„Dem Schüler soll gezeigt und bewiesen werden, welche Aufgabe Literatur vor allem hat: Sie soll den Menschen Freude, Vergnügen und Spaß bereiten und sogar Glück.“
Dieses Zitat von REICH-RANICKI beschreibt treffend meine Ausgangsüberlegungen zur vorliegenden Arbeit. Wird die Lesefreude früh geweckt, entsteht eine lebenslange Liebe zu Büchern, die einen Menschen prägt. Gern-Leser wissen um die entspannende, hedonistische Funktion des Lesens, das in fremde Welten entführt und den Alltag vergessen lässt. Primär geht es dabei nicht um Wissensvermittlung, allerdings ist dies unbestritten eine positive Begleiterscheinung der Lektüre. Dieses Wissen kann kognitiver oder auch emotionaler Art sein, denn Lesen eröffnet die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen. Doch auch wenn es um die reine Aneignung von Wissen geht, ist das Lesen eine fast unabdingbare Voraussetzung, besonders in der Schule. Viele Informationen bleiben dem Nicht-Leser verwehrt. Lesen hat damit eine Schlüsselfunktion in dem Sinne, dass es Türen zum weiteren Lernen aufschließt.
In unserer Kultur, die von Dichtern und Denkern geprägt wurde, kann das Lesen zu einer „positiven Einstellung zum kulturellen Erbe“ beitragen, wie vom Rahmenplan Grundschule ge-fordert wird. Die Schüler im zweiten Schuljahr haben die Fertigkeit des Lesens erlernt; mit dieser Einheit soll ihnen die Möglichkeit eröffnet werden zu erfahren, welche Freude man am Lesen von Büchern haben kann.
Die von mir gewählte Form des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts soll dazu beitragen, Lesen als freudvolle Bereicherung zu empfinden. Unterschiedliche Methoden und ein kindgemäßer Umgang mit Literatur sollen helfen, dieses Ziel zu erreichen und den Bedürfnissen und Begabungen aller Kinder der Lerngruppe gerecht zu werden. Gerade in einer Zeit, in der Wahrnehmungsstörungen immer mehr zunehmen, scheint es mir besonders wichtig, das Kind in seiner gesamten Persönlichkeit auch handelnd in den Lernprozess einzubeziehen, anstatt das Lernen nur auf die kognitive Ebene zu beschränken. Es werden unterschiedliche Zugänge zur Literatur angeboten, so dass jeder Schüler bei dieser Vorgehensweise seinen eigenen Weg finden kann.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung – Begründung des Themas
2 Theoretische Grundlegung
2.1 Zum Begriff Kinder- und Jugendliteratur
2.2 Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht – Historische Entwicklung
2.3 Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht
2.4 Zum Abenteuerbuch
2.4.1 Indianer-Abenteuer
3 Planung der Unterrichtseinheit
3.1 Analyse der Ausgangsbedingungen
3.1.1 Institutionelle Voraussetzungen
3.1.2 Beschreibung der Lerngruppe
3.1.3 Voraussetzungen in Bezug auf den Lerngegenstand
3.2 Sachanalyse
3.2.1 Zur Autorin Käthe Recheis
3.2.2 Zum Inhalt der Ganzschrift „Kleiner Wa-gusch“
3.2.2.1 Gattungstypische Merkmale
3.2.2.2 Aufbau und Struktur
3.2.2.3 Geographischer und völkerkundlicher Hintergrund
3.3 Didaktische Begründung und Strukturierung
3.3.1 Legitimation des Unterrichtsgegenstandes
3.3.2 Gründe für die Auswahl des Buches „Kleiner Wa-gusch“
3.3.3 Strukturierung des Lerninhaltes
3.3.4 Lernziele der Unterrichtseinheit
3.4 Methodische Überlegungen
3.4.1 Möglichkeiten der Textrezeption
3.4.2 Mündliche Texterarbeitung – Literarisches Gespräch
3.4.3 Handlungs- und produktionsorientierte Verfahren
3.4.3.1 Erweiterndes Schreiben
3.4.3.2 Szenisches Interpretieren
3.4.3.3 Visuelle Darstellung
3.4.3.4 Akustische Gestaltung
3.4.4 Rituale
3.4.5 Fächerübergreifendes Arbeiten
4 Darstellung der Unterrichtspraxis
4.1 Erste Unterrichtssequenz: „Sei nicht traurig, kleiner Wa-gusch“ (Kapitel 1) Standbild, innerer Monolog (siehe Anhang A)
4.1.1 Ziele der Unterrichtssequenz
4.1.2 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.1.3 Reflexion
4.2 Zweite Unterrichtssequenz (ausführliche Stundenvorbereitung): „Min-di“
(Kapitel 2) Elfchen (siehe Anhang B)
4.2.1 Sachanalyse
4.2.2 Didaktische Überlegungen
4.2.3 Methodische Überlegungen
4.2.4 Ziele der Unterrichtssequenz
4.2.5 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.2.6 Reflexion
4.3 Dritte Unterrichtssequenz: „Der gefiederte Pfeil“ (Kapitel 5)
Literarisches Gespräch, Brief an den Protagonisten (siehe Anhang E)
4.3.1 Ziele der Unterrichtssequenz
4.3.2 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.3.3 Reflexion
4.4 Vierte Unterrichtssequenz: „Das Gewitter“ (Kapitel 6)
Eine Szene vertonen (siehe Anhang F)
4.4.1 Ziele der Unterrichtssequenz
4.4.2 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.4.3 Reflexion
4.5 Fünfte Unterrichtssequenz: „Wa-pi und die Bärenmutter“ (Kapitel 7)
Bild-Text-Collage (siehe Anhang G)
4.5.1 Lernziele der Unterrichtssequenz
