In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich immer wieder Transgenderpersonen kennen gelernt, die durch ihre sexuelle Identität bedingt schwierige Lebensphasen durchmachen mussten und mit zahlreichen konkreten und ausgesprochen komplexen Problemstellungen konfrontiert waren. In vielen Fällen war es vor allem der Arbeitsbereich, in dem es für Transgenderpersonen zu manchmal kleinen, manchmal aber auch ganz massiven und folgeschweren Problemen kam.
Meine Idee war es daher, die Beratungsformen Supervision und Coaching dahingehend zu untersuchen, wie sie gezielt für die Problemstellungen von Transgenderpersonen eingesetzt werden können und festzustellen, ob Transgenderpersonen Supervision und Coaching in Anspruch nehmen.
Die vorliegende Arbeit soll in das Phänomen Transgender in seinen vielfältigen Erscheinungsformen einführen und überprüfen, ob es transgenderspezifische Themenstellungen für Supervision und Coaching geben kann. Werden solche Themenbereiche gefunden, sollen sie ausführlich dargelegt werden.
Im empirischen Teil der Arbeit möchte ich dann untersuchen, ob und in welchem Ausmaß Supervision und Coaching als Beratungsformen bereits von Transgenderpersonen in Anspruch genommen werden und als wie hilfreich sie sich in der Bearbeitung transgenderspezifischer Fragestellungen erweisen.
In Kapitel 3 soll das Phänomen Transsexualität beschrieben und auf die Entstehung von Transsexualität als wissenschaftliches Forschungsfeld eingegangen werden. Es soll versucht werden, die Medikalisierung von Transsexualität in ihrer Entstehung und Ausformung sowie in ihren weitreichenden Auswirkungen historisch nachzuzeichnen und zu beschreiben.
Kapitel 4 widmet sich ganz der Behandlung von Transsexualität und geht detailliert auf medizinische und psychotherapeutische Behandlungsansätze ein, bevor rechtliche Fragestellungen diskutiert werden. Das Kapitel beendet die Diskussion der Frage, ob Transsexualität eine Krankheit oder doch eher Minderheitsmerkmal ist.
INHALT
1. Vorwort
2. Einleitung
3. Das Phänomen Transsexualität
3.1. Entstehung des Phänomens Transsexualität
3.2. Medikalisierung und Definition von Transsexualität
3.3. Ursachen der Transsexualität
3.4. Transsexualität in Zahlen
4. Die Behandlung transsexueller Menschen
4.1. Medizinische Behandlung
4.1.1. Entwicklung von Behandlungsansätzen
4.1.2. Hormontherapie
4.1.3. Geschlechtsanpassende Operationen
4.1.4. Ergänzende medizinische Maßnahmen
4.2. Psychotherapeutische Begleitung
4.3. Rechtliche Fragestellungen
4.4. Transsexualität ohne Operation
4.5. Transsexualität – Krankheit oder Minderheit ?
5. Transgender in Österreich
5.1. Gesetzliche Regelungen
5.2. Das Österreichische Behandlungsmodell
5.3. Kosten der Behandlung
5.4. Medizinische Behandlungsangebote in Wien
5.5. Beratungsangebote in Wien und Österreich
5.5.1. Professionelle Beratungsangebote
5.5.2. Selbsthilfegruppen
6. Transgenderspezifische Problembereiche
6.1. Gesellschaftliche Situation von Transgenderpersonen
6.2. Die Wiener Regenbogenparade
6.3. Coming-out
6.4. Probleme im Alltagsleben
6.5. Probleme im Arbeitsleben
6.5.1. Diskriminierungserfahrungen von Transgenderpersonen
6.5.2. Maßnahmen gegen Diskriminierung
6.5.3. Überblick über die aktuelle Antidiskriminierungsgesetzgebung
7. Transgender meets Supervision und Coaching
7.1. Bindungen, Brüche, Übergänge: Die Bedeutung des Arbeitsplatzes für
Transgenderpersonen
7.2. Transgenderbedingte Themenstellungen für Supervision und Coaching
7.2.1. Knicke in der Bildungskarriere
7.2.2. Privates tritt in den Vordergrund
7.2.3. Familiäre Spannungen
7.2.4. Drang nach Veränderung
7.2.5. Ressourcenbindung
7.2.6. Problemfelder am Arbeitsplatz
7.2.7. Verlust des Arbeitsplatzes
8. Von Gender über Queer hin zu Körper, Geschlecht und Macht
8.1. Bedeutung des Körpers
8.2. Gesellschaftliche Bedeutung von Geschlecht
8.3. Arbeitsrelevante Aspekte von Macht und Hierarchie
8.3.1. Wieso Machtfragen stets auch Genderfragen sind
8.3.2. Aspekte von „Macht“
9. Die Empirische Untersuchung
9.1. Fragestellungen
9.2. Methodisches Vorgehen
9.3. Durchführung der Befragung
9.4. Analyse der Daten
9.4.1. Problemfelder
9.4.1.1. Probleme im Alltagsleben
9.4.1.2. Probleme im Arbeitsleben
9.4.1.3. Knicke in der Bildungskarriere
9.4.1.4. Verlust des Arbeitsplatzes
9.4.2. Inanspruchnahme von Supervision und Coaching
9.4.2.1. Inanspruchnahme von Supervision
9.4.2.2. Inanspruchnahme von Coaching
9.4.3. Ungedeckter Bedarf von Transgenderpersonen an Supervision
und Coaching
10. Zusammenfassung und Ausblick
11. Abstracts
12. Anhang: Gesprächsleitfaden
13. Literaturverzeichnis
Lebenslauf
1. VORWORT
An dieser Stelle möchte ich dem Verein Trans-X für die Unterstützung bei meiner nun schon Jahre andauernden Beschäftigung mit dem Thema Transgender im allgemeinen und speziell im Zuge der vorliegenden Arbeit danken.
Mein besonderer Dank gilt all jenen Transgenderpersonen, die mir für ein Interview zur Verfügung standen und so die vorliegende Arbeit erst ermöglichten.
Ferner gilt mein Dank Herrn Univ.Doz. Dr. Gerhard Benetka und Frau Dr. Heidemarie Lex-Nalis für die Betreuung der vorliegenden Arbeit.
Mein besonderer Dank gilt ferner der ARGE Bildungsmanagement Wien und hier ganz besonders Herrn Dr. Wolfgang Fürnkranz und Herrn Dr. Klaus Rückert für die ungezählten theoretischen Inputs und konkreten Handlungsideen, die ich im Laufe des Masterlehrganges „Supervision, Coaching und OE“, den diese Masterthesis formell abschließt, bekommen konnte.
2. EINLEITUNG
In meiner beruflichen Tätigkeit habe ich immer wieder Transgenderpersonen kennen gelernt, die durch ihre sexuelle Identität bedingt schwierige Lebensphasen durchmachen mussten und mit zahlreichen konkreten und ausgesprochen komplexen Problemstellungen konfrontiert waren. In vielen Fällen war es vor allem der Arbeitsbereich, in dem es für Transgender-personen zu manchmal kleinen, manchmal aber auch ganz massiven und folgeschweren Problemen kam.
Meine Idee war es daher, die Beratungsformen Supervision und Coaching dahingehend zu untersuchen, wie sie gezielt für die Problemstellungen von Transgenderpersonen eingesetzt werden können und festzustellen, ob Transgenderpersonen Supervision und Coaching in Anspruch nehmen.
Die vorliegende Arbeit soll in das Phänomen Transgender in seinen vielfältigen Erscheinungsformen einführen und überprüfen, ob es transgenderspezifische Themen-stellungen für Supervision und Coaching geben kann. Werden solche Themenbereiche gefunden, sollen sie ausführlich dargelegt werden.
Im empirischen Teil der Arbeit möchte ich dann untersuchen, ob und in welchem Ausmaß Supervision und Coaching als Beratungsformen bereits von Transgenderpersonen in Anspruch genommen werden und als wie hilfreich sie sich in der Bearbeitung transgender-spezifischer Fragestellungen erweisen.
In Kapitel 3 soll das Phänomen Transsexualität beschrieben und auf die Entstehung von Transsexualität als wissenschaftliches Forschungsfeld eingegangen werden. Es soll versucht werden, die Medikalisierung von Transsexualität in ihrer Entstehung und Ausformung sowie in ihren weitreichenden Auswirkungen historisch nachzuzeichnen und zu beschreiben.
Kapitel 4 widmet sich ganz der Behandlung von Transexualität und geht detailliert auf medizinische und psychotherapeutische Behandlungsansätze ein, bevor rechtliche Fragestellungen diskutiert werden. Das Kapitel beendet die Diskussion der Frage, ob Transsexualität eine Krankheit oder doch eher Minderheitsmerkmal ist.
