1 Einleitung In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestanden in Europa mehr oder weniger nebeneinander unterschiedliche literarische Strömungen. Darunter gab es den Naturalismus und die dekadente Strömung. Beide entwickelten sich zunächst in Frankreich und breiteten sich danach allmählich in ganz Europa aus. Ansonsten waren diese Strömungen sehr verschieden, wenn nicht gar gegenläufig. Beide benutzten zur Verwirklichung ihrer Konzepte höchst unterschiedliche Formen und Mittel. In beiden existierte jedoch die Gattung des Dramas, auch wenn der Naturalismus diese Gattung auch um einiges mehr beanspruchte als die Décadence. Ziel dieser Arbeit ist es zunächst zu erarbeiten, welche Rolle das Drama in der jeweiligen literarischen Strömung spielte und welche Funktionen es übernahm und welche Formen es in Folge dessen hatte. Dabei wird der Begriff der Paradigmatisierung, der für die dekadente Dichtung zentral ist, eine wichtige Rolle spielen. Das Ergebnis der Paradigmatisierung des Dramas ist das dekadente lyrische Drama, mit dem sich diese Arbeit, so weit es die Décadence angeht, beschäftigen wird. Leider kann an dieser Stelle nicht auf Richard Wagner und sein Konzept des Gesamtkunstwerks eingegangen werden, das ebenfalls einen großen Einfluss auf die dekadente Literatur ausübte. Obwohl die Konzeptionen des Naturalismus und der Décadence sehr unterschiedlich sind, gibt es literarische Werke, in denen Merkmale beider Strömungen zu finden sind. Eines dieser Werke ist das Drama „Der Kirschgarten“1 (1903) von Anton Čechov (1860-1904). Obwohl es vornehmlich als naturalistisch gilt, möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen, dass sowohl seine Struktur, als auch seine inhaltliche Gestaltung dekadente Züge aufweisen. Dazu werden zunächst Kategorien eines dekadenten lyrischen Dramas anhand des Einakters „Gestern“2 (1891) von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) erarbeitet, um sie daraufhin auf „Der Kirschgarten“ anzuwenden. Um zu zeigen, dass die Struktur von „Der Kirschgarten“ dem dekadenten Drama näher ist, als dem naturalistischen, wird im Kapitel 3.2 neben den Strukturen der beiden schon genannten Dramen die Struktur des naturalistischen Stücks „Ein Puppenheim“3 (1879) von Henrik Ibsen (1828-1906) untersucht.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das naturalistische und das lyrische Drama
- Naturalismus
- Drama als minimetische Gattung
- Das naturalistische Drama
- Décadence
- Das lyrische Drama
- Naturalismus
- Vergleich von „Gestern“ und „Der Kirschgarten“
- Sprachliche und inhaltliche Ebene: Verlust der Einheit
- „Gestern“
- „Der Kirschgarten“
- Paradigmatisierung der Struktur
- Handlung und Geschehen
- Geschlossene und offene Form des Dramas
- „Ein Puppenheim“
- „Gestern“
- „Der Kirschgarten“
- Sprachliche und inhaltliche Ebene: Verlust der Einheit
- Literaturverzeichnis
- Primärtexte
- Sekundärtexte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Vergleich der Dramen „Der Kirschgarten“ von Anton Čechov und „Gestern“ von Hugo von Hofmannsthal unter dem Aspekt der Paradigmatisierung. Dabei werden die Rolle des Dramas im Naturalismus und in der dekadenten Strömung sowie die Funktionen und Formen des Dramas in beiden literarischen Strömungen untersucht.
- Die Funktion des Dramas im Naturalismus und in der Décadence
- Der Begriff der Paradigmatisierung und seine Bedeutung für die dekadente Literatur
- Das lyrische Drama als Ergebnis der Paradigmatisierung
- Der Vergleich von „Der Kirschgarten“ und „Gestern“ hinsichtlich ihrer Struktur und ihrer inhaltlichen Gestaltung
- Die Untersuchung der Struktur des Dramas „Ein Puppenheim“ von Henrik Ibsen als Vergleichspunkt für die Analyse von „Der Kirschgarten“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und erläutert die verschiedenen literarischen Strömungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere den Naturalismus und die Décadence. Sie stellt das Ziel der Arbeit vor, nämlich die Rolle des Dramas in den beiden Strömungen zu analysieren und das Konzept der Paradigmatisierung im Zusammenhang mit dem dekadenten lyrischen Drama zu beleuchten. Die Einleitung erläutert außerdem die Auswahl der Dramen „Der Kirschgarten“, „Gestern“ und „Ein Puppenheim“ für die Analyse.
Kapitel 2 behandelt den Naturalismus und das lyrische Drama. Der Naturalismus wird als eine literarische Strömung vorgestellt, die sich aus der Reflektion des aufstrebenden bürgerlich-materialistischen Kapitalismus und der Mittelklassedemokratie entwickelte. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Zeit, wie die Evolutionstheorie von Darwin und die Gesellschaftsanalyse von Marx, beeinflussten die Inhalte und Werte des Naturalismus. In diesem Kontext wird das Drama als eine Gattung betrachtet, die sich mit der Darstellung sozialer Milieus und der Individualisierung von Charakteren beschäftigt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der sozialkritischen Komponente des Naturalismus. Das lyrische Drama wird als ein Ergebnis der Paradigmatisierung des Dramas im Kontext der dekadenten Literatur vorgestellt, die sich durch eine veränderte Formsprache und eine Konzentration auf das Subjektive auszeichnet.
Kapitel 3 stellt einen Vergleich zwischen „Gestern“ und „Der Kirschgarten“ auf sprachlicher und inhaltlicher Ebene sowie unter dem Aspekt der Paradigmatisierung der Struktur dar. Die sprachliche und inhaltliche Ebene wird im Kontext des Verlustes der Einheit analysiert, während die Struktur des Dramas mit den Begriffen der Handlung und des Geschehens, der geschlossenen und offenen Form des Dramas sowie dem Vergleich mit „Ein Puppenheim“ beleuchtet wird.
Das Kapitel 4 befasst sich mit dem Literaturverzeichnis, das die Primärtexte und Sekundärtexte der Arbeit auflistet.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit befasst sich mit den literarischen Strömungen des Naturalismus und der Décadence, insbesondere mit der Rolle des Dramas in diesen Strömungen. Weitere zentrale Begriffe sind Paradigmatisierung, lyrisches Drama, sozialkritische Komponente, Individualisierung von Charakteren, Struktur und Inhalt. Die Analyse konzentriert sich auf die Dramen „Der Kirschgarten“, „Gestern“ und „Ein Puppenheim“ und untersucht deren sprachliche und strukturelle Merkmale im Kontext der jeweiligen literarischen Strömung.
- Quote paper
- Katharina Friesen (Author), 2006, Lyrisierung des Dramas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62586