von Tyrus
Ein anderes Bild bietet sich bei Willhelm von Tyrus. Dieser lebte von 1130 bis 1186 und war Chronist der Kreuzzüge. Als Nachfolger Fulchers von Chartres und geprägt von dessen humanistischen Ideen war er mit seinen herausragenden Fremdsprachen Kenntnissen besonders dazu geeignet, die arabischen Quellen direkt zu übersetzen. Seine Kreuzzugschronik reicht weit bis in die achtziger Jahre des 12.Jhrs. und wurde recht bald ins Französische übersetzt. Es scheint sicher, dass Wolfram von Eschenbach sich entweder aus der lateinischen Quelle direkt oder aus der franz. Übersetzung bedient hat. Gahmurets Dienst für den Baruk von Bagdad gegen die babylonischen Widersacher lehnt sich an realhistorische Versatzstücke aus Tyrus’ Chronik ‚Histora rerum in partibus transmarinis gestarum a tempore succesorum Mahumeth usque ad annum domini 1184’ an.[5]
1.1.3 C. Julius Solinus
Joachim Bumke sieht es als erwiesen an, dass Wolfram von Eschenbach lateinisch gebildet sein musste.[6] Darauf deuten auch schon die Quellen wie Otto von Freisings Chronika oder Wilhelms von Tyrus Historia hin.
Singer und Hagen gehen davon aus, dass auch Gaius Julius Solinus zu Wolframs Quellen gehörte. C.Julius Solinus war ein röm. Gelehrter aus dem 3./4. Jahrhundert n.Chr. Als interessierter Geograph verfasste er ein Lehrbuch, in welchem zum ersten Mal die Sitten und Traditionen des Volkes, dessen Land beschrieben wurde, untersucht wurden. Solinus’ berühmtestes Werk ist die ‚Collectanea rerum memorabilium’, die zu fünfundsiebzig Prozent aus Werken Plinius’ des Älteren übernommen worden war. Die ‚Collectanea’ erlebte im Mittelalter eine große Verbreitung und war die bevorzugte Quelle Isidors von Sevilla.
Es gibt Theorien, dass sich sowohl Azagouc, als auch Zazamanc aus von Solinus verwendeten Begriffen ableiten lassen.[7]
1.2 Altfranzösische Quellen
1.2.1 Chretien de Troyes
Wolframs Vorlage für den ‚Parzival’ ist Chretiens de Troyes Gralsroman ‚Perceval’. Es ist – so Werner Schröder - eindeutig, dass Wolfram von Eschenbach die meisten seiner Namen und Bezeichnungen entweder direkt aus dem ‚Perceval’ oder aus anderen Werken des französischen Autors z.B. ‚Erec et Enide’ oder ‚Yvain’ übernommen hat.[8]
Dabei ging der Dichter keineswegs systematisch vor. Zwar übernahm er die Figuren aus der französischen Vorlage, änderte jedoch zum Teil die Namen oder verwendete sie aus unbekannten Gründen für andere Personen. „Wolfram hat das Personal seines Vorgängers so gut wie vollständig übernommen, aber nicht immer mit denselben Namen.“[9]
Geographische Termini wie z.B. Absalon, Arabie, Anschouwe oder Brittanie entlehnte Wolfram von Eschenbach dem ‚Perceval’ und ‚Erec et Enide’, passte sie aber seiner Sprache an.[10]
1.2.2 Die Anjou – Chronik
Der Name des Hofes von Anschouwe – Ausgangspunkt der Orientfahrt von Gahmuret – wird bei dem zeitgenössischen Publikum gewiss Assoziationen mit dem Geschlecht der Anjous in Westfrankreich hervorgerufen haben – und das trotz der ungeklärten Vermengung mit steirischen Einzelheiten.[11]
Forscher wie Panzer oder Snelleman gehen sogar davon aus, dass Richard Löwenherz, der berühmteste Vertreter des Hauses Anjou, Wolfram als Vorlage für die Figur des Gahmuret diente (Vgl. 3.1 Löwenherzthese)[12]. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass Wolfram von Eschenbach sich mit der Geschichte des Anjou-Geschlechts befasst und in diesem Zusammenhang eventuell auch die Anjou-Chronik studiert haben muss.
Der Dichter selbst gibt hingegen den Gewährsmann Kyot als Quelle für die Orientfahrt Gahmurets an. (Vgl. 1.4 Kyot)
1.3 Zeitgenössische Autoren – Hartmann von Aue
Christine Wand beschäftigte sich ausführlich mit der „literarischen Reaktion Wolframs auf Hartmann von Aue und dessen Werken“[13] Der Dichter scheint die Anspielungen im Parzival offenbar gezielt publikumswirksam einzusetzen. Gleichzeitig sollen sie eine Erzählwelt aufbauen, in der sich die Helden der Arthusrunde wie z.B. Erec, Iwein und Parzival bewegen.[14] Aus diesem Blickwinkel wird auch Hartmann von Aue für die geographischen Quellen Wolframs interessant. Wolframs Name für das Feenland Feimurgân/Fâmorgân[15] ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Anspielung auf Hartmanns Figur der Fee Fâmurgân im Erec.[16] Der Name der Fee im ‚Parzival’, Terdelaschoye, kann man überdies in Zusammenhang mit Hartmanns Joie de la curt[17] bringen.