4.5.2 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.5.3 Reflexion
4.6 Sechste Unterrichtssequenz: „Schatten im Schnee“ (Kapitel 12)
Antizipierendes Rollenspiel (siehe Anhang K)
4.6.1 Lernziele der Unterrichtssequenz
4.6.2 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.6.3 Reflexion
5 Gesamtreflexion
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung – Begründung des Themas
„Dem Schüler soll gezeigt und bewiesen werden, welche Aufgabe Literatur vor allem hat:
Sie soll den Menschen Freude, Vergnügen und Spaß bereiten und sogar Glück.“ [1]
Dieses Zitat von REICH-RANICKI beschreibt treffend meine Ausgangsüberlegungen für die vorliegende Arbeit. Wird die Lesefreude früh geweckt, entsteht eine lebenslange Liebe zu Büchern, die einen Menschen prägt. Gern-Leser[2] wissen um die entspannende, hedonistische Funktion des Lesens, das in fremde Welten entführt und den Alltag vergessen lässt. Primär geht es dabei nicht um Wissensvermittlung, allerdings ist dies unbestritten eine positive Begleiterscheinung der Lektüre. Dieses Wissen kann kognitiver oder auch emotionaler Art sein, denn Lesen eröffnet die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen. Doch auch wenn es um die reine Aneignung von Wissen geht, ist das Lesen eine fast unabdingbare Voraussetzung, besonders in der Schule. Viele Informationen bleiben dem Nicht-Leser verwehrt. Lesen hat damit eine Schlüsselfunktion in dem Sinne, dass es Türen zum weiteren Lernen aufschließt.
In unserer Kultur, die von Dichtern und Denkern geprägt wurde, kann das Lesen zu einer „positiven Einstellung zum kulturellen Erbe“[3] beitragen, wie vom Rahmenplan Grundschule gefordert wird. Die Schüler im zweiten Schuljahr haben die Fertigkeit des Lesens erlernt; mit dieser Einheit soll ihnen die Möglichkeit eröffnet werden zu erfahren, welche Freude man am Lesen von Büchern haben kann.
Die von mir gewählte Form des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts soll dazu beitragen, Lesen als freudvolle Bereicherung zu empfinden. Unterschiedliche Methoden und ein kindgemäßer Umgang mit Literatur sollen helfen, dieses Ziel zu erreichen und den Bedürfnissen und Begabungen aller Kinder der Lerngruppe gerecht zu werden. Gerade in einer Zeit, in der Wahrnehmungsstörungen immer mehr zunehmen, scheint es mir besonders wichtig, das Kind in seiner gesamten Persönlichkeit auch handelnd in den Lernprozess einzubeziehen, anstatt das Lernen nur auf die kognitive Ebene zu beschränken. Es werden unterschiedliche Zugänge zur Literatur angeboten, so dass jeder Schüler bei dieser Vorgehensweise seinen eigenen Weg finden kann.
Ich möchte mit dieser Arbeit aufzeigen, dass es gelingen kann, durch einen handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterricht Neugier auf Lesen zu wecken und den Grundstein für eine lebenslange Lesemotivation zu legen. Um dieses Ziel zu erreichen, erscheint die Lektüre „Kleiner Wa-gusch“, ein geeignetes Erstlesewerk zu sein. Ich wünsche mir, dass den Schülern der Eintritt in die Erlebniswelt des Wa-guschs gelingt und sie erfahren, wie spannend und wohltuend Lesen sein kann.
2 Theoretische Grundlegung
2.1 Zum Begriff Kinder- und Jugendliteratur
Kinder- und Jugendliteratur (KJL) ist ein facettenreicher Begriff, der die vielschichtigen Erscheinungsformen von Texten im kinder- und jugendliterarischen Bereich umschreibt. Konkreter lassen sich diese folgendermaßen beschreiben: Kinder- und Jugendliteratur kann alle für Kinder und Jugendliche geschriebenen fiktionalen sowie nicht fiktionalen Texte („spezifische KJL“) meinen, aber auch die Gesamtheit der Texte, die von Kindern und Jugendlichen rezipiert werden („Kinder- und Jugendlektüre“). Um die gesamte für Kinder und Jugendliche als geeignet empfundene Literatur („intentionale KJL“) handelt es sich meist, wenn im pädagogischen Bereich, Texte für ein bestimmtes Klientel, hier die Schüler, als geeignet empfunden werden.[4]
Schließlich hat sich auf Grund der Ausdifferenzierung innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur seit den sechziger Jahren (siehe 2.2) auch ein „Subsystem KJL“, ein Teilsystem des gesellschaftlichen Handlungs- bzw. Sozialsystems Literatur, ausgebildet. Dieses zeichnet sich durch eine der Allgemeinliteratur ähnliche innere Struktur (mit Autoren, Herausgebern, Verlegern, Kritikern, Rezipienten wie Lesern oder Wissenschaftlern) aus.
Für dieses System gilt auch die „ästhetisch-literarische Konvention“[5], die besagt, dass Texte nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt hinterfragt werden dürfen, sowie die „Polyvalenzkonvention“[6], die auf die Vieldeutigkeit der Texte hinweist und verschiedene Deutungsmuster zulässt.
