Ralph Dahrendorf war Soziologe, Politiker und "Paradeliberaler", Ritter der englischen Krone, EU-Kommissar, Landtagsmitarbeiter, Staatssekretär, Autor und vielgelesener Kommentator weltpolitischer Phänomene. Seiner politischen Karriere, die natürlich mit seinem wissenschaftlichen Konzept des "homo sociologicus" in Verbindung steht, widmet sich diese Seminararbeit, die noch zu seinen Lebzeiten entstand. Die Arbeit widmet sich einerseits der Biograophie, seiner Sozialisation in Familie, der Schule und an der Universität. Andereseits werden die Abschnitte seiner politischen Karriere als Landtagsabgeordneter, parlamentarischer Staatssekretär, als Europa-Kommisar und als Mitglied des britischen "House of Lords" beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
II. Einleitung
III. Kurzbiographie von Ralf Dahrendorf
1 Sozialdemokratische Sozialisierung
1.1 DER VATER
1.2 DIE SCHULE
1.3 HAFT UND „REEDUCATION CAMP“
1.4 UNIVERSITÄT
2 Landtagsabgeordneter Baden-Württemberg
2.1 DER WAHLKAMPF
2.2 DAS MANDAT
3 Staatssekretär auswärtiges Amt
4 Europa-Kommissar
4.1 AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN
4.2 BILDUNGSPOLITIK
5 Mitglied des Britischen House of Lords
IV. Epilog
V. Bibliographie
VI. Personenindex
VII. Index
II. Einleitung
Ganz im Sinne von Torbergs Tante Jolesch Sinne möchte ich behaupten, dass es „gerade noch ein Glück war“, dass ich nicht einen weiteren Artikel zur Ölkrise erhielt, am ersten Tag der Lehrveranstaltung, oder einen Text über die Deutsche Wirtschaftspolitik der 1990er Jahre. Ralf Dahrendorf, sei der Name des in der eidgenössischen Neuen Zürcher Zeitung interviewten, ein „Paradeliberaler“, so der Lehrveranstaltungsleiter Josef Friedl zu Beginn des propädeutischen Seminars, der nicht besonders leicht zu verdauen wäre.
Das Inteview mit Dahrendorf war bald exzerpiert und zusammengefasst, die wesentlichen Aussagen waren ja auch leicht zu verstehen - so dachte ich zuerst. Doch die wirklichen Herausforderungen sollten noch auf mich warten.
Ein homo sociologicus in vielen verschiedenen Rollen wie Dahrendorf publizierte im Laufe seiner verschiedenen Karrieren als Wissenschafter, Lehrer, Publizist und Kommentator der Deutschen, der Europäischen und der Britischen Politik derartig viel, dass die Literatursuche vielmehr zur sprichwörtlichen „Suche nach der Nadel im Heuhaufen“ wurde.
Speziell an Sekundärliteratur existieren tausende Titel. Leider berufen sich diese Publikationen zum größten Teil auf das wissenschaftliche Werk des Soziologen Dahrendorf. Erst die kritische Betrachtung der vielen Ergebnisse lieferte einige Texte deren Verfügbarkeit für mich entweder aufgrund des Lagerorts oder aufgrund der verwendeten Sprache leider zumeist beschränkt war. Meine Herangehensweise war nun, zunächst Ralf Dahrendorfs Autobiographie „Über Grenzen“ zu lesen, um anhand der dort erwähnten Personen weitere Möglichkeiten zur Literaturrecherche zu generieren.
Doch es wäre nicht Dahrendorf, wenn seine Autobiographie nicht ganz anders wäre, als sonstige derartige Monographien. Der Inhalt beschränkt sich leider- einige Vorausschauende und retrospektive Elemente abgesehen - auf die Zeit bis zu seinem achtundzwanzigstem Lebensjahr. Alles in Allem eine gute Grundlage zum Verständnis seiner Einstellungen, mit Sicherheit aber keine nachhaltige Quelle für seine politische Karriere.
