Das Verhältnis von Religion und Politik in Indien ist ein Besonderes. Im Rahmen der Kolonialgeschichte wurde die Trennung von Religion und Politik von den britischen Kolonialherren eingeführt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage des Zusammenhangs von Hindunationalismus und Kolonialhistorie. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass für diesen Bezug hauptsächlich zwei Voraussetzungen zu nennen sind: die Entstehung des Nationalismus und des Kommunalismus. Diese beiden Ursachen verbanden sich und führten zu der besonderen Entwicklung des Hindunationalismus. Mit dieser Annahme beziehe ich mich auf den Autor Peter van der Veer, der die These einer engen Beziehung von Religion, Politik und Kolonialgeschichte vertritt. Die Zeit der Kolonialgeschichte untersuche ich am ausführlichsten, da die Arbeit die hindunationalistische Ursachenforschung in dieser Zeit thematisiert. Dennoch soll keine chronologische Lücke zwischen der Indischen Unabhängigkeit und den Ereignissen in Ayodhya entstehen.
Die Darstellung der Hintergründe und Kausalitäten der gewaltsamen Moscheestürmung in Ayodhya durch Hindunationalisten im Jahr 1992 wird einleitend der Grundfrage vorangestellt. Das Beispiel Ayodhya verwende ich, um einführend das Thema des Kommunalismus zu behandeln. Die Ausschreitungen 1992 entstanden im Zuge einer hindunationalistischen Entwicklung, die ihren Anfang beziehungsweise ihre Ursachen in der Kolonialzeit hatte. Den Begriff Ayodhya benutze ich in dieser Arbeit gewissermaßen alspars pro toto-Ayodhya steht für die Ausschreitungen im Jahr 1992 und somit für den Höhepunkt kommunalistischer Spannungen in Indien.
Um der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang der drei Faktoren Religion, Politik und Kolonialgeschichte nachzugehen, greife ich vor allem auf drei AutorInnen zurück. Peter van der Veer schreibt in seinem Artikel Religion in South Asia(2002) der Kategorie der Religion innerhalb kolonialer und postkolonialer Politik einen besonderen Stellenwert zu. Im Fokus des Aufsatzes History and Anthropology in South Asia: Rethinking the Archive(2000) von Saloni Mathur steht die Beziehung von Geschichte und Anthropologie in Südasien der letzten zwei Jahrzehnte.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ayodhya und Kommunalismus
2.1 Historische Bedeutung
2.2 Moschee-Zerstörung
3. Kolonialgeschichte und Ursachen des Hindunationalismus
3.1 Anfänge in der Kolonialzeit
3.2 Transformationen in der Zeit der Indischen Unabhängigkeit
3.3 Hindunationalismus in den 1980er Jahren
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Verhältnis von Religion und Politik in Indien ist ein Besonderes. Im Rahmen der Kolonialgeschichte wurde die Trennung von Religion und Politik von den britischen Kolonialherren eingeführt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage des Zusammenhangs von Hindunationalismus und Kolonialhistorie. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass für diesen Bezug hauptsächlich zwei Voraussetzungen zu nennen sind: die Entstehung des Nationalismus und des Kommunalismus. Diese beiden Ursachen verbanden sich und führten zu der besonderen Entwicklung des Hindunationalismus. Mit dieser Annahme beziehe ich mich auf den Autor Peter van der Veer, der die These einer engen Beziehung von Religion, Politik und Kolonialgeschichte vertritt. Die Zeit der Kolonialgeschichte untersuche ich am ausführlichsten, da die Arbeit die hindunationalistische Ursachenforschung in dieser Zeit thematisiert. Dennoch soll keine chronologische Lücke zwischen der Indischen Unabhängigkeit und den Ereignissen in Ayodhya entstehen.
