Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen im pyrrhonischen Skeptizismus wie er bei Sextus Empiricus in seinem „Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“ dargestellt wird. Dabei geht es besonders um die Frage, was die antiken Skeptiker unter Erscheinungen verstehen, wie sie in ihrem alltäglichen Leben damit umgehen und welche Auswirkungen dieses Verständnis auf die skeptische Philosophie hat. Konkreter ausgedrückt, geht es um diese Fragen: Wie stellt sich der Pyrrhoneer ein Leben nach Erscheinungen vor und ist solch ein Leben in der Praxis überhaupt möglich? Die antiken Skeptiker wurden schon zu Lebzeiten mit dem Einwand konfrontiert, dass ein Leben nach Erscheinungen nicht möglich sei. Man warf ihnen vor, mit ihrer Philosophie der Urteilsenthaltung, sich durch das alltägliche Leben selbst zu widersprechen, da man dort ohne Meinungen oder Urteile gar nicht auskommen kann. Dieses Problem wurde bis ins 20. Jahrhundert diskutiert, zuletzt besonders von Michael Frede und Myles Burnyeat, die bezeichnender Weise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Frede ist der Auffassung, dass ein Skeptiker sehr wohl Überzeugungen und Meinungen haben darf und er durchaus ein ganz „normales“ und zufriedenstellendes Leben führen kann, ohne seiner Philosophie zu widersprechen. Burnyeat hingegen hält es mit dem Einwand Humes, der besagt, ein Leben ohne Überzeugungen, nur nach Erscheinungen sei nicht möglich. Der Hauptunterschied liegt in der unterschiedlichen Auslegung der Begriffsdogma(Überzeugung,belief).Dies rührt daher, dass Sextus selbst einen weiteren von einem engeren Begriff von dogma unterscheidet. Es soll im folgenden mit Frede und Burnyeat untersucht werden, wie es sich mit Erscheinungen und Überzeugungen im pyrrhonischen Skeptizismus verhält. Im nachstehenden Kapitel wird zunächst der pyrrhonische Skeptizismus nach Sextus dargestellt. Es werden seine Strategien und Motive aufgezeigt und eine erste Annäherung an sein Verständnis von den Phänomenen unternommen. Dabei kommt auch der schon angesprochene Haupteinwand zur Sprache, der hier von Hume zitiert wird und auf den sich auch Frede und vor allem Burnyeat in ihren Texten beziehen. Der Einwand bildet den Einstieg in die Diskussion mit den Texten Fredes und Burnyeats, mit denen sich die nächsten Kapitel beschäftigen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der pyrrhonische Skeptizismus
2.1 Die Hoffung auf Seelenruhe
2.2 Das Kriterium der Skepsis – die Phänomene
3. Erscheinungen und Überzeugungen
4. Des Skeptikers Meinungen in der Kritik
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen im pyrrhonischen Skeptizismus wie er bei Sextus Empiricus in seinem „Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“[1] dargestellt wird. Dabei geht es besonders um die Frage, was die antiken Skeptiker unter Erscheinungen verstehen, wie sie in ihrem alltäglichen Leben damit umgehen und welche Auswirkungen dieses Verständnis auf die skeptische Philosophie hat. Konkreter ausgedrückt, geht es um diese Fragen: Wie stellt sich der Pyrrhoneer ein Leben nach Erscheinungen vor und ist solch ein Leben in der Praxis überhaupt möglich?
