Einleitung
Unter den vielen schriftlichen Bearbeitungen des Märchentyps „Die Schöne und das Biest“ (Aarne-Thompson Typ 425 c) befinden sich zwei Kunstmärchen, von denen Madame de Villeneuves La Belle et la Bête (B&B) als Vorlage für Madame Leprince de Beaumonts gleichnamige berühmte Version diente. Viele Volksmärchen behandeln den Stoff auf eine ähnliche Weise, und es gibt grundlegende Motive, die sie mit den Kunstmärchen gemeinsam haben. Im Vergleich zwischen den zwei Kunstmärchen von Villeneuve und Beaumont, und 36 Volksmärchenvarianten vom Typ AaT 425 a und 425 c werden im ersten, etwas allgemeiner gehaltenen Teil drei gemeinsame soziale Elemente (Wunscherfüllung, Initiation, Gewöhnung) dieser Variationen herausgegriffen und genauer beleuchtet.
Ein zweiter Teil befasst sich im Detail mit den Unterschieden zwischen Volks- und Kunstmärchen. Durch mündliche Weitergabe und Beschränkung auf die für die Kernhandlung relevanten funktionalen Elemente sind Volksmärchen generell von symbolkräftigerer Rätselhaftigkeit und tiefenpsychologischerer Komplexität als Kunstmärchen. Exemplarisch soll dabei der Schwerpunkt auf dem Rosenwunsch, der Forderung des Biests und seinen Eigenschaften liegen.
Einzelne Märchenversionen werden zuerst mit ihrem vollen Titel genannt und im Anschluss auf einen markanten Teil dieses Titels reduziert. Beaumonts und Villeneuves La Belle et la Bête soll von vornherein mit B&B abgekürzt werden.
Inhalt
1 Einleitung
2 Thematische Gemeinsamkeiten der Märchen vom Typ 425 c
2.1 Belles Macht: Ein Märchentyp weiblicher Wunscherfüllung
2.2 Das Schicksal der Heldin: Permanentes Thema der Initiation
2.3 Die Schöne und das Biest: Die Macht der Gewöhnung
3 Variationen eines Märchentyps
3.1 Variationen von Beaumonts La Belle et la Bête: Vom Kunstmärchen und Volksmärchen
3.2 Der Rosenwunsch: Ein bewusster Wunsch wird unbewusstes Handlungsmotiv
3.3 Die Forderung des Biests: Schicksalhaftigkeit im Märchen
3.4 Das Biest: Die physische und psychische Seite von Männlichkeit und Potenz
4 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Unter den vielen schriftlichen Bearbeitungen des Märchentyps „Die Schöne und das Biest“ (Aarne-Thompson Typ 425 c) befinden sich zwei Kunstmärchen, von denen Madame de Villeneuves La Belle et la Bête (B&B) als Vorlage für Madame Leprince de Beaumonts gleichnamige berühmte Version diente. Viele Volksmärchen behandeln den Stoff auf eine ähnliche Weise, und es gibt grundlegende Motive, die sie mit den Kunstmärchen gemeinsam haben. Im Vergleich zwischen den zwei Kunstmärchen von Villeneuve und Beaumont, und 36 Volksmärchenvarianten vom Typ AaT 425 a und 425 c werden im ersten, etwas allgemeiner gehaltenen Teil drei gemeinsame soziale Elemente (Wunscherfüllung, Initiation, Gewöhnung) dieser Variationen herausgegriffen und genauer beleuchtet.
Ein zweiter Teil befasst sich im Detail mit den Unterschieden zwischen Volks- und Kunstmärchen. Durch mündliche Weitergabe und Beschränkung auf die für die Kernhandlung relevanten funktionalen Elemente sind Volksmärchen generell von symbolkräftigerer Rätselhaftigkeit und tiefenpsychologischerer Komplexität als Kunstmärchen. Exemplarisch soll dabei der Schwerpunkt auf dem Rosenwunsch, der Forderung des Biests und seinen Eigenschaften liegen.
Einzelne Märchenversionen werden zuerst mit ihrem vollen Titel genannt und im Anschluss auf einen markanten Teil dieses Titels reduziert. Beaumonts und Villeneuves La Belle et la Bête soll von vornherein mit B&B abgekürzt werden.
2 Thematische Gemeinsamkeiten der Märchen vom Typ 425 c
2.1 Belles Macht: Ein Märchentyp weiblicher Wunscherfüllung
Den Heldinnen in Märchen vom Typ 425 c wird generell große Macht eingeräumt, was diesen Typ zu einem Märchentyp weiblicher Wunscherfüllung macht.
