Auch wenn der Staatenkrieg „klassischer“ Prägung - die Streitkräfte zweier Staatswesen stehen sich gegenüber, wobei die jeweils andere Streitmacht das Hauptziel der Kampfhandlungen darstellt - nicht völlig verschwinden wird, so ist doch abzusehen, dass dieser im Verlauf des 21. Jahrhunderts an Bedeutung verlieren wird.
Die Kriegführung der westlichen Welt ist heutzutage weniger von der Beteiligung als von der Billigung des eigenen Volkes abhängig. Nur ein im Vergleich zum Staatsvolk geringer Anteil an Bürgern wird noch von den Kampfhandlungen unmittelbar betroffen. Ein „Kriegszustand“ ist fast sechzig Jahre nach dem Ende des strategischen Luftkrieges über Europa nicht zu spüren.
Die Lektionen, die zu diesem Umstand geführt haben - möglichst geringe Gefährdung möglichst wenig eigner Soldaten - musste von den Völkern der westlichen Hemisphäre im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen schmerzlich erlernt und mit Millionen Toten und noch weitaus mehr Versehrten „erkauft“ werden.
Eine aktive Beteiligung eines gesamten Gesellschaftssystems an Kriegsanstrengungen des Staates, wie sie im „Totalen Krieg“ des nationalso¬zialistischen Regimes seinen Höhepunkt fand, liegt heutzutage - Gott sei Dank- außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Mitteleuropäer.
Eine Quelle dieser Gesinnung stellen unzweifelhaft die Ereignisse des Ersten Weltkrieges dar, der inzwischen verbreitet auch als „Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“ bezeichnet wird und in welchem die Entwicklung hin zum „Totalen Krieg“ ihren deutlichen Ausdruck fand.
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Gründe für die Eskalation des Kriegsgeschehens im Verlaufe des Konfliktes aufzuzeigen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Voraussetzungen einer Totalisierungsentwicklung
II.1 Industrialisierung
II.2 Emotionalisierung
II.3 Anteilnahme des Volkes
III. Die Charakterzüge des Totalen Krieges
III.1 Totale Mobilisierung:
III.2 Totale Kriegsziele
III.3 Totale Kriegsmethoden
III.4 Totale Kontrolle
IV. Das Kriegsbild vor 1914
IV.1 Die europäische Ebene
IV.2 Deutsche Besonderheiten
V. Das Bild vom Kampfgeschehen
VI. „Totalisierungsrelevante“ Entwicklungen der Rüstungstechnik vor 1914
VII. Die ersten Totalisierungsanzeichen bei Kriegsausbruch
VIII. Die Entstehung der „Heimatfront“
VIII.1 Bedeutungswandel des Burgfriedens
VIII.2 Die Seeblockade als Katalysator des Heimatfrontgedankens
IX. Waffentechnik als Ausdruck totalisierter Kampfführung
IX.1 Vorboten der Eskalation
IX.2 Die Entgrenzung der Gewaltanwendung
X. Die Rolle der Propaganda
X.1 Die Phase des Optimismus
X.2 Die „Durchhaltephase“
XI. Der Erste Weltkrieg – ein Totaler Krieg?
Anahang
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Auch wenn der Staatenkrieg „klassischer“ Prägung- die Streitkräfte zweier Staatswesen stehen sich gegenüber, wobei die jeweils andere Streitmacht das Hauptziel der Kampfhandlungen darstellt- nicht völlig verschwinden wird, so ist doch abzusehen, dass dieser im Verlauf des 21. Jahrhunderts an Bedeutung verlieren wird .
Die Kriegführung der westlichen Welt[1] ist heutzutage weniger von der Beteiligung als von der Billigung des eigenen Volkes abhängig. Nur ein im Vergleich zum Staatsvolk geringer Anteil an Bürgern wird noch von den Kampfhandlungen unmittelbar betroffen. Ein „Kriegszustand“ ist fast sechzig Jahre nach dem Ende des strategischen Luftkrieges über Europa nicht zu spüren.
Die Lektionen, die zu diesem Umstand geführt haben- möglichst geringe Gefährdung möglichst wenig eigner Soldaten- musste von den Völkern der westlichen Hemisphäre im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen schmerzlich erlernt und mit Millionen Toten und noch weitaus mehr Versehrten „erkauft“ werden.
