Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Osteuropas stürzte Kuba in eine tiefe politische und gesellschaftliche Krise. Der ökonomische Wandlungsprozess seit 1989 bewirkte auch einen Prozess graduellen sozialen Wandels. Dieser umfasst nahezu alle Bereiche der Gesellschaft und ist noch keinesfalls abgeschlossen.
Jedoch wurden Phänomene der Jugend- und Subkultur, wie Rockmusik oder Hip-Hop Musik bisher nur in Ansätzen untersucht. Dabei ist der sich vollziehende musikalische Wandel in der kubanischen Rockmusik auch Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Um das mit Peter Wickes Worten zu unterstreichen: "Rockmusik als Volksmusik, als authentischer Spiegel der sozialen Erfahrungen einer Gemeinschaft" (Wicke 1987: 120). Vom scheinbaren Randphänomen Rockmusik ausgehend möchte ich deshalb die kulturelle und soziale Transformation in Kuba heute untersuchen.
Diese Arbeit ist sicherlich nur ansatzweise dazu in der Lage, regt aber vielleicht zu weitergehender Forschung an. Ich verweise an dieser Stelle auf das im Anhang zu findende Interview mit Joaquín Borges. Hier werden weitere rockspezifische Themen diskutiert und zu meiner Arbeit ergänzende Aspekte erwähnt.
Anhand dreier zentraler Fragen versuche ich mich dem Thema zu nähern: Wie ist der Stellenwert von Rockmusik in der gegenwärtigen kubanischen Gesellschaft zu beurteilen? Welche Faktoren begünstigen, bzw. hemmen die Musik? Welche soziale und politische Relevanz hat sie im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet?
Zunächst gebe ich einen kurzen Überblick über die ökonomische, politische und soziale Entwicklung in Kuba seit 1989. Damit soll der notwendige Wissenshintergrund für das bessere Verständnis der nachfolgenden Ausführungen gegeben werden. Etwas genauer gehe ich außerdem auf den Wertewandel und den Wandel in der kulturellen Hegemonie als eine Folge des Transformationsprozesses ein.
Darauf folgt die Darstellung der gesellschaftlichen Funktionalität von Rockmusik, unter Berücksichtigung ihrer subkulturellen Rolle und ihrer Bedeutung als solche und die Bedeutung der Künstler im allgemeinen, in der Zivilgesellschaft.
Als nächstes beschreibe ich die geschichtliche Entwicklung von Rockmusik auf Kuba, um dann auf ihre aktuelle Situation einzugehen und mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Einfluss und ihrer Zukunftsaussicht das Thema abzuschließen.
INHALT
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Der kubanische Transformationsprozess
2.1.1 Zusammenbruch der UdSSR und die ökonomische Transformation
2.1.2 Die soziale Transformation
2.1.3 Wertewandel und Wandel in der kulturellen Hegemonie
2.2 Rockmusik als Subkultur und ihre Bedeutung in der Zivilgesellschaft
2.2.1 Künstler und Zivilgesellschaft
2.2.2 Die Funktion von Rockmusik
2.3 Rockmusik auf Kuba
2.3.1 Geschichte und Entwicklung
2.3.2 Die aktuelle Situation
3. Zusammenfassung und Ausblick
4. Anhang
Entrevista con Joaquín Borges
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Osteuropas stürzte Kuba in eine tiefe politische und gesellschaftliche Krise. Der ökonomische Wandlungsprozess seit 1989 bewirkte auch einen Prozess graduellen sozialen Wandels. Dieser umfasst nahezu alle Bereiche der Gesellschaft und ist noch keinesfalls abgeschlossen.
Jedoch wurden Phänomene der Jugend- und Subkultur, wie Rockmusik oder Hip-Hop Musik bisher nur in Ansätzen untersucht. Dabei ist der sich vollziehende musikalische Wandel in der kubanischen Rockmusik auch Ausdruck der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Um das mit Peter Wickes Worten zu unterstreichen: "Rockmusik als Volksmusik, als authentischer Spiegel der sozialen Erfahrungen einer Gemeinschaft" (Wicke 1987: 120). Vom scheinbaren Randphänomen Rockmusik ausgehend möchte ich deshalb die kulturelle und soziale Transformation in Kuba heute untersuchen.
