Carl Schmitt war ein Meister der Begriffsbildung. Seine Fähigkeit polemische, sich ins Gedächtnis haftende Formeln an die Hand zu liefern, ist sicher ein, wenngleich nicht der entscheidende Umstand für die umfassende Rezeptionsgeschichte seines Oeuvres. Die Schmittsche Definition der Souveränität zählt zweifellos in diese Kategorie. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Schmitt 1993, 11) Mit dieser einprägsamen Formulierung beginnt Schmitt seine Politische Theologie, um in dieser selbst festzustellen, dass Souveränität „nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmonopol, sondern als Entscheidungsmonopol“ zu definieren ist (Schmitt 1993, 19). Dieses Entscheidungsmonopol scheint in einer Welt im Ausnahmezustand eine Renaissance zu erfahren, gerade dann, wenn wir uns die Worte des amerikanischen Präsidenten Goerge W. Bush nach dem Anschlag vom 11. September 2001 ins Gedächtnis rufen, mit denen er - ganz in schmittscher Tradition - die Welt in Freund und Feind teilte. Und diese Bipolarität scheint sich nun immer mehr zu verfestigen. In diesem Widerhall scheint sich die Formel der Souveränität, wie sie Schmitt anbietet, als eine postmoderne Lehre zu etablieren, die uns wieder genauer beschäftige sollte. Es bietet sich also an, den Souveränitätsbegriff Schmitts näher zu beleuchten, um die bipolar politische Welt unserer Zeit besser zu verstehen. Der folgende Essay widmet sich dieser Aufgabe und projeziert die schmittsche Idee von Souveränität auf die politische Folie der Gegenwart. Doch soll zunächst auf einen speziellen ideengeschichtlichen Bezug in Schmitts Theorie eingegangen werden, zu dem sich Parallelen ziehen lassen, nämlich zum Souveränitätsbegriff bei Jean Bodin.
Die Souveränität wird von Bodin als „absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt“ verstanden (Bodin 1981, 205) . Es geht Bodin vorrangig darum, eine mit höchster Gewalt ausgestattete staatliche Autorität zu legitimieren, die imstande ist, die Bürgerkriegs-
situationen zu beenden und einen Friedens- und Rechtszustand - ohne Rücksicht auf die verschiedenen Meinungen darüber - herbeizuführen. Um die Parallelen zur Definition von Schmitt zu erkennen, ist es wichtig vor allem den Aspekt der Herstellung von Ordnung zu betrachten. Wenn wir uns den von Schmitt vorgeschlagenen Begriff des Ausnahmezustandes heranziehen - und als nichts anderes ist ein Bürgerkrieg zu begreifen -, so erkennen wir die schmittsche Formel durchaus wieder.
Carl Schmitt war ein Meister der Begriffsbildung. Seine Fähigkeit polemische, sich ins Gedächtnis haftende Formeln an die Hand zu liefern, ist sicher ein, wenngleich nicht der entscheidende Umstand für die umfassende Rezeptionsgeschichte seines Oeuvres. Die Schmittsche Definition der Souveränität zählt zweifellos in diese Kategorie.
„Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ (Schmitt 1993, 11) Mit dieser einprägsamen Formulierung beginnt Schmitt seine Politische Theologie, um in dieser selbst festzustellen, dass Souveränität „nicht als Zwangs- oder Herrschaftsmono- pol, sondern als Entscheidungsmonopol“ zu definieren ist (Schmitt 1993, 19). Dieses Entscheidungsmonopol scheint in einer Welt im Ausnahmezustand eine Renaissance zu erfahren, gerade dann, wenn wir uns die Worte des amerikanischen Präsidenten Goerge W. Bush nach dem Anschlag vom 11. September 2001 ins Gedächtnis rufen, mit denen er - ganz in schmittscher Tradition - die Welt in Freund und Feind teilte. Und diese Bipolarität scheint sich nun immer mehr zu verfestigen. In diesem Widerhall scheint sich die Formel der Souveränität, wie sie Schmitt anbietet, als eine postmoderne Lehre zu etablieren, die uns wieder genauer beschäftige sollte. Es bietet sich also an, den Souve- ränitätsbegriff Schmitts näher zu beleuchten, um die bipolar politische Welt unserer Zeit besser zu verstehen. Der folgende Essay widmet sich dieser Aufgabe und projeziert die schmittsche Idee von Souveränität auf die politische Folie der Gegenwart. Doch soll zunächst auf einen speziellen ideengeschichtlichen Bezug in Schmitts Theorie eingegang- en werden, zu dem sich Parallelen ziehen lassen, nämlich zum Souveränitätsbegriff bei Jean Bodin.
