Der Dreißigjährige Krieg hatte viele Facetten – viele grausame Facetten. So endet in dem kleinen Städtchen Heldrungen im Jahr 1639 eine Ehe nach 32 Jahren auf fatale Weise. Ein Mann tötet seine siebzigjährige Frau um danach ihr Fleisch zu kochen – und anschließend teilweise zu verzehren. Der Hunger, die Not treibt ihn zu dieser Tat. Mensch gegen Mensch.
Naumburg, zur gleichen Zeit. Vor Ausbruch des Krieges ist die Saale-Stadt ein aufstrebender Ort. Sie wächst, floriert, etabliert sich als Messestandort. Zwischen 1621 und 1645 erlebt Naumburg seinen Niedergang. Die Einwohnerzahl dezimiert sich um 51 Prozent. Die Vorstädte trifft es am schlimmsten: hier werden Verluste von über zwei Drittel beklagt. Der Krieg rafft die Menschen danieder. Das große Sterben. Mensch gegen Mensch.
1651: Ein Buch erscheint. Im „Leviathan“ schildert der Philosoph Thomas Hobbes, was er von den Menschen hält. Er konstruiert ein Menschenbild, das in Worte kaum härter zu fassen ist. „Erstens Konkurrenz, zweitens Misstrauen, drittens Ruhmsucht“, sind die Attribute, die den Menschen auszeichnen. die Selbsterhaltung des Individuums hat oberste Priorität, jeder ist sich „eines jeden Feind“, kurz: es herrscht ein Krieg aller gegen aller. Dies sieht Hobbes zumindest im Naturzustand so. Einer Phase, ohne Staat. Einer Konstruktion, in der sämtliche Zentralgewalt fehlt, jeder sein eigener Herr ist. Seine Grundlage für die Erschaffung eines mächtigen Souveräns.
Doch die Frage ist: Wie gelangt Hobbes zu einem Menschenbild, was düsterer nicht sein könnte? Und, ist dieses überhaupt als realistisch anzusehen? Ist die menschliche Natur von Grund auf schlecht, böse und zum Töten bereit? Verfallen wir in der Anarchie auch in die Brutalität?
In der vorliegenden arbeit möchte ich die Problematik des Hobbes′schen Naturzustandes und Menschenbildes erörtern. Dabei konzentriere ich mich schwerpunktmäßig auf die Auseinandersetzung mit dem 13. Kapitel des „Leviathan“: „Von den natürlichen Bedingungen der Menschheit im Hinblick auf ihr Glück und Unglück“. Weiterhin erfolgen auch Verweise auf das vorangegangene 11. Kapitel, sowie Einschätzungen aus anderen Hobbes′schen Werken.
Der abschließende Blick in die Gegenwart, mit empirischen Belegen, kann dann darauf verweisen wie Menschen heute über den Menschen selbst denken. Liegt Hobbes mit seiner düsteren Prognose richtig? Lautet im Ausnahmezustand die Devise wirklich: Mensch gegen Mensch, koste es was es wolle?
Gliederung
1. Einleitung
2. Naturzustand und Menschenbild: Zusammenfassung des 13. Kapitels
2.1 Rücknlick auf das 11. Kapitels
2.2 Der Naturzustand
3. Mögliche Erklärungsversuche für Hobbes' Menschenbild
3.1 Historische Ursachen
3.2 Biographische Ursachen
4. Kritische Auseinandersetzung mit Hobbes' Naturzustand und Menschenbild
4.1 Gegenpositionen: Der Naturzustadn bei John Locke
4.2 Kritik am Hobbes'schen Menschenbild
5. Synthese: Hobbes' Menschenbild in der Gegenwart
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Dreißigjährige Krieg hatte viele Facetten - viele grausame Facetten. So endet in dem kleinen Städtchen Heldrungen im Jahr 1639 eine Ehe nach 32 Jahren auf fatale Weise. Ein Mann tötet seine siebzigjährige Frau um danach ihr Fleisch zu kochen - und anschließend teilweise zu verzehren.1 Der Hunger, die Not treibt ihn zu dieser Tat. Mensch gegen Mensch.