Im Anschluss daran beschäftigt sich Kapitel 5 mit der aktuellen Situation für Transgenderpersonen in Österreich. Neben den gesetzlichen Regelungen schildere ich das österreichische Behandlungsmodell, diskutiere die Frage der Kosten der Behandlung von Transgenderpersonen und beschäftige mich abschließend mit Behandlungs- und Beratungsangeboten für Transgenderpersonen in Österreich allgemein und speziell in Wien.
Kapitel 6 steht ganz im Zeichen transgenderspezifischer Problembereiche. Die für die Beratung relevante gesellschaftliche Situation von Transgenderpersonen wird diskutiert, ein Überblick über ihre Genese hilft, aktuelle gesellschaftspolitische Veränderungen verstehbar zu machen. Besonderes Augenmerk lege ich auf den Prozess des Coming-out und auf daraus resultierende Probleme im Arbeitsleben. Hier beschäftige ich mich schwerpunktmäßig mit Diskriminierungserfahrungen von Transgenderpersonen, möglichen Maßnahmen gegen Diskriminierungen und der aktuellen Antidiskriminierungsgesetzgebung auf EU-, staatlicher und kommunaler Ebene.
Kapitel 7 - „Transgender meets Supervision und Coaching“ - beschäftigt sich einleitend unter dem Titel „Bindungen, Brüche, Übergänge“ mit möglichen transgenderspezifischen Bedeutungen des Lebensthemas Arbeitsplatz. Im Anschluss daran entwickle ich aus den bis dahin angestellten Überlegungen verschiedene transgenderspezifische Themenstellungen für Supervision und Coaching.
Kapitel 8 führt uns von Gender über Queer hin zu Körper, Geschlecht und Macht und verdeutlicht die Notwendigkeit, sich mit Theoriemodellen wie der Gendertheory oder der Queertheory auseinanderzusetzen. Konkret diskutiere ich die für die Beschäftigung mit dem Thema Transgender besonders nahe liegende und relevante Fragestellung der gesellschaftlichen Bedeutung von Körper und Geschlecht und erörtere, wieso Machtfragen stets auch Genderfragen sind. Dieses Kapitel schließen verschiedene Aspekte von Macht und Hierarchie ab, da das Thema Macht wohl in jedem Supervisons- und Coachingprozess direkt oder indirekt bearbeitet wird.
Kapitel 9 schließlich stellt die empirische Untersuchung vor, entwickelt konkrete Fragestellungen und beschreibt mein methodisches Vorgehen sowie die konkrete Durchführung der Befragungen. Im Anschluss daran analysiere ich die erhobenen Daten und untersuche im speziellen die Problemfelder im Alltags- und im Arbeitsleben, mit denen sich Transgenderpersonen konfrontiert sehen. Ich untersuche, ob es tatsächlich transgendertypische Knicke in der Ausbildungskarriere gibt und für wie viele Transgenderpersonen das Thema Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund ihrer sexuellen Identität ein wichtiges Thema ist. Abschließend analysiere ich die bisherige Inanspruchnahme der Beratungsformen Supervision und Coaching durch Transgenderpersonen und untersuche, welche Themenstellungen von diesen in Supervisions- und Coachingprozessen bearbeitet wurden. Schließlich analysiere ich die subjektive Zufriedenheit von TransgenderklientInnen mit in Anspruch genommener Supervision und Coaching.
Abschließend stelle ich in Kapitel 10 Überlegungen an, ob Supervision und Coaching im Transgenderbereich in stärkerem Ausmaß hilfreich sein könnten als derzeit. Wenn dem so ist, sollen Überlegungen zur Möglichkeit der stärkeren Etablierung von Supervision und Coaching für Transgenderpersonen das Kapitel beenden.
3. DAS PHÄNOMEN TRANSSEXUALITÄT
3.1. ENTSTEHUNG DES PHÄNOMENS TRANSSEXUALITÄT
Was wir heute unter Transsexualismus oder Transsexualität verstehen ist als menschliches Empfinden und in der weiteren Folge Verhalten keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Transsexualität gab es vermutlich schon immer und überall, blieb aber meist unentdeckt und Transgenderpersonen wurden entweder überhaupt nicht wahrgenommen, ins Reich der Perversion oder in andere gesellschaftliche Tabubereiche gedrängt. Erste medizinisch-wissenschaftliche Berichte stammen erst von Jean-Etienne-Dominique Esquirol[1] aus dem Jahr 1838, genauere Beschreibungen folgten im Verlauf und vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert wurde das Phänomen Transsexualismus im wesentlichen mit Hermaphrodismus und Homosexualität vermengt und weder genau definiert noch differenziert betrachtet. All diese Phänomene wurden in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich bewertet, einmal als Sodomie, Ketzerei oder Sünde angesehen und von weltlichen und kirchlichen Mächten schwerst und grausamst bestraft, einmal als Selbstverständlichkeit angesehen und nicht weiter thematisiert. Hermaphrodismus etwa, also die Existenz von Menschen ohne eindeutig zuordenbare Geschlechtsmerkmale, galt im Rom bis zum 6. Jahrhundert als böses Omen, die betroffenen Menschen wurden getötet.
Bis ins 18. Jahrhundert wussten die Menschen nur von der Existenz eines einzigen Leibes, die Wissenschaft basierte im wesentlichen auf den antiken Vorstellungen der aristotelisch-galenischen Humoraltheorie, also auf der Säftelehre[2], die aufbauend auf Alkmeon von Kroton (ca. 530 v.Chr.) entwickelt worden war. Hatte dieser noch die Theorie vertreten, dass in der Natur und im Körper eine fortwährende Mischung und Entmischung, Vereinigung und Trennung verschiedener Grundelemente stattfindet, baute Empedokles von Agrigent (504-433 v.Chr.) diese Theorie aus und ersetzte das Prinzip des einen fundamentalen Grundelementes durch die vier gleichwertigen Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Diesen vier Grundelementen wurden vier Körpersäfte, nämlich Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, sowie die dazu gehörenden Organe Herz, Gehirn, Leber und Milz zugeordnet, ebenso spezifische Lebensalter, Jahreszeiten und Temperamente.
Man ging hier also von der Vorstellung eines geschlossenen Systems aus, das im Universum und im Mikrokosmos Mensch gleichermaßen Gültigkeit besitzt. Krankheit wurde als falsche Mischung der Säfte bzw. ihrer Elemente angesehen, dessen Gleichgewicht die Natur von sich aus wieder herzustellen versucht.
Diese Elementen- oder Säftelehre ging davon aus, dass der weibliche Körper die gleiche Ausstattung hätte wie der männliche, lediglich seien bei Frauen aus Mangel an Perfektion die Geschlechtsteile nach innen gekehrt. „Weiblichkeit und Männlichkeit erschienen nicht als Folge weiblicher und männlicher Genitalien, sondern sie galten als Ergebnis eines besonderen Verhältnisses der vier Elemente.“[3] Die Elementen- oder Säftelehre war also ein Ein-Geschlechts-Modell, das von einer männlichen Grundstruktur des menschlichen Körpers ausging. Diese Ansicht stellte die Grundlage des medizinischen Denkens vieler Jahrhunderte dar.
Im 18. Jahrhundert erfuhr das Wissen über das menschliche Geschlecht eine entscheidende Wende, das Ein-Geschlecht-Modell wurde durch das Zwei-Geschlechter-Modell abgelöst.