Die Darstellung der Hintergründe und Kausalitäten der gewaltsamen Moscheestürmung in Ayodhya durch Hindunationalisten im Jahr 1992 wird einleitend der Grundfrage vorangestellt. Das Beispiel Ayodhya verwende ich, um einführend das Thema des Kommunalismus zu behandeln. Die Ausschreitungen 1992 entstanden im Zuge einer hindunationalistischen Entwicklung, die ihren Anfang beziehungsweise ihre Ursachen in der Kolonialzeit hatte. Den Begriff Ayodhya benutze ich in dieser Arbeit gewissermaßen als pars pro toto – Ayodhya steht für die Ausschreitungen im Jahr 1992 und somit für den Höhepunkt kommunalistischer Spannungen in Indien.
Um der Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang der drei Faktoren Religion, Politik und Kolonialgeschichte nachzugehen, greife ich vor allem auf drei AutorInnen zurück. Peter van der Veer schreibt in seinem Artikel Religion in South Asia (2002) der Kategorie der Religion innerhalb kolonialer und postkolonialer Politik einen besonderen Stellenwert zu. Im Fokus des Aufsatzes History and Anthropology in South Asia: Rethinking the Archive (2000) von Saloni Mathur steht die Beziehung von Geschichte und Anthropologie in Südasien der letzten zwei Jahrzehnte.
Die Basis für meine Untersuchung bildet allerdings der Titel The Saffron Wave (1999) von Thomas Blom Hansen. Innerhalb dieses Werks beschreibt der Autor Demokratie und Hindunationalismus im modernen Indien ohne aber die, für diese Arbeit relevanten, historischen Hintergründe zu vernachlässigen. Die Zeit der Kolonialherrschaft spielt eine besondere Rolle und stellt deshalb jenen Teilabschnitt dar, auf welchen ich mich im Besonderen beziehe. Basisinformationen, wie auch spezifische Ergänzungen, bietet der von Uwe Skoda und Klaus Voll herausgegebene Titel Der Hindu-Nationalismus in Indien – Aufstieg – Konsolidierung – Niedergang. Ich thematisiere im Folgenden, welche Gründe die unterschiedlichen AutorInnen für die Entstehung des Hindunationalismus angeben und welche Faktoren für diese Entwicklung als in der Kolonialgeschichte angesiedelt gesehen werden. Wie leiten die AutorInnen dieses Phänomen ab? Inwiefern ist Hindunationalismus in Indien ein Produkt der Kolonialhistorie? Welche Gründe für die Entstehung von Kommunalismus und Nationalismus werden angegeben und auf welche Weise verbanden sich beide Faktoren zu der besonderen hindunationalistischen Entwicklung?
Wenn ich im folgenden Text von dem Hinduismus oder der hinduistischen Religion spreche, so ist mir sehr wohl bewusst, dass es den Hinduismus in dieser, dem Wort inhärenten Homogenität, nicht gibt, sondern ein Konglomerat aus zahlreichen kleineren oder auch größeren Gruppierungen, Gemeinschaften und Sekten ist, die unterschiedlichen Glaubensrichtungen anhängen, unterschiedliche Götter verehren und differente Rituale ausüben. Ich verwende diesen Begriff mit der Begründung, dass für die behandelte Thematik eine Untersuchung und Unterscheidung der zahlreichen hinduistischen Glaubensgemeinschaften vernachlässigt werden kann. Der hindunationalistische Diskurs hat eine Homogenisierung von Religionsgemeinschaften zur Folge, wie im Weiteren noch zu sehen sein wird. Innerhalb des Hindunationalismus-Diskurses halte ich es gerade deshalb für wichtig anzumerken, dass eine Einheitlichkeit der hinduistischen Religion nicht vorhanden ist, da Hindunationalisten anhand eines Hinduismus eine Identifikation ermöglichen wollen.
Im Schlussteil der Arbeit fasse ich die Ergebnisse meiner Analyse zusammen, stelle Gemeinsamkeiten und Differenzen der behandelten AutorInnen heraus und formuliere einen persönlichen Standpunkt zur Frage des Zusammenhangs von Religion und Politik in Bezug auf den Hindunationalismus in Indien.
