In der Medienwissenschaft gab es vor allem in den 60er und 70er Jahren Diskurse um das Phänomen "Identifikation" auf der Basis der Freudschen Psychoanalyse, die jedoch Einzelerscheinungen blieben und alsbald erstarben. "Filmpsychologie und insbesondere der Mechanismus der Identifikation [...] werden allerdings heute noch kaum diskutiert, und auch die Geschichte der Filmrezeption als Wirkungsgeschichte und die Geschichte der Filmwirkungsforschung [...] stehen kaum noch zur Debatte." (Faulstich 2002, S.14) Jedoch ist in den letzten Jahren eine Trendwende zu beobachten, so dass im Bereich der Medienpsychologie alte Thesen und Methoden wieder aufgegriffen, auf ihre Haltbarkeit geprüft, eventuell erweitert und neue Thesen und Methoden entwickelt werden (vgl.: Mangold; Vorderer; Bente 2004. Lehrbuch der Medienpsychologie.). Die Diskussionen bezüglich des Prozesses der Identifikation entfernen sich von der Psychoanalyse und werden psychologischer. Dennoch müssen in der vorliegenden Arbeit, welche den medienpsychologischen Diskurs aufgreifen soll, zunächst die psychoanalytischen Thesen Freuds und Lacans betrachtet werden, da diese die Basis filmwissenschaftlicher Untersuchungen zu dem Mechanismus der Identifikation bilden. Zuvor wird eine kurze Erklärung des hier zu behandelnden Gegenstands gegeben, um dann dessen Verwendung in den Geisteswissenschaften, insbesondere in der Medienwissenschaft darzulegen. Im zweiten Kapitel wird dann der Frage nachgegangen, wie und unter welchen Voraussetzungen Identifikation im Film stattfinden kann.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Begriff der Identifikation
1.1 Definition
1.2 Identifikation als Konzept der Psychoanalyse
1.3 Die bewusste Identifikation in ihrer Bedeutung für die Theaterwissenschaft
1.4 Der Prozess der Identifikation als Gegenstand der Medienwissenschaft
2 Identifikationsmöglichkeiten im Film
2.1 Erhöhung des Identifikationsangebots durch filmische Mittel Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
0 Einleitung
Identifikationen sind Teil unseres Alltags. Ob auf realer oder fiktiver Ebene, im Gespräch mit einem Menschen, beim Lesen eines Buches, beim Schauen eines Films oder einer Fernsehsendung identifizieren wir uns meist unbewusst mit anderen Menschen und deren Beweggründen oder mit Situationen, in denen sie sich befinden. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich mit dem Anderen Berührungspunkte bzw. Gemeinsamkeiten finden lassen. So können wir mit einer Figur oder Person mitempfinden, indem wir uns aufgrund unserer eigenen, ähnlichen Erfahrung in den Anderen hineinversetzen. Identifikation ist also ein sinnlich symbolischer Prozess, kognitiv sowie emotional, und setzt ein Wissen um die reale Person oder die mediale Figur voraus.
Dieser Mechanismus ist Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen vor allem in der Psychoanalyse, die sich mit Identifikationen von realen Menschen, besonders in ihren krankhaften Erscheinungen beschäftigt. Aber auch für die Literatur- und Medienwissenschaft bzw. für die Filmpsychologie ist das Phänomen der Identifikation ein interessantes Forschungsfeld, da hier der Prozess in erster Linie mit fiktiven Figuren stattfindet.
In der Medienwissenschaft gab es vor allem in den 60er und 70er Jahren Diskurse um das Phänomen Identifikation auf der Basis der Freudschen Psychoanalyse, die jedoch Einzelerscheinungen blieben und alsbald erstarben.
„Filmpsychologie und insbesondere der Mechanismus der Identifikation [...] werden allerdings heute noch kaum diskutiert, und auch die Geschichte der Filmrezeption als Wirkungsgeschichte und die Geschichte der Filmwirkungsforschung [...] stehen kaum
noch zur Debatte.“ (Faulstich 2002, S.14)
Jedoch ist in den letzten Jahren eine Trendwende zu beobachten, sodass im Bereich der Medienpsychologie alte Thesen und Methoden wieder aufgegriffen, auf ihre Haltbarkeit geprüft, eventuell erweitert und neue Thesen und Methoden entwickelt werden (vgl.: Mangold; Vorderer; Bente 2004. Lehrbuch der Medienpsychologie.). Die Diskussionen bezüglich des Prozesses der Identifikation entfernen sich von der Psychoanalyse und werden psychologischer.