So verwendete ich -sozusagen als Rückgrat meines Werks - hauptsächlich den hervorragend detaillierten Lebenslauf Dahrendorfs von Hans- gert Peisert1, der um Informationen aus anderen Quellen ergänzt werden konnte.Die Relevanz dieses biographischen Sammelbandbeitrags ergab sich einerseits aufgrund der langjährigen Kollegenschaft des Autors zur Hauptperson der Arbeit Ralph Dahrendorf. Peisert war schon in Tübingen Student bei Dahrendorf und befasste sich während seiner Zeit als parlamentarischer Staatssekretär im auswärtigen Amt der Bundesrepublik wissenschaftlich2 mit der (West-) Deutschen auswärtigen Kulturpolitik Dahrendorfs. Zusätzlich ist der Autor Hansgert Peisert als bekannter Soziologe und engagierter Sozialwissenschafter unter anderem bei ZUMA e.V3 4 dem bekannten Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) in Mannheim engagiert und damit Berufskollege von Dahrendorf.
Retrospektiv betrachtet war es in keinem Fall „gerade noch ein Glück“, mich mit der Person Ralf Dahrendorfs zu beschäftigen, ich bin eigentlich sehr froh über die interessante Herausforderung mich intensiv mit einem sehr spannenden Zeitgenossen auseinander zu setzen, dessen Einstellungen ich in vielen Themenbereichen nicht teile. Das ist sicherlich ganz anders als bei den Texten, vor denen mich Gott behütet hat, um in der Diktion der Tante Jolesch zu bleiben.
III. Kurzbiographie von Ralf Dahrendorf
Ralf Dahrendorf wurde als Sohn des deutschen sozialdemokratischen Politikers Gustav Dahrendorf am 1. Mai 1929, dem Tag der Arbeit, in Hamburg geboren. Er studierte Philosophie und klassische Philologie in Hamburg und Soziologie in London. Nach seiner Habilitation im Fach Soziologie an der Universität des Saarlandes im Jahr 1952 verbrachte er ein Jahr im „Think-Tank“ des Kalifornischen „Center for Advanced Study in the behavioral Sciences“ in San Francisco. Nach Professuren für Soziologie in Hamburg und Tübingen und verschiedenen Beratungstätigkeiten im Bereich der Ausbildungsund Hochschulpolitik kandidiert Dahrendorf 1968 für den Baden- Württembergschen Landtag.
Der politisch interessierten Bevölkerung bekannt wurde der streitbare Liberale durch seine öffentlich geführte Diskussion mit dem linken Studentenführer Rudi Dutschke5 auf einem Autodach am Rande des FDP- Parteitags im Jahr 1968 in Freiburg. Die Fotos gingen damals mitten im Jahr der Studentenrevolten um die Welt.
Im Kabinett der sozialdemokratischliberalen Koalition von Willy Brandt wurde Dahrendorf 1969 parlamentarischer Staatssekretär im auswärtigen Amt unter dem liberalen Außenminister Walter Scheel. Im Jahr 1970 wurde er Europakommissar in Brüssel, zunächst für die Aussenpoli- tik, danach für Bildung. Seinen Funktionen in der Europapolitik folgte 1974 erneut eine wissenschaftliche Karriere. Zunächst als Direktor der London School of Economics (LSE) bis 1984. Danach hatte er weitere akademische Ehren als Rektor des St. Antony's College in Oxford und später auch Prorektor der Universität Oxford.
Ralf Dahrendorf nahm die britische Staatsbürgerschaft an und wurde von der Queen geadelt. Zunächst in den 1980er Jahren als Sir zum Ritter geschlagen wurde er zu Beginn der 1990er Jahre zum Baron Dahrendorf of Clare Market in the City of Westminster und ist damit Mitglied des Oberhauses, des House of Lords.
Seit 2005 hat Ralf Dahrendorf eine Forschungsprofessur in Berlin. Er ist weiterhin laufender Kommentator der Weltpolitik und publiziert regelmäßig unter anderem in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“.
