Der Artusroman kann als umfangreiches Geflecht von Schuldverhältnissen verstanden werden, weshalb die Frage nach Iweins Schuld in der Forschung eine recht lange Tradition hat. Als die beiden herausragenden Eckpunkte dieser Schuldverstrickungen kann man die Tötung Askalons durch Iwein und Iweins Verspätung sehen. Dies sind zumindest die beiden am stärksten diskutierten Verfehlungen Iweins, wobei an der einen oder anderen Stelle geklärt werden muss, ob man sie eigentlich in dieser Form werten kann, ob man Iwein überhaupt eine Art Schuld unterstellen kann und wenn dies der Fall ist, welche und aus welcher Perspektive. Beide vermeintlichen Verschuldungen müssen daher also näher betrachtet werden, um Iweins Schuld bestimmen zu können. Dabei muss das zeitgenössische Verständnis vom Begriff der Schuld beachtet werden und wie Lorey betont, stellt „das höfische Mittelalter keine geistesgeschichtliche, kulturphilosophische oder gar rechtspolitische Einheit“ dar, wodurch die Bewertung der Vergehen Iweins erheblich erschwert wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitende Bemerkungen
2. Die Schuldverstrickungen im ‚Iwein’
2.1. Die Tötung Askalons
2.2. Das Terminversäumnis
3. Abschließende Bemerkungen
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitende Bemerkungen
Die Frage nach Iweins Schuld beschäftigte vielfach die Forschung und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Handlung des Artusromans als umfangreiches Geflecht von Schuldverhältnissen verstanden werden kann.[1] Die gegenseitige Schuld setzt die Figuren miteinander in Beziehung, verbindet sie miteinander. So wird beispielsweise Iwein nach der Tötung Askalons durch Lunete nur geholfen, weil sie ihm Dank für die freundliche Behandlung am Artushof schuldet (Vgl. v. 1194-1197)[2].
Als die beiden herausragenden Eckpunkte dieser Schuldverstrickungen kann man die Tötung Askalons durch Iwein und Iweins Verspätung sehen. Dies sind zumindest die beiden am stärksten diskutierten Verfehlungen Iweins, wobei an der einen oder anderen Stelle geklärt werden muss, ob man sie eigentlich in dieser Form werten kann, ob man Iwein überhaupt eine Art Schuld unterstellen kann und wenn dies der Fall ist, welche und aus welcher Perspektive. Beide vermeintlichen Verschuldungen müssen daher also näher betrachtet werden, um Iweins Schuld bestimmen zu können. Dabei muss das zeitgenössische Verständnis vom Begriff der Schuld beachtet werden und wie Lorey betont, stellt „das höfische Mittelalter keine geistesgeschichtliche, kulturphilosophische oder gar rechtspolitische Einheit“[3] dar, wodurch die Bewertung der Vergehen Iweins erheblich erschwert wird.