Dennoch müssen in der vorliegenden Arbeit, welche den medienpsychologischen Diskurs aufgreifen soll, zunächst die psychoanalytischen Thesen Freuds und Lacans betrachtet werden, da diese die Basis filmwissenschaftlicher Untersuchungen zu dem Mechanismus der Identifikation bilden. Zuvor wird eine kurze Erklärung des hier zu behandelnden Gegenstands gegeben, um dann dessen Verwendung in den Geisteswissenschaften, insbesondere in der Medienwissenschaft darzulegen. Im zweiten Kapitel wird dann der Frage nachgegangen, wie und unter welchen Voraussetzungen Identifikation im Film stattfinden kann.
1 Der Begriff der Identifikation
1.1 Definition
Das Wort Identifikation entstammt dem Lateinischen und bedeutet dort gleichsetzen. In unserem heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff zweideutig angewandt. Zunächst ist im Sinne von Identifizierung eine Feststellung der Echtheit vorwiegend eines Subjektes gemeint. Etwas wird als existent erkannt und benannt bzw. identifiziert. Zum anderen handelt es sich bei Identifikation um eine mental vollzogene Gleichsetzung mit einer anderen Person unter der Voraussetzung, dass gemeinsame Eigenschaften oder Einstellungen vorhanden sind. Es vollzieht sich demnach ein Akt der Einfühlung in einen anderen, dessen Empfindungen nachvollzogen werden können, da diese selbst empfunden werden und ist demnach nur dann erfolgreich, wenn im Vergleich mit dem anderen Gemeinsamkeiten festgestellt werden können (vgl. hierzu: Mikos 2003, S.166). Identifikationen finden zunächst im Kindesalter statt, wobei die ersten Bezugspersonen die Eltern sind. Später bestimmen persönliche Einstellung durch individuelle Erfahrungen, also die Lebenshintergründe und/ oder gesellschaftliche Verhältnisse den Prozess der Identifikation. Aber auch eine Orientierung an sozialen sowie an Geschlechterrollen ist von Bedeutung. Je höher die Identifikation mit einer Person ist, desto größer kann die Bereitschaft werden, nach ihrem Vorbild zu handeln. Die Person wird in einem emotionalen Verstehen ihrer Beweggründe folglich nachgeahmt. Entwicklungspsychologisch sind Identifikationen demnach unerlässlich, da sie vor allem im Kindes- und Jugendalter Orientierungshilfen bieten. Das Kleinkind verinnerlicht Verhaltenskonzepte der Eltern in zum Beispiel interagierenden Situationen mit anderen Personen und erlernt somit mögliche Handlungsmuster, die es befähigen, in entsprechenden Situationen ähnlich zu operieren.
Jedoch ist der Begriff der Identifikation als Konzept wissenschaftlich äußerst umstritten, da er schwer erfassbar, schon gar nicht messbar und kaum empirisch nachweisbar ist. Dessen ungeachtet ist der Prozess der Identifikation für die Psychoanalyse sowie für die Theater- und Filmwissenschaft von besonderer Bedeutung, wobei jede der Wissenschaften andere Akzente legt, wie im Folgenden dargelegt wird.
1.2 Identifikation als Konzept der Psychoanalyse
In der Psychoanalyse wird vor allem nach der unbewussten Identifikation mit real existenten Personen gefragt. Dabei wird der Fokus auf übermäßige Identifikationen als Krankheitsbild gelegt. Sigmund Freud leistete wissenschaftliche ,Pionierarbeit’ auf diesem Gebiet, indem er die seit jeher bekannte Erscheinungsform der Identifizierung mit einer oder mehreren Personen bzw. die Identifikation mit affektbestimmten Begebenheiten, in denen sich diese Personen befinden, beschrieb und diese bei psychisch Erkrankten in ihrem extremsten Vollzug beobachtete. Demnach beziehen sich seine Ausführungen hauptsächlich auf Erfahrungen mit Hysterikern bzw. emotional Verstörten.