1 Sozialdemokratische Sozialisierung
1.1 DER VATER
Gustav Dahrendorf wurde 1901 in Hamburg geborgen und war nach dem Absolvieren einer kaufmännischen Lehre als Vertreter und Büroangestellter tätig. Im Jahr 1914 schloß er sich der sozialistischen Jungarbeiterbewegung an, 1918 der SPD.
„Am 6. November 1932 wurde mein Vater als Hamburger Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Das bedeutete, dass er nun viel Zeit in Berlin zubrachte, vor allem aber Tag und Nacht den vergeblichen Kampf um das Überleben der Demokratie kämpfte“6 schreibt sein Sohn Ralf Dahrendorf in seiner Autobiographie „Über Grenzen“
Als Sozialdemokrat und Abgeordneter war Gustav Dahrendorf natürlich in Konflikt mit dem nationalsozialis tischen Regime des „Dritten Reichs“ und wurde in zahlreichen Listen der Gestapo geführt. Er war im Widerstand tätig und beteiligte sich an der Verschwörung Stauffenbergs vom 20. Juli 1944 gegen das Regime von Adolf Hitler7.
Nach seiner Verhaftung stand er vor dem Volksgerichtshof unter dem berüchtigten „Blutrichter“ Roland Freisler. Im Gegensatz zu seinen sozialdemokratischen Genossen und Freunden Julius Leber und Adolf Reichwein, die in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, kam er mit dem Urteil sieben Jahre schwerer Kerker davon.
Besonders die sozialdemokratische Gesinnung des Vaters und der Widerstand prägten den jungen Ralf Dahrendorf sehr8. „Wir kamen uns sehr heldenhaft vor, den antitotali- tären Tendenzen unserer Familien zu entsprechen“, zitiert er 9 seinen Schulfreund Eduard Grosse, der wegen seiner Frisur, die an die jugendlichen Filmstars erinnerte, von allen nur „Poldi“ genannt wurde. Nicht zuletzt führte diese Einstellung auch dazu, dass der Schüler Ralf Dahrendorf gemeinsam mit Poldi eine Widerstandsgruppe gründete und schlussendlich ebenso von der Gestapo verhaftet und bis kurz vor Kriegsende im heutigen Polen in einem Gestapolager inhaftiert war.10
Nach der Befreiung Berlins, wo der frühere Reichstagsabgeordnete nach dem Urteil von Freislers Volksgerichtshof im Zuchthaus Brandenburg-Görden inhaftiert war, beteiligte sich Gustav Dahrendorf am Wiederaufbau der deutschen Sozialdemokraten.
Zunächst wirkte er im sowjetisch besetzten Berlin für die Russische Militärverwaltung, wo er für die Kohleversorgung der Bevölkerung zuständig war. Durch die Spaltung der ostdeutschen SPD und der schleichenden Machtübernahme durch die mit der Sowjetarmee fraternisierenden Kommunisten fiel Gustav Dahrendorf beim früheren Parteigenossen und späteren DDR- Ministerpräsidenten Otto Grothe- wohl11 und seinem Stellvertreter Walter Ulbricht bald in Ungnade12 und musste eine Verschleppung durch die Rote Armee befürchten.
So entschied er Anfang 1946 gemeinsam mit seinem Sohn Berlin in Richtung Hamburg zu verlassen, die britische Armee unterstützte ihn dabei13.
Gleich nach dem Krieg wurde er im wieder erstarkten Deutschland als Sozialdemokrat erneut in die Hamburger Bürgerschaft und in den Frankfurter Wirtschaftsrat14 (dem Vorläufer des Bundestags) gewählt.
„In dem überschaubaren Vorparlament, in dem so manche Weichen für die Reiseroute der zukünftigen Bundesrepublik gestellt wurden, kam ich auf den Geschmack der Politik“, schrieb sein Sohn Ralf später15.
Er wurde zum Vorstand der Konsumgenossenschaft "Produktion" gewählt, wurde später Vorstand der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumgenossenschaften und schließlich auch Vorsitzender im Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften. Gustav Dahrendorf verstarb unerwartet am 30. Oktober 1954 bei einem Kuraufenthalt gerade 53 Jahre alt.
