Die indische Kaste ist politisch verboten und existiert aus diesem Grund höchstens nur noch in Form der „scheduled castes“ oder „scheduled tribes“, die im Algemeinen als Ausläufer der Kaste bezeichnet werden können. Das ist jedoch nur die offizielle Version, die dadurch statistisch bekräftigt wird, dass einfach so gut wie keine offiziellen Untersuchungen zum Thema Kaste stattfinden. Falls welche durchgeführt werden, dann sind sie vom lokalen Charakter und hauptsächlich durch ausländische Forscher. Diese Tatsache erleichtert nicht die Aufgabe indische soziale Verteilung nach dem Faktor Kaste zu erfassen. Die Darstellungen, die dazu gemacht werden, können nur fragmentarisch und exemplarisch sein. Einerseits kann die Institution Kaste nicht innerhalb eines Jahrhunderts verschwunden sein, wenn sie seit drei Jahrtausenden bestanden hat, andererseits „ist das Thema „Kastensystem“1 innerhalb breitester, nicht nur der führenden Kreise nahezu vollkommen tabuisiert“ (BRONGER 2000, S. 104). Daraus resultiert, dass innerhalb der indischen Gesellschaft ein wichtiger sozialer Faktor vorhanden ist, der auch durchaus berücksichtigt wird, allerdings in seinem gegenwärtigen Zustand kaum erforscht ist. Die letzte ganz Indien umfassende Untersuchung fand um das Jahr 1980 statt und trägt den Namen Mandal Report (s. Tabelle A1). Sie beschreibt die damalige Situation der Kaste in ganz Indien und stellt fest, dass es die Kasten durchaus noch gibt. Aber seither gibt es sie nicht mehr, denn was nicht erwähnt wird ist auch nicht existent. Allerdings wäre jeder Versuch die indische Sozialstruktur ohne den Begriff Kaste zu beschreiben nie komplett und umfassend. „Die wesentliche Ursache dieses Dilemmas liegt darin begründet, daß2 die Forschung infolge des Fehlens von interdisziplinär angelegten Reihenuntersuchungen, die die gesamten Merkmale in regional vergleichender Betrachtungsweise analysieren, die vielen Differenzierungen bislang hat nicht ausarbeiten, geschweige denn systematisieren können“ (BRONGER 1996, S. 244). Es lässt sich also kaum ein fundiertes Urteil über das Ausmaß des Einflusses der indischen Kaste auf die soziale Verteilung fällen. Unter diesen Umständen hat diese Arbeit keinen Anspruch auf eine Vollständigkeit, jedoch wohl einen auf Glaubwürdigkeit.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Persönliches Forschungsinteresse
2. Forschungsproblematik
II. Kaste als Idealtypus (zur Theorie des Begriffs)
1.Allgemeine Definition
a) Soziale Ungleichheit
b) Starre Hierarchie und soziale Mobilität
c) Zugehörigkeit und sozialer Status
d) Religiöse Legitimation
2. Indisches Kastensystem
a) Allgemeine Beschreibung
b) Varna
c) Jati
d) Verhältnis Varna-Jati
III. Kaste in der empirischen Realität
1. Geschichtliche Entwicklung des Kastensystems
2. Kaste heute
a) Wirtschaftssektor
b) Bildung
c) Religion
d) Politik
e) Zusammenfassung
IV. Kaste im geschichtlichen Wandel
1. Kaste als Modell vs. Prozess
2. Aktualität des Begriffes (Kaste vs. Klasse)
3. Gewagte Zukunftsprognose
I. Einleitung
1. Persönliches Forschungsinteresse
Das persönliche Forschungsinteresse bei dieser Arbeit hat mehrere Quellen. Erstens war ich schon seit langer Zeit an der hoch komplizierten Religion des Hinduismus und vor allem an dessen Mystik interessiert. Zweitens ist es meine grundlegende Neigung, mich mit schwierigen und entfernten Themen auseinanderzusetzen. Da ich bereits in Gesellschaften gelebt habe, die muslimisch, jüdisch und christlich geprägt waren, hat es sich angeboten, dieses mir noch vergleichsweise fremde Thema zu übernehmen. Als ich später angefangen habe, mich ernsthaft mit dem Kastenbegriff zu beschäftigen, war ich zuerst äußerst unsicher, ob es überhaupt möglich ist, sich mit einem so großen Thema im Rahmen einer Hausarbeit auseinanderzusetzen. Deswegen verfügt diese Hausarbeit zu einem großen Teil über einen deskriptiven Teil, der trotzdem stellenweise sehr abgekürzt ist, weil eine umfassende Beschreibung im Rahmen dieser Arbeit kaum möglich war. Es fehlen mir auch alle primären Erfahrungen mit der indischen Gesellschaft und deswegen kann ich wahrscheinlich den Geist der indischen Bevölkerung kaum nachvollziehen und beschreiben. Jedoch schien es mir aus den gelesenen Materialien, dass Indien ein sehr heterogenes Land ist und dass aufgrund seiner Größe und Vielfalt kaum ein gemeinsamer Geist herausgefiltert werden kann. Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass meine Beschäftigung mit der indischen Sozialstruktur meinen Lebenshorizont sehr erweitert hat und mir die Möglichkeit gegeben hat, andere mir bekannte Sozialstrukturen über einen Vergleich besser zu nachvollziehen.