Bei dem in der Einheit bearbeiteten Kinderbuch „Kleiner Wa-gusch“ handelt es sich um spezifische und intentionale Kinder- und Jugendliteratur.
2.2 Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht – Historische Entwicklung
In den ersten beiden Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg bestimmte die Lesebuch-Diskussion die Literaturdidaktik. Es handelte sich jedoch hauptsächlich um epische Kurzprosa und Gedichte. Die epischen Langformen hätten den Rahmen des Lesebuchs gesprengt. Sie standen deshalb nicht zur Diskussion und wurden nur auszugsweise aufgenommen.[7] Im Unterricht waren Ganzschriften ausschließlich den höheren Klassen vorbehalten. So waren beispielsweise im Stoffplan der hessischen Bildungspläne von 1956/57 für die Klassen 1-4 noch keine Ganzschriften vorgesehen.[8]
Das hatte zwei wesentliche Gründe: Zum einen bereitete der Umgang mit einer Ganzschrift methodische Probleme, die sich auf den Umfang und die erforderliche Lesedauer der jeweiligen „Hochliteratur“ bezogen, zum anderen wurde die Kinder- und Jugendliteratur zur damaligen Zeit als Konsum- und Trivialliteratur bezeichnet, die keinen Nutzen für die Schule habe, da sie ausschließlich der Unterhaltung diene. Die Kinder- und Jugendliteratur wurde trotz ihrer literarischen Qualität, die sie seit KÄSTNER, LINDGREN, HELD u.a. hat, nicht neben der so genannten Hochliteratur als Schullektüre geduldet.[9] Vertreter dieser Position – wie beispielsweise GEIßLER – sprachen sich deshalb gegen einen Einsatz von Kinder- und Jugendliteratur in der Schule aus, da sie nicht in der Lage sei, ihren Leser über „seinen augenblicklichen Status“[10] hinauszuführen. So spielte der Roman in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 eine untergeordnete Rolle und wurde von GEIßLER treffend als „Stiefkind (...) des literarischen Unterrichts“[11] bezeichnet.
Erst Ende der 60er Jahre belebte Malte DAHRENDORF die literaturdidaktische Diskussion. Er kritisierte, dass die Schule die gesellschaftlichen Bedingungen, also die Diskrepanz von schulischer Lektüre und Freizeitlektüre, ignoriere, anstatt „für eine intensive Wechselwirkung zu sorgen“[12]. Der daraufhin entbrannte Streit der 60er Jahre zwischen Vertretern der Fachwissenschaft, die versuchten, die Jugend durch das Lesen von Weltliteratur zu Lesern zu erziehen, und denen, die versuchten mittels „einer zugleich unterhaltenden wie wirklichkeitsnahen Literatur die Jugend zu Lesefreude und Leseerfahrung zu führen“[13], wurde schließlich zugunsten der Kinder- und Jugendliteratur entschieden.
Anfang der 80er Jahre setzte sich letztlich die Erkenntnis durch, dass es wichtig ist, an die privaten Leseinteressen und –erfahrungen der Schüler anzuknüpfen und mittels der Kinder- und Jugendliteratur vielen Schülern den Weg zum Lesen von „höherer“ Literatur überhaupt erst zu eröffnen. Außerdem sprach man sich für eine Betonung der Lesefreude aus, damit Lesen nicht zu sehr verschult und als lästige Pflicht empfunden wird.[14]
2.3 Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht
Das Wesen von Literaturunterricht hat sich seit Beginn der 80er Jahre verändert. Die traditionelle Textanalyse und –interpretation wird immer mehr durch zwei Grundformen des aktiven Umgangs von Schülern mit Literatur ersetzt: die Handlungs- und Produktionsorientierung.
Handlungsorientiert meint den aktiven Gebrauch der Sinne beim bildlich-illustrativen, musikalischen, darstellenden oder spielenden Reagieren auf Texte, produktionsorientiert hingegen zielt auf die mehr kognitiv geprägte Erzeugung und Präsentation neuer Texte.[15]
Die Idee eines handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts, vertreten besonders durch KASPAR, SPINNER, HAAS und MENZEL, basiert auf verschiedenen grundsätzlichen Überlegungen. So wird ein rein analysierender Unterricht den verschiedenen Begabungstypen und den Fähigkeiten vieler Schüler nicht gerecht, spricht sie nicht in ihren Gefühlen, ihrer Phantasie und ihrem Tätigkeitsdrang an und schließt vor allem die kognitiv schwächeren Schüler aus. Eigenes Tun hingegen kann einen sinnlichen Kontakt zu Texten und eine Spannung zwischen Text und Leser herstellen, damit Lesemotivation stiften und darauf aufbauend auch analytisches Interesse an Texten wecken.[16]
In literaturtheoretischer Hinsicht beruft sich die Handlungs- und Produktionsorientierung auf die Überlegung der Rezeptionsästhetik, die den Leser als Mitschaffer von Texten ansieht, und möchte diese fördern, indem Schüler eigene Ideen zu Texten entwerfen. Auch die Vorstellung von Texten als dynamisches Gebilde, wie sie vom Poststrukturalismus vertreten wird, interessiert Befürworter der Handlungs- und Produktionsorientierung, da dies ein Eingreifen in Texte rechtfertigt.