Zunächst stellte er fest, dass erstmals Identifikation im Kindesalter mit den Eltern und später mit Gleichaltrigen stattfindet und somit den entwicklungspsychologisch zeitigsten Akt der emotionalen Bindung an eine andere Person bildet (Freud 1993, S.66; vgl. auch: Reh 1986, S.56):
„Die eigentliche Periode, in der die Identifizierung sich voll entfaltet [ist] die Zeit des werdenden Ichs [...]. Alle später auftauchenden Formen [der Identifikation] stellen eine Rückkehr zu dieser ersten [...] Form dar, in der beweglich einfühlend und mitfühlend das andere Wesen [die Mutter oder der Vater] erfaßt wird.“ (Zit. nach:
Reh 1986, S.57)
Wenn in dieser wichtigen Zeit der persönlichen Entfaltung, unterstützt durch erste emotionale Identifikationen, traumatische Erlebnisse erfahren werden, kann die natürliche Ich-Entwicklung extrem gestört werden und die Hauptursache für spätere Neurosen bzw. Psychosen bilden. So betrachtete Freud die psychischen Mechanismen der Identifizierung und auch der Projektion sowie Introjektion vom Ich ausgehend, die unter anderen als Abwehrreaktionen unter traumatischen Umständen eingeordnet werden können.
Im Wesentlichen unterscheidet Freud, neben der Identifizierung in der Melancholie und der Identifizierung mit der Mutter im Falle der männlichen Homosexualität, welche hier keine Beachtung finden sollen, drei verschiedene Typen von Identifikation.
Der erste ist der Typus der primären Identifizierung, welcher die oben bereits erwähnte früheste Gefühlsbindung des Kindes an eines der Elternteile, insbesondere des Jungen an den Vater, beschreibt. Thanos Lipowatz formuliert dies in seinem Aufsatz über den „Begriff der Identifizierung bei Freud und Lacan“ wie folgt:
„Es ist die Identifizierung »aus der Vorgeschichte des Ödipuskomplexes«, bei der das noch nicht existierende »Ich« sich mit dem Vater total identifiziert, sich ihm unterwirft, indem es ihn zum Vorbild, zum Ideal nimmt, also so sein will wie der
Vater, und ihn nicht als Objekt »haben« will.“ (Lipowatz 1999, S.173)
Diese erste Identifikation vollzieht sich nach Freud in der „oralen Phase“ durch „Einverleibung“ und ist in der „ödipalen Phase“ rein trieborientiert (vgl. Lipowatz 1999, S.173).
Die sekundäre Identifizierung, welche sich auf beide Elternteile bezieht, ist dabei partiell, indem das Ich abwechselnd die eine oder andere Person nachahmt. Es werden jeweils nur einzelne Charaktereigenschaften imitiert, daher ist diese Art der Identifikation eine beschränkte mit regressivem Charakter (vgl. Freud 1993, S.68f.).