Diese Arbeit ist sicherlich nur ansatzweise dazu in der Lage, regt aber vielleicht zu weitergehender Forschung an. Ich verweise an dieser Stelle auf das im Anhang zu findene Interview mit Joaquín Borges. Hier werden weitere rockspezifische Themen diskutiert und zu meiner Arbeit ergänzende Aspekte erwähnt.
Anhand dreier zentraler Fragen versuche ich mich dem Thema zu nähern: Wie ist der Stellenwert von Rockmusik in der gegenwärtigen kubanischen Gesellschaft zu beurteilen? Welche Faktoren begünstigen, bzw. hemmen die Musik? Welche soziale und politische Relevanz hat sie im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet?
Zunächst gebe ich einen kurzen Überblick über die ökonomische, politische und soziale Entwicklung in Kuba seit 1989. Damit soll der notwendige Wissenshintergrund für das bessere Verständnis der nachfolgenden Ausführungen gegeben werden. Etwas genauer gehe ich außerdem auf den Wertewandel und den Wandel in der kulturellen Hegemonie als eine Folge des Transformationsprozesses ein.
Darauf folgt die Darstellung der gesellschaftlichen Funktionalität von Rockmusik, unter Berücksichtigung ihrer subkulturellen Rolle und ihrer Bedeutung als solche und die Bedeutung der Künstler im allgemeinen, in der Zivilgesellschaft.
Als nächstes beschreibe ich die geschichtliche Entwicklung von Rockmusik auf Kuba, um dann auf ihre aktuelle Situation einzugehen und mit der Frage nach dem gesell-schaftlichen Einfluss und ihrer Zukunftsaussicht das Thema abzuschließen.
Die Arbeit stützt sich vor allem auf persönliche Erfahrungen, die ich während einer Kubaexkursion des Lateinamerika-Institutes unter Leitung von Professor Rincón im Oktober 2002 und während verschiedener anderer Kubaaufenthalte seit dem Jahr 2000 sammeln konnte. Gespräche mit jungen Rockanhängern und Interviews mit sogenannten Rockspezialisten liefern den Leitfaden und die nötigen Denkansätze für meine schriftlichen Ausführungen.
Eine von Thomas Heberer herausgegebene Untersuchung zu Rockmusik in China habe ich aufgrund ihres interessanten Vergleichswertes ebenfalls zur Hilfestellung hinzugezogen.
Dem Anspruch der Vollständigkeit konnte ich leider nicht nachkommen und bewusst habe ich musikalische Aspekte beiseite gelassen, weil vor allem gesellschaftliche und politische Hintergründe herausgearbeitet werden sollten.
2.1 Der kubanische Transformationsprozess
2.1.1 Zusammenbruch der UdSSR und die ökonomische Transformation
Die Jahre 1989 und 1990 stellten einen tiefen Einschnitt für Kuba dar. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa und v.a. dem Zerfall der UdSSR, verlor Kuba wichtige Verbündete und Handelspartner. Der gesamte Außenhandel mit den ehemaligen RGW-Staaten sank 1990 um 80% (Klinke 2002: 23). Als Folge geriet die Insel in eine tiefe Krise.
Der von vielen prognostizierte Sturz Fidel Castros folgte jedoch nicht und die sozialistische Ordnung blieb weiter bestehen. Trotzdem hat sich seitdem vieles grundlegend verändert.
Die sozialistische Welt bot keine Zuflucht mehr und plötzlich mußte Kuba seine Ökonomie den Zwängen und Anforderungen des Weltmarktes aussetzen. Das schon seit Jahrzehnten existierende Wirtschaftsembargo der USA wurde erst jetzt voll wirksam und verschärfte die Situation maßgeblich (Hoffmann 2000: 104).
Da die Lieferungen aus den ehemaligen Bruderstaaten nun ausblieben, geriet Kuba in eine Energiekrise. Die Auswirkungen machten sich im gesamten Produktions- und Transportwesen bemerkbar. Darüberhinaus kam es zu Engpässen von Lebensmitteln, chemischen Produkten (Medizin) und Ersatzteilen.
Aufgrund der dramatischen wirtschaftlichen Lage reagierte die Regierung Castro mit dem Ausruf eines Notstandprogramms, der Período Especial en Tiempos de Paz (Sonderperiode in Friedenszeiten), am 29. August 1990. Um Energie zu sparen, wurden zeitweise Strom und Wasser gesperrt und der öffentliche Transport und Verkehr kam größtenteils zum Erliegen. Nahrungsmittel wurden rationiert und Kosmetikartikel zur Mangelware. Die Lebensqualität der Kubaner verschlechterte sich rapide (Klinke 2002: 23).