Eine weitere Legitimation für den eingreifenden Umgang mit Texten ist die konstruktivistische Literaturtheorie, für die der Sinn eines Textes nur durch den Leser entsteht.[17]
Der handelnde Umgang von Schülern mit Texten ist zudem ein wichtiger Schritt hin zu der von Lehrplänen geforderten Selbstständigkeit und Eigenaktivität, die in Zeiten von passivem Konsumieren immer wichtiger wird. Dabei werden handelnd – produktive Verfahren der Unterschiedlichkeit von Kindern gerecht, da in ihnen ein hohes Differenzierungspotential liegt. So vermittelt ein solcher Literaturunterricht zahlreiche Kompetenzen: literarische, emotive, kreative und emanzipatorische sowie Projektionskompetenz, ästhetische und kritische Kompetenz.[18]
Es lassen sich drei methodische Typen der Handlungs- und Produktionsorientierung unterscheiden:[19]
1. Texte können zunächst fragmentarisch an Schüler gereicht werden. Das Füllen der Leer- stellen (antizipierende Verfahren) und der Vergleich mit dem Originaltext gelten als Voraussetzung, sich auf das Original und dessen Interpretation einzulassen.
2. Die Umgestaltung des Originaltexts führt zu einer intensiven Auseinandersetzung und zu vergleichendem Lesen desselben.
3. Die Textausschnitte oder –aussagen können musikalisch, visuell oder mit körperlichen Ausdrucksformen dargestellt werden, was oft zu einer intensiven Beschäftigung mit Prota- gonisten oder Aussagen führt. Ästhetische Produkte entstehen, die wiederum selbst Ge- sprächsanlässe darstellen (siehe 3.4.3).
Natürlich gibt es auch zahlreiche Einwände gegen einen so praktizierten Literaturunterricht, die sich zwischen den Vorwürfen, dieser Unterricht verfalle einem blinden Aktionismus, habe mit natürlichem Lesen nichts mehr zu tun und er zeige mangelnden Respekt vor ästhetisch geschlossenen Originalen bewegt.[20] Die Befürworter argumentieren mit dem oben genannten Zugewinn an Kompetenzen, dem möglichen individuellen Begreifen von Texten und dem Erhalt oder Aufbau lebenslanger Lesebereitschaft als Basis für kognitive Prozesse. Außerdem berufen sich MENZEL, HAAS und SPINNER auf die prozesshafte Entstehung literarischer Texte und billigen diese auch Schülern zu.
Bei der Vorbereitung der vorliegenden Lektüreeinheit schienen mir die Einwände trotz meiner persönlichen Affinität zum Handeln und Produzieren nicht unberechtigt und deshalb schließe ich mich der Forderung MÜLLER-MICHAELS an, handelnde und produktive Methoden stets zu reflektieren und auf ihren Beitrag für die Unterrichtsziele hin zu überprüfen.[21]
Hinter dem Begriff Handlungs- und Produktionsorientierung verbergen sich verschiedene Richtungen. An der formal-inhaltlichen Machart von Texten sind vor allem WALDMANN, RUPP und MENZEL interessiert. Diese soll durch Eigenproduktion und experimentierenden Umgang mit Textelementen aufgedeckt werden.[22]
Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit sind auf Grund der dahinter stehenden Zielsetzungen HAAS und SPINNERS Verständnis (siehe 3.3.4). HAAS stellt den Schüler als „Subjekt des Leseprozesses“[23] in den Mittelpunkt und hat daher starkes Interesse daran, (auch schwachen) Schülern unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Begabungen einen aktiven und lustvollen Zugang zur Welt des Lesens zu verschaffen.[24]
SPINNER sieht die Stärken der Handlungs- und Produktionsorientierung besonders in deren Beitrag zur Identitätsbildung, indem der Schüler seine persönlichen Probleme in literarischen Texten spiegelt und im Nachvollzug fremder Sichtweisen und der daraus gewonnenen Empathie andere besser verstehen lernt.[25]
2.4 Zum Abenteuerbuch
Ein Grundmerkmal der Abenteuergeschichten ist die gesteigerte Dynamik ihres Handlungsablaufes. In wechselvoller Buntheit reihen sich die Geschehnisse aneinander, ziehen den Leser in ihren Bann, bis sie über mancherlei Umwege und Verwicklungen zu einem befriedigenden Abschluss gelangen.
Ein anderes Merkmal ist die Bevorzugung des Außergewöhnlichen und Fremdartigen. Das Abenteuerbuch bewegt sich nicht im Gewohnten und Vertrauten, sondern führt in Verhältnisse, die sich durch extreme Gegebenheiten deutlich von dem Gleichmaß und der Überschaubarkeit des Alltags abheben. Die außergewöhnliche Situation erfordert außergewöhnliche Leistung, sie verlangt den Helden, der sich kämpferisch bewährt. Dennoch bleibt alles im Rahmen des wirklich Möglichen, denn Realismus ist ein weiteres Kennzeichen der Abenteuerlektüre.[26]
Anneliese HÖLDER gruppiert das Abenteuerbuch nach inhaltlichen Kriterien:
a) Jagd-Abenteuer, b) See-Abenteuer, c) Indianer-Abenteuer, d) Kriegs-Abenteuer, e) Forscher- und Reise-Abenteuer, f) Detektiv-Abenteuer, g) Technisch-utopische Abenteuer.[27]
Bei der in der Einheit behandelten Ganzschrift „Kleiner Wa-gusch“ handelt es sich um ein Abenteuerbuch, genauer gesagt um ein Indianer-Abenteuer (siehe 2.4.1 und 3.2.2.1).