Die Souveränität wird von Bodin als „absolute und zeitlich unbegrenzte Gewalt“ verstanden (Bodin 1981, 205) . Es geht Bodin vorrangig darum, eine mit höchster Gewalt ausgestattete staatliche Autorität zu legitimieren, die imstande ist, die Bürgerkriegs- situationen1 zu beenden und einen Friedens- und Rechtszustand - ohne Rücksicht auf die verschiedenen Meinungen darüber - herbeizuführen. Um die Parallelen zur Definition von Schmitt zu erkennen, ist es wichtig vor allem den Aspekt der Herstellung von Ordnung zu betrachten. Wenn wir uns den von Schmitt vorgeschlagenen Begriff des Aus- nahmezustandes heranziehen - und als nichts anderes ist ein Bürgerkrieg zu begreifen -, so erkennen wir die schmittsche Formel durchaus wieder. Die Absichten beider Theo- retiker, die sie mit ihren gleichartigen Definitionen herauszustellen suchten, münden dann ebenfalls in gleicher Schlussfolgerung: der Legitimierung der territorialen Staatsgewalt in der Hand eines dem Recht entbundenen, übergeordneten Herrschers zum Zwecke der Wiederherstellung von Ordnung und Einsetzung von Recht.
Das dieser Herrscher dem Recht entbunden und übergeordnet ist, zeigt sich sodann im Ausnahmezustand. Auch hier ließ sich Schmitt von Bodin inspirieren und kommt wie dieser zum Schluss, dass im Notfall keine Verpflichtung des Souveräns gegenüber dem Volk besteht (Schmitt 1993, 15f). Diese Feststellung manifestiert sich in der prägnanten These, dass staatliche Autorität „um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht.“ (Schmitt 1993, 19). Dieser Schritt scheint nur allzu logisch, denn wo keine verpflich- tende Verfassung besteht - und im Ausnahmezustand besteht laut Schmitt eine solche nicht (Schmitt 1993, 19) -, ist auch keine Bindung des Herrschers an Recht oder Ver- pflichtung gegeben. Es stellt sich mithin die Frage, ob dann eine Verfassung als im schmittschen Sinne souverän bezeichnet werden kann. Ich sage nein. Wenn sich nämlich das Wesen des Souveräns erst durch den Ausnahmezustand definiert und im Ausnahme- zustand die Verfassung außer Kraft gesetzt ist, muss der Souverän sich in einer unbe- grenzten und unteilbaren Einheit darstellen, die sogar der Verfassung übergeordnet ist. Die Verfassung wird alsdann vom Souverän gesetzt, wenn der Zustand der Normalität wiederhergestellt ist.
Somit erhält jede Ordnung ihre Bedeutung erst durch den Ausgangspunkt, an dem sie mittels einer Dezision gesetzt wurde. Dies wiederum führt zu dem Schluss, dass die Norm nicht nur durch Entscheidung außer Kraft gesetzt werden kann, sondern dieser auch ihr Dasein verdankt, was nichts anderes bedeutet, als dass jede Norm, schluss- endlich immer der Macht der Entscheidungsgewalt des Souveräns unterworfen ist.