Eine aktive Beteiligung eines gesamten Gesellschaftssystems an Kriegsanstrengungen des Staates, wie sie im „Totalen Krieg“ des nationalsozialistischen Regimes seinen Höhepunkt fand, liegt heutzutage - Gott sei Dank- außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Mitteleuropäer.
Eine Quelle dieser Gesinnung stellen unzweifelhaft die Ereignisse des Ersten Weltkrieges dar, der inzwischen verbreitet auch als „Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“[2] bezeichnet wird und in welchem die Entwicklung hin zum „Totalen Krieg“ ihren deutlichen Ausdruck fand.
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Gründe für die Eskalation des Kriegsgeschehens im Verlaufe des Konfliktes aufzuzeigen.
Dazu werden zunächst die Voraussetzungen einer solchen Entwicklung beleuchtet, um anschließend die Charakteristika eines „totalen Krieges“ zu beleuchten. Danach wird die Einstellung zum sowie das Bild vom Krieg in den europäischen Bürgergesellschaften und insbesondere im Deutschen Reich sowie deren Begründungen untersucht. Die hierauf folgenden Abschnitte stellen anhand verschiedener Aspekte die zunehmende Entgrenzung der Gewaltanwendung dar, wobei stets der Bezug zu den psychologischen Begründungen einer solchen Entwicklung gewahrt und gezeigt werden soll.
II. Voraussetzungen einer Totalisierungsentwicklung
Um zu verstehen, wieso ausgerechnet der Erste Weltkrieg in der langen Reihe europäischer Kriege durch besonders starke „Totalisierungstendenzen“ auffiel, muss berücksichtigt werden, dass derartige Entwicklungen auf gewisse Vorbedingungen angewiesen sind[3]. Es handelt sich bei diesen um quasi „konzeptionelle“ Voraussetzungen, die hier als theoretisches Fundament dargestellt werden, um anschließend auf die spezifischen Gegebenheiten insbesondere des Deutschen Reiches einzugehen. Es werden im Folgenden die Redewendungen „totalisiert“ und „totalisierter Krieg“ statt „total“ und „Totaler Krieg“ verwendet, da es sich bei diesen Begriffen, wie noch zu zeigen ist, um ein Modell handelt, welches an bestimmte Kriterien gebunden ist.
II.1 Industrialisierung
Eine erste Voraussetzung für die Totalisierung eines Krieges ist die weitgehende Industrialisierung der kriegführenden Nationen. Dies aus zweierlei Gründen:
- zunächst ist nur eine industrialisierte Nation- also eine Gemeinwesen in welchem ein großer Teil der Bevölkerung nicht mehr mit der Nahrungsmittelproduktion beschäftigt ist[4] - per definitionem in der Lage, die für einen totalisierten Krieg benötigten Menge an Menschen für den Kriegsdienst freizustellen. Das „Überleben“ eines agrarisch geprägten Staates ist wesentlich davon abhängig, das die Masse seiner Einwohner den Lebensmittelproduktionsprozess aufrechterhält, was bedeutet, dass diese nicht jahrelang den Äckern und Ställen fernbleiben können. Dies jedoch - die Einbeziehung großer Teile des Volkes in die Aufrechterhaltung des „Kriegsprozesses“ - ist ein wichtiges Charakteristikum des totalisierten Krieges, wie weiter unten noch weiter ausgeführt wird.
- Darüber hinaus ist die fortgeschrittene Industrialisierung der Gesellschaft eine Vorbedingung der Kriegstotalisierung, weil nur ein Industriestaat in der Lage ist, die Menge an Kriegsmaterial zu produzieren, die von einem Millionenherr in einem „high- intensity- conflict“ verbraucht wird[5].
II.2 Emotionalisierung
Als eine weitere Totalisierungsbedingung ist die Emotionalisierung des Kriegsgrundes zu betrachten. Dies meint, dass ein Konflikt dann mit großer Verbissenheit ausgetragen wird, wenn der Konfliktgrund als essentiell für das Gemeinwesen angesehen wird. Anders also als in der Ära der Kabinettskriege, in welcher das Volk konzeptionell weitgehend unbeteiligt an den Kampfhandlungen gewesen war („Der König hat eine Bataille verloren. Ruhe ist jetzt erste Bürgerpflicht!“[6] ) muss nun die Mehrheit des Volkes bereit sein, große Entbehrungen und auch Verluste hinzunehmen, was voraussetzt, dass die Masse des Volkes zumindest anfänglich den Zweck des Krieges ausreichend hoch einschätzt, um diese Verluste auf sich zu nehmen.