Die antiken Skeptiker wurden schon zu Lebzeiten mit dem Einwand konfrontiert, dass ein Leben nach Erscheinungen nicht möglich sei. Man warf ihnen vor, mit ihrer Philosophie der Urteilsenthaltung, sich durch das alltägliche Leben selbst zu widersprechen, da man dort ohne Meinungen oder Urteile gar nicht auskommen kann. Dieses Problem wurde bis ins 20. Jahrhundert diskutiert, zuletzt besonders von Michael Frede und Myles Burnyeat, die bezeichnender Weise zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Frede ist der Auffassung, dass ein Skeptiker sehr wohl Überzeugungen und Meinungen haben darf und er durchaus ein ganz „normales“ und zufriedenstellendes Leben führen kann, ohne seiner Philosophie zu widersprechen. Burnyeat hingegen hält es mit dem Einwand Humes, der besagt, ein Leben ohne Überzeugungen, nur nach Erscheinungen sei nicht möglich. Der Hauptunterschied liegt in der unterschiedlichen Auslegung der Begriffs dogma (Überzeugung, belief). Dies rührt daher, dass Sextus selbst einen weiteren von einem engeren Begriff von dogma unterscheidet. Es soll im folgenden mit Frede und Burnyeat untersucht werden, wie es sich mit Erscheinungen und Überzeugungen im pyrrhonischen Skeptizismus verhält.
Im nachstehenden Kapitel wird zunächst der pyrrhonische Skeptizismus nach Sextus dargestellt. Es werden seine Strategien und Motive aufgezeigt und eine erste Annäherung an sein Verständnis von den Phänomenen unternommen. Dabei kommt auch der schon angesprochene Haupteinwand zur Sprache, der hier von Hume zitiert wird und auf den sich auch Frede und vor allem Burnyeat in ihren Texten beziehen. Der Einwand bildet den Einstieg in die Diskussion mit den Texten Fredes und Burnyeats, mit denen sich die nächsten Kapitel beschäftigen.
Das dritte Kapitel geht der Frage nach, welche Überzeugungen der antike Skeptiker haben darf. Frede kommt zu dem Schluss, dass der Einwand, wie Hume ihn vertritt, nicht gültig ist. Er ist vielmehr der Meinung, dass der Skeptiker Dinge wissen kann und Meinungen haben darf, ohne seiner Philosophie zu widersprechen. Das zu begründen wird Gegenstand dieses Kapitels sein.
Das vierte Kapitel führt die Diskussion um die Überzeugungen weiter, allerdings in der Hinsicht, dass der Überzeugungsbegriff hinterfragt wird, der im vorigen Kapitel diskutiert wurde. Burnyeat macht einen wesentlich engeren Begriff von Überzeugung bei Sextus aus, der mehrere Dinge zur Folge hat. Zum einen kann dies bedeuten, dass der Skeptiker Überzeugungen in diesem engen Sinne nicht haben darf, ohne sich zu widersprechen, zum anderen, dass Humes Einwand von der Unmöglichkeit eines Lebens ohne Überzeugungen berechtigt ist. Ein solches Leben scheint deshalb unmöglich, da dies eine Loslösung von der eigenen Person nach sich ziehen würde. Schließlich arbeitet Burnyeat in seinem Text heraus, dass Sextus nicht nur Überzeugungen im weiteren Sinn von dogma hat, sondern auch im engeren Sinn. Burnyeat zeigt also eine Inkohärenz innerhalb des Pyrrhonismus auf, der endgültig belegen soll, dass ein Leben nach Erscheinungen nicht möglich ist.
Ziel dieser beiden Kapitel ist es, über den Begriff der Erscheinung und seines Gegenteils, der Überzeugung, Klarheit zu schaffen und zu ergründen, an welchen Stellen der pyrrhonische Skeptizismus problematisch wird.
2. Der pyrrhonische Skeptizismus
Sextus Empiricus’ „Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“ bildet das wichtigste Dokument des antiken Skeptizismus’. Über Sextus selbst sind nur wenige Daten bekannt. Er gehörte der empirischen Ärzteschule an und verfasste im 2. Jahrhundert n. Chr. seine Schriften, die in drei Hauptwerke untergliedert sind. Zwei von ihnen werden unter dem Titel Adversus Mathematicos zusammengefasst und gehören zu Sextus’ Spätwerk. Zeitlich früher zu datieren ist sein „Grundriss der pyrrhonischen Skepsis“, das aus drei Büchern besteht: Das erste Buch bildet den allgemeinen Teil, das zweite und dritte Buch wenden sich speziell gegen einzelne Aspekte der dogmatischen Philosophie.