Um das Konstrukt des Ausnahmezustandes in einen aktuellen Rekurs stellen zu können, ist es zunächst noch notwendig, auf die von Schmitt vorgenommene Freund-Feind- Unterscheidung einzugehen, mit der er den Begriff des Politischen eingrenzt (Schmitt 1991). Denn meiner Meinung nach sind beide Aspekte der Theorie Schmitts nur als eine Art pas de deux zu betrachten, wenn man die globale politische Unordnung unserer Tage mit Schmitts Überlegungen zum engen Verhältnis von Souveränität und Ausnahmezu- stand zu erklären versucht. Wie bereits gezeigt, ist der Ausnahmezustand ein die Ordnung und das Recht aussetzender Status quo, in dem der Herrscher niemandem verpflichtet ist. Wenn man also die postmoderne politische Unordnung als den zu untersuchenden Ausnahmezustand ansieht, wie ich es in diesem Essay vorhabe, ist es wichtig herauszu-
stellen, dass diesem Status eine Freund-Feind-Unterscheidung vorangeht, die, wie Schmitt anführt, die „reale Möglichkeit des Kampfes“ zur Folge haben muss, „damit von Politik gesprochen werden kann“ (Schmitt 1991, 32). Und da nun laut Schmitt die Entscheidung über den Ausnahmefall vom Souverän, d.h. vom Herrscher getroffen wird, liegt auch die Unterscheidung wer Freund und wer Feind ist in seinen Händen. Ich setze also voraus, dass der ausgebrochene Kampf zwischen Freund und Feind mit dem Aus- nahmezustand gleichzusetzen ist und gehe gleichzeitig davon aus, dass dieser Ausnahme- zustand erst nach einer entsprechenden Dezision - wer ist Freund und wer ist Feind - eintreten kann. Somit sollte klar werden, weshalb ich eine Verknüpfung der Freund- Feind-Unterscheidung und dem Begriff des Ausnahmzustandes für sinnvoll erachte.
Bis in die Mitte der achtziger Jahre war eine Freund-Feind-Unterscheidung, wie sie Schmitt für den Begriff des Politischen vorschlägt, allgegenwärtig - der Osten gegen den Westen, das Aufeinanderprallen zweier Ideologien: Kapitalismus gegen Sozialismus bzw. Kommunismus. Das dabei die reale Möglichkeit des Kampfes, sprich eines dritten Welt- krieges, inbegriffen war, muss hier nicht näher betont werden. Mittelstreckenraketen an der kubanischen Küste waren Beispiel genug. Und auch auf nichtstaatlicher Ebene fand die Bipolarität der Ideologien ihren Ausdruck. Zum Einen formierte sich die Bewegung der neuen Linken, gerade auch in kapitalistischen Ländern, ausgehend von Amerika, zu einem weltumspannenden Gegenpol des kapitalistischen Systems (Enzensberger, 2004). Und zum Anderen lieferte eine neue Form des Krieges die ideologischen Vorbilder für eben jene antikapitalistischen Systemgegner. Von ihnen bewundert wurden vor allem die Revolutionäre Ernesto Che Guevara und Mao Zedong, um hier nur zwei Namen zu nennen. Ihre Taktik und Methodik war die Geburtstunde des modernen Guerilla kampfes, der nicht auf zwischenstaatlicher Ebene stattfand, sondern in dem sich vielmehr zwei ungleichartige Kombattanten gegenüber standen.
Ob nun zwischenstaatlich oder nicht, beide Formen trugen einen Charakter in sich, der sie in ideengeschichtlicher Hinsicht vereinte: es wurde jeweils die Unterscheidung zwischen Freund und Feind getroffen und die reale Möglichkeit des Kampfes einge- schlossen. Das ein, zumindest globaler, Ausnahmezustand verhindert wurde, impliziert lediglich, dass in meiner vorgeschlagenen Verknüpfung zwar eine Freund-Feind- Entscheidung dem Ausnahmezustand vorausgehen muss, jedoch muss die Folge dieser Dezision nicht zwingend der Ausnahmezustand sein. Dies folgt auch ganz der
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1 Hier sind vor allem die konfessionellen Bürgerkriege des 16. und 17. Jahrhunderts gemeint.
- Arbeit zitieren
- Marcus Guhlan (Autor:in), 2006, Carl Schmitt und der globale Ausnahmezustand - Zur Aktualität einer etatistischen Theorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63010
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