2.4.1 Indianer-Abenteuer
„Der Indianer gehört seit dem 18. Jahrhundert zum beständigsten Repertoire der Druckmedien in der alten Welt, seit Ende des 18. Jahrhunderts mehr und mehr auch der Kinder- und Jugendliteratur und im 20. Jahrhundert außerdem, in der Form von Wildwestgeschichten, ebenfalls der audiovisuellen und elektronischen Medien (Western-Film, Romanheft, Comic).“[28] COOPER machte den Indianer mit seinen „Lederstrumpferzählungen“ (1823-41) endgültig zum literarischen Thema. Die aber wahrscheinlich verbreitetste und wirkungsvollste literarische Indianerfigur schuf Karl MAY mit seinem „Winnetou“ (3 Bde., 1893 ff).
Im 20. Jahrhundert verzweigte sich das Thema stark. In der Kinder- und Jugendliteratur gab es zunehmend auch Indianerbücher für Kinder mit Kindern als Helden (z.B. K. RECHEIS, U. WÖLFEL, G. DRABSCH). Auch Mädchen erhielten mehr und mehr ihre Indianerbücher.
Es fällt auf, dass es fast ausschließlich Weiße, Europäer und ehemalige Europäer waren, welche die Indianergestalt in der Literatur schufen. Was dem Leser dadurch vermittelt wird, ist oftmals weder das Selbstbild des Indianers (schon der Name verrät die eurozentrische Sicht[29] ) noch ein Bild, das Realitätsansprüchen einigermaßen genügt. Der Weiße geht von Anfang an außerordentlich selektiv mit seiner, die Indianer betreffenden Erfahrung um, und vielfach greift er dabei noch auf Gerüchte und Hörensagen zurück (siehe COOPERS Lederstrumpferzählungen).
So entstanden die beiden Stereotype des „edlen Wilden“ und des „bösen Wilden“.[30] Im „edlen Wilden“ bot sich dem Weißen die Chance, sich aus den selbst geschaffenen Konflikten seiner Industriekultur und Naturzerstörung in eine heile, ungebrochene Welt zurückzuträumen. Indem er dazu vorzugsweise den Indianer benutzte, kompensierte er zugleich seine Schuldgefühle dem misshandelten Volk gegenüber. Wenn der Indianer aber böse, d.h. unzivilisiert, hinterhältig, grausam etc. war, hatte man eine nachträgliche Legitimation für die Verfolgung und Vernichtung dieses Volkes.[31]
Käthe RECHEIS ist gegen diese minderwertige Wildwestliteratur. Sie setzt sich durch gründliches Quellenstudium und Reisen mit der Kultur und Geschichte der Indianer auseinander und versucht in ihren Büchern das wirkliche Leben dieser Menschen zu zeigen.
Die Indianerliteratur wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einem bedeutenden Zweig der Abenteuerliteratur für Kinder und Jugendliche. Kindheit und Jugend im heutigen Verständnis sind ein Produkt der bürgerlichen Aufklärung und der Industrialisierung der Kernfamilie. Dass das Angebot einer Indianerliteratur, die entwicklungsbedingte Bedürfnisse Jugendlicher befriedigt, letztlich auf die bürgerliche Entwicklung zurückzuführen ist, wird deutlich, wenn man die immer eingeschränkteren Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen durch Industrialisierung und Naturzerstörung bedenkt.
Neben Erziehungsabsichten, die man mit dem Indianer verfolgt – der Indianer als Vorbild – liefert man dem Leser „literarische Tagträume zur Kompensation seines sinnentleerten Alltags“[32]. Das Angebot hat nicht etwa die Funktion einer „Rückbesinnung auf verloren gegangene Werte, sondern die einer Kompensation, aber auch – im Sinne der so genannten Kulturstufentheorie – die Absicht, die Stufe des Naturmenschen und Jägers als Vorstufe zu bürgerlichem Wertverhalten mitsamt seiner Prinzipien Arbeit, Naturbeherrschung, Konkurrenz und Leistung zu erfahren“[33].
Die Absicht einiger neuerer und alternativer Indianerabenteuer, zu denen das Buch „Kleiner Wa-gusch“ zählt, ist es jedoch, die vernachlässigte Funktion einer Rückbesinnung zu reaktivieren, wie Käthe RECHEIS betont:
„Ich schreibe Kinder- und Jugendbücher, weil ich daran glaube, dass es eine der prägendsten Formen der Literatur ist, und weil sie so vielfältig ist, dass ich, solange ich schreiben kann, nie an eine Grenze stoßen werde. Der Alltag und das Außergewöhnliche, alles hat seinen Platz und ist wichtig, Abenteuer und Spannung, unbeschwertes Lachen und Humor nicht weniger als die Fähigkeit, kreative Phantasie zu entwickeln, und Vorurteile abzubauen gegen Menschen, die anders leben als wir, die eine andere Kultur haben.
3 Planung der Unterrichtseinheit
3.1 Analyse der Ausgangsbedingungen
3.1.1 Institutionelle Voraussetzungen
Die Freiherr-vom-Stein-Schule in Dauborn ist eine kooperative Gesamtschule mit Vorklasse, Grundschule, Förderstufe, Hauptschulzweig (7.-9. Klasse), Realschulzweig (7.-10. Klasse) und Gymnasialzweig (5.-10. Klasse). Einzugsgebiet der Schule ist die gesamte Gemeinde Hünfelden mit den Ortsteilen Dauborn, Kirberg, Heringen, Mensfelden, Nauheim, Neesbach und Ohren. Im Schuljahr 2004/2005 beträgt die Gesamtschülerzahl 1080, wovon 483 Schüler die Grundschule besuchen. Die ersten, dritten und vierten Jahrgangsstufen der Grundschule sind fünfzügig, die zweiten Klassen sechszügig.
