„In Breslau ein Kirchhof - ein Toter im Grab - Dort schlummert der Eine, der Schwerter uns gab.“ So hieß es 1909 in einem Werk über Ferdinand Lassalle und seine Bedeutung für die deutsche Sozialdemokratie. Lassalle, der am 13. April 1825 als jüdischer Kaufmannssohn in Breslau geboren wurde, studierte in Berlin Philosophie und Geschichte. Durch seine Agitationen gegen das liberale und wohlhabende Bürgertum und seine aktive Teilnahme an der Revolution, weswegen er im November 1848 für sechs Monate verurteilt wurde, verstellte er sich eine Karriere im herrschenden Wissenschaftsbetrieb, doch seine langjährige Tätigkeit als Verteidiger der Gräfin Sophie Hatzfeld im Scheidungsprozess gegen ihren Gatten Edmund brachte ihm ein kleines Vermögen ein. Dabei sah Lassalle, neben der Sicherung seiner finanziellen Lage, in diesem Prozess vor allem die Möglichkeit, die Situation der Gesellschaft aufzuzeigen. Nach Beendigung des Prozesses widmete er sich seinen philosophischen und politischen Schriften, in denen er sich zur Philosophie Hegels bekannte, für die Gründung eines Nationalstaates eintrat, sich als Bewunderer der französischen Frühsozialisten gegen den Liberalismus wandte und vor allem um gerechtere Lebensverhältnisse für die Arbeiter kämpfte. In seinem „Arbeiterprogramm“, das er 1862 den Führern des Berliner Proletariats vortrug, legte er seine Thesen zur deutschen Arbeiterfrage dar, wobei er seine Rede in einen historischen und einen theoretischen Teil gliederte. Die in diesem Programm aufgezeigten Theorien stellten zugleich die Eckpunkte seines „Offenen Antwortschreibens“ dar, dem er, obwohl er es in weniger als zehn Tagen ausgearbeitet hatte, absolute Schlagkraft logischer Überzeugung zutraute. Und trotzdem sich diese Vorstellung anfangs nicht bestätigte, da der aufgrund des „Offenen Antwortschreibens“ gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein bis zum Tod Lassalles am 12. Mai 1864 nur aus 4600 Mitgliedern bestand, gilt dieses Schreiben doch bis heute unter bestimmten Historikern als Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie.
Gliederung
1. Einleitung
2. Ferdinand Lassalle: „Offenes Antwortschreiben“
2.1 Zentrale Forderungen der Schrift
2.1.1 Konstituierung des Arbeiterstandes als selbstständige Partei
2.1.2 Arbeiterassoziationen finanziert durch Intervention des Staates
2.1.3 Allgemeines und direktes Wahlrecht als politisches und soziales Grundrecht
2.2 Lassalles Werk im Vergleich mit anderen sich um die
Arbeiterschaft bemühenden Richtungen
2.2.1 Abgrenzung von den Liberalen
2.2.1.1 Distanzierung von der Fortschrittspartei
2.2.1.2 Kritik an Schulze-Delitzschschen Assoziationen
2.2.2 Unterschiede zur Position Bebels und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei
3. Schluß
4. Quellenverzeichnis
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„In Breslau ein Kirchhof – ein Toter im Grab – Dort schlummert der Eine, der Schwerter uns gab.“[1]
So hieß es 1909 in einem Werk über Ferdinand Lassalle und seine Bedeutung für die deutsche Sozialdemokratie. Lassalle, der am 13. April 1825 als jüdischer Kaufmannssohn in Breslau geboren wurde, studierte in Berlin Philosophie und Geschichte. Durch seine Agitationen gegen das liberale und wohlhabende Bürgertum und seine aktive Teilnahme an der Revolution, weswegen er im November 1848 für sechs Monate verurteilt wurde, verstellte er sich eine Karriere im herrschenden Wissenschaftsbetrieb, doch seine langjährige Tätigkeit als Verteidiger der Gräfin Sophie Hatzfeld im Scheidungsprozess gegen ihren Gatten Edmund brachte ihm ein kleines Vermögen ein. Dabei sah Lassalle, neben der Sicherung seiner finanziellen Lage, in diesem Prozess vor allem die Möglichkeit, die Situation der Gesellschaft aufzuzeigen. Nach Beendigung des Prozesses widmete er sich seinen philosophischen und politischen Schriften, in denen er sich zur Philosophie Hegels bekannte, für die Gründung eines Nationalstaates eintrat, sich als Bewunderer der französischen Frühsozialisten gegen den Liberalismus wandte und vor allem um gerechtere Lebensverhältnisse für die Arbeiter kämpfte. In seinem „Arbeiterprogramm“, das er 1862 den Führern des Berliner Proletariats vortrug, legte er seine Thesen zur deutschen Arbeiterfrage dar, wobei er seine Rede in einen historischen und einen theoretischen Teil gliederte. Die in diesem Programm aufgezeigten Theorien stellten zugleich die Eckpunkte seines „Offenen Antwortschreibens“ dar, dem er, obwohl er es in weniger als zehn Tagen ausgearbeitet hatte, absolute Schlagkraft logischer Überzeugung zutraute.[2] Und trotzdem sich diese Vorstellung anfangs nicht bestätigte, da der aufgrund des „Offenen Antwortschreibens“ gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein bis zum Tod Lassalles am 12. Mai 1864 nur aus 4600 Mitgliedern bestand, gilt dieses Schreiben doch bis heute unter bestimmten Historikern als Geburtsstunde der deutschen Sozialdemokratie.[3]
2. Ferdinand Lassalle: „Offenes Antwortschreiben“
2.1 Zentrale Forderungen der Schrift
Auf die Anfrage des Leipziger Komitees, das sich die Vorbereitung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zur Aufgabe gestellt hatte, reagierte Ferdinand Lassalle in Form eines „öffentlichen Send- und Antwortschreibens“, wie er es nannte. In diesem „Offenen Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig“ formulierte er die zentralen Aufgaben und Ziele der deutschen Arbeiterbewegung.
