Die Computerspiel- und Videospielbranche boomt. Ihr Umsatz lag in Deutschland im Jahr 2005 bereits um ca. 0,5 Milliarden Euro über dem der Kinobranche. Computer- und Videospiele (im folgenden vereinfachend Computerspiele genannt) werden in vielen Haushalten täglich genutzt und nehmen bei vielen Kindern und Jugendlichen einen festen Platz in der Freizeitgestaltung ein. Gleichzeitig "genießt" dieses nun schon fast dreißig Jahre alte (und damit wohl nicht mehr ganz "neue") Medium vor allem in Deutschland einen recht zweifelhaften Ruf. Das hierbei am häufigsten verbreitete Klischee ist das des kontaktscheuen, verhaltensgestörten Jugendlichen, der sich stundenlang hinterm Bildschirm verschanzt, sich durch virtuelle Welten metzelt und eine potentielle Gefahr für seine Mitmenschen darstellt. Allzu oft wird die öffentliche Diskussion von selbsternannten Experten angeführt, die einen direkten (und wissenschaftlich nicht haltbaren) Wirkungszusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger bzw. violenter2 Spiele, auch "Killerspiele" genannt, und tatsächlichen gewalttätigen Handlungen verkünden. Mögliche positive Aspekte von Computerspielen, wie z.B. die Schulung strategischen Denkens oder Kooperation bei Onlinespielen werden nur selten oder überhaupt nicht thematisiert. Da scheint es nicht verwunderlich, dass vor allem ältere Generationen von Eltern und Lehrern, die keinerlei Erfahrung mit dem Medium Computerspiel haben, diesem großes Misstrauen entgegenbringen und es unter Generalverdacht stellen. Das, jedoch, ist falsch. Eltern und Lehrer müssen sich die Mühe machen, sich über die oberflächliche und oft verfälschende Berichterstattung der "alten" Medien hinaus mit dem Thema Computerspiele zu beschäftigen. Zu diesem Zweck wird sich diese Arbeit mit folgenden Fragen beschäftigen:
Was ist die Besonderheit des Mediums Computerspiel im Gegensatz zum Fernsehen, v.a. im Hinblick auf violente Spiele? Wie verbreitet sind diese Spiele unter Kindern und Jugendlichen? Vor allem aber: Wie wirkt sich der Konsum von violenten Computerspielen tatsächlich auf das Verhalten und die Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen aus? Wie können diese erklärt werden, d.h. welche Wirkungstheorien sind hierzu verbreitet und gelten als widerlegt bzw. anerkannt? Welche Faktoren haben noch Einfluss auf die Wirkung violenter Spiele auf den Rezipienten? Sowie: Welche praktische Schlussfolgerungen können wir daraus ziehen?
Gliederung
1. Die Besonderheit des Mediums Computerspiel im Gegensatz zum Fernsehen und die Bedeutung dieser Besonderheiten bei violenten Spielen
2. Die Verbreitung violenter Spiele bei Kindern und Jugendlichen
3. Wirkungsfolgen violenter Computerspiele
4. Wirkungstheorien zu violenten Computerspielen
5. Einflussfaktoren
6. Der Risikogruppensatz
7. Zusammenfassung und Hinweise zum richtigen Umgang mit (violenten) Computerspielen
6. Literatur
7. Anhang
1. Die Besonderheit des Mediums Computerspiel im Gegensatz zum Fernsehen und die Bedeutung dieser Besonderheiten bei violenten Spielen
Computerspiele[1] heben sich von den älteren Medien Film und Fernsehen vor allem in einem Punkt ab: der Aktivität des Spielers[2]. Als Spieler greift man aktiv als Spielfigur in das Geschehen auf dem Bildschirm ein. Erst dadurch entfaltet sich die Handlung bzw. das Geschehen. Dies macht den Hauptreiz des Mediums aus. Diese Beobachtung ist in der Diskussion über die Wirkung violenter Spiele deshalb von Bedeutung, weil angenommen wird, dass die von Film- und Fernsehgewalt bekannten Effekte beim Computerspiel genauso oder durch die Aktivität des Spielers sogar verstärkt auftreten. Die Besonderheiten des violenten Computerspiels sind nach Kunczik somit:[3]
- hohe Intensität der emotionalen Wirkung: Der Spieler freut sich über den eigenen Erfolg bzw. ärgert sich über den eigenen Misserfolg mehr als der Zuschauer über den Protagonisten eines Films, den er nicht steuern kann.
- geforderte Aufmerksamkeit : Die Handlung entwickelt sich nur, wenn der Spieler dem Spiel seine volle Aufmerksamkeit widmet. Er kann nicht wie beim Film gleichzeitig anderen Beschäftigungen nachgehen.
- Belohnung : Der Spieler erhält eine direkte Belohnung seiner Spielhandlungen bzw. Spielleistungen wie z.B. bessere Waffen, Levelaufstieg etc.