Devisen mussten beschafft werden. Um der Versorgungskrise zu begegnen wurde 1992 eine Verfassungsreform eingeleitet, die eine kontrollierte Öffnung nach außen zuließ. Folgende Liberalisierungsschritte wurden unternommen:
1. Verfassungsreform zur Zulassung nicht- staatlicher Eigentumsformen
2. Freigabe des Devisenbesitzes zusammen mit der Einführung des konvertiblen Pesos
3. Förderung des Auslandstourismus
4. Dezentralisierung des Außenhandels
5. Ausdehnung der Arbeit auf eigene Rechnung (cuenta propia)
6. Reduzierung des zentralen Staatsapparates
(Burchard 2001: 316)
Die genannten Reformen führten ab 1994 zu einer erheblichen Stabilisierung bzw. Steigerung der Konjunktur und die wirtschaftliche Situation entspannte sich. Vor allem die Dollarisierung erwies sich als ökonomischer Rettungsanker. Geldüberweisungen von Verwandten aus dem Ausland (remesas) konnten nun legal empfangen werden. Noch vor dem Tourismus stellen die remesas heute die größte Deviseneinnahmequelle Kubas dar (Hoffmann 2000: 114).
Insgesamt erwies sich das kubanische System als widerstands- und wandlungsfähiger als erwartet. Die Normalität ist wieder eingekehrt, auch wenn das Lebensniveau der „Goldenen 80er Jahre“ nicht mehr erreicht werden konnte. Immer noch geht in Kuba jedes Kind zur Schule und die medizinische Versorgung ist grundlegend gesichert, wenn auch mit gravierenden Mängeln.
Jedoch wurden viele strukturelle Probleme nur vertagt und der gesellschaftliche Polarisierungsprozess schreitet unaufhaltsam voran. So sind die wachsenden sozialen Unterschiede und Armut eine Folge der Spaltung der Ökonomie in Dollar und Peso- Sektoren (Hoffmann 2000: 118).
2.1.2 Die soziale Transformation
Trotz wirtschaftlicher Stabilisierung blieb die soziale Krise nicht aus. Aufgrund der schlechten Lebensbedingungen kam es zwischen 1990 und 1994 zu großen Fluchtbewegungen, die mit den Massenunruhen gegen die Regierung Castros am 5. August 1994 auf dem Malecón in Havanna ihren Höhepunkt erreichten. Obwohl diese prekäre Situation schnell wieder unter Kontrolle gebracht wurde, konnte die offensichtliche Unzufriedenheit der Kubaner nicht unbeantwortet bleiben. Der Fortbestand des politischen Systems war in Gefahr und die kubanische Regierung reagierte mit einem strategischen Schachzug. Wurde früher die illegale „Inselflucht“ politisch verfolgt, waren nun die Grenzen für alle ausreisewilligen Kubaner geöffnet. Ein unkontrollierter Massenexodus war die Folge. Innerhalb eines Monats verließen über 30.000 Kubaner auf selbstgezimmerten Flößen die Insel in Richtung USA (Klinke 2002: 25).
Auch wirtschaftspolitisch kam es zu einer Antwort. Als weitere Reformmaßnahme wurden die 1989 abgeschafften Bauernmärkte wieder zugelassen (Díaz 2000: 72f).
Insgesamt scheint sich die Insel ökonomisch zu regenerieren, aber die sozialen Kosten der wirtschaftlichen Transformation sind in jüngster Vergangenheit deutlich spürbarer geworden.