2. Forschungsproblematik
Die indische Kaste ist politisch verboten und existiert aus diesem Grund höchstens nur noch in Form der „scheduled castes“ oder „scheduled tribes“, die im Algemeinen als Ausläufer der Kaste bezeichnet werden können. Das ist jedoch nur die offizielle Version, die dadurch statistisch bekräftigt wird, dass einfach so gut wie keine offiziellen Untersuchungen zum Thema Kaste stattfinden. Falls welche durchgeführt werden, dann sind sie vom lokalen Charakter und hauptsächlich durch ausländische Forscher. Diese Tatsache erleichtert nicht die Aufgabe indische soziale Verteilung nach dem Faktor Kaste zu erfassen. Die Darstellungen, die dazu gemacht werden, können nur fragmentarisch und exemplarisch sein. Einerseits kann die Institution Kaste nicht innerhalb eines Jahrhunderts verschwunden sein, wenn sie seit drei Jahrtausenden bestanden hat, andererseits „ist das Thema „Kastensystem“[1] innerhalb breitester, nicht nur der führenden Kreise nahezu vollkommen tabuisiert“ (Bronger 2000, S. 104). Daraus resultiert, dass innerhalb der indischen Gesellschaft ein wichtiger sozialer Faktor vorhanden ist, der auch durchaus berücksichtigt wird, allerdings in seinem gegenwärtigen Zustand kaum erforscht ist. Die letzte ganz Indien umfassende Untersuchung fand um das Jahr 1980 statt und trägt den Namen Mandal Report (s. Tabelle A1). Sie beschreibt die damalige Situation der Kaste in ganz Indien und stellt fest, dass es die Kasten durchaus noch gibt. Aber seither gibt es sie nicht mehr, denn was nicht erwähnt wird ist auch nicht existent. Allerdings wäre jeder Versuch die indische Sozialstruktur ohne den Begriff Kaste zu beschreiben nie komplett und umfassend. „Die wesentliche Ursache dieses Dilemmas liegt darin begründet, daß[2] die Forschung infolge des Fehlens von interdisziplinär angelegten Reihenuntersuchungen, die die gesamten Merkmale in regional vergleichender Betrachtungsweise analysieren, die vielen Differenzierungen bislang hat nicht ausarbeiten, geschweige denn systematisieren können“ (Bronger 1996, S. 244). Es lässt sich also kaum ein fundiertes Urteil über das Ausmaß des Einflusses der indischen Kaste auf die soziale Verteilung fällen. Unter diesen Umständen hat diese Arbeit keinen Anspruch auf eine Vollständigkeit, jedoch wohl einen auf Glaubwürdigkeit.
II. Kaste als Idealtypus (zur Theorie des Begriffs)
1. Allgemeine Definition
a) Soziale Ungleichheit
Soziale Ungleichheit oder Verteilung wird innerhalb der empirischen Sozialwissenschaften als natürlich und funktional notwendig angesehen. Ohne sie kann dieser Annahme zufolge die Gesellschaft nicht existieren. Die Gründe für die soziale Ungleichheit sind unterschiedlich. Die wichtigsten sind die körperliche Ungleichheit, die geistige Ungleichheit und in einer späteren Stufe daraus resultierend die Ungleichheit aufgrund der Geburt innerhalb einer sozialen Schicht. Da sich aber die sozialen Schichtungssysteme je nach Gesellschaft stark voneinander unterscheiden, gibt es für diese unterschiedliche Bezeichnungen. Diese richten sich meistens nach der Institution aus, welche die soziale Verteilung reproduziert. Eine solcher Institutionen ist die Kaste.