Der Klassenraum der Klasse 2f ist mit einer Klassenbücherei ausgestattet, die zusätzlich zur Schulbücherei genutzt wird. Des Weiteren können die Schüler auf viele Materialien zur Differenzierung zurückgreifen (Arbeitsblätter, Lernspiele, Karteien zum Thema Indianer).
Die räumliche Situation der Klasse ist eher beengt. Gruppentische machen es aber möglich, in Kleingruppen aufeinander einzugehen oder einen Sitzkreis zwischen den Tischen zu bilden. Der Flur kann zusätzlich als Rückzugsmöglichkeit bei stillem Lesen und bei der Freien Arbeit genutzt werden.
3.1.2 Beschreibung der Lerngruppe
Die vorliegende Unterrichtseinheit wird in der Klasse 2f durchgeführt, die ich seit Beginn des Referendariats im November 2003 kenne. Von Anfang an habe ich regelmäßig in der Klasse hospitiert und schnell einen guten Kontakt zu den Schülern aufbauen können. Von Februar bis Juli 2004 war ich mit vier Stunden eigenverantwortlichem Deutschunterricht in dieser Klasse eingesetzt. Die beiden restlichen Deutschstunden unterrichtete meine Mentorin, Frau Kanold, die damals Klassenlehrerin war. Seit August 2004 erteile ich fünf Stunden eigenverantwortlichen Deutschunterricht in der Klasse. Die sechste Deutschstunde unterrichtet meine neue Mentorin, Frau Stahl, die auch neue Klassenlehrerin ist.
Die Klasse 2f besteht aus 22 Schülern (10 Jungen und 12 Mädchen) im Alter zwischen 7 und 9 Jahren aus den Ortsteilen Dauborn, Kirberg und Ohren. Der Großteil der Klasse ist gemeinsam in das erste Schuljahr eingeschult worden, lediglich drei Schüler sind später zur Klassengemeinschaft hinzugekommen: Joshua, Florian und Leon, die sich schnell integrierten. Ein Schüler verließ gegen Mitte des zweiten Schuljahres die Klasse und ging zurück in das erste Schuljahr. Die meisten Schüler halten sich an die vereinbarten Klassenregeln. Sie haben gelernt, sich in eine Gemeinschaft einzubringen. Auch bei Konflikten werden Lösungswege gefunden. Lediglich Leon muss des Öfteren an die Klassenregeln erinnert werden. In seiner impulsiven Art fällt es ihm schwer abzuwarten, bis er zum Sprechen an der Reihe ist.
Er nimmt wenig Rücksicht auf seine Mitschüler und benötigt sehr viel Aufmerksamkeit meinerseits. Teilweise ist es schwierig ihn für den Deutschunterricht zu motivieren.
Die Arbeitshaltung und das Interesse der Kinder hängen sehr von dem gebotenen Unterrichtsstoff ab. Die Schüler lassen sich durch anschauliches und kindgerechtes Arbeitsmaterial oder auch besonders motivierende Einstiege schnell mitreißen und sind dann sehr leistungswillig.
Lese- und rechtschreibschwachen Schülern, wie Joshua, Adrian und Daniel fällt es schwer, über eine längere Zeit aufmerksam zu bleiben, was sich sofort auf ihre Arbeitsbereitschaft und ihr –tempo auswirkt. Gegen Ende einer längeren Unterrichtsphase werden diese Schüler motorisch und verbal unruhig. Abhilfe schaffen schnelle Phasenwechsel, kurze Frontalphasen aber auch Bewegungsspiele. Ist die Frontalphase länger, müssen das Interesse und die Motivation der Schüler mit anderen Mitteln aufrechterhalten werden. Die „Weckwirkung von Spannung, Entdeckung und Neugier bei der Stoffdarbietung“[34] muss daher unbedingt berücksichtigt werden, wie in der Darstellung der Unterrichtspraxis zu sehen ist (siehe 4).
Laut PIAGETS Entwicklungsmodell sind Kinder dieser Altersstufe in der konkret-operationalen Phase. Charakteristisch für diese Phase ist, dass Kinder sich nun langsam von der reinen Anschauung lösen können und in der Lage sind, Operationen nicht nur im Handeln, sondern auch im Denken zu vollziehen. Die konkrete Anschauung bleibt jedoch eine Voraussetzung für diese geistige Leistung.[35] Für den Deutschunterricht der Klasse bedeutet das, möglichst handlungsorientiert und anschaulich zu arbeiten, bevor eine rein kognitive Leistung verlangt wird. Dieses kommt auch der Motivations- und Spannungshaltung der Lerngruppe zugute. Die Schüler sind nun durchaus in der Lage, von ihrem egozentrischen Weltbild abzuweichen, andere Perspektiven einzunehmen und sich so in andere Menschen einfühlen zu können (siehe 3.4.3.1 und 3.4.3.2). In Rollenspielen und beim perspektivischen Schreiben wurde dies bereits bewiesen.
3.1.3 Voraussetzungen in Bezug auf den Lerngegenstand
Die Klasse nimmt mit Freude am Deutschunterricht teil und es ist davon auszugehen, dass die Einführung einer Klassenlektüre mit Interesse und Spannung aufgenommen wird.