2. Ayodhya und Kommunalismus
Die Stadt Ayodhya im nördlichen Bundesstaat Uttar Pradesh, circa 130 Kilometer östlich der Landeshauptstadt Lucknow gelegen, rückte 1992 aufgrund der gewaltsamen Moscheestürmung durch Hindunationalisten in das Licht internationaler Berichterstattung. Am Nachmittag des sechsten Dezember begannen kleine Gruppen von Hindunationalisten mit der systematischen Zerstörung der Moschee und setzten diese fort bis zur kompletten Zertrümmerung des islamischen Gotteshauses. Der destruktive Akt wurde begleitet von anfeuernden Reden hindunationalistischer Anhänger und gewalttätigen Übergriffen auf ausländische Journalisten und Photographen.
Was sind die Hintergründe für diese Moscheestürmung und wie kam es zu diesem gewaltsamen Höhepunkt des hindunationalistisch-muslimischen Konflikts?
2.1 Historische Bedeutung
Die Babur-Moschee, auch Babri Masjid genannt, wurde im 16. Jahrhundert im Auftrag des ersten Moghul-Kaisers Babur erbaut. Umstrittener Punkt und bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist die Behauptung hindunationalistischer Anhänger, dass die Moschee auf den Ruinen eines alten Ram-Tempels errichtet worden sei und dass sich der Standort der Moschee an genau der Stelle befände, welche den Geburtsort des Gottes Ram bezeichne. Ram gilt als einer der bedeutendsten Götter des Hindu-Pantheons und stellt die siebte Manifestation des Gottes Visnu dar.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Ayhodhya zu einem wichtigen hinduistischen Pilgerzentrum, zu einem Ort der Ram-Verehrung. 1949 tauchte in der Moschee überraschend eine Ram-Statue auf, die angeblich von Studenten aufgestellt wurde. Diese Installation stellt für viele Hindus die übernatürliche Erscheinung Rams dar, wohingegen viele Muslime die Statue als schlichte Provokation empfanden. Das Ereignis hatte die Schließung der Moschee zur Folge. In den 1980er Jahren wurde das Ziel der Moscheezerstörung zum Ausdruck des hindunationalistischen Zorns gegenüber den angeblich vom Staat bevorzugten Muslimen.
1984 gründete sich das Komitee zur Befreiung des Geburtsortes Rams (Shri Ramjanmabhoomi Mukti Yagna Samiti). Dieses Komitee begann mit der Veranstaltung von Kampagnen zum Wiederaufbau des Ram-Tempels in Ayodhya. Im September 1985 wurden erste Märsche und Prozessionen in Richtung Ayodhya organisiert.
2.2 Moschee-Zerstörung
Ayodhya wurde durch hindunationalistische Anhänger zum Symbol und als Metapher stilisiert hinsichtlich eines »Mangels« innerhalb der Hindu-Gemeinschaft. Innerhalb dieser Stilisierung kam der Babur-Moschee die Darstellung als eine »Wunde in der Nation und in der Hindu-Gesellschaft« zu, die nur »geheilt« werden könne, indem die Moschee beseitigt und stattdessen der alte Ram-Tempel wiederaufgebaut werde (Hansen 1999: 173).