Naumburg, zur gleichen Zeit. Vor Ausbruch des Krieges ist die Saale-Stadt ein aufstrebender Ort. Sie wächst, floriert, etabliert sich als Messestandort. Zwischen 1621 und 1645 erlebt Naumburg seinen Niedergang. Die Einwohnerzahl dezimiert sich um 51 Prozent. Die Vorstädte trifft es am schlimmsten: hier werden Verluste von über zwei Drittel beklagt.2 Der Krieg rafft die Menschen danieder. Das große Sterben. Mensch gegen Mensch.
Am 27. Januar 1648 wird in England Geschichte geschrieben. König Karl der Erste wird wegen Hochverrats zum Tode verurteilt - und drei Tage später hingerichtet.3 Die Monarchie wird beendet, die Republik ausgerufen.4 Zuvor versank England über Jahre im Chaos des Bürgerkrieges. Zahlreiche Opfer werden beklagt. Erneut: Mensch gegen Mensch.
1651: Ein Buch erscheint. Der Verleger Andrew Crooke verlangt acht Shillings, sechs Pence für die (englische) Originalausgabe5. Im „Leviathan“6 schildert der Philosoph Thomas Hobbes, was er von den Menschen hält. Er konstruiert ein Menschenbild, das in Worte kaum härter zu fassen ist. „Erstens Konkurrenz, zweitens Misstrauen, drittens Ruhmsucht“7, sind die Attribute, die den Menschen auszeichnen. Im Zusammenleben fänden die Menschen „kein Vergnügen, sondern eher großen Verdruß“8, die Selbsterhaltung des Individuums hat oberste Priorität, jeder ist sich „eines jeden Feind“9, kurz: es herrscht ein Krieg aller gegen aller. Dies sieht Hobbes zumindest im Naturzustand so. Einer Phase, ohne Staat. Einer Konstruktion, in der sämtliche Zentralgewalt fehlt, jeder sein eigener Herr ist.10 Seine Grundlage für die Erschaffung eines mächtigen Souveräns, eines mit Allmacht ausgestatteten Staates, der die Menschen in die bürgerliche Gesellschaft führen und dauerhaften Frieden garantieren soll...
Doch die Frage ist: Wie gelangt Hobbes zu einem Menschenbild, was düsterer nicht sein könnte? Und, ist dieses überhaupt als realistisch anzusehen? Ist die menschliche Natur von Grund auf schlecht, böse und zum Töten bereit? Verfallen wir in der Anarchie auch in die Brutalität? Sind Werte wie Solidarität, Nächstenliebe und Altruismus im Naturzustand nicht möglich?
Die zu Beginn der Arbeit aus dem Kontext gerissenen Fallbeispiele, allesamt aus Hobbes Epoche, könnten ihn inspiriert haben, so zu denken - und sind Argumente für die These zugleich.
In der vorliegenden Hausarbeit möchte ich die Problematik des Hobbes'schen Naturzustandes und Menschenbildes erörtern. Dabei konzentriere ich mich schwerpunktmäßig auf die Auseinandersetzung mit dem 13. Kapitel des „Leviathan“:
„Von den natürlichen Bedingungen der Menschheit im Hinblick auf ihr Glück und Unglück“. Weiterhin erfolgen auch Verweise auf das vorangegangene 11. Kapitel, sowie Einschätzungen aus anderen Hobbes'schen Werken, wie „De Cive“. Indem ich auf mögliche biographische und historisch-kontextuale Zusammenhänge eingehe, versuche ich eine Begründung für seine Denkweise zu finden. Im Vergleich mit John Locke und der kritischen Auseinandersetzung durch andere Philosophen soll eine Synthese für die Hobbes'sche Denkweise gefunden werden. Der abschließende Blick in die Gegenwart, mit empirischen Belegen, kann dann darauf verweisen wie Menschen heute über den Menschen selbst denken. Liegt Hobbes mit seiner düsteren Prognose richtig? Lautet im Ausnahmezustand die Devise wirklich: Mensch gegen Mensch, koste es was es wolle?
2. Naturzustand und Menschenbild: Zusammenfassung des 13. Kapitels
2.1 Rückblick auf das 11. Kapitel
Düster und erschreckend fällt sie aus: die Analyse Hobbes' der menschlichen Natur. In Kapitel 13 des „Leviathan“ erörtert er die Gründe, warum ein menschliches Zusammenleben im Naturzustand - einer Phase ohne staatliche Interventionsmöglichkeiten - in einem unerträglichen Gewaltszenario enden würde. Darauf bereitet er den Leser aber bereits langsam vor. Im Kapitel 11 wird erstmals deutlich, wie Hobbes den Menschen sieht, und warum es zur naturzustandlichen Katastrophe zwangsläufig kommen muss.