Die Schüler sind seit dem ersten Schuljahr regelmäßig mit Büchern umgegangen. Schon früh hatten sie die Möglichkeit, aus der Klassenbücherei Bücher unterschiedlichen Niveaus auszuleihen, und nutzten dieses Angebot auch gerne. Diese Bücher stehen auch während des Unterrichts für schnell arbeitende Schüler zur Verfügung.
Seit Beginn des zweiten Schuljahres ist die Bücherei der Schule den Kindern zugänglich. Auch hier werden gerne und oft Bücher ausgeliehen, allerdings nur von einem Teil der Klasse. Dies sind meist Schüler, die ohnehin sehr gut lesen können und Spaß an Büchern haben.
Bereits im ersten Schuljahr präsentierten alle Schüler in Abständen der Klasse ihr Lieblingsbuch, wobei kleinere Abschnitte auch vorgelesen wurden. Diese „Lesestunden“ wurden von allen mit großer Freude und viel Interesse aufgenommen.
Eine Ganzschrift wurde noch nicht im Klassenverband gelesen. Im ersten Schuljahr wurden jedoch die Bilderbücher „Frederick“ und „Cornelius“ von Leo LIONNI und „Der Regenbogenfisch“ von Marcus PFISTER im Unterricht in Form eines großen Leporellos mit Bildern und Texten vorgestellt und gemeinsam gelesen.
Bis auf wenige Ausnahmen können alle Kinder sinnerfassend lesen, wobei das Lesetempo und die Fähigkeit den Text zu betonen bei den einzelnen differieren. Probleme beim Lesen haben vor allem noch Joshua und Patrick. Ihnen fällt es schwer, einen fremden Text flüssig und sinnentnehmend vorzutragen (siehe 3.4.1).
Im Schreiben ist der Leistungsstand der Klasse heterogener sowohl beim Schreiben freier Texte als auch in Bezug auf die Rechtschreibung. Hervorzuheben sind hier vor allem Felix und Louisa, die beides schon sehr gut beherrschen. Sehr rechtschreibsicher auch bei eigenen Texten sind außerdem Jeannine und Lukas, während Joshua, Adrian, Daniel und Frauke noch Schwierigkeiten haben.
In dieser Unterrichtseinheit sollen sich die Schüler gemäß ihrer individuellen Fähigkeiten einbringen können, und sollen sich in heterogenen Gruppen zusammenfinden, um sich gegenseitig zu unterstützen. Diese Arbeits- und Sozialform wurde bisher noch nicht im Unterricht eingesetzt. Ich möchte auf diese Weise die Kinder dort abholen, wo sie stehen, d.h. schwächere Schüler sollen nicht überfordert und stärkere Schüler nicht unterfordert werden.
Die Lerngruppe hat bereits verschiedene Sozialformen, wie Einzel- und Partnerarbeit und den Sitzkreis als festen Bestandteil des Unterrichts kennen gelernt.
Während der Einheit werden des Öfteren Arbeitsaufträge im kreativen Schreiben ausgeführt. Diese Form des Schreibens ist den Schülern seit Beginn des ersten Schuljahres bekannt. Als besonders positiv hat sich die „Denkminute“ (siehe 4.2.3) als unmittelbare methodische Einstimmung auf die produktiven Schreibprozesse ausgewirkt. Jeder kreativen Eigenproduktion folgt eine Phase der Präsentation, in der die Texte von den Mitschülern kritisch reflektiert werden.
Die unterrichtlichen Voraussetzungen der Schüler in Bezug auf den Inhalt des Buches „Kleiner Wa-gusch“ stehen in Einklang mit der Erfahrungswelt der Adressatengruppe, die Trennungsängste, Einsamkeitsgefühle und das Bemühen um Freundschaft kennt und der Naturbeobachtungen und –erlebnisse nicht fremd sind.
3.2 Sachanalyse
3.2.1 Zur Autorin Käthe Recheis
Käthe RECHEIS wurde am 11.3.1928 in Oberösterreich geboren. Bereits als Kind interessierte sie sich für Indianer. Damals bezog sie ihr Wissen aus Karl-MAY-Büchern und den Geschichten über Tecumseh. Beruflich war sie zunächst als Redaktionssekretärin tätig. Später arbeitete sie in der Leitung einer katholischen Organisation zur Betreuung von Auswanderern. Im Jahre 1960 unternahm sie ihre erste Reise nach Nordamerika. Ein Jahr später gab sie ihren Beruf auf und widmete sich ganz dem Schreiben. Sie übersetzte indianische Texte aus dem Original, engagierte sich für indianische Schulen und gewann allmählich indianische Freunde. Auf ihren Reisen nach Nordamerika besucht sie immer wieder ihre Freunde und die Reservationen. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt im Verfassen sachlich fundierter Indianerbücher. Sie erhielt zahlreiche Preise für ihre schriftstellerischen Tätigkeiten.[36]
3.2.2 Zum Inhalt der Ganzschrift „Kleiner Wa-gusch“
Die Geschichte schildert den Alltag und die Abenteuer des Indianerjungen Wa-gusch, der, während seine Eltern auf Wanderschaft sind, bei seiner Großmutter vieles erlebt: Er schließt Freundschaft mit dem Indianermädchen Min-di, hilft beim Sammeln von Birkenrinde und Beeren und bei der Reisernte, macht Bekanntschaft mit Wölfen, Bären und anderen Tieren, übersteht einen großen Sturm, ein Gewitter und vieles mehr. Schließlich kehren die Eltern nach über einem Jahr zurück und bringen eine kleine Schwester mit, die auf der Reise zur Welt kam.
