Ist es für türkische Jugendliche schwieriger, in Deutschland Freunde zu finden, sich einer Gruppe Gleichaltriger, einer sogenannten peer group anzuschließen und zuge-hörig zu fühlen? Bleiben türkische Jugendliche unter sich oder bilden sie inter-ethnische Gruppen? In wieweit können sie ihre Freiheiten ausleben, und haben sie überhaupt welche? Treten interkulturelle Probleme, Konflikte auf? Das sind Fragen, die mich sehr interessieren und mich dazu bewogen haben, einen Kurzbericht zu diesem Thema zu verfassen.
Immer wieder stößt man in der Fachliteratur auf Begriffe wie den der Gleichaltrigen-gruppe oder den der peer group. Mit Beginn der Pubertät ziehen die Jugendlichen einen großen Teil ihres Interesses, aber auch ihrer Bewunderung und ihrer Zunei-gung von den Eltern ab. In der Familie mussten die Beziehungen nicht erst mühsam erarbeitet werden, sie waren biologisch und sozial gegeben. In der peer group hin-gegen müssen die Beziehungen erst hergestellt werden, sie sind aufgegeben.
Neue Rollen zu erproben, mit sozialen Herausforderungen zu experimentieren, neue Freundschaften zu schließen – und wieder zu beenden -, einen neuen Status in Gruppen zu erwerben, dominieren und nachgeben, Verantwortung übernehmen und sich anvertrauen, geben und nehmen, aushandeln und beharren – all dies zu lernen sind Chancen und Risiken des neuen Experimentierfeldes peer group.
In meiner Ausarbeitung gebe ich zunächst eine kurze Definitionserläuterung, be-schäftige mich dann mit der Bedeutung, Formen, Entwicklungsaufgaben und Funk-tionen von peer groups sowie deren Belastungsfaktoren und vergleiche peer-Beziehungen und familiäre Beziehungen und beende diesen theoretischen Teil mit einer Untersuchung zu inter-ethnischen Freundschaften. Im darauf folgenden Kapitel führe ich eigene Untersuchungen anhand eines Interviews und diversen anderen Gesprächen mit Jugendlichen durch und komme im Anschluss daran zu einem persönlichen Schlusswort.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Definition: peer group
1.1 Die Bedeutung von peer groups im historischen Kontext
1.2 Gruppierungsformen von peers im Jugendalter
1.3 Entwicklungsaufgaben, Funktionen und Belastungsfaktoren innerhalb der peer group
1.4 Vergleich „peer-Beziehungen – familiäre Beziehungen“
1.5 Freundschaften zwischen deutschen und nicht-deutschen Jugend- lichen
2. Interview mit Jugendlichen: Fragen / Methoden
2.1 Auswertung
3. Fazit / Schlussfolgerung
4. Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort
Es gibt bereits viele Untersuchungen über peer groups. Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theoriebildung, möchte ich meine eigenen Erfahrungen und Untersuchungen zu dieser Thematik vorstellen.
Zudem ist es schwierig, ein so umfangreiches Thema in ein paar wenigen Sätzen zu dokumentieren. Daher habe ich auch nicht alle Bereiche, die sich mit p eer groups in Verbindung bringen lassen, angesprochen.
Ich danke den drei Mädchen (zwei 14; eins 13 Jahre alt) aus der compass AG (Erklärung siehe 2.1 Auswertung, Seite 12), die sich bereit erklärt haben, Fragen in einem Interview zu beantworten. Mein Anliegen ist es nicht, aus diesem Interview eine allgemein gültige Statistik zu erstellen oder eine zentrale Aussage zu formu-lieren. Dazu bedarf es weit mehr. Vielmehr möchte ich dazu beitragen, dass (diese) Jugendliche in ihrer „Welt“ Beachtung finden. Es ist sehr interessant, was diese drei Jugendlichen in wenigen Worten zu sagen haben.
Einleitung
Ist es für türkische Jugendliche schwieriger, in Deutschland Freunde zu finden, sich einer Gruppe Gleichaltriger, einer sogenannten peer group anzuschließen und zuge-hörig zu fühlen? Bleiben türkische Jugendliche unter sich oder bilden sie inter-ethnische Gruppen? In wieweit können sie ihre Freiheiten ausleben, und haben sie überhaupt welche? Treten interkulturelle Probleme, Konflikte auf? Das sind Fragen, die mich sehr interessieren und mich dazu bewogen haben, einen Kurzbericht zu diesem Thema zu verfassen.
Immer wieder stößt man in der Fachliteratur auf Begriffe wie den der Gleichaltrigen-gruppe oder den der peer group. Mit Beginn der Pubertät ziehen die Jugendlichen einen großen Teil ihres Interesses, aber auch ihrer Bewunderung und ihrer Zunei-gung von den Eltern ab. In der Familie mussten die Beziehungen nicht erst mühsam erarbeitet werden, sie waren biologisch und sozial gegeben. In der peer group hin-gegen müssen die Beziehungen erst hergestellt werden, sie sind aufgegeben.