Eine alleinige Beurteilung aus Sicht der christlichen Moraltheologie ist unzureichend, da die mittelalterliche Gesellschaft eben nicht nur auf christlichen Werten und Normen fußt, sondern noch stark durch die vorchristlichen Bräuche geprägt ist. Dies hat erheblichen Einfluss auf die Vorstellung von Schuld. So wurde diese im Gewohnheitsrecht rein objektiv bemessen, weshalb zum Beispiel die Absichtlichkeit nicht entscheidend war, sondern lediglich die Wiedergutmachung, der Ausgleich zählte. Erst durch das Christentum kam die Vorstellung einer subjektiven Schuld auf. Entscheidend ist dabei, dass durch ein Vergehen neben den weltlichen Folgen vor allem gegen die Gebote Gottes verstoßen wurde. Eine solche Verfehlung gegen Gott ist Sünde und diese erfordert zur Wiedergutmachung erst die Beichte, dann die Reue und schließlich Sühne, also das persönliche Opfer. Wichtiger als die Auswirkungen der Tat und ihre Wiedergutmachung ist nun die innere Einstellung zur Tat, also die Absicht des Täters. Durch diese nun neue Verinnerlichung der Schuld wurden allerdings nicht alle alten Bräuche verdrängt. An Beispielen, wie dem Gottesurteil, der lange weiter existierenden Blutrache und der privaten Fehde zur Beilegung von Streitigkeiten ist zu erkennen, dass beide Rechtsauffassungen nebeneinander existierten, sich überlagerten, teilweise assimilierten und oft miteinander konkurrierten. Die dadurch entstehende Unsicherheit der mittelalterlichen Gesellschaft im Umgang mit religiösen und rechtlichen Fragen wird auch im Iwein deutlich und dies besonders bei der Bewertung der Schuldverhältnisse.[4]
2. Die Schuldverstrickungen im Iwein
2.1. Die Tötung Askalons
Die Bedeutung der Tötung Askalons für die Schuld Iweins ist in der Forschung sehr umstritten. Im Wesentlichen kann man zwei Positionen dazu unterscheiden. So sehen zum Beispiel Cramer und Wapnewski das Erschlagen des Brunnenwächters als Verstoß gegen das Gebot der erbermde und somit als eine zentrale Fehlleistung Iweins, die dann weitere Schuld nach sich zieht.[5] Dagegen sehen Lorey, Mertens, Sieverding und andere in der Tat Iweins kein Vergehen gegen geltenden Moral- oder Rechtsauffassungen.[6] In jedem Fall ist der Beginn aller Schuldverstrickungen im fehlgeschlagenen aventiure -Ritt Kalogrenants zu sehen. Durch die erlittene Schmach seines Vetters ist Iwein dazu verpflichtet, gegen Askalon anzutreten, denn der erneute Kampf gegen den Brunnenwächter ist die einzige Möglichkeit, die Ehre Kalogrenants und die des Artushofes wiederherzustellen.[7] Dass diese Aufgabe am ehesten dem Verwandten des Bloßgestellten zusteht und dies sogar nach geltendem Recht, sagt Iwein selbst:
er sprach ‚neve Kâlogrenant,
ez richet von rehte mîn hant
swaz dir lasters ist geschehen. (v. 805-807)
Außerdem bietet ihm dieser Kampf die Möglichkeit seine eigene Ehre zu vermehren. Cramer sieht darin sogar den Hauptgrund für Iweins heimlichen Ausritt und belegt dies mit den Versen 911-915, in denen Iwein sich darum sorgt, dass Gawein ihm zuvorkommen würde und dann den Ruhm ernten würde. Zudem sieht Cramer das Quellenabenteuer auch nicht als wirkliche aventiure, denn es fehle ihm die bei Kalogrenant noch vorhandene aventiure auslösende Fügung. Dieser reitet ohne Wissen von dem, was ihn erwartet, zur Quelle und wird von Askalon auch gleich darüber informiert, dass er Landfriedensbruch begangen hat und gegen das Fehderecht verstoßen hat, weil er ohne rechtzeitige Fehde-Ankündigung die Quelle begossen und damit großen Schaden angerichtet hat (Vgl. v. 712-719). Iwein weiß durch Kalogrenants Bericht, was ihn erwartet und macht sich so nicht unbeabsichtigt, sondern mutwillig dieses Rechtsbruches schuldig.[8] Der Kampf wäre nach Cramer also schon in seiner Anlage unrechtmäßig.