Neben dieser äußeren Handlung werden vom 1. Kapitel an Ängste, Gedanken und Gefühle der Hauptfigur angesprochen.
3.2.2.1 Gattungstypische Merkmale
Das gewählte Kinderbuch „Kleiner Wa-gusch“ von Käthe RECHEIS lässt sich verschiedenen Gattungen zuordnen.
Folgt man HÖLDERS sieben Gruppierungen der Abenteuerlektüre, die von inhaltlichen Kategorien ausgehen, und legt die völkerkundlich-geographische Orientierung zugrunde, so kann es den Indianergeschichten zugeordnet werden.[37] Zur übergeordneten Kategorie des Abenteuerbuches zählt es nach SCHACKS Definition, wenn er als Merkmal die Darstellung eines Erlebnisses nennt, das sich im „erdkundlichen Bereich“[38] vollzieht (siehe 2.4 und 2.4.1).
Der Lebenshintergrund des kleinen Wa-gusch vermittelt darüber hinaus zahlreiche Informationen über das Alltagsleben des Ojibwa-Indianerstammes.
Da die Autorin Spannung und Unterhaltung mit Sachinformation verbindet, kann das Buch auch als erlebnishaft gestaltetes Sachbuch bezeichnet werden.
MAIER verweist darauf, dass sich rein äußerlich keine wesentlichen Unterschiede zur erzählenden Kinder- und Jugendliteratur ergeben, dass aber „ein bestimmtes Tatsachenmaterial in den Mittelpunkt gesetzt wird, mit der Absicht, das Wissen des Lesers zu bereichern“[39]. Dies ist der Grund, warum man trotz Formgleichheit von einem Sachbuch sprechen kann. MARQUARDT bestätigt Verbindungen zwischen Abenteuerliteratur und Kindersachbüchern.[40]
Ohne Zweifel muss der „Kleine Wa-gusch“ aber auch als realistische Kindergeschichte verstanden werden. Als Merkmal dafür zählt das Aufgreifen von Themen aus dem Alltag des Kindes wie Elternhaus und Freundschaft zu einem Mädchen. Es werden ungewöhnliche Lebensverhältnisse und Kinder aus anderen Ländern realitätsgetreu mit Problemen und Konflikten vorgestellt.[41]
[...]
[1] Reich-Ranicki, 2002, S. 7.
[2] Personenbezeichnungen sind, wenn nicht explizit ausgeführt, auf beide Geschlechter zu beziehen.
[3] Hessisches Kultusministerium, 1995, S. 106.
[4] Vgl. Gansel, 1999, S. 8.
[5] Ebd. S. 9.
[6] Ebd. S. 10.
[7] Vgl. Merkelbach, 1999, S. 3.
[8] Vgl. ebd. S. 17.
[9] Vgl. Geißler, 1989, S. 443.
[10] Ebd. S. 443.
[11] Geißler, 1972, S. 323 f.
[12] Dahrendorf, 1969, S. 265.
[13] Ebd. S. 267.
[14] Vgl. ebd. S. 267.
[15] Vgl. Haas/Menzel/Spinner, 1994, S. 18.
[16] Vgl. ebd. S. 18.
[17] Vgl. ebd. S. 18.
[18] Vgl. Haas, 2001, S. 35 ff.
[19] Vgl. ebd. S. 20 ff.
[20] Vgl. Haas/Menzel/Spinner, 1994, S. 22 f und Kügler, 1988, S. 4 ff.
[21] Vgl. Müller-Michaels, 1996, S. 411.
[22] Vgl. Haas, 2001, S. 43 und Haas/Menzel/Spinner, 1994, S. 25.
[23] Haas/Menzel/Spinner, 1994, S. 24.
[24] Vgl. ebd. S. 18. Haas betont an dieser Stelle, dass jeder Schüler das Recht auf eine solche individuelle
Förderung hat. Vergleiche in 3.1.3 die konkreten Bedingungen, besonders die schwachen Schüler der 2f.
[25] Vgl. Spinner, 2001, S. 97 und 101.
[26] Vgl. Maier, 1980, S. 122.
[27] Vgl. Hölder, 1967, S. 74.
[28] Dahrendorf, 1985, S. 20.
[29] Obwohl „Indianer“ nicht der korrekte ethnologische Ausdruck ist, wird das Wort dennoch von mir verwendet,
da ein passendes Ersatzwort, das die Völkerstämme der amerikanischen Ureinwohner zusammenfasst, fehlt.
[30] Vgl. Dahrendorf, 1985, S. 22.
[31] Vgl. ebd. S. 22 f.
[32] Ebd. S. 24.
[33] Ebd. S. 24.
[34] Keller, 1994, S. 95.
[35] Vgl. Oerter/Montada, 1987, S. 427.
[36] Vgl. Dröge, 1997, S. 4.
[37] Vgl. Hölder, 1967, S. 74.
[38] Schack, 1975, S. 92.
[39] Maier, 1980, S. 184 f.
[40] Vgl. Marquardt, 1986, S. 91.
[41] Vgl. Maier, 1980, S. 185.
- Citation du texte
- Julia Schmidt (Auteur), 2005, Handlungs- und produktionsorientierter Literaturunterricht in einer 2. Grundschulklasse am Beispiel des Kinderbuches Kleiner Wagusch von Käthe Recheis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63155
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