Die „pyrrhonischen“ Ursprünge sind allerdings schon einige Jahrhunderte früher anzusetzen, nämlich bei Pyrrhon selbst. Sextus nennt den Grund, warum Pyrrhon als Namensgeber dieser Art Skepsis fungiert: „Schließlich heißt sie die ‚pyrrhonische’, weil uns scheint, dass Pyrrhon die Skepsis greifbarer und deutlicher angegangen ist als seine Vorläufer.“ (PH I, 7)
Um Pyrrhon von Elis ranken sich mehr Gerüchte als es gesicherte Fakten über gibt; denn er selbst hat keine Schriften überliefert. Hauptquelle einiger biographischer Aspekte Pyrrhons sind einerseits Fragmente seines Schülers Timon von Phlius, andererseits die Schriften Diogenes Laertios. Pyrrhon lebte nach heutigem Stand der Kenntnis zwischen 360 bis 270 v. Chr. in Elis auf dem nordwestlichen Peloponnes und „habe im Alltag einen konsequenten Außenweltskeptizismus gelebt“[2]. Er war der Auffassung, dass es nicht zu den menschlichen Fähigkeiten zählt etwas zu wissen. Die Grundzüge seiner Philosophie referiert sein Schüler Timon bei Aristokles:
„Wie Timon sagt, erklärt Pyrrhon die Dinge für gleichermaßen indifferent, unmessbar und unbeurteilbar. Aus diesem Grund sagten uns weder unsere Sinneswahrnehmungen noch unsere Meinungen etwas Wahres oder etwas Falsches. Daher sollten wir nicht das mindeste Vertrauen in sie setzen. Vielmehr sollten wir uns keinerlei Meinungen bilden, nicht schwanken und unerschütterlich sein und von jedem einzelnen Gegenstand sagen, dass er um nichts mehr ist als nicht ist oder sowohl ist als auch nicht ist oder weder ist noch nicht ist.“[3]
Es wurde Pyrrho schon zu Lebzeiten vorgeworfen, dass solch ein radikaler Skeptizismus sich praktisch nicht durchführen lasse. Eines der vielen Gerüchte über Pyrrhon besagt, dass er seine skeptische Lebensweise nur überlebt habe, weil seine Schüler, die ihn begleiteten auf ihn Acht gaben und ihn aus gefährlichen Situationen retteten: „Als Pyrrhon einmal erschrak, weil ein Hund ihn ansprang und man ihm das vorhielt, sagte er, es sei schwer ‚den Menschen vollständig auszuziehen’.“[4]
Ob der historische Pyrrhon jedoch großen Einfluss auf die Philosophie der späteren Pyrrhoneer, wie Aenesidem oder Sextus, gehabt hat, ist fraglich. Frede führt verschiedene Gründe an, die einem maßgeblichen Einfluss Pyrrhons widersprechen:[5] Zum einen lagen auch Sextus, der ja erst Jahre später den antiken Skeptizismus wieder aufleben ließ, keine Schriften Pyrrhons oder sonst irgendwelche gesicherten Daten vor. Zum anderen ist Frede davon überzeugt, dass die späten Skeptiker, wie weiter unten noch genauer expliziert wird, ein konventionelles Leben führten, wie es nach Pyrrho eigentlich nicht möglich wäre. Der Unterschied zwischen Pyrrhons Philosophie und der der späten Skeptiker liegt daran, dass die späten Skeptiker sehr wohl annahmen, dass Sinneseindrücke oder andere Vorstellungen wahr oder falsch sein konnten, dass nur der Mensch nicht die Fähigkeit besitzt, den Wahrheitswert zu erkennen, wohingegen Pyrrhon bei jeglicher Wahrnehmung das Wahr- oder Falschsein abspricht. Wie sich nun der pyrrhonische Skeptizismus der späten Skeptiker gestaltet, wird im folgenden dargelegt.