- fehlende Bestrafung : gewalttätige Handlungen bleiben innerhalb der Spielwelt meist ungestraft, werden oft belohnt oder sind in vielen Spielen sogar Voraussetzung für den Spielfortschritt. Die psychischen Folgen von Gewalt für Opfer werden selten dargestellt.
- Identifikation mit dem Aggressor : im Großteil der violenten Spiele steuert der Spieler den Aggressor, d.h. er ist der Aggressor. Die Rolle der Opfer kann meist nicht gespielt werden, somit bleibt deren Schicksal weitgehend ausgeblendet. Ein unrealistisches Bild von Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung wird propagiert.
- Gleichzeitigkeit verschiedener Komponenten des Modelllernens : Beobachten des Modells, Bestärkung und Ausführen des Verhaltens geschehen gleichzeitig und nicht einzeln und unabhängig voneinander wie beim Fernsehen. Kunczik vermutet, dass es dadurch zu einem verstärkten Lerneffekt kommt.
- Wiederholungs-/ Einübungseffekt: Im Gegensatz zum Film ermöglichen (und erfordern) Computerspiele bestimmte Verhaltensweisen durch Wiederholung zu trainieren. Oft werden ganze Ketten aggressiven Verhaltens ständig wiederholt und eingeübt (z.B. Waffe und Munition besorgen, Waffe laden, Gegner suchen, zielen, schießen). Die Übertragung ins reale Leben ist nicht eindeutig belegt.
Zusätzlich unterscheiden sich Computerspiel und Film m.E. nach dem Nicht-Vorhandensein von Möglichkeiten zu Reflexion während des Spielens: Vor allem bei First-Person-Shootern kann der Spieler oft nicht innehalten um seine Aktionen im Spiel kritisch zu hinterfragen, weil sonst der virtuelle Tod droht. Selbst wenn er innehalten könnte, böten die meisten Spiele keine Option, Konflikte anders als auf die vom Entwickler vorgesehene Weise, d.h. meistens durch Gewaltanwendung, zu lösen.[4] Eine Distanzierung von dem gesteuerten Hauptcharakter fällt somit meiner Vermutung nach schwerer als beim Film.
Somit ergeben sich für violente Computerspiele einige Unterschiede zu gewalthaltigen Fernseh- und Filminhalten, die bei der späteren Behandlung der Wirkungstheorien von Bedeutung sein werden. Zunächst aber möchte ich näher auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen eingehen, die dieses Medium nutzen: Welche Altersgruppen spielen besonders viel? Bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Welche Gruppe spielt am meisten violente Spiele?
2. Die Verbreitung violenter Spiele bei Kindern und Jugendlichen
PC- und Videospiele nehmen in der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen einen hohen Stellenwert ein. So spielen der Studie "Kinder und Medien 2003" zufolge 49% der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 13 Jahren mindestens einmal in der Woche Computerspiele, wobei Jungen dabei deutlich häufiger und länger spielen als Mädchen.[5] Auch im Jugendalter zwischen 13 und 19 Jahren setzt sich dieser Trend fort: laut der "Jugend, Information, (Multi-) Media" Studie von 2003 spielen 64% der Jungen und 24% der Mädchen täglich oder mehrmals pro Woche.[6] Erst im Erwachsenenalter nimmt die Häufigkeit der Nutzung wieder ab.
Auffallend sind dabei die unterschiedliche Genrepräferenzen von Jungen und Mädchen. Nach einer Studie von Gentile et al (2004)[7] bevorzugen Jungen in deutlich stärkerem Maße Spiele mit gewalttätigem Inhalt als Mädchen. Nur 1% der befragten Jungen und nur 16 % der befragten Mädchen bevorzugen Spiele, die keinerlei Gewalt enthalten. Nikken (2000)[8] kam in einer ähnlichen Studie zu vergleichbaren Ergebnissen und zeigte darüber hinaus, dass für Jungen v.a. Herausforderungen und die Möglichkeit zur Aggressionsausübung, für Mädchen hingegen eher die Möglichkeit etwas zu lernen und Kontrolle auszuüben bei Computerspielen wichtig ist. Kunczik fügt hinzu, dass Mädchen generell eher an Spielen interessiert sind, die kreative Aufgaben statt Reaktionsaufgaben stellen und welche, die kooperative statt kompetitiver Problemlösungen fordern.[9]
Bezogen auf konkrete Spielegenres können wir also feststellen, dass vor allem Jungen im älteren Kindes und frühen Jugendalter die hier behandelten violenten Computerspiele spielen: Ego-Shooter, Action-Adventures und (Kriegs-) Simulationen.[10] Auf diese Personengruppe sollte besonderes Augenmerk gelegt werden, da sie vermutlich am ehesten von möglichen negativen Wirkungen gewalthaltiger Videospiele betroffen sind. Mögliche Wirkungsfolgen werden im folgenden Abschnitt behandelt.