Das Zusammenspiel kosmischer Elemente wurde in diesem neuen Modell nicht mehr als Ursache für das Geschlecht eines Menschen angesehen. Vielmehr war man nun der Auffassung, dass der Mensch „von Natur aus unverlierbar eines von zwei einander entgegen gesetzten Geschlechtern besitzt.“[4] Die Wissenschaft war also davon überzeugt, es nicht mit einem in verschiedener Perfektion auftretenden Geschlecht, sondern mit zwei unterschiedlichen Geschlechtern zu tun zu haben, „deren grund- und gegensätzliche Verschiedenheit ihren Ursprung in der Natur von Frauen und Männern habe.“[5]
Somit wurde das Geschlecht zur biologischen Grundlage dessen, was Frau-Sein und Mann-Sein ausmacht. Die kosmologischen Begründungen für eine hierarchische Weltordnung wichen dem Natur-Argument, dass Frauen und Männer als in ihrer körperlichen und geistigen Verfassung ungleich ansieht, die Geschlechter galten ab nun als komplementär und einander ergänzend. So verloren auch die Genitalien
ihre Stellung als mehr oder weniger vollkommene Repräsentanzen eines biologischen Geschlechts und wurden zu Klassifizierungsmerkmalen, mit deren Hilfe sich menschliche Körper in zwei grundsätzliche und eindeutig unter-scheidbare biologische Geschlechter unterteilen ließen.[6]
Der Grund für diesen grundlegenden Wandel war ein politischer, denn der
allgemeine gesellschaftliche Umschwung, die Abkehr vom Ständedenken und die Proklamation der Ideale der Aufklärung, die Freiheit und Gleichheit aller Menschen versprachen, machten für die Fortsetzung der Unterordnung der Frau eine neue Rechtfertigung notwendig. In dem Maße, in dem andere Ordnungs- und Orientierungsmuster schwanden, erstarkte die Ordnung der Geschlechter.[7]
Ab dem 18. Jahrhundert veränderten auch Berichte über Menschen, die vorübergehend das andere Geschlecht annahmen, ihre Qualität und belegen damit „die kulturellen Verstörungen, die der Übergang vom Ein-Geschlecht- zum Zwei-Geschlechter-Modell mit sich brachte.“[8] So tauchten Frauen, die Männerkleidung trugen und als Männer lebten, ursprünglich in possenhaften Erzählungen und Komödien auf, vor dem Hintergrund zweier einander ausschließender, unvergleichbarer Geschlechter aber erschienen ihre Verkleidungen und ihr Streben nach Männlichkeit zunehmend grotesk, problematisch oder auch tragisch, denn im dominanten Zwei-Geschlechter-Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts „war für ein dazwischen oder eine von den vorgeschriebenen Ausprägungen von Weiblichkeit und Männlichkeit abweichende Form kein Platz mehr.“[9]
Die Medizin und vor allem die Psychologie und die neu entstandenen Sexualwissenschaften begannen, sich „mit noch nie da gewesenem Interesse und Akribie (...) jenen Erscheinungsformen, die dem vermeintlich gesicherten Wissen um die Zweigeschlechtlichkeit der Menschen und der heterosexuellen Ordnung widersprachen“[10] zu widmen. So wurden beschreibend „weibliche Seelen in männlichen Körpern“, „männliche Seelen in weiblichen Körpern“, „Verkehrungen der Geschlechtsempfindung“ oder „psychischer Hermaphroditismus“ diagnostiziert, „ohne zunächst nach Objekten des Begehrens, der Lust und dem subjektiven Geschlechtsempfinden zu unterscheiden.“[11] Die Folge davon war eine ungeheure und äußerst verwirrende Vielfalt von Begriffen und Kategorien, die letztlich alle dazu dienen sollten, „die scheinbar unendlichen Möglichkeiten menschlicher Sexualität und geschlechtlicher Lebensweisen zu klassifizieren.“[12] Die Medizin als Wissenschaft begann also nun, „die Erkennung des wahren Geschlechts zu beanspruchen.“[13]
Die erste Dokumentation der Geschichte der Geschlechtergrenzüberschreitung in Wien stellt das wohl erste nicht zu Juxzwecken und mit voller Namensnennung gemachte Foto eines Mannes in Frauenkleidern dar, nämlich das Foto des Wiener Freiherrn Hermann von Teschenberg (1866-1911). Dieses fand sich in Magnus Hirschfelds Jahrbuch der sexuellen Zwischenstufen 1902.
Magnus Hirschfeld war es auch, der am Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals zwischen Homosexuellen und Transvestiten differenzierte. Er beschrieb Effiminierung bei Homosexuellen als eine Art Begleiterscheinung ihrer sexuellen Orientierung, die Effiminierung bei Transvestiten hingegen als einen wesentlichen Charakterzug. Bei Transvestiten handle es sich um Männer und Frauen, „die trotz völlig normalsexueller Triebrichtung psychisch starke Einschläge des anderen Geschlechts aufweisen.“[14] Weiters beobachtete Hirschfeld den „androgynen Drang“, also den Versuch, die eigenen Geschlechtsmerkmale durch Manipulation an Bart, Brust und Genitalien zu korrigieren. 1924 führte Hirschfeld schließlich den Begriff „transsexuell“ für Menschen ein, die das Bedürfnis nach einer über cross-dressing[15] hinausgehenden Geschlechtsanpassung hatten[16].
Harry Benjamin[17] verwendete 1954 den Begriff weiter und unterschied bereits ganz klar zwischen Transsexualität und Transvestitismus. Transvestitismus wird seit Mitte der 1960er Jahre als gelegentliche Praxis des Kleidertausches und fetischistisches Sexualverhalten begriffen, also ganz klar von Transsexualität abgegrenzt. Der Begriff Transsexualismus setzte sich nun endgültig als medizinischer Fachterminus durch.
Benjamin stellte als erster fest, dass Psychotherapie als Heilung für transsexuelle Menschen nicht adäquat sein kann, wenn er sagt, „psychotherapy has nothing to offer them as far as any cure is concerned."[18] Er hielt vielmehr eine Angleichung des biologischen an das körperliche Geschlecht für notwendig und sagte:
Since it is evident that the mind of the transsexual cannot be adjusted to the body, it is logical and justifiable to attempt the opposite, to adjust the body to the mind. If such a thought is rejected, we would be faced with a therapeutic nihilism to which I could never subscribe in view of the experiences with patients who have undoubtedly been salvaged or at least distinctly helped by their conversion.[19]
3.2. MEDIKALISIERUNG UND DEFINITION VON TRANSSEXUALITÄT
Diese Medikalisierung des Phänomens des Geschlechterwechsels veränderte „nicht nur die gesellschaftliche Behandlungsform der Transsexualität, sondern auch das Phänomen selbst“[20]. Es entstand ein Typus, zu dessen diagnostischer Beschreibung Symptomkataloge entwickelt wurden.
Die von der WHO herausgegebene „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“ (ICD) nennt in ihrer Version von 1978 (ICD 9) Transsexualität innerhalb des Abschnitts „Neurosen und Psychopathien“ erstmals als eigenständige Diagnose. Interessant ist, dass hier der Wunsch nach körperlichen Anpassungen nicht als notwendige Bedingung für Transsexualität gesehen wird. Der derzeit gültige ICD 10[21] aus dem Jahr 1991 definiert im Abschnitt „F6 - Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ Transsexualismus als den
Wunsch, als Angehöriger des anderen anatomischen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden. Dieser Wunsch geht meist mit dem Gefühl des Unbehagens oder der Nichtzugehörigkeit zum eigenen Geschlecht einher. Es besteht der Wunsch nach hormoneller und chirurgischer Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich anzugleichen. Diagnostische Leitlinien: Die transsexuelle Identität muß mindestens 2 Jahre bestanden haben und darf nicht ein Symptom einer anderen psychischen Störung, wie z.B. einer Schizophrenie, sein. Ein Zusammenhang mit intersexuellen, genetischen oder geschlechtschromosomalen Anomalien muß ausgeschlossen sein.[22]
Diese Diagnose besteht also, so Friedemann Pfäfflin, vereinfacht ausgedrückt
demnach aus drei Wünschen: (1) Wie ein Mensch des anderen Geschlechts zu leben; (2) entsprechende Anerkennung zu finden und (3) eine hormonelle und chirurgische Angleichung des Körpers an das Wunschgeschlecht zu erfahren.[23]
Individuell empfundenes Leiden bzw. das Gefühl des Unbehagens (lat. dysphoria = krankhafte Verstimmung) gehört also nur meist, dieser Definition nach aber eben nicht zwingend zur Diagnose Transsexualität, was für eine psychiatrische Diagnose zweifelsfrei ungewöhnlich ist. Für Pfäfflin verweist dieser Umstand auf die
Doppeldeutigkeit des Begriffs Transsexualität: einerseits wird damit nämlich ein Lebensstil beschrieben, der respektiert sein will, ganz unabhängig von einzelnen Behandlungsschritten (...); andererseits eine Diagnose, die als Weichenstellung für weitreichende medizinische, psychosoziale und rechtliche Interventionen herhalten soll.[24]
Auch in den „Diagnoseschlüssel der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung“ (DSM-III) wird Transsexualität 1979 erstmals als eigenständige Diagnose aufgenommen und in den Kapiteln „Sexuelle Verhaltensabweichungen und Störungen“ bzw. „Psychosexuelle Störungen“ abgehandelt.