Eine der ersten Einschätzungen verweist auf die Rast- und Ruhelosigkeit der menschlichen Natur.11 Der Mensch findet Glückseligkeit nicht in „zufriedener Seelenruhe“12, sondern nur im „ständigen Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen“13. Er widerlegt die Vorstellung der Moralphilosophen, dass es ein „finis ultimus“ für den Menschen gäbe, ein finales Ziel also.14 Seiner Ansicht nach will der Mensch nicht punktuell genießen, sondern ist bestrebt, diesen Genusszustand auch zu sichern und in die Zukunft zu tragen.15 Er ist rastlos.
Hobbes geht noch weiter und zeigt die Wurzel des „bellum omnium contra omnes“ im Naturzustand auf: Er attestiert, dass der „Mensch fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb“16 besäße. Die gegenwärtige Macht, der gegenwärtige Zustand könne aber nur durch die Akkumulation von noch mehr Macht sichergestellt werden. Eine Spirale wird in Gang gesetzt. Er verweist als Beweis, auf Könige, die gerade dann weitere Kriege avisieren, wenn ihre Macht am stärksten wäre. Eine Eroberung folgt der anderen - zur Sicherstellung der gegenwärtigen Verhältnisse.17
Diesem „Wetteifer um Reichtum, Ehre, Befehlsgewalt“18, führe zu „Streit, Feindschaft und Krieg“19, so Hobbes. Ein harmonisches Miteinander wird durch die menschliche Rastlosigkeit im Voraus bereits verhindert. Hobbes argumentiert mit der Formel: Dem einen sein Vorteil, kann nur zu Lasten eines anderen aufgebaut werden.20 Tötung, Verdrängung und Unterwerfung sind Praktiken um an das angesteuerte Ziel zu gelangen.
Doch Hobbes attestiert dem Menschen noch etwas entscheidendes, was später als Schlüssel für seine Argumentation zur Errichtung eines starken Staates führt. So bemerkt er, dass der Mensch ein „Verlangen nach angenehmen Leben und sinnlichem Vergnügen“21, sowie den Drang nach „Wissen und friedlichen Künsten auszeichnet“22. Diese Leidenschaften wären der Schlüssel zur Bereitschaft einer allgemeinen Gewalt zu gehorchen. Dazu später mehr.
2.2 Der Naturzustand
Zunächst beschreibt Hobbes das Dilemma, welches sich im Naturzustand ergibt. Grundvoraussetzung dieser Phase sind zwei Bedingungen: Die körperliche und geistige Gleichheit aller Menschen.23 Dies erscheint verwunderlich. Hobbes begründet diese Feststellung aber damit, dass selbst die stärkste Person, vom Schwächsten getötet werden kann - sofern dieser im Verbund mit anderen handelt. Und geistige Klugheit würde nur aus Erfahrung resultieren.24 Wer sich also „gleich lang mit den gleichen Dingen“25 beschäftigen würde, hat die Möglichkeit, das gleiche Maß an geistiger Stärke zu erlangen.
Diese Gleichheit der Fähigkeiten, hätte allerdings auch eine Gleichheit der Hoffnung, unsere Absichten zu erreichen, zur Folge.26 Hobbes sieht darin eine Quelle für heranwachsende Feindschaft. Denn wenn zwei Individuen nach dem Gleichen streben, so muss es zwangsläufig einen Verlierer geben. Notfalls werden Besitztümer im Kollektiv vom eigentlichen Eigentümer abgejagt.27
Hobbes sieht in dieser Situation eine äußerst labile Lage. Denn selbst der Eroberer muss damit rechnen, dass ihm sein errungener Besitz vom nächsten Angreifer strittig gemacht wird.28 Besitz ist im Naturzustand keine Konstante, keine Garantie. Somit dreht sich im Hobbes'schen Sinne die Gewaltspirale weiter. Der Mensch würde um dieser elenden Situation zu entfliehen, präventiv handeln und potenzielle Feinde im Voraus unterdrücken.29 Das „gegenseitige Mißtrauen“ führt in diese Konsequenz. Dies geschehe solange, bis sich der Mensch halbwegs sicher fühlen könnte.30
Dem Menschen attestiert Hobbes noch eine weitere höchst negative Eigenart, die diametral zu den lange akzeptierten Eigenschaften der Moralphilosophen steht. So spricht Hobbes dem Menschen die Gesellschaftsfähigkeit ab. Darin verspüre er „großen Verdruß“31, der Mensch sucht die Gesellschaft nur, wenn sie ihm auch nutzen würde. Drei hauptsächliche Konfliktursachen macht Hobbes aus, die dem Menschen das friedliche Zusammenleben unmöglich machen: „Erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht“32, sind für ihn die Konfliktursachen. Konkurrenz führe dabei zu Angriffen auf den Gewinn, Misstrauen, zu Angriffen auf die Sicherheit und die Ruhmsucht zu Anschlägen auf das Ansehen der Mitmenschen33.