3. Wirkungsfolgen violenter Computerspiele
Nach Kunczik[11] können die Wirkungsfolgen in folgenden Kategorien systematisiert werden: Erhöhung des physiologischen Erregungsniveaus, Förderung aggressiver Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen, sowie Reduktion des prosozialen Verhaltens. Die wichtigsten Erkenntnisse sollen hier zusammengefasst werden.
a) Erhöhung des physiologischen Erregungsniveaus
Die Erhöhung des physiologischen Erregungsniveaus während des Spiels äußert sich durch eine erhöhte Herzfrequenz und einen gesteigerten Blutdruck, insbesondere bei Rezipienten die ohnehin zu stärkerer Aggressivität neigen. Eine erhöhte Erregung muss aber nicht zu einem aggressiven Verhalten oder einer aggressiven Stimmung führen.
b) Förderung aggressiver Kognitionen, Emotionen und Verhaltensweisen
Kunczik stellt mehrere Studien vor, die einen Zusammenhang zwischen dem Spielen violenter Spiele und gesteigerten aggressiven Kognitionen (Einstellungen, Wahrnehmungen und Urteilen) zeigen. Insbesondere der „Hostile Attribution Bias“ war nach dem Spielen violenter Spiele erhöht, d.h. die Spieler zeigten in Provokationssituationen eher aggressive Einstellungen oder Vorurteile.
Die Förderung aggressiver Emotionen wurde in mehreren Studien am Grad der Frustration festgemacht. Die Ergebnisse der Studien widersprechen sich allerdings was eine besondere Steigerung der Frustration durch violente gegenüber nichtviolenter Spiele angeht. Frustrationen kamen, wenn überhaupt, durch mangelnden Spielerfolg und weniger durch die violenten Inhalte des Spiels zustande. Auffallend ist jedoch, dass Kinder bei Misserfolg eher derartige Frustrationen zeigten als Jugendliche und Erwachsene. Dies ist m.E. jedoch kein Phänomen, das ausschließlich bei Computerspielen auftritt sondern bei aller Art von Spielen.
Die Frage, wie sich das Spielen violenter Spiele auf tatsächliche Verhaltensweise auswirkt, ist wohl die interessanteste dieser Fragestellungen. Die dazu durchgeführten Studien geben m.E. aber nur begrenzt Aufschluss darüber, ob es zu einem gesteigerten aggressiven Verhalten gegenüber Mitmenschen kommt. So kann beispielsweise das Studiendesign von Anderson und Dill[12] bezweifelt werden, in dem die Probanden vermeintlich aggressive Handlungen (das Auslösen von Geräuschen) gegen imaginäre Gegner und nicht reale Personen ausführten. Andererseits konnte über Befragungen von Mitschülern und Lehrern gezeigt werden, dass Schüler, die sich eher aggressiv gegenüber ihren Mitschülern verhalten auch eher violente Spiele spielen.[13] Ursache und Wirkung sind aber nicht auseinander zu halten. Machen violente Spiele aggressiv oder spielen aggressive Kinder eher violente Spiele?
[...]
[1] Hierbei beziehe ich mich vor allem auf Spiele mit einer (Hintergrund-) Geschichte und mindestens einem von dem Spieler steuerbaren, menschlichen oder menschenähnlichen Hauptcharakter. Somit sind v.a. die Genres Action-Adventure, Strategiespiele, Jump`n Runs, Beat`em Ups sowie Ego-und Taktik-Shooter Gegenstand dieser Arbeit.
[2] Zur besseren Lesbarkeit beschränke ich mich auf die männliche Form des "Spielers". Gemeint sind selbstverständlich auch die Spielerinnen.
[3] vgl. Kunczik, 201f
[4] Eine zunehmende Zahl von Spielen bietet den Spielern allerdings die Möglichkeit, zwischen "Gut" und "Böse" zu wählen. So z.B. Knights of the Old Republic (Lucas Arts,2003), Fahrenheit (Atari,2005) oder Black & White (Lionhead,2000). In Fahrenheit wird auch der Versuch unternommen, realistische Folgen unmoralischer Handlungen aufzuzeigen. So macht sich der (Anti-) Held des Spiels beispielsweise schwere Vorwürfe nachdem er ein Kind im Eiswasser ertrinken lässt um sich vor der Polizei zu verstecken.
[5] vgl. Kunczik, 185 nach KIM-Studie
[6] vlg. Kunczik, 187 nach JIM-Studie
[7] vgl. Kunczik, 189 nach Gentile, 5-22
[8] vgl. Kunczik,190 nach Nikken,93-102
[9] Kunzcik, 188
[10] Bei all der Diskussion um gewalthaltige Computerspiele wird oft übersehen, dass die oft kritisierten Ego-Shooter nur einen Bruchteil der gesamten Spielepalette ausmacht. Siehe hierzu auch die Prüfungsstatistik 2005 der USK im Anhang.
[11] vgl. Kunczik, 203ff
[12] Anderson und Dill, 772-790
[13] Gentile, 5-22
- Citar trabajo
- Robert Mattes (Autor), 2006, Zur Wirkung von gewalthaltigen Spielen bei Kindern und Jugendlichen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63554
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