„Er [der Knabe] zeigt also dann zwei psychologisch verschiedene Bindungen, zur Mutter eine glatt sexuelle Objektbesetzung, zum Vater eine vorbildliche Identifizierung. [...] Die Identifizierung ist eben von Anfang an ambivalent, sie kann sich ebenso zum Ausdruck der Zärtlichkeit wie zum Wunsch der Beseitigung
wenden.“ (Freud 1993, S.67)
Diese zweite Identifizierung bedingt den „Ödipuskomplex“ des Knaben, der eine feindliche Gesinnung dem Vater gegenüber entwickelt, weil mit dem Wunsch, identisch mit ihm zu sein, der Vater einer Identifizierung mit der Mutter im Wege steht (Freud 1993, S.67).1
Die dritte Form beschreibt die Identifizierung ohne libidinöses Objektverhältnis zur imitierten Person. Freud beschreibt diese Form am Fall der Mädchen in einem Pensionat (Freud 1993, S.69), bei der sich ein Akt der „Einfühlung“ in den anderen vollzieht. Mitgefühl und Sympathie entstehen nach Freud jedoch erst in Folge der Identifizierung, welche zum Symptom, vom eigenen Ich produziert und avanciert (Freud 1993, S.69; vgl. auch: Lipowatz 1999, S.174). Freud fasst diese drei Fälle folgendermaßen zusammen:
„Das aus diesen drei Quellen Gelernte können wir dahin zusammenfassen, daß erstens die Identifizierung die ursprünglichste Form der Gefühlsbindung an ein Objekt ist, zweitens daß sie auf regressivem Wege zum Ersatz für eine libidinöse Objektbindung wird, gleichsam durch Introjektion des Objekts ins Ich, und daß drittens bei jeder neu wahrgenommenen Gemeinsamkeit mit einer Person, die nicht Objekt der Sexualtriebe ist, entstehen kann. Je bedeutsamer diese Gemeinsamkeit ist, desto erfolgreicher muß diese partielle Identifizierung werden können [...].“ (Freud 1993, S.69)
1) Freuds Theorien im Ganzen und insbesondere der „Ödipuskomplex“ wurden immer wieder kritisiert und mehrfach widerlegt. So ist es doch schwer vorstellbar, dass ein Junge im Kleinkindalter das unbewusste Bestreben hat, den Vater beiseite zu schaffen, um seine Mutter ungestört sexuell begehren zu können. Zudem wird Freud unglaubwürdig, wenn festzustellen ist, dass er Behauptungen aufstellt, ohne diese zu belegen oder gar zu überprüfen. So stützte er die Theorie des „Ödipuskomplexes“, indem er behauptete, Vatermord und Mutterinzest seien „die beiden großen Verbrechen [...], die einzigen, die in primitiven Gesellschaften als solche verfolgt und verabscheut werden“ (zit. nach: Marenzi 2000, S.74), obwohl nachzuweisen ist, dass Inzest in archaischen Gesellschaften und naturverbundenen Ethnien eher unbeachtet blieben und andere Verbrechen schwerer geahndet wurden. Vgl. hierzu: Marenzi 2000.
Jacques Lacan, ein Schüler von Freud, griff diese grundlegenden Gedanken auf und erweiterte sie. Er stellte fest, dass die Beschaffenheit des Ichs imaginärer Natur ist und seine erste Ausprägung im „Spiegelstadium“ entsteht (vgl. Lipowatz 1999, S.180). Dabei ist der Begriff des Imaginären neben dem des Realen und dem Symbolischem eine der drei Grundkategorien des psychoanalytischen Konzepts Lacans (Kappelhoff 2003, S.136). Das Spiegelstadium kennzeichnet die Beziehung des Subjekts zu sich selbst, als wahrgenommenes Abbild bzw. Spiegelbild, das durch Identifikation zur Konstruktion der „Ich-Identität“ bzw. des „Ideal-Ichs“ beiträgt, welches frei von gesellschaftlichen Determinationen ist und keine Mängel aufweist (Lacan 1991, S.64; vgl. auch Kappelhoff 2003, S.137; Lipowatz 1999, S.180). Das „Spiegelstadium“ ist nach Lacan ein Entwurf primärer vorsprachlicher Identifikationsprozesse, welches die psychische Integrität sichert (Lacan 1991, S.64). In dieser Phase beginnt das Kleinkind, wenn man es vor einen Spiegel hält, eine Intuition des „Anderen“ zu entwickeln. In dieser kritischen Situation reagiert das Kind zugleich mit großer Freude, Aufmerksamkeit und einer Aversion sowie Aggression gegenüber diesem Anderen, der es gewissermaßen aus seinem ,Paradies’ vertreibt und als Rivale wahrgenommen wird (Lacan 1991, S.68). Dieses initialistische Spiegelstadium, das dem Subjekt eine erste Ahnung von sich selbst gibt, bedeutet, dass das Subjekt sich zuallererst als entfremdet erfährt und dann beginnt, sich mit dem Gegenüber zu identifizieren.
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- Arbeit zitieren
- Diana Riege (Autor:in), 2006, Der Begriff Identifikation in der Film- und Fernsehanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62827
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