In den späteren Revisionen dieser Regelwerke wurden wiederholt Umgruppierungen und Veränderungen in den diagnostischen Leitlinien vorgenommen, die „als Ausdruck einer erheblichen nosologischen Zuordnungsschwierigkeit zu verstehen“[25] sind. Das DSM-IV aus dem Jahr 1994 etwa verzeichnet den Begriff Transsexualismus als solchen gar nicht mehr, sondern reduziert die entsprechende Symptomatik unter dem wesentlich weiteren Begriff der Geschlechtsidentitätsstörungen. Dieser Begriff greift den „von Fisk (1973) in die Diskussion über Transsexualität eingeführten amerikanischen Begriff gender dysphoria auf, der gleichzeitig mit der Transsexualität auch angrenzende Geschlechtsidentitätsstörungen erfassen sollte.“[26]
Der Medizin war es damit endgültig gelungen,
ihre Autorität auf dem Gebiet des Geschlechtswechsels geltend zu machen und den Begriff Transsexualität diagnostisch zu wenden. Der Geschlechtswechsel hatte den Bereich des Mystischen endgültig verlassen und war zum Störfall der Geschlechterordnung geworden, der medizinisch und juristisch behandelt werden musste und konnte.[27]
Der aktuellen Definition von Transsexualität nach stimmen transsexuelle Menschen genetisch, hormonal und anatomisch mit ihren phänotypischen Geschlechtsmerkmalen überein, psychisch aber fühlen sie sich eindeutig dem anderen Geschlecht zugehörig. „Ihr Wunsch ist es deshalb, durch hormonelle und chirurgische Maßnahmen ihrem psychologischen Geschlecht angeglichen zu werden.“[28] Differentialdiagnostisch „ist v. a. an homosexuelle und transvestitische Entwicklungen, Psychosen, frühe Persönlichkeitsstörungen, Adoleszenzkrisen, kulturell induzierte Geschlechtsdysphorien sowie Intersexualismus zu denken.“[29] Transsexualität zeichnet sich per definitionem
durch die dauerhafte innere Gewissheit, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, aus. Diese Menschen wähnen sich also im falschen Körper, entweder ist deren körperliches Erscheinungsbild männlich und sie empfinden sich als Frau, oder deren körperliches Erscheinungsbild ist weiblich und sie empfinden sich als Mann.[30]
Die Empfindung im falschen Körper zu leben, dieses „paradoxe Zugehörigkeitsgefühl lässt sich fast immer bis in die Kindheit zurückverfolgen und wird im Laufe der Jahre zunehmend zu einem immer größeren Leidensdruck.“[31] Oft ziehen transsexuelle Menschen schon sehr früh ganz gezielt Kleidungsstücke, die typisch für das empfundene Geschlecht sind, an. Dies versteht man unter cross-dressing. Auch der Wunsch nach einem Geschlechtswechsel kann schon in jungen Jahren intensiv vorhanden sein.
Unter Mann-zu-Frau (MzF) Transsexuellen werden Personen verstanden, die biologisch männlich sind, sich aber als Frau empfinden, unter Frau-zu-Mann (FzM) Transsexuellen Personen, die biologisch weiblich sind, sich aber als Mann empfinden.
Oft hört man auch die Begriffe „gender-bender“, der wörtlich übersetzt „Überläufer des Geschlechts“ bedeutet und „genderbending“, im Deutschen meist mit „Geschlechtsbeugung“ übersetzt.
3.3. URSACHEN DER TRANSSEXUALITÄT
Die Frage, welche Ursachen Transsexualität hat, beschäftigt die medizinische und psychologische Forschung seit dem ersten Wahrnehmen dieses Phänomens. Heute gibt es eine Unzahl verschiedenster Theorien. So gibt es alleine bei den psychoanalytischen Erklärungsansätzen ganz unterschiedliche Sichtweisen, die von Störungen der Familiendynamik über Störungen der Separations- und Individuationsphase bis hin zu Störungen der Ich-Entwicklung ausgehen. Elisabeth Vlasich beschreibt ihre Hypothese, nach der „die gegengeschlechtliche Identifikation als übernommene Schuld des Einzelnen“ für ein Familiensystem, das den Tod eines Kindes verdrängt oder gar vergisst, „ein Mitfaktor zur Entstehung der Transsexualität ist“[32].
Zudem gibt es lerntheoretische Ansätze und biologische Befundungen. Bei diesen zeigte sich jedoch, dass transsexuelle Menschen keine statistisch signifikanten pathophysiologischen Befunde aufweisen, es konnten also „keine biologischen Anhaltspunkte für Transsexualität gefunden werden.“[33] Entsprechend der „immer differenzierter werdenden Untersuchungsmethoden wurden chromosomale, aktuelle sowie ontognetisch (...) wirksam werdende hormonelle und schließlich hirnanatomisch nachweisbare Abweichungen als Kausalfaktoren diskutiert“[34], beweiskräftige Befunde konnten für diese bisher jedoch nicht vorgelegt werden.
Die Ursache von Transsexualität ist daher nach wie vor als unbekannt zu bezeichnen, als „Kompromißformel zwischen den unterschiedlichen Erklärungsmodellen hat sich eingebürgert, davon zu sprechen, bei Transsexualität handle es sich um die gemeinsame Endstrecke unterschiedlicher psychopathologischer Verläufe.“[35] Diese Formulierung aber, so schränkt Pfäfflin selbst ein, „suggeriert Gemeinsamkeiten, die der Vielfalt individueller Verläufe nicht wirklich angemessen ist.“[36] Vielmehr werden „heute sehr differente Persönlichkeitsstrukturen, Verläufe und sexuelle Präferenzen beschrieben.“[37]
3.4. TRANSSEXUALITÄT IN ZAHLEN
Die Frage, wie viele transsexuelle Menschen es gibt, ist extrem schwierig und auch nur größenordnungsmäßig zu beantworten. Da es in Österreich nur wenig Forschung auf dem Gebiet der Transsexualität gibt, gibt es keine genauen Angaben darüber, wie oft die Diagnose Transsexualismus gestellt wird, auch die genaue Geschlechterverteilung (MzF bzw. FzM) ist nicht bekannt. Mit Sicherheit gibt es sehr viele Menschen, die transsexuell sind, aber aus den verschiedensten Gründen nirgends aufscheinen. Sei dies, weil sie bewusst unentdeckt bleiben wollen, sei es, weil sie sich selbst nicht bewusst über die Bedeutung eigener, vielleicht oft verdrängter oder bewusst zur Seite geschobener Gedanken und Empfindungen sind.
Wöllinder etwa stellte 1967 in Schweden eine transsexuelle Person unter 54.000 EinwohnerInnen fest, Hönig und Kenna 1974 in England eine von 53.000, Ross in Australien eine von 42.000[38]. Osburg und Weitze stellten eine Zehnjahresprävalenz von 2,1 Transsexuellen pro 100.000 volljährigen EinwohnerInnen in der alten BRD fest[39]. Einzelne Studien in Deutschland, den Niederlanden und der USA sprechen von einer Häufigkeitszunahme.
Wie dem auch sei, die in verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten genannten Zahlen schwanken ganz enorm. Die Zahl der transsexuellen Menschen allein in Deutschland etwa schätzt Vachunda[40] auf etwa 6000, Sigusch[41] hingegen spricht lediglich von 2000 bis 4000 erwachsenen Transsexuellen.
Für Österreich nennt Raviola[42] gar eine im Vergleich dazu extrem hoch geschätzte Zahl von etwa 2500 Menschen. „Bricht man die Ergebnisse statistischer Werte auf die österreichische Bevölkerung herunter, so ergibt sich daraus, dass in Österreich (...) einige hundert transsexuelle Menschen leben. Allein in Wien sind es etwa (...) 200 Transgenderpersonen.“[43]
Die einzigen sicheren Zahlen jedoch stammen von den Krankenkassen, die allerdings nur die Personen erfassen, die eine geschlechtsanpassende Operation vornehmen lassen. In Österreich tun dies etwa zehn Personen pro Jahr.
Oft gestellt ist auch die Frage, ob es mehr MzF oder FzM Transsexuelle gibt, und auch diese Frage ist nicht wirklich zu beantworten. Während einiges dafür spricht, dass MzF Transsexuelle auch nach der medizinischen Geschlechtsanpassung auffälliger sind und daher verstärkt wahrgenommen werden, stellt Sigusch fest, dass sich die “Sex-Ratio in Deutschland weltweit erstmalig der Relation 1:1“[44] nähert. Allerdings gibt es hier auch sehr unterschied-liche Zahlen, Osburg und Weitze[45] etwa geben ein Verhältnis MzF : FzM von etwa 2:1 an.
4. DIE BEHANDLUNG TRANSSEXUELLER MENSCHEN
Die Behandlung Transsexueller stellt ganz allgemein gesagt „sowohl psychologisch, medizinisch als auch juristisch ein Problem dar.“[46] Im folgenden soll auf diese drei Themenbereiche detailliert eingegangen und die verschiedenen Blickwinkel auch in ihrer historischen Entwicklung und ihrer gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bedeutung erfasst werden.