b) Starre Hierarchie und soziale Mobilität
Innerhalb der durch Institutionen errichteten Rangliste sind sowohl innerhalb eines Lebens als auch in einer geschichtlichen Entwicklung Wechsel und Veränderungen möglich und unausweichlich. Dieses Prinzip bezeichnet man als soziale Mobilität. Unterschiedliche Systeme der sozialen Ungleichheit verfügen über unterschiedlichen Grad an sozialer Mobilität. Innerhalb eines Kastensystems ist die soziale Mobilität im Vergleich zu den anderen Systemen besonders klein, deswegen kann hier von einer vergleichsweise starren Hierarchie der Kastengesellschaft die Sprache sein.
c) Zugehörigkeit und sozialer Status
Die Zugehörigkeit zu einer Kaste wird einem mit der Geburt mitgegeben. Verantwortlich dafür ist zumindest religiös gesehen der Glaube an die Wiedergeburt (s. unten in: Religiöse Legitimation). In der empirischen Wirklichkeit sind allerdings viele weitere Faktoren für die Bestimmung der Kastenzugehörigkeit wichtig. Es sind genau genommen alle Faktoren aus denen sich der soziale Status zusammensetzt, die über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste entscheiden. „Die Zugehörigkeit zu einer Kaste erkennt man an Namen, Beruf, Sprache, Tonfall, der Nuancierung der Hautfarbe, Eß-, Trink- und Kleidungsgewohnheiten und an den Sozialkontakten bis hin zum Heiratsverhalten. Letzteres ist endogam, d.h., nur Angehörige einer Kaste dürfen untereinander heiraten“ (Thieme 1998, S. 131). Der maßgebliche Faktor für die Bestimmung des sozialen Status ist die so genannte religiöse Reinheit oder Unreinheit. Diese bestimmt sich über den Kontakt mit „reinen“ oder „unreinen“ Gegenständen, wie z.B. Fäkalien, abgeschnittene Haare und Nägel aber auch Fleisch von Tieren. Es existiert eine Rangliste der Reinheit der Gegenstände, die mehr oder weniger für ganz Indien gilt.
d) Religiöse Legitimation
Da die Menschen das Ideal der Gleichheit aller Individuen haben, bedarf die soziale Ungleichheit einer Legitimation. Im Falle des Kastensystems ist diese Legitimation religiös bzw. spezifisch hinduistisch. Allerdings ist kaum eine Religion der Welt in ihrem Wesen so schwer zu erfassen wie der Hinduismus. Er besteht aus mehreren Religionsrichtungen, die auf unterschiedlichste Weisen miteinander verflochten sind. Das Kastensystem entstammt, religiös gesehen, dem Brahmanismus, erstreckt sich aber über alle anderen Religionsrichtungen, auch über nicht hinduistische, wie z.B. die Muslims oder Christen (vgl. Jürgenmeyer/Rösel 2000, S. 70). Deswegen kann an dieser Stelle nur eine kurze Vorstellung der Legitimation des Kastensystems erfolgen. Maßgeblich für das Verständnis der Legitimation ist der indische Mythos vom Ursprung der Kasten, der besagt, dass alle Menschen aus einem ersten Urriesen hervorgegangen sind. Die Brahmanen aus seinem Mund, Die Kshatrya aus seinen Armen, die Vaishya aus seinen Schenkeln und die Shudra aus seinen Füssen (s. unten in: Varna). Des Weiteren ist die Lehre von der Wiedergeburt sehr wichtig, der zufolge ein Wesen wiedergeboren wird in einem ewigen Kreislauf namens samsara. In diesem Kreislauf hat jedes Wesen seine Pflicht dharma zu erfüllen um somit positives karma für sein nächstes Leben anzusammeln und in diesem auf der sozialen Leiter aufzusteigen. Diese Lehre stellt gleichzeitig eine Handlungsanweisung und einen Kontrollmechanismus dar, denn jemand, der sein dharma nicht erfüllt, hat mit der Konsequenz des sozialen Ausschlusses zu rechnen.
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[1] Alle Hervorhebungen, Auslassungen, Einfügungen etc. sind durch den jeweiligen Verfasser sofern nicht besonders gekennzeichnet.
[2] Die Rechtschreibung ist bis auf die besonders gekennzeichneten Fehlerkorrekturen übernommen.
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- Server Purtov (Autor), 2004, Die indische Kaste - Die Aktualität des Begriffs im geschichtlichen Wandel , Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62750
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