2.1 Die Hoffung auf Seelenruhe
Das Charakteristische am pyrrhonischen Skeptizismus ist, dass er keine Lehrmeinung in dem Sinne vertritt, dass er sich nicht an irgendwelche Dogmen hält. Sextus unterscheidet drei philosophische Richtungen, die sich mit der Suche nach der Wahrheit beschäftigen und dabei zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Die Dogmatiker, zu denen er unter anderen Aristoteles, Epikur und die Stoiker zählt, meinen das Wahre gefunden zu haben, die Akademiker, zum Beispiel Kleitomacheos und Karneades, halten das Wahre für unerkennbar. Die Skeptiker hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich noch auf der Suche befinden. Deshalb werden sie auch die „Suchenden“ genannt. Die Skeptiker sind auf ihrer Suche nach dem Wahren also weder zu Erkenntnis über die reale Existenz der Dinge gekommen, noch sind sie der Meinung, dass Erkenntnis unmöglich sei. Dass sie noch auf der Suche sind, bedeutet demnach, dass sie völlig offen sind, was das Ergebnis der Suche anbetrifft. Um zu verstehen, warum sie im Gegensatz zu Dogmatikern und Akademikern zu keinem Ergebnis gekommen sind, muss die skeptische Suche näher erläutert werden.
Das treibende Motiv war bei den Philosophen der Antike nicht die Erkenntnis selbst, sondern das Erreichen eines Zustands des Glücks. Für die Skeptiker bestand das Glück in der Seelenruhe:
„Denn die geistig Höherstehenden unter den Menschen, beunruhigt durch die Ungleichförmigkeit in den Dingen und ratlos, welchen von ihnen man eher zu stimmen solle, gelangten dahin zu untersuchen, was wahr ist in den Dingen und was falsch, um durch die Entscheidung dieser Frage Ruhe zu finden.“ (PH I, 12).
Auch der Skeptiker hat so zu philosophieren begonnen. Seine Strategie besteht darin, jeder Vorstellung, jedem Argument ein gleichwertiges entgegen zu stellen. So wollte er zu einer Entscheidung darüber kommen, wie die Dinge wirklich beschaffen sind und wie nicht. „Da sie das nicht zu tun vermochten, hielten sie inne. Als sie aber innehielten, folgte ihnen wie zufällig die Seelenruhe wie der Schatten dem Körper.“ (PH I, 29). Sextus vergleicht das Erreichen der Seelenruhe mit einem Erlebnis, das dem Maler Apelles widerfahren sein sollen, als er versuchte ein Pferd zu malen. Es wollte ihm nicht gelingen den Schaum am Maul des Pferdes darzustellen, dass er vor Wut einen Schwamm gegen das Bild schleuderte. Wie der Zufall es wollte bildete der Schwamm den Schaum am Maul des Pferdes in der gewünschten Weise ab.
[...]
[1] Sextus Empiricus: Grundriss der pyrrhonischen Skepsis. Eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993. Im folgenden in der häufig verwendeten Weise zitiert: PH I, 13 = Sextus: Grundriss, Buch I, Paragraph 13
[2] Friedo Ricken: Antike Skeptiker. München: Beck, 1994. S. 14.
[3] Aritokles bei Eusebius, Praep. Evang. Zitiert nach: Long, Sedley: Die hellenistischen Philosophen: Texte und Kommentare. Stuttgart: Metzler, 2000. S. 15.
[4] Ricken, S. 15.
[5] Michael Frede: Des Skeptikers Meinungen. In: Neue Hefte für Philosophie, Heft 15/16 (1979). S. 106.
- Arbeit zitieren
- Carmen Radeck (Autor:in), 2002, Das Phänomen im pyrrhonischen Skeptizismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63468
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