4.1. MEDIZINISCHE BEHANDLUNG
4.1.1. Entwicklung von Behandlungsansätzen
Seit den 1920er Jahren gibt es vereinzelte Berichte über genitaltransformierende, so genannte geschlechtsanpassende Operationen an transsexuellen Menschen. Da wie in Punkt 3.3. dargestellt, keine körperlichen Ursachen für Transsexualität gefunden werden konnten, wurde „der Operationswunsch zur Definition“[47] von Transsexualität und auch die geschlechtsanpassende Operation, die im Englischen „sex reassignment surgery“ oder kurz „SRS“ genannt wird, zu einem Kernstück der Behandlung. Die erste „komplette Frau-zu-Mann Geschlechtsumwandlung wurde 1912, die erste Mann-zu-Frau Operation 1920 durchgeführt.“[48]
In den 1960er Jahren entstand auf medizinischer Seite ein verstärktes Problembewusstsein, man wurde sich der interdisziplinären Dimensionen des Phänomens Transsexualität deutlicher bewusst. So wurde 1965 am John Hopkins University Hospital in Baltimore von Money der Prototyp eines „Gender Identity“-Programmes gegründet, bei dem ein Komitee aus PsychologInnen, PsychiaterInnen, ChirurgInnen, GynäkologInnen, EndokrinologInnen und SozialarbeiterInnen Selektionskriterien und Behandlungsrichtlinien erarbeitete. In den späteren 1960er und 1970er Jahren entstanden an amerikanischen, schwedischen und englischen Universitätskliniken weitere sogenannte „Gender Identity Teams“, die die Aufgabe hatten, „Kriterien zur Selektion und Vorbereitung der Behandlungswilligen zu treffen“[49] und darüber hinaus allgemeine Richtlinien für die Behandlung auszuarbeiten.
Die medizinische Behandlung Transsexueller ist heute extrem kompliziert und hoch technisiert. Sie umfasst im wesentlichen vier Bereiche, nämlich Hormonbehandlung, operative Eingriffe, verschiedene ergänzende medizinische Maßnahmen und psychologische bzw. psychotherapeutische Begleitung. Jede einzelne Behandlung muss in allen Aspekten individuell von erfahrenen ÄrztInnen und TherapeutInnen ganz genau auf die zu behandelnde Person abgestimmt werden. Die medizintechnologischen und wissenschaftlichen Fortschritte der letzten Jahre auf diesem Gebiet
have created the freedom for people to change their physical appearance in both radical and subtle ways, and the interconnectedness of the body and technology is becoming endemic in Western cultures. While for some of us this may mean a pin stabilizing a bone or capped teeth, for many transsexual people this means an opportunity to be the gender one is, physically as well as psychologically.[50]
Für viele nicht-transsexuelle Menschen ist das Phänomen Transsexualität völlig unverständlich und erst recht, wieso sich Transsexuelle derartig schweren medizinischen Behandlungen überhaupt unterziehen. Die Frage der ethischen Vertretbarkeit solch schwerer Behandlungen wird immer wieder gestellt, gerade auch dann, wenn die Ergebnisse von Hormontherapien, Operationen und ergänzenden medizinischen Maßnahmen etwa auf Fachkongressen präsentiert werden. Diese Ergebnisse sind nämlich nicht nur im Einzelfall nicht vorhersehbar, sondern von Person zu Person ausgesprochen unterschiedlich. Während viele Transsexuelle nach den geschlechtsanpassenden Maßnahmen im körperlich neuen Geschlecht ganz unauffällig aussehen, bleibt es anderen lebenslang anzusehen, dass sie ihr körperliches Geschlecht gewechselt haben. Allerdings wird „sowohl in der Selbst- wie in der Fremdbeurteilung (...) das geschlechtstypische Erscheinungsbild mehrheitlich positiv beurteilt.“[51] Nicht-transsexuelle Menschen
do not always recognize the fact that when transsexual people undertake this type of physical change, we do not know what form our new physical manifestation will take, that we cannot make ourselves to look like perfect incarnations of masculinity or femininity. Just like non-transsexual people we must accept ourselves the way we are (…), changing the things we can, accepting the things we can’t change, and acquiring the wisdom to know the difference.[52]
4.1.2. Hormontherapie
Die Hormontherapie stellt als erste medizinische Behandlung im Prozess der Geschlechtsanpassung einen wichtigen Bestandteil dieses Prozesses dar und beeinflusst den gesamten Menschen auf ungemein vielfältige Weise, die im voraus nicht exakt vorhergesagt werden kann. So ist jede Hormonbehandlung ein Experiment, das laufend durch regelmäßige Kontrolluntersuchungen überprüft und begleitet werden muss.
Bei der Hormontherapie werden die eigenen Geschlechtshormone unterdrückt und die Hormone des Wunschgeschlechtes meist in Form von Pflastern oder Depotspritzen zugeführt. Dies hat in den allermeisten Fällen bereits massive Auswirkungen auf körperlicher wie auch auf emotionaler Ebene. Die eigenen Hormone müssen bis zur geschlechtsanpassenden Operation unterdrückt, die Hormone des Wunschgeschlechtes aber lebenslang zugeführt werden.
Auf der körperlichen Ebene kommt es bei MzF-Transsexuellen zum meist heiß ersehnten Brustwachstum, aber auch zu Veränderungen des Fettstoffwechsels und Muskelaufbaues. Bei FzM-Transsexuellen kommt es zu Bartwuchs, verstärkter Körperbehaarung und Vertiefung der Stimme.
Die Hormonbehandlung kann auch massive Auswirkungen auf die Berufssituation haben, etwa dann, wenn eine kräfteraubende handwerkliche Tätigkeit wegen sich verändernder Muskelkraft plötzlich nicht mehr ausgeübt werden kann.
4.1.3. Geschlechtsanpassende Operationen
Die geschlechtsanpassende Operation stellt einen großen, irreversiblen Eingriff am organisch gesunden Menschen dar, der in der Regel zwischen zwei und fünf Stunden dauert und einen etwa zweiwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt nötig macht. Sie trägt aber, so zeigen verschiedene Studien übereinstimmend, „wesentlich zur Linderung des Leidens der Patienten“[53] bei. More spricht gar von einer „dramatischen Verbesserung der Lebensqualität“[54], denn beim Vergleich zwischen operierten und nicht-operierten Transsexuellen zeigt sich, dass die operierten Personen „deutlich weniger psychische und soziale Probleme haben.“[55] Ihre soziale Integration erweist sich nach einer solchen Operation „als mehrheitlich gut und relativ stabil“[56], ihr körperliches und psychosoziales Wohlbefinden bewerten sie als „insgesamt gut.“[57]
Leider ist es in vielen Fällen nicht mit einer Operation getan, da Komplikationen auftreten können. Besonders häufig sind Hämatome, Schwellungen, Entzündungen, Taubheitsgefühle, Probleme mit dem Harnfluss, massive Schmerzen, oft auch Phantomschmerzen, Nekrosen oder funktionale Einschränkungen. All diese Komplikationen können eine oder mehrere weitere Operationen nötig machen. Damit verbunden sind meist lange Krankenstände nach der geschlechtsanpassenden Operation beziehungsweise zwischen dieser und einer oder mehreren notwendigen Nachoperationen. Diese Krankenstände können die Situation am Arbeitsplatz negativ beeinflussen und in Einzelfällen gar zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht detailliert auf die verschiedenen möglichen Operationstechniken und Operationsdetails eingehen, sondern mich darauf beschränken, eine solche geschlechtsanpassende Operation sehr vereinfacht darzustellen. Dies deshalb, weil eine solche Operation für transsexuelle Menschen ein wichtiges, oft lange ersehntes Ereignis mit weitreichenden Folgen ist und es daher für die Beratung von Transsexuellen notwendig ist, überblicksartig zu wissen, was eine solche Operation bedeutet.
Bei MzF-Transsexuellen werden im Zuge der geschlechtsanpassenden Operation im wesentlichen die männlichen Keimdrüsen entfernt und mit dem Gewebe des Penis eine in den Körper hineingeformte Höhle, eine sogenannte Neovagina, ausgekleidet. Diese wird künstlich aufgedehnt und ist, wenn alles gut verheilt, nach vielen Wochen einer biologischen Vagina optisch und funktional fast gleich.