Daraus zieht Hobbes die Konsequenz, dass sich die Menschen in einer solchen Phase, „ohne eine allgemeine, sie alle im Zaum haltende Macht“34, im permanenten Kriegszustand leben. Es ist ein Krieg, „eines jeden gegen jeden“35. Dabei sieht Hobbes Krieg nicht nur als eine Phase unmittelbarer aktiver Gewaltausübung an. Es ist für ihn auch die Zeit, indem Menschen bereit wären zu töten, der grundsätzliche Wille zur Gewalt also vorhanden wäre36.
Dieser vage Zustand hat für Hobbes weitreichende Konsequenzen. „Das menschliche Leben ist einsam, armselig und kurz“37, schreibt er und meint damit, dass Besitz nicht genossen, Kultur nicht gepflegt werden kann, kein Platz für wissenschaftlichen Fortschritt wäre und gesellschaftliche Beziehungen sich nicht entwickeln könnten. Dieser Zustand bedeutet demnach totale Stagnation. Denn: Alles ist permanent in Gefahr, Hauptaufgabe ist es, das eigene Leben zu sichern, für nicht-existentielles bleibt keine Zeit. Es geht ums nackte Überleben.38
Sein Menschenbild kann Hobbes auch plausibel belegen. Zweiflern möchte er aufzeigen, wie sich in Alltagssituationen verhalten würden. Wer würde denn nicht „in guter Begleitung reisen“39, „beim Schlafen [...] die Türen verschließen“40, oder seine Besitztümer permanent sichern und wegschließen? Dies würden so praktiziert werden, da alle genauso negativ über die Mitmenschen denken würden. Diese Taten wären seiner drastischen Anklage ähnlich.41
[...]
1 Vgl. Franz, Günther: Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk. Untersuchungen zur Bevölkerungs-und Agrageschichte, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart/New York 1979, S. 5
2 Vgl. Ebd., S. 36
3 Metzger, Hans-Dietrich: Thomas Hobbes und die englische Revolution, Friedrich Frommann Verlag, stuttgart-Bad Cannstatt 1991, S. 304
4 Vgl. Ebd.
5 Vgl. Ebd., S. 305
6 Vgl. Fetcher, Iring (Hrsg.): Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen
Staates, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Neuwied/Berlin 1966, passim
7 Ebd., S. 96
8 Ebd., S. 95
9 Ebd., S. 96
10 Vgl. Ebd., S. 98; passim
11 Vgl. Ebd., S. 75
12 Vgl. Ebd
13 Vgl. Ebd.
14 Vgl. Ebd.
15 Vgl. Ebd.
16 Ebd.
17 Vgl. Ebd.
18 Ebd., S. 76
19 Ebd.
20 Vgl. Ebd.
21 Ebd.
22 Ebd.
23 Vgl. ebd., S. 94
24 Vgl. ebd.
25 Ebd.
26 Vgl. ebd.
27 Vgl. ebd., S. 95
28 Vgl. ebd.
29 Vgl. ebd.
30 Vgl. ebd.
31 Ebd.
32 Ebd., S. 96
33 Vgl., ebd.
34 Ebd.
35 Ebd.
36 Vgl. ebd.
37 Ebd.
38 Vgl. ebd.
39 Ebd., S. 97
40 Ebd.
41 Vgl. ebd.
- Citation du texte
- Marcus Sommer (Auteur), 2006, Naturzustand und Menschenbild bei Thomas Hobbes 'Leviathan'. Woher resultiert das düstere Menschenbild - und ist dieses als realistisch anzusehen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61418
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