Doch auch schon der Beginn des Quellenabenteuers ist in seiner Bedeutung für die Schuld Iweins umstritten. So sieht beispielsweise Mertens in dem Ausritt keineswegs eine mutwillige Rechtsverletzung und beruft sich bei seiner Einschätzung auf die Legitimation durch den Artushof, denn Artus höchstpersönlich schwört ja, zur Quelle zu reiten (v. 898-903). Zudem wären in diesem Fall wohl sogar die Bedingungen eines Angriffskrieges gegen Askalon erfüllt[9], weshalb der Kampf keineswegs als unrechtmäßig gewertet werden könne.[10]
Dies spielt keine Rolle, wenn man annimmt, dass die durch Kalogrenant ausgelöste Fehde mit dem Brunnenwächter nie durch Friedensschluss beendet wurde. Dann wäre Iweins Kampf gegen Askalon lediglich die rechtmäßige Fortsetzung des durch Kalogrenant begonnen Kampfes, wodurch eine Fehde-Ansage überflüssig wird. Fragwürdig ist in jedem Fall die Zeit, in der Iwein zur Quelle aufbricht. Da er innerhalb von drei Tagen losreiten möchte (v. 923-925), fällt die Wiederaufnahme der Fehde durch Iwein in die Woche nach Pfingsten, in der solche Handlungen aus christlicher Sicht nicht erlaubt sind.[11]
Allerdings nimmt im Text weder Artus, noch der Erzähler Anstoß daran und auch niemand verurteilt Iwein dafür, dass er heimlich, ohne das Wissen des Hofes davongeritten ist. An keiner Stelle wird Iweins vermeintlich unrechtmäßiges Handeln in Bezug auf den Beginn des Brunnenabenteuers erwähnt, weshalb man wohl davon ausgehen muss, dass es nicht als illegitimer Vorgang gesehen wurde, da ja andere Vorkommnisse im Text durchaus gewertet werden. Und so sehen auch Cormeau und Störmer das Brunnenabenteuer im Gegensatz zu Cramer ausdrücklich als aventiure, sogar als exemplarisch für die Gattung an und berufen sich dabei auch auf die fehlende Verurteilung durch den Erzähler, wenn sie betonen, dass darin kein Normverstoß zu sehen sei.[12]
Der nachfolgende Kampf beginnt dann ohne die übliche Herausforderung durch Iwein, wobei das Begießen des Quellsteines durch den Artusritter als Ersatz für die verbale Herausforderung gewertet werden kann.[13] Diese Kampfansage wird dann durch den Brunnenwächter Askalon erwidert: „der gruozt in harte verre / als vîent sînen vîent sol“ (v. 1002-1003). Außerdem wiederholt Askalon nicht die gegen Kalogrenant hervorgebrachten Anschuldigungen der unrechtmäßigen Fehde und des Landfriedensbruches gegenüber Iwein. So wird also auch an dieser Stelle und dadurch, dass der Erzähler erwähnt, dass der Gruß so erfolgt, wie zwei Gegner miteinander umgehen sollen, der Beginn des Kampfes als ausdrücklich rechtmäßig gewertet. Unterstrichen wird dies mit der Beurteilung des Kampfes durch den Erzähler als sogar würdig, vor Gott stattzufinden[14]:
hie huop sich ein strîten
daz got mit êren möhte sehen,
und solt ein kampf vor im geschehen. (v. 1020-1023)
Trotzdem ist der Kampf in der Forschung stark umstritten und dies besonders auf Grund einer Wendung, welche die Verfolgung Askalons durch Iwein beschreibt: „her Îwein jaget in âne zuht“ (v. 1056). Nach Wapnewski ist dieser von ihm pejorativ gewertete Ausspruch zusammen mit dem zweiten Schwertschlag Iweins auf den fliehenden Askalon, der übrigens auch noch von hinten erfolgte, Beleg für die Unritterlichkeit und Unrechtmäßigkeit des Kampfes. Askalon floh nämlich nicht aus Feigheit, wie der Erzähler ausdrücklich betont, sondern auf Grund seines nahenden, schmerzenden Todes:
und alser der tôtwunden
rehte het enpfunden,
dô twanc in des tôdes leit
mêre dan sîn zageheit
daz er kêrte und gap die vluht. (v. 1051-1055)