Weitaus schwieriger ist die „Vervollständigung der hormonell begonnenen Angleichung weitestmöglich an das männliche Körperbild bei FzM Transsexuellen.“[58] Bei ihnen werden bei der geschlechtsanpassenden Operation Eierstöcke und Gebärmutter entfernt, alleine eine Verlängerung der Harnröhre ist aber äußerst schwierig. Einen künstlichen Penis aufzubauen ist auf zweierlei Arten möglich: So kann entweder ein Stück Knochen samt Muskeln und Nerven an einer anderen Körperstelle (meist Arm oder Wade) entnommen und zusammengerollt als Neopenis implantiert werden. Da keine Schwellkörper vorhanden sind, ist eine Erektion nicht möglich, die für den Geschlechtsverkehr nötige Versteifung ist - allerdings ständig - dadurch gegeben, dass auch ein Stück Knochen implantiert wird. Die zweite Möglichkeit ist die Implantation eines rein künstlichen Penoides. Beide Varianten sind aber weder von der Funktionalität noch im Aussehen mit einem echten Penis zu vergleichen, was nicht nur in intimen, sondern auch in verschiedenen alltäglichen Lebenssituationen problematisch sein kann, man denke nur an eine Gemeinschaftsdusche. Seine Motivation, eine solche Operation nach langem Überlegen dann doch durchführen zu lassen, beschreibt ein FzM-Transexueller folgendermaßen:
Es war mir nicht wichtig, penetrieren zu können – dass dies bei dieser versprochenen Größe nicht möglich sein würde, war mir von Anfang an klar. Das Einzige was ich wollte, war ein annähernd männliches Geschlechtsorgan, um mich z.B. beim Sport in einer Umkleidekabine ohne aufzufallen umziehen zu können. Wichtig wäre mir auch gewesen, endlich im Stehen urinieren zu können, da dieses ein typisch männliches Privileg ist, doch auch dies wird mir wahrscheinlich verwehrt bleiben.[59]
Vachundas Untersuchungsergebnisse zeigen allerdings deutlich,
dass die chirurgische Behandlung – auch wenn sie keine ideale und endgültige Lösung des Problems darstellt – für die Mehrheit der FzM Transsexuellen einen wesentlichen lindernden und verbessernden Einfluss auf ihre zuvor häufig konfliktreichen Lebensverhältnisse hatte.[60]
4.1.4. Ergänzende medizinische Maßnahmen
Neben der geschlechtsanpassenden Operation und eventuell notwendigen Folgeoperationen gibt es noch eine Reihe von medizinischen Maßnahmen, die viele transsexuelle Menschen im Zuge ihrer Geschlechtsanpassung durchführen lassen. Für so gut wie jeden MzF-Transsexuellen stellen Körperbehaarung und Bartwuchs ein großes Problem dar. Wenigstens im Gesichtsbereich lassen sie daher Epilationen durchführen, was jedoch eine langwierige und auch teure Maßnahme ist, die in aller Regel nicht von der Krankenkasse bezahlt wird. Wenn durch die Hormontherapie das Brustwachstum nicht in ausreichendem Maß eingesetzt hat, entscheiden sich einige MzF-Transsexuelle für Brustimplantate. Um die tiefe männliche Stimme loszuwerden, lassen einige eine Kehlkopfoperation durchführen. Andere lehnen eine solche Operation als zu gefährlich massiv ab und versuchen mit logopädischen Maßnahmen, ihre Stimme höher zu klingen zu lassen.
Für FzM-Transsexuelle stellt die Brust ein großes Problem dar, die sie oft operativ entfernen lassen.
4.2. PSYCHOTHERAPEUTISCHE BEGLEITUNG
Es besteht heute Einigkeit darüber, dass die medizinische Behandlung in Form von Hormontherapie, geschlechtsanpassender Operation und weiteren medizinischen Maßnahmen nicht ohne psychologische und/oder psychotherapeutische Begleittherapie erfolgen sollte. Diese stellt somit neben der medizinischen Behandlungen einen wesentlichen Punkt in der Therapie transsexueller Menschen dar. Seitdem sich das Bewusstsein der Notwendigkeit einer interdisziplinären, umfassenden Begleitung transsexueller Menschen in Fachkreisen allgemein durchgesetzt hat, ist eine enge Kooperation zwischen den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen und der psychologischen und/oder psychotherapeutischen Begleitung state of the art. So ist zwar heute die alte Konfrontation Psychotherapie versus Operation weitgehend überwunden[61], die Festmachung des Phänomens Transsexualität an medizinischen Konstrukten auch seitens der Psychologie wird etwa bei Vachudas Frage, welche PsychotherapeutInnen wohl geeignet wären, deutlich, wenn sie sagt:
Bei der Konsultation eines Psychotherapeuten ohne Basis eines Medizin- oder Psychologiestudiums stellt sich allerdings die Frage, inwieweit das Fehlen wichtiger klinischer Aspekte in der Behandlung den weiteren Weg bzw. das Schicksal eines Patienten beeinflusst.[62]
Da eine Psychotherapie, um erfolgreich zu sein, freiwillig und unter Mithilfe des Klienten durchgeführt werden sollte, ist eine rechtlich verpflichtende Psychotherapie für transsexuelle Menschen als Teil des rechtlich vorgeschriebenen Procederes der Geschlechtsanpassung umstritten, da ihr diese unersetzlichen Voraussetzungen oft fehlen. In der Regel nämlich „hält sich ein Transsexueller nicht (mehr) für ‚abnormal’ und krank, nur wir anderen tun dies. Daher hat er natürlich nicht die nötige Motivation für eine Therapie.“[63] Die meisten, so stellt Vachuda in ihrer Untersuchung fest, „wollen nur ein positives Gutachten, vielleicht noch ein paar Informationen, sehen die Behandlung aber sonst als Zwangsberatung.“[64] In einer solchen kommt es dann oft zu Komplikationen. Diese
Komplikation in der Therapie mit transsexuellen Personen besteht darin, daß sich doch nur ein geringer Patientenkreis auf eine tiefergehende Psychotherapie einläßt. Für die Mehrheit ist klar, daß sie die Psychotherapie machen ‚müssen’, um ein Gutachten für die geschlechtsanpassende Operation zu erhalten.[65]
4.3. RECHTLICHE FRAGESTELLUNGEN
Während zwar viele, aber nicht alle transsexuellen Menschen ihr körperliches Erscheinungsbild ihrem empfundenen Geschlecht weitestgehend anpassen wollen, gibt es ein Ziel, das alle Transsexuellen Menschen anstreben: Sie wollen gesellschaftlich und rechtlich im neuen Geschlecht wahrgenommen und akzeptiert werden. Dabei lassen normative Vorstellungen über das menschliche Geschlecht im Rechtsdiskurs ihren „Wunsch nach einem ‚Geschlechtswechsel’ zu einem ‚Phänomen’ werden, auf das (...) auch das Recht mit Normalisierungspraktiken“[66] reagiert. Denn für „das Recht, und nicht nur für dieses, ist die Existenz von nur zwei Geschlechtskategorien, männlich und weiblich, eine Grundtatsache, ein nicht weiter hinterfragbares Faktum und Bestandteil der Natur“[67], in das das Phänomen Transsexualität Unordnung bringt.
Die Änderung des rechtlichen Geschlechts nach einer operativen Geschlechtsumwandlung ist daher „darauf ausgerichtet, Individuen, welche die klar gezogene Linie zwischen den Geschlechtern überschreiten, wieder in eine rechtlich erfassbare Kategorie einzuordnen.“[68] Dabei werden sonst nicht ausgesprochene Grundannahmen der Gesetzgebung und des Rechtssystems und seiner VertreterInnen über Geschlechterrollen und Geschlechtsidentität explizit sichtbar.
Jede Rechtsordnung muss sich „entscheiden, wie sie mit der bei der Transsexualität auftretenden Diskrepanz zwischen Anschein oder Begehren der betroffenen Person und dem bei Geburt vorgenommenen Registereintrag umgehen will.“[69] Dabei nimmt das Recht „Stellung zur Frage nach dem Wesen und der Bedeutung von ‚Geschlecht’ und ‚Zweigeschlechtlichkeit’“, wodurch „der Beitrag des Rechts zur sozialen Konstruktion des Geschlechts“[70] sichtbar wird.
Auf Initiative von Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft in Berlin konnten bereits ab Beginn der 1920er Jahre weibliche und männliche Transvestiten ihre Vornamen mit behördlicher Genehmigung in geschlechtsneutrale Vornamen wie Alex, Toni oder Gert ändern lassen. Diesen Regelungen folgten erste Transsexuellengesetze in einzelnen US-Bundesstaaten, etwa 1961 in Illinois, 1967 in Arizona, 1968 in Louisiana.
