Rudi Dutschke - bis heute ist der Name untrennbar mit der Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre verbunden. Anhänger sahen und sehen in ihm den charismatischsten Intellektuellen dieser Zeit, der mit seinen pathetischen Reden und seinem unerschöpflichen moralischen Impetus den Großteil einer Studentengeneration zu begeistern wusste. Kritiker nannten ihn einen verirrten Rebellen und sogar linksfaschistischen Krawallmacher, der den Großteil einer Jugendgeneration gegen die Politik der Regierung der BRD aufhetzte. Rudi Dutschke polarisierte. Der in dieser Hausarbeit betrachtete Zeitraum Mitte der sechziger bis etwa Anfang der achtziger Jahre war ein sehr bewegter und bewegender Abschnitt der deutschen Geschichte. Den Auftakt zu den hier relevanten Ereignissen bildeten unter anderem die Anti-Schahdemonstrationen, in deren Verlauf 1967 der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Studenten eskalierten und bald herrschte in Berlin der Ausnahmezustand. Ein lauwarmer Krieg im Kalten Krieg, noch dazu in einer Stadt, die seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges Spielball im Machtgerangel der Alliierten war. Von einem Attentäter lebensgefährlich verletzt, verschwand Rudi Dutschke 1968 für mehrere Jahre von der politischen Bildfläche. Wut und Verzweiflung über den Anschlag auf Dutschke trieb viele Mitglieder des SDS und der APO in zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. In diesem Dunstkreis bewegte sich auch Andreas Baader, der 1970 zusammen mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin die Rote Armee Fraktion gründete. Die 70er Jahre waren geprägt vom Terror der RAF, der selbst mit der Inhaftierung ihrer Anführer 1972 nicht endete. 1977 war das Jahr brutaler Anschläge, Entführungen und Morde; es ging als „Deutscher Herbst“ in die deutsche Geschichte ein und war der erfolglose Versuch der zweiten RAF-Generation, ihre mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilte Führung „freizupressen“. Die RAF-„Prominenz“ beging daraufhin in der Nacht zum 18. Oktober 1977 in der JVA Stuttgart-Stammheim kollektiv Selbstmord. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Gewaltverständnis des Rudi Dutschke5-
2.1. „Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen!“
2.2. Das Konzept Stadtguerilla
2.3. Guter Terrorismus – böser Terrorismus?
2.4. „Die denken nicht an eine Befreiung des Volkes. Sie wollen töten“
Dutschkes Absage an die RAF.
3. Waren Dutschkes Theorien geistige Basis für die Gründung der RAF?
4. Resümée
5. Quellenverzeichnis
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Rudi Dutschke – bis heute ist der Name untrennbar mit der Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre verbunden. Anhänger sahen und sehen in ihm den charismatischsten Intellektuellen dieser Zeit, der mit seinen pathetischen Reden und seinem unerschöpflichen moralischen Impetus den Großteil einer Studentengeneration zu begeistern wusste. Kritiker nannten ihn einen verirrten Rebellen und sogar linksfaschistischen Krawallmacher, der den Großteil einer Jugendgeneration gegen die Politik der Regierung der BRD aufhetzte. Rudi Dutschke polarisierte.
Der in dieser Hausarbeit betrachtete Zeitraum Mitte der sechziger bis etwa Anfang der achtziger Jahre war ein sehr bewegter und bewegender Abschnitt der deutschen Geschichte. Den Auftakt zu den hier relevanten Ereignissen bildeten unter anderem die Anti-Schahdemonstrationen, in deren Verlauf 1967 der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Studenten eskalierten und bald herrschte in Berlin der Ausnahmezustand. Ein lauwarmer Krieg im Kalten Krieg, noch dazu in einer Stadt, die seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges Spielball im Machtgerangel der Alliierten war.