2.1.1 Konstituierung des Arbeiterstandes als selbstständige politische Partei
An den Anfang seiner Schrift stellte Lassalle die Forderung nach einer eigenständigen politischen Partei der deutschen Arbeiterschaft. Dabei ging er von der politischen Richtung des Voluntarismus aus, was bedeutete, dass „nicht die Selbstbewegung der Gesellschaft auf ein Ende hin, sondern die bewußte und willentliche Selbstverwirklichung der Arbeiterschaft“[4] für ihn von Bedeutung war. Daher wandte er sich massiv gegen die Ansicht, die Arbeiter bräuchten sich nicht um ihre politische Selbstverwirklichung zu kümmern. Denn für ihn stand fest, dass „der Arbeiter die Erfüllung seiner legitimen Interessen nur von der politischen Freiheit erwarten“[5] könne. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch die Frage nach der Möglichkeit des Interessensaustausches und der Vereinsbildung der Arbeiter, die nur durch Initiative der Arbeiterschaft zu erreichen sei. Nur indem sich die Arbeiterbewegung selbstständig politisch formiere, könne sie auch ihre eigenen politischen Zwecke verfolgen. Deshalb wandte sich Lassalle gegen die Ansicht, die Arbeiterbewegung „politisch nur als den Anhang der preußischen Fortschrittspartei zu betrachten.“[6] Nur eine eigenständige Partei der Arbeiterschaft hielt er für geeignet, freiheitliche Interessen voranzutreiben, während er die preußische Fortschrittspartei in dieser Frage für unfähig und einer entschlossenen Regierung gegenüber für ohnmächtig erklärte. Deshalb forderte er die „Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands“[7], wobei es durchaus die Aufgabe dieser neuen Partei sei, die Fortschrittspartei bei derartigen Themen zu unterstützen, die von gemeinschaftlichem Interesse gestaltet seien. Und dennoch habe sich diese Arbeiterpartei als eigenständige Partei zu verhalten, um einzig die Interessen der Arbeiterschaft vertreten zu können.
2.1.2 Arbeiterassoziationen finanziert durch die Intervention des Staates
Während Lassalle sich zu Beginn seinen Schreibens mit den politischen Aufgaben der Arbeiterbewegung auseinandergesetzt hatte, formulierte er nun die Ziele der Arbeiterbewegung in Bezug auf die soziale Frage. Dabei wandte er sich gegen die Schulze-Delitzschschen Organisationen. Diese Vorschuss-, Kredit-, Rohstoff- und Konsumvereine hielt er für nicht fähig, eine Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu bewirken, da sie nur ein Mittel darstellten, die Lage erträglicher zu machen, aber keine wirkliche Verbesserung böten. ( Auf die Kritik dieser Vereine soll unter 2.2.1.2 noch genauer eingegangen werden ).
Lassalle begründete seine Zielsetzung aufgrund des sogenannten ehernen Lohngesetzes, welches bewirke, dass der durchschnittliche Arbeitslohn immer auf den notwendigen Lebensunterhalt reduziert bleibe, der in einem Volke gewohnheitsmäßig zur Fristung der Existenz und zur Fortpflanzung erforderlich sei.[8] Dabei setzte er die Verbesserung der Lage der Arbeiter mit der Beseitigung des ehernen Lohngesetzes gleich. Um dies zu bewirken, müsse der Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer gemacht werden. In der Schrift hieß es dazu:
[...]
[1] Harms, B.: Ferdinand Lassalle, Verlag von Gustav Fischer, Jena, 1909, S. 125
[2] Vgl. Na`aman, S.: Lassalle, Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover, 1970, S. 563
[3] Vgl. Grebing, H. (Hrsg.): Deutsches Handbuche der Politik, Band 3, Günter Olzog Verlag, München – Wien, 1969, S. 82
[4] Nipperdey, T.: Deutsche Geschichte, Beck Verlag, München, 1993, S. 740
[5] Lassalle, F.: Offenes Antwortschreiben, in: F.L.: Gesammelte Reden und Schriften, Band 3, Berlin, 1919, S. 42
[6] Ebenda, S. 42
[7] Ebenda, S. 47
[8] Vgl. Ebenda, S. 58
- Citation du texte
- Verena Stockmair (Auteur), 2000, Ferdinand Lassalles "Offenes Antwortschreiben". Die zentrale Forderung der Schrift, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62285
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