1.4 Kyot
Noch 1994 war man der festen Ansicht, die einzige Vorlage für Wolframs von Eschenbach ‚Parzival’ sei Chretien de Troyes’ Gralsroman gewesen . „An die tatsächliche Existenz eines Gewährsmanns ‚Kyot’ glaubt die Forschung nach intensiver Suche überwiegend nicht mehr. Auch für die Orientfahrt . . .ist eine einheitliche Quelle auszuschließen.“[18]
Erst Mandach, Haage, und später auch Horchler weisen nach, dass eine Kyot-Quelle nicht ohne weiters geleugnet werden kann. Zunächst weist Wolfram von Eschenbach selbst sehr oft (insgesamt neun Mal) auf Kyot, den Provenzalen hin – mehr als jeder andere mittelalterliche deutsche Dichter.[19] Er erklärt auf diese Weise die deutlichen Unterschiede zwischen seiner Version des Parzival und dem Gralsroman Chretiens de Troyes. Der Franzose solle zwar ebenfalls die Vorlage Kyots benutzt haben, sei aber stark von ihr abgewichen. „Ob von Troys meister Cristjân / disem m ære hât unreht getân / daz mac wol zürnen Kyôt / der uns diu rehten m ære enbôt.“[20]
[...]
[1] Vgl. Shockey, Gary C.: Homo Viator, Katabasis and Landscapes. A comparison of Wolfram von Eschenbach’s “Parzival” and Heinrich von dem Türlin’s “Diu Crône“. Müller, Ulrich/ Hundsnurscher, Franz (Hrsg.): Göppinger Arbeiten zur Germanistik Nr.674. Göppingen 2002 S.17
[2] Vgl. Karl Bosl: Bayerische Biographie. Regensburg. 1983. S.568
[3] Holger Noltze: Gahmurets Orientfahrt. Kommentar zum ersten Buch von Wolframs ‚Parzival’ (4,27 – 58,26) In: Brunner, Horst/Hess, Günther: Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie Bd. 13 Könighausen 1995
S. 255
[4] Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival. 14,3
[5] Vgl. Holger Noltze: Gahmurets Orientfahrt. Kommentar zum ersten Buch von Wolframs ‚Parzival’ (4,27 – 58,26) In: Brunner, Horst/Hess, Günther: Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie Bd. 13 Könighausen 1995 S. 256
[6] Vgl. Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. 6.Auflahe Stuttgart 1991 S.8
[7] Vgl. Ernst Martin: Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel. Halle/Saale 1903
[8] Vgl. Werner Schröder: Die Namen im ‚Parzival’ und im ‚Titurel’ Wolframs von Eschenbach. Berlin. New York. 1981. S. 131
[9] Ebd. S.131
[10] Ebd. S.133 und S.137
[11] Vgl. Holger Noltze: Gahmurets Orientfahrt. Kommentar zum ersten Buch von Wolframs ‚Parzival’ (4,27 – 58,26) In: Brunner, Horst/Hess, Günther: Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie Bd. 13 Könighausen 1995 S. 256
[12] Vgl. W. Snelleman: Das Haus Anjou und der Orient in Wolframs ‚Parzival’. Nijkerk 1941 S.12 u. S.25
[13] Christine Wand: Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue. Literarische Reaktionen auf Hartmann im Parzival. Herne 1989 S.7
[14] Ebd. S.8
[15] Vgl. Wolfram von Eschenbach: Parzival. 56,18
[16] Vgl. Holger Noltze: Gahmurets Orientfahrt. Kommentar zum ersten Buch von Wolframs ‚Parzival’ (4,27 – 58,26) In: Brunner, Horst/Hess, Günther: Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie Bd. 13 Könighausen 1995 S. 248
[17] Hartmann von Aue: Erec. 5156 und 8002
[18] Holger Noltze: Gahmurets Orientfahrt. Kommentar zum ersten Buch von Wolframs ‚Parzival’ (4,27 – 58,26) In: Brunner, Horst/Hess, Günther: Würzburger Beiträge zur Deutschen Philologie Bd. 13 Könighausen 1995
S. 247
[19] Vgl. Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. Sammlung Metzler,Bd.36. Stuttgart Weimar, 7.völlig neu bearbeitete Auflage 1997
[20] Wolfram von Eschenbach: Parzival 827,1 - 4
- Citar trabajo
- Yvonne Zimmermann (Autor), 2004, Die Geographie in Wolframs von Eschenbach 'Parzival' - Herkunft, Form und Funktion, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63882
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