„Die Dollar-Welten der Ausländer lebten einen Wohlstand vor, der in bitterem Kontrast zu den Versorgungsengpässen und Notmaßnahmen der Período Especial stand, die die Kubaner erlebten. Wo diesen nicht nur die Kaufkraft fehlte, sondern ihnen bis 1993 jeglicher Devisenbesitz per Gesetz verboten war, machte das bittere Wort der ‚Dollar-Apartheid‘ die Runde.“ (Hoffmann 2000: 111)
Wohlstand basiert heute in Kuba häufig auf dem Zugang zu Devisen. Viele Kubaner suchen sich deshalb neben ihrer offiziellen Arbeit eine Beschäftigung im informellen Sektor. Rund ein Sechstel der Bevölkerung (Burchardt 1999: 92) versucht durch illegalen Verkauf geklauter Zigaretten, Vermietung von Privatunterkünften, Taxifahren, Dolmetschen oder als jineteras (kubanische Bezeichnung für Prostituierte) an Dollars zu kommen. Oft verdienen sie dabei das Vielfache eines Arztes. Eine Umkehrung der Einkommenspyramide ist die Folge und das soziale Gefälle gerät durcheinander. Kellner, Kofferträger und Taxifahrer gehören somit zur finanzkräftigen Elite des Landes, während Professoren und Ärzte der unterprivilegierten Schicht angehören (Gratius 1999: 3).
Der Soziologe Rafael Hernández sieht den Umstand der sozialen Ausdifferenzierung in der ehemals egalitären Gesellschaft Kubas als Grund für eine nun komplexere Gesellschaftsstruktur (Hernández 1999: 166).
Mit Beginn der Krise verlor der Staat die Kontrolle über einige gesellschaftliche Teilbereiche und neue soziale Freiräume in der zivilen Gesellschaft wurden geschaffen. Waren Intellektuelle und Künstler jahrelang staatlichen Repressionen ausgesetzt, kann während der 90er Jahre eine allmähliche Entspannung von Seiten der Regierung festgestellt werden (Klinke 2002: 91). Das gilt auch für die am Rande der Gesellschaft agierenden Subkulturen. Bevor dieses Phänomen aber am Beispiel des rock cubano genauer analysiert wird, soll im Folgenden kurz das Problem vom Wandel der Werte auf Kuba und die Veränderung in der kulturellen Hegemonie skizziert werden.
2.1.3 Wertewandel und Wandel in der kulturellen Hegemonie
Nach offizieller kubanischer Ansicht bewirkte die beschriebene wirtschaftliche und soziale Transformation einen Wandel in der kulturellen Hegemonie Kubas. Außerdem habe sie auch „eine Krise in den Werten der kubanischen Gesellschaft hervorgerufen“ (CEJ 1999: 36).
Positive, für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtige Werte werden zugunsten individualistischer Wertvorstellungen zurückgedrängt. Das wird besonders bei näherer Betrachtung der kubanischen Jugend deutlich. Sie identifiziert sich nicht in dem Maße mit den Zielen der kubanischen Revolution, wie die Generationen, die wesentlich an ihr mitgewirkt haben. Die Jugendlichen sind mit den Errungenschaften der Revolution aufgewachsen. Sie sehen sie also als gegeben an und stellen darüberhinausgehend andere Forderungen (Klinke 2002: 40). Mit der Dollarisierung werden Werte wie Wettbewerbsdenken, Verantwortlichkeit und Effizienz gefördert. Gleichzeitig verlieren bislang gültige Wertvorstellungen, die kulturell und durch sozialistsiche Sozialisation die Bevölkerung geprägt hatten, an Bedeutung (Zerfall des Prestiges der Partei vor allem unter der Jugend, die Erosion der sozialistischen Ideologie) und erzeugen somit ein Wertevakuum (Heberer 1994: 89).
Viele junge Kubaner imitieren zunehmend den westlichen Lebensstil und auch die USA wird von einem Großteil eher idealisiert als kritisiert. Materielle Interessen gewinnen die Oberhand. Rafael Hernández spricht in diesem Zusammenhang von einer „Bourgeoisierung“ der kubanischen Gesellschaft.
Angesichts dieser Tendenzen und der Tatsache, daß 40 Prozent der Bevölkerung unter 14 Jahre alt ist (Szulc 1995: 166), kann man einen fortschreitenden Hegemonierückgang des „Inselsozialismus“ erwarten (Klinke 2002: 40).
Um einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen und die kulturelle Hegemonie wieder herzustellen, betont die Regierung den kubanischen Nationalismus. Auch innerhalb musikalischer Diskurse kommt das immer wieder zum Ausdruck. So spricht man nicht nur von Rockmusik, sondern legt explizit Wert auf die Bezeichnung rock cubano.
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- Quote paper
- Laura Gerber (Author), 2003, El rock cubano: Spiegel einer Gesellschaft im Wandel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63473
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