Von einem Attentäter lebensgefährlich verletzt, verschwand Rudi Dutschke 1968 für mehrere Jahre von der politischen Bildfläche. Wut und Verzweiflung über den Anschlag auf Dutschke trieb viele Mitglieder des SDS und der APO in zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft. In diesem Dunstkreis bewegte sich auch Andreas Baader, der 1970 zusammen mit Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin die Rote Armee Fraktion gründete. Die 70er Jahre waren geprägt vom Terror der RAF, der selbst mit der Inhaftierung ihrer Anführer 1972 nicht endete. 1977 war das Jahr brutaler Anschläge, Entführungen und Morde; es ging als „Deutscher Herbst“ in die deutsche Geschichte ein und war der erfolglose Versuch der zweiten RAF-Generation, ihre mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilte Führung „freizupressen“. Die RAF-„Prominenz“ beging daraufhin in der Nacht zum 18. Oktober 1977 in der JVA Stuttgart-Stammheim kollektiv Selbstmord. Einzig Irmgard Möller überlebte. Noch heute hält sich unter unverbesserlich Verblendeten die Theorie, dass Baader, Raspe und Ensslin durch Vollzugsbeamte ermordet wurden.
Betrachtet man nun die Entwicklung vom Studentenprotest hin zur Gründung einer terroristischen Organisation, stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte. Auf welcher ideologischen Grundlage hat sich die RAF konstituiert? Womit hat sie ihr kriminelles Handeln begründet und welche Ziele verfolgte sie? Und lässt sich überhaupt eine Verbindung zur Studentenbewegung herstellen? Diese Fragen werden unter anderem in dieser Hausarbeit, wenn auch in begrenztem Umfang, zu untersuchen sein. Methodisch sollen zunächst die politisch-theoretischen Ansätze Dutschkes näher beleuchtet werden. Welches Verhältnis hatte Dutschke zur Gewalt bzw. zum bewaffneten Kampf? War dies für ihn vielleicht sogar ein probates Mittel zur Durchführung der von ihm angestrebten „Revolution“? Im zweiten Schritt wird überprüft, ob Dutschkes Überlegungen Legitimationsgrundlage für die terroristischen Handlungen der RAF gewesen sein könnten.
Für die Auseinandersetzung mit den hier aufgeworfenen Fragen möchte ich nicht nur auf Literatur, sondern auch auf Klaus Sterns TV-Dokumentation „Andreas Baader – Der Staatsfeind“ zurückgreifen. Diese liefert viele persönliche Informationen über den Gründer der RAF sowie historische Hintergründe der Studentenrevolte von Zeitgenossen, die in sehr unterschiedliche Lager einzuordnen sind: Ehemalige BKA-Beamte, Anwälte Baaders, Alt-„68er“ wie Rainer Langhans oder Daniel Cohn-Bendit, Baaders ehemalige Lebensgefährtin Ellinor Michel sowie Anneliese Baader, seine Mutter. Das lässt einen synoptischen Blick auf Baader zu und hat gleichzeitig chronistischen Wert. An Literatur liegt etwa zugrunde „1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur“ von Wolfgang Kraushaar, das recht aktuell ist und einen relativ neuen Forschungsstand vermittelt. Schriften aus den 60er Jahren sollen hier ebenfalls berücksichtigt werden, weil sie durch die Nähe zum Geschehen den Zeitgeist besser wiedergeben und oftmals von den Aktivisten selbst verfasst wurden, so zum Beispiel „Protestbewegung und Hochschulreform“ von Jürgen Habermas, der Dutschke persönlich gekannt und sich einige verbale Schlagabtausche mit ihm geliefert hatte. Stefan Austs „Baader-Meinhof-Komplex“ ist bei der Bearbeitung des Themas obligatorisch.
Das 2005 erschienene Werk „Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF“ (Kraushaar, Wieland, Reemtsma) soll ebenfalls in die Ausarbeitung einfließen, weil es sich explizit mit der hier zu erörternden Fragestellung beschäftigt.