Neue Rollen zu erproben, mit sozialen Herausforderungen zu experimentieren, neue Freundschaften zu schließen – und wieder zu beenden -, einen neuen Status in Gruppen zu erwerben, dominieren und nachgeben, Verantwortung übernehmen und sich anvertrauen, geben und nehmen, aushandeln und beharren – all dies zu lernen sind Chancen und Risiken des neuen Experimentierfeldes peer group.
In meiner Ausarbeitung gebe ich zunächst eine kurze Definitionserläuterung, be-schäftige mich dann mit der Bedeutung, Formen, Entwicklungsaufgaben und Funk-tionen von peer groups sowie deren Belastungsfaktoren und vergleiche peer-Beziehungen und familiäre Beziehungen und beende diesen theoretischen Teil mit einer Untersuchung zu inter-ethnischen Freundschaften. Im darauf folgenden Kapitel führe ich eigene Untersuchungen anhand eines Interviews und diversen anderen Gesprächen mit Jugendlichen durch und komme im Anschluss daran zu einem persönlichen Schlusswort.
1. Definition: Peer group
Der amerikanische Begriff „peer“ stammt ursprünglich aus dem Lateinischen (par = gleich) und lässt sich nicht ins Deutsche übersetzen.
In der Pubertät finden sich junge Menschen zu Gruppen Gleichgesinnter und Gleich-altriger zusammen, der sogenannten peer group. Der Fachbegriff kommt aus der Soziologie[1] und geht auf Charles H. Cooley (1864-1929) zurück, der das Konzept der „Primärgruppe“[2] entwickelte. Die Forschungsarbeiten der Soziologie zur peer group basieren darauf, dass Jugendliche ein sehr starkes Interesse an Gruppen von Gleichaltrigen haben. Einige Forscher schätzen den Einfluss der peer group für Jugendliche größer ein, als die Beeinflussung durch die Eltern oder Familie. Die ungefähre Gleichheit der Personen bezieht sich auf das Alter, den Rang, den Status und den Stand der Persönlichkeitsentwicklung. Die Beziehungen beruhen auf Frei-willigkeit. Das heißt, es sind junge Menschen, die die gleichen Sorgen, Wünsche, Ängste, Werte und Vorstellungen haben. Es ist eine Flucht von zu Hause und eine Rebellion gegen das Zuhause. Die Vergangenheit, die Kindheit, soll ausgelöscht, aber doch auch bewahrt bleiben. Es ist eine Zeit, in der sie sich bestimmten Ent-wicklungsaufgaben (siehe 1.3 Entwicklung, Entwicklungsaufgaben und Bela-stungsfaktoren innerhalb der peer group; Seite 4) stellen müssen. Peer groups sind neben Familie, Schule und Arbeitswelt das entscheidende Sozialisationsfel: Ort der Selbstsozialisation.
1.1 Die Bedeutung von peer groups im historischen Kontext
Schon immer haben junge Menschen, Gleichaltrige, Freundschaften miteinander geschlossen, sich getroffen, zu einer Gruppe zusammengetan. 1962 gaben 16,2 % der Jugendlichen an, einer informellen Gruppe[3] anzugehören; 1983 waren es schon 56,9 %. Heute gehören knapp 70 – 80 % einer Clique an.
Darüber hinaus werden Fragen diskutiert, ob peer groups nur eine Erscheinung in modernen Industriegesellschaften sind, oder eine Konstante im Erziehungsprozess. Es wurden aber keine eindeutigen Antworten auf diese Fragen gefunden. Heute ge-hören Gleichaltrigenbeziehungen zu den wichtigsten Forschungsgebieten der Humanwissenschaften[4].
Zusammenfassend kann man sagen, dass peer groups vor allem in den letzten 30 Jahren ein entscheidendes Thema in der Literatur und der Wissenschaft wurden.
1.2 Gruppierungsformen von peers im Jugendalter
Im Jugendalter gibt es unterschiedliche Gruppierungsformen, zu denen sich junge Menschen zusammenschließen wie zum Beispiel:
- Freunde, Bekannte:
- bestehend aus mindestens zwei Personen
- emotionale Beziehung
- Abgrenzung gegenüber familiären Beziehungen
- Clique:
- eine Gruppe mit zumeist fünf bis zehn Personen
- Zusammensetzung meist gleichgeschlechtlich
- es wird viel Zeit miteinander verbracht, um gemeinsam einer Anzahl von verschiedenen Aktivitäten nachzugehen
- Beziehungen innerhalb der Clique müssen nicht die Nähe von Freundschaften aufweisen, dennoch mögen und schätzen sich die Mitglieder meist wechselseitig
- Crowd:
- eine größere Gruppe mit zumeist mehr als zehn Personen
- die interne Verflechtung ist weniger eng
- die Zeit, die in Crowds verbracht wird, ist meistens geringer als in der Clique
- eine wesentliche Funktion ist es, gegengeschlechtliche Kontakte zu erleichtern
- Bande:
- eine Gruppe mit ungefähr drei Personen
- Kinder ® hecken meist einen Streich aus
- Jugendliche (und älter) ® geht über Streiche hinaus, meist kriminelle Handlungen
Und nicht zuletzt natürlich die peer group an sich.