1.2 DIE SCHULE
Den größten Teil seiner Schulausbildung verbrachte Ralf in Berlin. Das dortigen Mommsen Gymnasium besuchte er in den Kriegsjahren - daher war in vielen Fällen auch kein regelmäßiger Unterricht und kontinuierliche Ausbildung möglich.
Er erlebte „gerade noch die letzten Überreste des deutschen humanistischen Gymnasiums“.16
Immer mehr verschwanden die jüngeren Lehrer in Richtung der Front, die Schüler wurden von älteren Pädagogen unterrichtet.17
Auch nach Schlesien zur Erntehilfe wurden die Schüler im Sommer entsendet, oder auch nach Zakopane ins „Generalgouvernement“ - wie das annektierte Polen bezeichnet wurde. Die Gegenstände in der Schule wurden immer weniger systematisch unterrichtet, oft fiel der Unterricht auch aus.18
Später, allerdings noch vor dem 20. Juli des Stauffenberg-Attentats wurde Ralf Dahrendorf von seinem Klassenvorstand als „Lagerführer“ in ein Kinderlager an die Ostsee entsendet - erst nach der Verhaftung seines Vaters wegen Hochverrats wurde er zurück nach Berlin geschickt.19
Die Schule konnte er erst nach dem Krieg und der Flucht nach Hamburg mit seinem Abitur abschließen.
1.3 HAFT UND „REEDUCATION CAMP“
Der unbändige Freiheitsgeist gepaart mit blauäugigem Vertrauen veranlasste Ralf Dahrendorf, gemeinsam mit „Poldi“ Eduard Grosse eine Widerstandsgruppe zu gründen. Da sämtlicher Schriftverkehr der Familie Dahrendorf durch die Geheime Staatspolizei überwacht wurde, flog der Schüler jedoch bald auf und wurde von der Gestapo zuerst verhört und mit dem Rohrstab geschlagen und dann eine Woche später schließlich verhaftet.20
In Einzelhaft wurden die beiden Schüler zehn Tage festgehalten, später wurden sie nach Frankfurt an der Oder gebracht, von dort nach Schwetig, das heutige Swiecko in Polen, in das „Erweiterte Polizeigefängnis Schwetig“ der Gestapo. Dort waren sie mit anderen „angeblich staatsgefährdenden Abweichlern“ von SS-Chargen bewacht.21
Erst kurz vor der Befreiung Deutschlands durch die Aliierten wurde Dahrendorf aus dem Lager, in dem er gemeinsam mit den inhaftierten Arbeiterführern ein Weihnachtsfest mit Arbeiterliedern verbrachte, freigelassen und schlug sich auf eigene Faust bis nach Berlin zu seiner Mutter durch.22
[...]
1 HansgertPeisert, 1994
2 ansgert Peisert 1978
3 Jan W. van Deth 2002
4 Erwin K. Scheuch 2002
5 Rudi Dutschke, 2003
6 alf Dahrendorf, 2005, Seite 38
7 Gustav Dahrendorf, 2005
8 Ralf Dahrendorf, 2004 S 62 - 70
9 Ralf Dahrendorf, 2004 S 64
10 Ralf Dahrendorf, 2004 S 71 - 78
11 Ralf Dahrendorf, 2004 Seite 89-95
12 Werner Müller 2001 Seite 49
13 Ralf Dahrendorf, 2004 S 89 - 95
14 Walther Georg Oschilewski, 1954
15 Ralf Daherndorf, 2004 Seite 115
16 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 47
17 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 51
18 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 52f
19 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 65
20 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 70
21 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 73f
22 Ralf Dahrendorf, 2004, Seite 75ff
- Citation du texte
- Gerald Czech (Auteur), 2006, Der Politiker Ralf Dahrendorf in seinen Funktionen für Deutschland, Europa und Großbritannien und sein Wirken, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61567
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