Wapnewski sieht darin, dass Iwein seinen Gegner quasi ohne Rücksicht auf ritterliche Tugenden verfolgt und erschlägt, die mangelnde erbermde des Artusritters. Diese innere Fehlhaltung sei für seinen Fall und den folgenden Bewährungs- bzw. Bußweg verantwortlich. Der Kampf wird so zur Schlüsselszene des Romans, denn der unritterlich erstrittene Sieg hat zur Folge, dass sein Gewinn aus diesem Kampf, Frau und Land, unrechtmäßig erworben wurde. Daher muss er beides wieder verlieren, um es erst wiederzuerlangen, wenn er seine Ritterlichkeit beweisen konnte, wenn er saelde und êre erlangt hat.[15]
Unterstützt wird Wapnewski in seiner Deutung des Brunnenkampfes durch Cramer, der ebenfalls Iweins Schuld darin sieht, dass „er sich durch Verletzung eines Rechtszustandes gewaltsam in den Besitz einer Frau und eines Landes gesetzt hat“[16]. Cramer versucht in Anlehnung an Wapnewski mit Hilfe der aventiuren- Kette zu beweisen, dass dies die Hauptschuld Iweins sei. Demnach kämpft Iwein zur Buße für diese Unrechtmäßigkeit für die Freiheit bedrängter Frauen (Dame von Narison bedrängt von Graf, Nichte Gaweins bedrängt von Harpin, 300 gefangene Frauen) und für das Recht im Allgemeinen (Kampf für Gerechtigkeitssymbol Löwe, Kampf für Lunete, Kampf für die jüngere Gräfin vom Schwarzen Dorn). Bei den erstgenannten Kämpfen für die verschiedenen Frauen in Not wird Iwein jeweils ein Lohn angeboten, den er immer dankend ausschlägt. Dieser Verzicht wird von Cramer als Bußleistung gesehen, da es die Umkehrung der unrechtmäßigen Inbesitznahme von Laudine und ihrem Land darstelle. Da die Tötung Askalons ein Rechtsbruch sei, ist der jeweils zweite Kampf, ein Kampf für das Recht, der im Falle von Lunete und der jungen Gräfin vom Schwarzen Dorn auch noch die Pünktlichkeit des Ritters voraussetzt. Zusammenfassend stellt auch Cramer fest, dass Iweins (kurzfristige) êre nur auf Grund von Unrecht entstanden sei, dass er daher scheitern muss, um sie auf rechtmäßige Weise, durch selbstlose Handlungen zu erlangen. Dadurch, dass er die in den Eingangsversen geforderte rehte güete in der aventiuren -Kette zeigt, gelingt es ihm saelde und die dadurch erst mögliche (langfristige) êre zu erlangen.[17]
[...]
[1] Vgl. Lorey 1994, S. 17.
[2] Hartmann von Aue: Iwein. Text der siebenten Ausgabe von G.F. Benecke, K. Lachmann und L. Wolff. Übersetzung und Anmerkung von Thomas Cramer. 3., durchgesehene und ergänzte Auflage. De Gruyter, Berlin und New York 1981.
[3] Lorey 1994, S. 23.
[4] Vgl. Lorey 1994, S. 19-23.
[5] Vgl. Cramer 1966, S. 33-35 und Wapnewski 1962, S. 65-67.
[6] Vgl. Lorey 1994, S. 26-28; Mertens 1978, S. 47-50 und Sieverding 1985, S. 91-92.
[7] Vgl. u.a. Sieverding 1985, S. 89.
[8] Vgl. Cramer 1966, S. 34-35.
[9] Mertens beruft sich auf 3 einen Angriffskrieg legitimierende Vorraussetzungen: 1. Auctoritas principes (fehlende höhere Instanz), 2. Causa iusta (fehlende Alternative um auszugleichen), 3. Intentio recta (Eroberung bzw. Beute dürfen keine Ziele des Kampfes sein).
[10] Vgl. Mertens 1978, S. 47-48.
[11] Vgl. Okken 1993, S. 281.
[12] Vgl. Cormeau / Störmer 1993, S. 204.
[13] Vgl. Mertens 1978, S. 48-49.
[14] Vgl. u.a. Sieverding 1985, S. 91.
[15] Vgl. Wapnewski 1962, S. 66-70.
[16] Cramer 1966, S. 40.
[17] Vgl. Cramer 1966, S. 42-45.
- Arbeit zitieren
- Stefan Grzesikowski (Autor:in), 2005, Versagen und Wiedergutmachung: Hartmann von Aue Iwein - Iweins Schuld, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63042
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