Hinter dieser Argumentation steckt der Gedanke, dass der Hinduismus, den es in dieser behaupteten Homogenität nicht gibt und nicht gab, die Religion ist, die innerhalb des geographischen Raumes des indischen Subkontinents die rechtmäßige, nationale Religion darstellt. Der Islam hat nicht, wie der Sikhismus, Jainismus, Buddhismus und Hinduismus, seinen Ursprung in Indien. Aufgrund dessen stehen ihm weniger Rechte zu. Die Vertreter dieser Argumentation beziehen sich auf die 1923 entwickelte Hindutva-Idee V. D. Savarkars (1883-1966), der behauptet, dass für Indien die Unterschiede zu anderen Nationen in der kulturellen Natur und im hinduistischen Erbe bestehen. Das eine kulturelle Erbe stellt das Hindutum (Hindutva) dar, welches die Hindu-Nation definiert. Das Hindutum und die Hindu-Nation konstituieren sich durch drei Merkmale: das gemeinsame Land (Bharatbhoomi), die Einheit des Volkes aufgrund einer gemeinsamen Abstammung (jati), sowie die gemeinsame Kultur (samskriti), (Töpfer 2005: 17). Bharatbhoomi ist Gründungsort der oben genannten Religionen. Demnach werden Christentum und Islam ausgeschlossen und haben keinen Anspruch auf den geographischen Raum, in dem die für Savarkar bedeutsamen historischen Ereignisse aus dem Ramayana und Mahabharata stattfanden. Der Geburtsort Rams verkörpert die Hindu-Kultur. In den 1980er Jahren war das Ziel die Destruktion des wichtigsten Zeichens nationalen Stolzes – des alten Ram-Tempels.
Dass auf den Ruinen des Ram-Tempels die Babur-Moschee stand, war für radikale Hindus ein prägnantes Zeichen für die Unterdrückung der Hindu-Kultur durch Muslime. Als zusätzliche Rechtfertigung diente die Behauptung radikaler Hindus, dass die Babur-Moschee erst erbaut worden sei, nachdem der alte Ram-Tempel durch Muslime zerstört wurde.
Dieser ideologische Komplex baute sich im hindunationalistischen Kontext zu dem Gefühl aus, dass die muslimische Minderheit vom Staat bevorzugt beziehungsweise »verhätschelt« wird, »pampering of minorities« (Hansen 1999: 173). Innerhalb der Ramjanmabhoomi-Argumentation entstand die Vorstellung einer Bedrohung durch die Muslime. Eine Konstruktion des muslimischen Gegners und damit die Etablierung einer polarisierten Denkweise – »wir versus die Anderen« – entwickelte sich. Eine Abgrenzung zur muslimischen Religionsgemeinschaft fand in zweierlei Hinsicht statt. Der muslimische Gegner hat eine von Indien differente Geographie. Dazu zählen Pakistan und andere Teile der muslimischen Welt. Gleichzeitig aber findet sich das »muslimische Andere« innerhalb des von den Hindunationalisten beanspruchten geographischen Raumes (Hansen 1999: 177). Für Hindunationalisten besteht eine Bedrohung demnach von außen und von innen. Die interne Bedrohung statuiert sich somit durch die in Indien lebenden Muslime. Diese antithetische Denkweise ist Teil und Ausdruck des Kommunalismus. Das Gefühl der Bedrohung der Hindu-Kultur durch eine vom Staat bevorzugt behandelte Minderheit ist ein häufig wiederkehrendes Moment in der Hindutva-Ideologie. Begründet wird diese Gefahr durch einen Verfall der Hindu-Kultur und des hinduistischen Einheitsgefühls. Die Beherrschung der Hindus durch muslimische Souveräne, dann durch die britischen Kolonialherren und schließlich durch »die Pseudosäkularisten des Congress, die den undankbaren Minderheiten auf Kosten der Mehrheit Sonderrechte zugestehen« (Jürgenmeyer 2005: 42) wird als weitere Ursache für eine Bedrohung des Hindutums angegeben.
Hansen begründet die Stärke des Hindutum-Diskurses folgendermaßen. Die Schaffung eines gemeinsamen symbolischen, hinduistischen Zentrums (Ram-Tempel) wird verbunden mit einer »Grammatik der Inklusion und Exklusion …, ‚wir’ und ‚die anderen’« (1999: 181) und evoziert eine Festigung der Sangh Parivar (Familie des Sangh). Dieses Denken in den Kategorien von Einbezug und Ausschluss wird in jeweils anderen Situationen mit »neuem ideologischem Material« unterfüttert.
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- Quote paper
- Anna Schefer (Author), 2006, Religion und Politik in Indien - Kolonialgeschichtliche Ursachen des Hindunationalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62585
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