II.3 Anteilnahme des Volkes
Die oben beschriebene Emotionalisierung des Kriegszwecks verweist auf eine dritte Vorbedingung des totalisierten Krieges: Die in Europa zunehmende „Beteiligung“ des Volkes an den Staatsangelegenheiten. Der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa durchsetzende Parlamentarismus erkämpfte sich, als eines seiner wesentlichen Kennzeichen, in vielen Staaten (insbesondere bei den hier entscheidenden Akteuren Großbritannien, Frankreich, Deutschland) das „Budgetrecht“, also die Befugnis, über die Verwendung der Steuergelder (mit-) zu entscheiden. Im Zusammenhang mit einer sich verteuernden Rüstung[7] war es deswegen vonnöten, die Bürger von der Notwendigkeit der Militärbudgets zu überzeugen, was mittels Darstellung von Bedrohungsszenarien (Krieg- in- Sicht- Krise 1875) erfolgte. Jedoch ist auch ohne eine Möglichkeit politischer Einflussnahme durch dass Volk die Notwendigkeit gegeben, dieses vom jeweiligen Kriegsziel zu überzeugen, um die für die Zivilbevölkerung harten Einschnitte einer totalisierten Kriegführung ohne die Gefahr von eventuell systemgefährdenden Unruhen durchzuführen.
Verkürzt lässt sich sagen, „dass zur Kriegführung eine aktive oder passive Zustimmung ... von großen Teilen der Bevölkerung ... erforderlich ist, eine Bereitschaft nationale Interessen mit den Mitteln des Krieges durchzusetzen.“[8]
Auf die Rolle der Propaganda im Krieg wird in diesem Kontext weiter unten noch näher eingegangen.
III. Die Charakterzüge des Totalen Krieges
Nachdem die entscheidenden Bedingungen, die zu einer Totalisierungsentwicklung führen können, dargelegt worden sind, gilt es nun, diejenigen Aspekte aufzuzeigen, in denen sich eine derartige Art des Konfliktaustrags äußert. Eine passgenaue Definition des Phänomens wird allerdings durch dessen Komplexität erschwert, weswegen hier lediglich die als anerkannt geltenden Aspekte Erwähnung finden[9].
III.1 Totale Mobilisierung:
Gemeint ist hiermit die Einbeziehung „aller gesellschaftlichen und materiellen Ressourcen eines Staates zum Zwecke der Kriegführung“[10]. Unter den Bedingungen totaler Mobilisierung wird staatlicherseits keine Rücksicht mehr auf die Nachkriegssituation des Gemeinwesens genommen, da aller Kräfte und Anstrengungen einzig dem Fortführen (und idealiter Gewinnen des Konfliktes) gewidmet werden[11]. Die Zahl von 13 Millionen deutschen Soldaten (was circa 16,5 Prozent der Bevölkerung entspricht) im Verlauf des Krieges[12] illustriert, dass man dieser Zielvorstellung schon recht nah kam. Insbesondere das „Hindenburgprogramm“ ab Jahresende 1916 versuchte, die „Friedensindustrien“ (Konsumgüterindustrie) regelrecht stillzulegen, um alle (noch) verfügbaren Arbeitskräfte auf die Rüstungsproduktion zu konzentrieren. Allerdings gelang dies nur eingeschränkt und wirkte sich zum Teil sogar kontraproduktiv aus[13].
III.2 Totale Kriegsziele
Hierunter sind Ziele zu verstehen, die für die fordernde Kriegspartei als nicht verhandelbar angesehen werden, andererseits vom Opponenten aufgrund ihrer Radikalität nicht annehmbar sind. Da die Kriegszieldebatte im Deutschen Reich quasi über die gesamte Dauer des Krieges andauerte, wird dieser Aspekt im Folgenden nicht eingehender beleuchtet. Nur um die Radikalität der deutschen Kriegszielvorstellungen zu illustrieren (wobei die alliierten Kriegsziele denen des Reiches in Radikalität nicht nachstanden), sei hier die Forderung nach Annexion Belgiens, eines souveränen Staates innerhalb des europäischen Staatengefüges, angeführt[14]. Dieses Merkmal ist für den Ersten Weltkrieg somit weitgehend als gegeben zu betrachten.