Verletzbar und hilflos sind die Tierbräutigame nur in Gegenwart der Heldin, und unterwerfen sich meist ihren Wünschen – mit einer Ausnahme. Die eher männlich zu nennende Fassung von The Small-Tooth Dog, in der die Heldin schlicht den Preis für die Rettung des Vaters durch das Tier darstellt, versagt ihr die Macht, die ihr in anderen Fassungen gegeben wird. Hier wird es der „Schönen“ nicht freigestellt zu handeln, sondern sie muss sich dem Biest zugeneigt zeigen, um ihre Familie sehen zu können. In den japanischen Fassungen Der Affenbräutigam und Der Schlangenbräutigam hingegen wird durch die kluge jüngste Tochter kurzer Prozess mit einem Biest gemacht, das seinen Anspruch nur aus einem Handelsgeschäft mit dem Vater bezieht. In The Singing Rose schlägt die Heldin den Kopf des Greises ab und nimmt Besitz von seinem Reichtum. Bei diesen ganz auf weibliche Bedürfnisse angepassten Märchen denkt man eher an Blaubart als an ein Motiv aus 425c. Es fällt schwer, sie ohne weiteres diesem Typ zuzuordnen, vor allem weil es in diesen vier Fassungen keine Hinweise auf die Bereitschaft der Tochter (durch einen Blumenwunsch etc.) für eine eheliche Bindung gibt.
Signalisiert die Heldin ihre Bereitschaft durch einen solchen Wunsch, wird ihr in den weiblich geprägten Fassungen, eindeutig Märchen weiblicher Wunscherfüllung, sehr große Macht eingeräumt. In einem Grenzfall des Typs 425c lässt die Heldin in Das verwunschene Schloss Heldin die in Monster verwandelte Schwiegerfamilie auf die Bitte des Helden töten. Nicht mehr dem Typ 425 c zuordenbar ist The Merchant and His Three Daughters, wo einzig verbliebenes Element dieses Typs der Rosenwunsch ist. Hier erkennt die Heldin die bösen Absichten des blaubartähnlichen Riesen, tötet ihn und rettet ihre Schwestern.
Im Gegensatz dazu ziehen sich Villeneuves und Beaumonts Biester gehorsam zurück, wenn die mehr oder weniger eindeutig erotischen Avancen von Belle abgeschmettert werden. Das Tier gibt Belle Macht. Villeneuves Schöne „zähmt“ das Tier, indem sie sich seinen eindeutig erotischen Avancen (die Frage, ob sie mit ihm schlafen wolle) widersetzt. Erst als sie sich vollkommen bereit fühlt, seine tierische Seite zu akzeptieren, stimmt sie der Frage zu, unter der Bedingung der ehrenvollen Heirat. Und auch Beaumonts Belle nimmt die – weit weniger eindeutig erotische – Brautwerbung des Biestes erst dann an, als sie sich durch das gewachsene Vertrauen „in vollem Bewusstsein“ zu seiner animalischen Seite bekennen kann.
Die Heldin in Das Märl von den drei Kaufmannstöchtern ist nicht mehr passive Tochter, sondern uneingeschränkte Herrscherin des Hauses, Räume und Gegenstände tragen ihren Namen, und auch das Biest unterwirft sich ihrem Urteil. Seine Avancen darf sie unter anderem in B&B (Beaumont und Villeneuve), Beauty and the Beast, Zelinda and the Monster, Märl, Die Rose, und Vom klinkesklanken Lowesblatt ablehnen, ohne gewaltsam zu einer Entscheidung gezwungen zu werden. Als das Biest am Ende im Sterben liegt, besitzt in allen Fassungen allein sie die Macht, es leben oder sterben zu lassen. Ihr Liebeseingeständnis bewirkt zudem die Verwandlung in einen Prinzen. Sehr leicht lässt sich dieses Bild psychologisch deuten: die Heldin besitzt nun die geistige Reife (durch die Lösung vom Elternhaus) und Vertrautheit mit dem Biest, um die unangenehme, fremde, wilde, tierische Seite des Mannes zu akzeptieren und seine positiven Charaktereigenschaften auf sein Äußeres zu übertragen.