2. Das Gewaltverständnis des Rudi Dutschke
2.1. „Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen!“
Diese Aussage machte Dutschke am 3. November 1967 in der Fernsehsendung „Monitor“. Er erklärte, dass erst über die Provokation die Studentenbewegung ein öffentliches Forum für ihre Proteste erhielte. Für Dutschke war die Provokation Protestmethode, das wichtigste Element in ihr die Aktion.
Es stellt sich nun die Frage, welche Form von Provokation Dutschke forcierte. Zu einer konkreten Antwort auf diese Frage gedrängt, hieß es in einem „Spiegel“-Gespräch:
Natürlich nennt er ziemlich zivile Formen von Widerstand: Unterstützung von streikenden Arbeitern in den Betrieben; passive Verhinderung der Auslieferungsprozedur von Springer-Zeitungen, verbunden mit einer Enteignungskampagne, von der er, fern der politischen Empirie, hofft, sie werde von größeren Teilen der Bevölkerung unterstützt (...)[1].
Er konstatierte weiter, dass etwa das Werfen von „Tomaten und Rauchbomben ohnmächtige Mittel zum Zeichen des Protestes [sind]. Niemand kann sich einbilden, dies sei ein Moment des wirksamen Protestes...“[2]. Da er aber um den provokatorischen Wert dieser Aktionsmöglichkeiten wusste, lehnte er sie nicht von vornherein ab.
Auch die maßgeblich von Dutschke mitorganisierte (illegale) Plakat-Aktion „Amis raus aus Vietnam!“, die in der Nacht zum 4. Februar 1966 stattfand, provozierte. Es kam zu Verhaftungen, der SDS, dem man die Aktion zuschrieb, erntete Kritik und Ablehnung. Aber: Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit waren hergestellt. Die Studenten wurden wahrgenommen.
Dutschke versuchte sich noch auf andere Weise Gehör zu verschaffen. Er setzte beispielsweise auf Aufklärung – Aufklärung besonders der Arbeiterschicht über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Welt, aber auch in West-Berlin und der übrigen Bundesrepublik. Dutschke war sich bewusst, dass es für ihn ein Privileg war, studieren zu können. Er fühlte sich denen gegenüber, die dieses Privileg nicht genießen durften, dazu verpflichtet, sie mit seinen an der Universität gewonnenen Erkenntnissen aufzuklären: Über Vietnam, Lateinamerika, den Schah von Persien oder die von Alt-Nazis unterminierte Regierung der BRD. Dutschkes Aufklärungsarbeit sollte wachrütteln, und er war erfolgreich damit – jedoch meistenteils bei seinesgleichen. Die Studenten entwickelten eine enorme Aktions- und Demonstrationsbereitschaft. Zu Tausenden gingen sie auf die Straßen, protestierten, übten zivilen Ungehorsam. Doch rüttelte Dutschke nicht nur die Jugend wach, sondern schreckte auch die Elterngeneration auf. Das saturierte Kleinbürgertum der sechziger Jahre, das sich über die Studenten und „Gammler“ leidenschaftlich echauffierte, war die Mitläufergeneration, die dreißig Jahre zuvor schweigend das Unrecht Hitlers gebilligt hatte. Die Älteren empfanden es als Provokation, an die Feigheit und Fehlbarkeiten vergangener Jahre erinnert und trotz aller Entbehrungen von den eigenen Kindern nun respektlos behandelt zu werden. Dutschke legte hier seinen Finger in eine Wunde, in der noch immer ein Stachel steckte und schmerzte. Es war beinahe abzusehen, dass dieser Generationenkonflikt nicht lange gewaltfrei bleiben konnte. Über mangelnde Wahrnehmung konnte sich Dutschke jedoch nicht beklagen.
[...]
[1] Jürgen Miermeister: Rudi Dutschke, Hamburg 1986, S. 82.
[2] „Spiegel“-Gespräch vom 10. Juli 1967, hier zitiert nach: Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren, Hamburg 1980, S. 79.
- Arbeit zitieren
- Katharina Krause (Autor:in), 2005, Das Gewaltverständnis des Rudi Dutschke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63807
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