Das erste Gesetz in einem europäischen Land, das die zivilrechtlichen Voraussetzungen und Folgen einer Geschlechtsumwandlung regelte, trat 1972 in Schweden in Kraft. 1980 folgte Deutschland mit dem „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG)“, das am 1.1.1981 in Kraft trat, dem schwedischen Vorbild, 1982 tat dies Italien, 1985 die Niederlande und 1988 die Türkei. Heute ist es unbestritten, dass Transsexualität
auch international ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil in der Rechtsdiskussion ist (...). Trotzdem haben – und das zeigt die Sensibilität dieser Thematik – bis jetzt nur wenige Staaten, u.a. Deutschland, Italien, die Niederlande, Schweden und die Türkei eine ausdrückliche gesetzliche Regelung; die meisten Staaten stehen einer solchen noch abwartend gegenüber.“[71]
Aus medizinischer Sicht ist es dabei
von herausragendem Interesse, dem individuellen Patienten gerecht zu werden, wozu die Richtlinien eine Hilfestellung bieten. Ihre Intention wird jedoch ins Gegenteil verkehrt, wenn sie als bürokratische Regelwerke mißverstanden und entsprechend appliziert werden.[72]
In einigen europäischen Ländern kann man schon zu Beginn des Alltagstests, also noch vor einer geschlechtsanpassenden Operation, mit passendem Vornamen und adäquaten Dokumenten leben, in Großbritannien gab es 2005 einen großen Liberalisierungsschub. Hier wird nun die Geburtsurkunde unabhängig von etwaigen Operationen geändert, eine psychologische Begutachtung ist dafür ausreichend. Die genauen rechtlichen Regelungen in Österreich werden im nächsten Kapitel erörtert, an dieser Stelle sei lediglich noch darauf verwiesen, dass die österreichischen Regelungen zwar nicht so weitgehend sind wie diese neuen Regelungen in Großbritannien, dass sie aber dennoch deutlich besser sind als die vieler anderer europäischer Länder. So gibt es in Frankreich etwa nicht die Möglichkeit, sich Methoden und durchführende Personen der medizinischen und psychotherapeutischen Behandlung selbst auszuwählen. In Irland und Portugal kann der Personenstand selbst nach einer geschlechtsanpassenden Operation nicht geändert werden.
4.4. TRANSSEXUALITÄT OHNE OPERATION
Die Möglichkeit einer geschlechtsanpassenden Operation stellt wie gesagt für viele transsexuelle Menschen eine dank der medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte mittlerweile recht brauchbare Möglichkeit dar, ihr körperliches Erscheinungsbild weitgehend dem empfundenen Geschlecht anzupassen.
Dennoch, es gibt viele transsexuelle Menschen, die diesen langen und mühsamen Weg, der, wie später noch zu zeigen sein wird, einem sehr genau rechtlich geregelten und bürokratisch organisierten Procedere folgt, nicht gehen wollen oder nicht gehen können. Gründe dafür gibt es viele. So sind manchen die operativ zu erreichenden Ergebnisse nicht überzeugend genug, was gerade bei FzM Transsexuellen oft der Fall ist. Andere lehnen die hier zum Ausdruck kommende Mann-Frau-Dichotomie generell ab, sehen sich also als Mensch zwischen den Geschlechtern und wollen sich weder biologisch noch sozial einem der beiden Kategorien Mann-Frau zuordnen lassen. Für wieder andere sind die rechtlichen Voraussetzungen und Folgewirkungen einer solchen Geschlechtsanpassung problematisch, etwa, wenn nach österreichischem Recht nach der geschlechtsanpassenden Operation und vor der Personenstandsänderung eine bestehende Ehe geschieden werden muss. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die transsexuelle Person selbst, sondern auf ihr gesamtes Familiensystem und alle Angehörigen (vgl. Kapitel 6.4.). Wieder andere wollen oder können sich, etwa bedingt durch bestehende Krankheiten, fortgeschrittenes Alter oder einen schlechten allgemeinen Gesundheitszustand, nicht auf die körperlich sehr belastende hormonelle und/oder chirurgische Behandlung einlassen.
Vor einigen Jahren noch wurde die Bezeichnung „transsexuell“ vor allem für jene Menschen verwendet, die eine solche geschlechtsanpassende Operation hinter sich oder geplant hatten, während jene, die sich dafür entschieden, ohne diese Behandlungen im anderen Geschlecht zu leben als „Transgenderpersonen“ bezeichnet wurden. Diese Unterscheidung war nie allgemeingültig und heute gilt der Begriff „transgender“ eher als ein Überbegriff für alle Menschen, die jenseits der strengen Mann-Frau-Dichotomie leben. Monro etwa verwendet den Begriff “‘transpeople’ to cover both transsexual and transgender people and ‘trans’ to cover transsexuality and transgender.”[73]
Es ist wichtig, die Offenheit all dieser Begrifflichkeiten zu betonen, die natürlich im Gegensatz zum Interesse der Medizin steht, detailliert definierte Begriffe einzuführen. Wie in Kapitel 8. zu zeigen sein wird, ist aber Geschlecht bei weitem nicht so eindeutig wie das die geläufigen Kategorien Mann und Frau suggerieren und gerade „transpeople“ sprengen klassische Geschlechtergrenzen. Der Begriff „Transsexualität“ ist für Johnson „open to self-definition through personal suffering”[74], auch wenn die Medizin wie gesagt bestimmte Symptomkriterien konstruiert hat statt „any candidate’s self-defined condition“[75] zu akzeptieren.
So leben heute viele Transgenderpersonen, und ich verwende nun, nach den medizinischen Überlegungen zum Thema Transsexualismus, einheitlich nur noch diesen Begriff, seit Jahren in der ersehnten Geschlechtsrolle, ohne sich einer Hormonbehandlung zu unterziehen oder eine solche ohne anschließende geschlechtsanpassende Operation durchführen. Sie kleiden sich geschlechtsspezifisch, betonen in Aussehen, Frisur und Habitus ihr innerlich empfundenes Geschlecht und leben eine diesem entsprechende Rolle in ihrem Alltag, so gut ihnen dies möglich ist. Auf Probleme, die sich hierbei stellen, werde ich in Kapitel 9.4.1. noch näher eingehen.
4.5. TRANSSEXUALITÄT – KRANKHEIT ODER MINDERHEIT ?
Bisher wollten Transgenderpersonen hauptsächlich in ihrer neuen Geschlechterrolle, ihrer ihrem biologischen Geschlecht entgegengesetzten Identität anerkannt werden. In diesem Bemühen zeigte es sich aber oft, dass das
völlige Hinüberwechseln in das andere Geschlecht eine Fiktion ist. Die Befreiung aus dem ungeliebten Körper und die schmerz- und opferreiche Anpassung an eine neue Norm erweist sich für viele als Ausdruck ein und desselben unterdrückenden Geschlechtersystems. Das Ziel, als dem neuen Geschlecht zugehörig durchzugehen, und im täglichen Leben nicht als transsexuelle Person aufzufallen, ist besonders für Mann-zu-Frau-Transsexuelle schwierig, und kann nur von wenigen erreicht werden.[76]
So unterzog „der Transsexualismus (...) sich einem Wandel, gemeinsam mit der medizinischen Sichtweise dieses Phänomens.“[77] Volkmar Sigusch[78] etwa, der 1979 noch 12 Leitsymptome der Transsexualität publiziert hatte, die er später aber teilweise revidieren musste, plädiert heute für eine Enttotalisierung und Entpathologisierung der Transsexualität. Man sollte, so sagt er, transsexuelle Personen eher als entstehende Minderheit denn als Kranke betrachten und die als „normal“ angesehene Übereinstimmung von biologischem Geschlecht und psychischer Identität in Frage stellen[79]. Diese Sichtweise trug ihm neben einiger Zustimmung auch Kritik ein.
[...]
[1] Esquirol, Jean-Etienne-Dominique. Die Geisteskrankheiten in Beziehung zur Medizin und Staatsarzneikunde. Berlin:
Verlag der Voss’schen Buchhandlung, 1838.
[2] Vgl. hierzu: Laqueur, Thomas. Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis
Freud. Frankfurt a. M.: Campus, 1992.
[3] Greif, Elisabeth. Doing Trans/Gender. Rechtliche Dimensionen.. Linz: Trauner, 2005; S. 19.
[4] Greif: S. 20.
[5] Ebenda.
[6] Greif: S. 21.
[7] Ebenda.
[8] Greif: S. 31.
[9] Ebenda.
[10] Greif: S. 32.
[11] Ebenda.
[12] Ebenda.
[13] Vachuda, Katharina. Charakteristische Parameter Frau-zu-Mann Transsexueller vor und nach der chirurgischen
Behandlung. Wien: Diplomarbeit an der Universität Wien, 1997; S. 3.
[14] Hirschfeld, Magnus. Die Transvestiten. Berlin: Pulvermacher, 1910; S. 5.
[15] Unter „cross-dressing“ versteht man das Tragen von Kleidung, die typischerweise dem nicht-eigenen biologischen
Geschlecht entspricht.