2.2 Das Schicksal der Heldin: Permanentes Thema der Initiation
Fast alle Märchen vom Typ AaT 425 c besitzen einen sozialen Hintergrund, der ebenso unveränderlich wie überzeitlich ist: die Sozialisierung einer Tochter in ihre neue Rolle der Ehefrau. Beaumonts B&B lässt keinen Zweifel an der Ausrichtung auf ein jugendliches Publikum und die didaktischen Funktion, die sie der Geschichte zuspricht, denn das Märchen erscheint 1756 mit einigen anderen Märchen zur Auflockerung der didaktisch gehaltenen Dialoge über schulische Sachthemen im zweibändigen Magasin des enfans (sic!). Doch sind die Konflikte einer Tochter, die gleichzeitig die neue Rolle einer Ehefrau übernehmen muss, von einer Überzeitlichkeit, die nicht auf einen schlichten didaktischen Nenner wie „Bändigung des Emotionalen durch Vernunft und Sittlichkeit“ [Bossier, 47] reduzierbar sind. Die Heldin gerät in Konflikt mit ihren sozialen Rollen, besonders da sie als jüngste Tochter die Pflicht hätte, ihren Vater im Alter zu pflegen. „Wenngleich sich der Vater betrübte, seine Tochter nicht als Stütze in seinem Alter zu haben, versuchte er doch nicht, sie von einer Pflicht abzuwenden, welche er als unerläßlich anerkannte.“ [Villeneuve (2), 309] Von dieser Tochterrolle muss sie sich nun lösen. Doch gerade ihr Vatergehorsam ist es, der ihr letztendlich ihren Bräutigam zuführt: sie opfert sich für den Vater. Dass sie für ihren Vatergehorsam später mit einem reichen und gütigen Ehemann belohnt wird ist ein Beweis für ihr bis dato „richtiges“ Verhalten. Doch diesen Gehorsam muss sie zu Gunsten der Zugehörigkeit zum Partner aufgeben lernen. Der Besuch bei der Familie stellt die Prüfung dar, die die Heldin in Versionen von 425 c bestehen muss, um ihre neue soziale Rolle als Ehefrau bewusst leben zu können. Zwar lässt sie sich aufhalten, erkennt jedoch rechtzeitig, wem ihre Treue zu gelten habe und kehrt zum Tierbräutigam zurück. In Amor und Psyche -ähnlicheren Märchen hat die Tochter diesen Grad der familiären Entwöhnung noch nicht erreicht, und muss, unter erschwerten Bedingungen, ihre neue Zugehörigkeit zum Gatten unter Beweis stellen.
Der Transport Belles zur Wohnstatt des Biestes gestaltet sich wie eine Brautübergabe: die Heldin wird vom Vater begleitet, der meist noch eine Weile bleibt[1], oder sie wird vom Biest höchstpersönlich abgeholt[2]. Nur in einem einzigen Fall wird die Tochter gewaltsam geraubt (Sommer- und Wintergarten), selten begibt sich das Mädchen allein auf die Reise[3]. Unsere passive Heldin wird vom väterlichen in den Haushalt des Bräutigams überführt und übernimmt ihre neue Rolle der Gefährtin und Ehefrau.
[...]
[1] In Villeneuves und Beaumonts Fassungen, in Beauty and the Beast, Märchen von der Schlange, Rose, Drei Rosen, Erlöste Königssohn, Zelinda, Gift to the Youngest Daughter, Schlange (2), Enchanted Tsarevitch, Schönchen, Schlange (1), Bär und die drei Schwestern, Der häßliche Riese, Drache vom Rosenstrauch, Drache vom Karersee, Kaiserin Rusina.
[2] In Das verwunschene Schloss, SmallTooth Dog, Three Gold Nuts, Lowesblatt, Nusszweiglein, Singing Rose, Bärenprinz, Die redende Weintraube, der lachende Apfel und der klingende Pfirsich.
[3] Entweder durch vom Monster geschickte Objekte (eine leere Kutsche holt Nettchen in Little Broomstick, Wespen holen die Braut in Fairy Serpent), oder – mindestens ebenso selten – reitet sie auf Eigeninitiative zum Biest (Löweneckerchen, Bunch of Laurel Blooms, Das Märl von den drei Kaufmannstöchtern). Dieses Motiv übernahm Jean Cocteau für seinen Film La Belle et la Bête.
- Arbeit zitieren
- Sabine Friedlein (Autor:in), 2006, Die Schöne und das Biest - Betrachtungen zum Märchentyp AaT 425 c im Vergleich von Kunst- und Volksmärchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62566
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