1.3 Entwicklungsaufgaben, Funktionen und Belastungs-faktoren innerhalb der peer group
Die peer group ist eine bedeutsame Ressource zur Bewältigung der Entwicklungs-aufgaben der Jugendphase und des jugendlichen Alltags. Junge Menschen sind auf der Suche nach sich selbst. Sie sind anfällig für alles Extreme. Sie sind keine Kinder mehr, aber auch längst noch nicht erwachsen. Die Übergangsphase führt nicht selten zu Unsicherheiten. Jugendliche haben auf dem Weg zum Erwachsenwerden eine Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten zu meistern. So fragen sie sich nicht nur nach dem Sinn des eigenen Lebens, sondern müssen ihren Platz innerhalb der Ge-sellschaft finden. Dass sie dabei nicht nur mit Unterstützung und Verständnis durch ihre erwachsenen Mitmenschen rechnen können, weiß jeder aus seinen Erfahrungen der eigenen Jugendphase. Der Jugendliche macht sich auf eine „Reise“. Er sucht Antworten auf seine Fragen, sucht die Anerkennung innerhalb der peer group, ist ständig neuer Entscheidungen und Erwartungen ausgesetzt. Er muss sich in dieser Zeit bestimmten „Entwicklungsaufgaben“ stellen.
Eine „Entwicklungsaufgabe“ ist nach Robert J. Havighurst (1900-1991)[5] eine Auf-
gabe, die sich in einer bestimmten Lebensperiode dem Individuum stellt. Sie wird als Bindeglied im Spannungsfeld zwischen individuellen Bedürfnissen und gesell-schaftlichen Anforderungen definiert. Ihre erfolgreiche Bewältigung führt zu Glück und Erfolg, während Versagen das Individuum unglücklich macht, auf Ablehnung in der Gesellschaft stößt und Schwierigkeiten bei der Bewältigung späterer Arbeiten macht, das heißt Entwicklungsaufgaben gliedern den Lebenslauf und geben Sozialisationsziele vor wie zum Beispiel:
- Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung und effektive Nutzung des Körpers
- eine männliche / weibliche soziale Rolle einnehmen
- Verantwortungsbewusstsein / Erwerb sozial verantwortlichen Verhaltens
- Erwerb emotionaler Unabhängigkeit von den Eltern und anderen Erwachsenen / Entwicklung der ICH-Identität, das heißt die Herausbildung eines individuellen, eigenständigen Selbstverständnisses
- Vorbereitung auf eine berufliche Karriere
- eigene Werte und ein ethisches System errichten und danach leben
Neben diesen genannten Entwicklungsaufgaben können Belastungsfaktoren die Jugendlichen vor Schwierigkeiten stellen wie zum Beispiel:
- Trennung der Eltern
- Wohnortwechsel
- Schulwechsel
- materielle Einschränkungen
Jungen und Mädchen haben ähnliche Entwicklungsaufgaben, unterscheiden sich jedoch andererseits wieder voneinander. Havighurst unterscheidet drei Quellen der Entwicklungsaufgaben. Ich möchte diese mit einigen Beispielen (Vergleich Junge / Mädchen) auflisten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anders ausgedrückt:
- biologische, individuelle Leistungsfähigkeit (= physische Reife: was KANN ich erreichen?)
- sozio-kultureller Druck bzw. Entwicklungsnorm (= Erwartungen der Gesell-schaft: was SOLL ich erreichen?) und
- individuelle Zielsetzung (= eigene Erwartungen: was WILL ich erreichen?)
Die Stellung des Jugendlichen zwischen Kindes- und Erwachsenenrolle ist einer der wichtigsten Faktoren für die seelische Entwicklung während dieser Zeit.
[...]
[1] Soziologie: (gr., lat.) = Gemeinschaftslehre; Gesellschaftswissenschaft
[2] Primärgruppe: Ist eine Gruppe, in der der Mensch als erstes Mitglied wird, wie es in der Familie der Fall ist. Der Kontakt in dieser Gruppe ist vorwiegend emotional und persönlich bestimmt. Durch die kleine Gruppengröße wird die gegenseitige Beeinflussung gefördert und so entwickeln sich ähnliche Einstellungen, Werte und Normen.
[3] informelle Gruppe: Ist im Gegensatz zur „formellen Gruppe“ eine soziale Gruppe (= Ansammlung von mindestens drei Personen), die sich mehr oder weniger spontan (auf Freiwilligkeitsbasis) gebildet hat, und weder über formale Strukturen, noch über festgelegte Ziele verfügt.
[4] Humanwissenschaften: Darunter versteht man alle Wissenschaftsgebiete, die sich mit dem Menschen als Forschungsobjekt befassen, wie zum Beispiel Medizin, Anthropologie (= Wissenschaft vom Menschen und der Menschheit), Pädagogik, Psychologie u. s. w.
[5] Robert J. Havighurst: amerikanischer Sozialwissenschaftler, ursprünglich deutscher Abstammung, der in den 1940er Jahren in Chicago/USA als Erziehungswissenschaftler tätig war.
- Quote paper
- Sabine Klatt (Author), 2006, Formen und Funktion von "Peer Groups", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62860
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