III.3 Totale Kriegsmethoden
Dieser Aspekt beinhaltet im Wesentlichen die Entgrenzung der Gewaltanwendung. Die bewusste Außerachtlassung völkerrechtlicher Übereinkünfte wird mit der Existenzialität des Kampfes gerechtfertigt. Insbesondere schließen totale Kriegsmethoden auch die gezielte Bekämpfung der Zivilbevölkerung mit ein. Eine Betrachtung der Kriegsmethoden im Ersten Weltkrieg erfolgt im Abschnitt IX exemplarisch am Beispiel des Gaskrieges.
III.4 Totale Kontrolle
Diese ist notwendig, um die komplexen (Produktions-) Abläufe innerhalb einer industrialisierten Gesellschaft auf ein gemeinsames, staatspolitisches Ziel auszurichten. Des Weiteren gilt es Kriegsmüdigkeit rechtzeitig vorzubeugen, weswegen weitreichender Einblick staatlicher Organe in das gesellschaftliche Leben unverzichtbar wird. Da die genauere Behandlung dieses Aspekts aufgrund seiner Komplexität den hier gegebenen Rahmen sprengen würde, sei an dieser Stelle wiederum auf das „Hindenburgprogramm“ der Reichsregierung verwiesen.
Dieses versuchte die staatliche Kontrolle des Zivil- und Wirtschaftslebens in großem Stil auszuweiten, muss jedoch auch in diesem Bereich letztendlich als wenig erfolgreich bewertet werden[15].
Nachdem nun eine theoretische Grundlage zum Verständnis totalisierter Kriegführung gelegt ist, rückt im folgenden Abschnitt die „Empirie“ in den Fokus der Betrachtung. Es soll hierbei gezeigt werden, dass die mentalen Grundlagen zur Totalisierung des Ersten Weltkrieges schon lange vor dessen Ausbruch vorhanden waren.
[...]
[1] gemeint sind mit dieser Bezeichnung vor allem die OECD- Staaten
[2] nach George F. Kennan
[3] Die folgenden Aussagen stützen sich auf : McNeill, William: Krieg und Macht; München, C.H. Beck
Verlag, 1984;
[4] vgl.: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Das Lexikon der Wirtschaft; Bonn 2004; S. 24
[5] vgl.: McNeil, William (1984); S. 284ff
[6] der Gouverneur von Berlin nach der für Preußen verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt
1806 an die Einwohner Berlins.
[7] bedingt durch kompliziertere Waffensysteme und gestiegene Arsenalgrößen; s. Abschnitte über
rüstungstechnische Innovationen
[8] Dülffer, Jost: Dispositionen zum Krieg im wilhelminischen Deutschland; in: Dülffer, Jost; Holl, Karl
(Hrsg.): Bereit zum Krieg; Göttingen, Vandenheok und Ruprecht, 1986; S. 9-19 (hier: S.10)
[9] die im Folgenden aufgeführten Elemente dieses Kriegstyps beziehen sich auf: Förster, Stig: Totaler
Krieg; in: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg;
Paderborn, Verlag Ferdinand Schöningh, 2003; S. 924- 926 (hier: S. 925)
[10] Zitat: ebd.
[11] vgl.: Geyer, Michael: Gewalt und Gewalterfahrung im 20. Jahrhundert; in: Spilker, Rolf; Ulrich, Bernd
(Hrsg.) Der Tod als Maschinist; Bramsche, Rasch Verlag 1998; S. 241- 257 (hier: S.246)
[12] vgl.: Deist, Wilhelm: Streitkräfte Deutsches Reich; in: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz,
Irina (Hrsg.) (2003); S. 870- 876 (hier: 870)
[13] vgl.: Geyer, Martin: „Hindenburgprogramm“; in: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina
(Hrsg.) (2003); S. 557- 558 (hier: 558)
[14] http://www.wissensnetz.de/lexikon/wiki,index,goto,I._Weltkrieg.html#Kriegsziele (15.12.2003)
[15] vgl.: Geyer, Martin in: Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Renz, Irina (Hrsg.) (2003); S. 557- 558
(hier:558)
- Citar trabajo
- Thomas Eissing (Autor), 2004, Die Totalisierung des Ersten Weltkrieges als Folge sozialdarwinistischer Strömungen in Europa unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen Reiches, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63058
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