[16] Vitale, Anne. "Gender Dysphoria: Treatment Limits and Options”. In: Notes on Gender Role Transition. Online-
Publikation : http://www.avitale.com/treatmentoptions.htm (20.12.2005).
[17] Benjamin, Harry. “Transsexualism and transvestism as psychosomatic somato-psychic syndromes“. In : American
Journal of Psychotherapy, No 8, 1954; page 219-230.
[18] Benjamin, Harry. The Transsexual Phenomenon. New York: Julian Press, 1966. Zit. n. Vitale (20.12.2005).
[19] Ebenda.
[20] Vachuda: S. 5.
[21] WHO. International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems. 10th Revision. (ICD 10). Zit. n.
ICD-online: http://www3.who.int/icd/vol1htm2003/fr-icd.htm (15.12.2005).
[22] Ebenda.
[23] Pfäfflin, Friedemann. „Zur Diagnose ‚Transsexualität’“. In: Trotsenburg, Michael van / LKH Mödling (Hg.). Erstes
österreichisches interdisziplinäres Symposium „Transsexualismus“ 26./27. Februar 1999 AKH Wien. Referateband.
Mödling: LKH Mödling, 1999; S. 16-18; S. 16.
[24] Ebenda.
[25] Pfäfflin: S. 17.
[26] Pfäfflin: S. 17.
[27] Greif: S. 47.
[28] Vachuda: S. 8.
[29] Sigusch, Volkmar. „Transsexualismus. Forschungsstand und klinische Praxis“. In: Der Nervenarzt Nr. 68, 11/1997;
S. 870-877.
[30] Fischl: , Franz H. „Allgemeines“. In: Fischl, Franz H. / Vlasich, Elisabeth (Hg.). Transsexuell – Transgender: Der Weg
ins andere Geschlecht. Ein Leitfaden für Betroffene, Angehörige und Ärzte. Gablitz: Krause&Pachernegg, 1998;
S. 9- 10; S. 9.
[31] Fischl: S. 9.
[32] Vlasich, Elisabeth. „Der systemische Ansatz in der Psychotherapie transsexueller Personen“. In: Trotsenburg, Michael
van / LKH Mödling (Hg.). Erstes österreichisches interdisziplinäres Symposium „Transsexualismus“ 26./27. Februar
1999 AKH Wien. Referateband. Mödling: LKH Mödling, 1999; S. 48-52; S. 49.
[33] Vachuda: S. 6 f.
[34] Pfäfflin: S. 17.
[35] Ebenda.
[36] Pfäfflin: S. 18.
[37] Sigusch 1997.
[38] Osburg, Susanne / Weitze, Cordula. „Betrachtungen über zehn Jahre Transsexuellengesetz“. In: Recht und Psychiatrie,
Nr. 11, 1993; S. 94-107; zit. n. http://www.westwerk.de/aidshilfe-mg/ts-forum/23.htm#Prävalenzraten (30.12.2005).
[39] Osburg/Weitze: S. 94-107.
[40] Vachuda: S. 86.
[41] Sigusch 1997.
[42] Raviola, Christina. „Zur Problematik des Transsexualismus“. In: Psychotherapie Forum Nr. 3/2, 1995; S. 72-74.
[43] Wilhelm, Wolfgang. “Auch eine starke Minderheit braucht Schutz! Zur Frage der Diskriminierung von Lesben,
Schwulen und Transgenderpersonen und der notwendigen Antidiskriminierungsmaßnahmen“. In: stimme von und für
Minderheiten, Nr. 37, IV 2000, S. 10-11; S. 10.
[44] Sigusch 1997.
[45] Osburg/Weitze. Zit. n. http://www.westwerk.de/aidshilfe-mg/ts-forum/23.htm#Prävalenzraten (30.12.2005).
[46] Vachuda: S. 44.
[47] Vachuda: S. 6 f.
[48] Pfäfflin: S. 17.
[49] Greif: S. 45.
[50] McFarlane, Delphine. “Unseen Genders: Looking for the Orlando Effect”. In: Haynes, Felicity/McKenna, Tarquam
(Ed.). Unseen Genders. Beyond the Binaries. New York: Peter Lang Publishing, 2001; p. 19-27; p. 20.
[51] Hepp, Urs / Klaghofer, Richard / Burkhard-Küler, R./ Buddeberg, Claus. „Behandlungsverläufe transsexueller Patienten.
Eine katamnestische Untersuchung“. In: Der Nervenarzt 03/2002, Nr. 73; S. 283-288. Zit. n.
http://transray.com/db/db.php?i=1.186 (30.12.2005).
[52] Green, Jamison. “The Art and Nature of Gender”. In: Haynes, Felicity / McKenna, Tarquam (Ed.). Unseen Genders.
Beyond the Binaries. New York: Peter Lang Publishing, 2001; p. 59-70; p. 65.
[53] Vachuda: S. 153.
[54] More, Sam Dylan. “Gender as (Native) Language. In: Haynes, Felicity / McKenna, Tarquam (Ed.). Unseen Genders.
Beyond the Binaries. New York: Peter Lang Publishing, 2001; p. 169-180; p. 176.
[55] Fahrner, Eva-Maria / Kockott, Götz / Duran, Gabriele. „Die psychosoziale Integration operierter Transsexueller“. In:
Der Nervenarzt, Nr. 58, 1987; S. 340-348. Zit. n. http://transray.com/db/db.php?i=1.186 (29.11.2005).
[56] Hepp/Klaghofer/Burkhard/Buddeberg. Zit. n. http://transray.com/db/db.php?i=1.186 (30.11.2005).
[57] Ebenda.
[58] Vachuda: S. 64.
[59] Mike. “ Ein kleiner Penis und doch so große Probleme, die man(n) nur mit viel Sarkasmus überleben kann”. Online-
Publikation: http://www.trans-sexuell.info (7.1.2006)
[60] Vachuda: S. 149 f.
[61] Sigusch 1997.
[62] Vachuda: S. 46.
[63] Vachuda: S. 49.
[64] Vachuda: S. 49 f.
[65] Vlasich: S. 52.
[66] Greif: S. 1.
[67] Büchler, Andrea / Cottier, Michelle. „Transgender-Identitäten und die rechtliche Kategorie Geschlecht – Potenzial der
Gender Studies in der Rechtswissenschaft“. In: Frey Steffen, Therese / Rosenthal, Caroline / Väth, Anke (Hg.). Gender
Studies. Wissenschaftstheorien und Gesellschaftskritik. Würzburg: Königshausen&Neumann, 2004; S. 223-231; S. 223.
[68] Frey Steffen, Therese / Rosenthal, Caroline / Väth, Anke (Hg.). Gender Studies. Wissenschaftstheorien und
Gesellschaftskritik. Würzburg: Königshausen&Neumann, 2004; S. 16.
[69] Büchler/Cottier: S. 223.
[70] Büchler/Cottier: S. 224.
[71] Wagner, Helga. „Rechtliche Lage in Österreich“. In: Trotsenburg, Michael van / LKH Mödling (Hg.). Erstes
österreichisches interdisziplinäres Symposium „Transsexualismus“ 26./27. Februar 1999 AKH Wien. Referateband.
Mödling: LKH Mödling, 1999; S. 8-11; S. 8.
[72] Pfäfflin: S. 18.
[73] Monro, Surya. “Gender Love and Gender Freedom”. In: Haynes, Felicity / McKenna, Tarquam (Ed.). Unseen Genders.
Beyond the Binaries. New York: Peter Lang Publishing, 2001; p. 157-165; p. 157.
[74] Johnson, Katherine. “Studying Transsexual Identity”. In: Haynes, Felicity / McKenna, Tarquam (Ed.). Unseen Genders.
Beyond the Binaries. New York: Peter Lang Publishing, 2001; p. 143-155; p. 143.
[75] Johnson: p. 144.
[76] Büchler/Cottier: S. 228.
[77] Vachuda: S. 22.
[78] Sigusch, Volkmar. „Medizinischer Kommentar zum Transsexuellengesetzt”. In: Neue Juristische Wochenschrift, Jhg.
1980, Nr. 50; S. 2740-2745.
[79] Sigusch, Volkmar. „Die Transsexuellen und unser nosomorpher Blick. Teil 1: Zur Enttotalisierung des
Transsexualismus. Teil II: Zur Entpathologisierung des Transsexualismus“. In: Zeitschrift für Sexualforschung 4, 1991;
S. 225-256 und S. 309-343.
- Arbeit zitieren
- MAS Mag. Wolfgang Wilhelm (Autor:in), 2006, Supervision und Coaching zwischen den Geschlechtern. Eine empirische Untersuchung bei Transgender-Personen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63036
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