„Entstehungsort für die kommunikative Semantik von “Klatsch“ war das gemeinsame Wäschewaschen der Frauen. Bei der Arbeit der „Waschweiber“ entstanden „klatschende“ Schläge.“ Wie bei anderen Arbeiten auch, tauscht man Neuigkeiten aus, nur „kam als Besonderheit hinzu, dass die Frauen im Umgang mit der (…) Wäsche, in der sich der körperliche Schmutz des Besitzers absetzte und „verräterische“ Flecken (…) befanden, fortwährend auf Spuren der Privat- und Intimsphäre anderer stießen.“ Man kann sich das Unbehagen der Leute vorstellen, wenn das „Klatschen“ vom Waschplatz herüber klang und man wusste, dass dort jegliche Art schmutziger Wäsche gewaschen wurde. „Ursprünglich bezog sich das Wort ‚ragot’ (frz.Klatsch, Tratsch,Anm,. d. Verf.) auf die Quelle und den Effekt einer Kommunikation: Er bezeichnete das Grunzen eines Wildschweins. Heute stimmt es mit dem Inhalt und dem Objekt der Kommunikation überein: Es handelt sich um minderwertige, an Verleumdungen grenzende Geschichten, die über einen Menschen erzählt werden.“2Tratsch als Abkömmling des Grunzens oder der intimen Fleckensuche der Waschweiber, der Ursprung gibt die Richtung vor: Tratsch war und ist ein negativ betrachtetes und bewertetes Phänomen, minderwertig und kaum der Untersuchung wert. Das Klatsch und Tratsch dennoch eine alltägliche Erscheinung bleibt, ist unübersehbar. Überall wird gerne und viel getratscht: „In government bulletins the main product of Fuenmayor is described as wheat, since the majority of the people are engaged in its cultivation. But on this basis it would be more appropriate to describe the main product of Fuenmayor as gossip, because 100 per cent of the people are engaged in its cultivation.” Umso erstaunlicher scheint es, dass eine wissenschaftliche Erarbeitung des Bereiches Tratsch und Klatsch erst allmählich einsetzt. Eine mögliche Erklärung bietet hier die Eingangs erwähnte Verbindung des Hörensagens mit den „Waschweibern“, was den Weg frei machte für eine Abwertung des Tratsches als „Weibergeschwätz“, nicht wert vom - männlich dominierten - wissenschaftlichen Betrieb bearbeitet zu werden? [...]
Inhalt
1. „Alte Klatschtante“ – Tratschen als alltägliches Phänomen
2. Tratsch und Gemeinschaft
3. Mittäterschaft vs. Gruppenbildung: Vergleichende Analyse
3.1 Waschweiber und Krabbenpuler: Tratschende Gruppen
3.2 Verpöntes Treiben: Das Verhältnis der Gruppenmitglieder zum Tratschen
3.3 Sündenböcke und Affären: Gegenstand und Opfer von Klatsch
3.4 Wege in die Gruppe: Die Situation des Forschers
4. Schlussbetrachtungen
5. Literatur
1. „Alte Klatschtante“ – Tratschen als alltägliches Phänomen
„Entstehungsort für die kommunikative Semantik von “Klatsch“ war das gemeinsame Wäschewaschen der Frauen. Bei der Arbeit der „Waschweiber“ entstanden „klatschende“ Schläge.“ Wie bei anderen Arbeiten auch, tauscht man Neuigkeiten aus, nur „kam als Besonderheit hinzu, dass die Frauen im Umgang mit der (…) Wäsche, in der sich der körperliche Schmutz des Besitzers absetzte und „verräterische“ Flecken (…) befanden, fortwährend auf Spuren der Privat- und Intimsphäre anderer stießen.“[1] Man kann sich das Unbehagen der Leute vorstellen, wenn das „Klatschen“ vom Waschplatz herüber klang und man wusste, dass dort jegliche Art schmutziger Wäsche gewaschen wurde.
„Ursprünglich bezog sich das Wort ‚ragot’ (frz. Klatsch, Tratsch, Anm,. d. Verf.) auf die Quelle und den Effekt einer Kommunikation: Er bezeichnete das Grunzen eines Wildschweins. Heute stimmt es mit dem Inhalt und dem Objekt der Kommunikation überein: Es handelt sich um minderwertige, an Verleumdungen grenzende Geschichten, die über einen Menschen erzählt werden.“[2] Tratsch als Abkömmling des Grunzens oder der intimen Fleckensuche der Waschweiber, der Ursprung gibt die Richtung vor: Tratsch war und ist ein negativ betrachtetes und bewertetes Phänomen, minderwertig und kaum der Untersuchung wert.[3]
Das Klatsch und Tratsch[4] dennoch eine alltägliche Erscheinung bleibt, ist unübersehbar. Überall wird gerne und viel getratscht:
„In government bulletins the main product of Fuenmayor is described as wheat, since the majority of the people are engaged in its cultivation. But on this basis it would be more appropriate to describe the main product of Fuenmayor as gossip, because 100 per cent of the people are engaged in its cultivation.”[5]
Umso erstaunlicher scheint es, dass eine wissenschaftliche Erarbeitung des Bereiches Tratsch und Klatsch erst allmählich einsetzt. Eine mögliche Erklärung bietet hier die Eingangs erwähnte Verbindung des Hörensagens mit den „Waschweibern“, was den Weg frei machte für eine Abwertung des Tratsches als „Weibergeschwätz“, nicht wert vom - männlich dominierten – wissenschaftlichen Betrieb bearbeitet zu werden?
Häufig findet eine Beschäftigung mit Tratsch als Nebenprodukt einer Feldforschung statt, bei der der Forscher so vehement mit dem Phänomen in Berührung kommt, dass er ihm immerhin einen Aufsatz widmet, denn eigentlich, „ganz der Vernachlässigung durch die Soziologie und Anthropologie entgegen gesetzt, ist Tratschen eine Perle der Wissenschaft, die je nach Licht unterschiedlich schimmert.“[6]
Schon die ersten solcher Arbeiten weisen auf die Funktion als sozialer Kontrollmechanismus hin, den der Tratsch in Gesellschaften innehat. Die Angst vor dem Tratsch der anderen als informeller Regulator, um die Mitglieder zu konformen Verhalten aufzufordern, ist nach Bergmann ein „soziologischer Gemeinplatz. Kaum einer kann ihr (d. Theorie, Anm. d. Verf.) mehr etwas Besonderes abgewinnen; allenfalls führt sie in soziologischen Einführungsbüchern das Rentnerdasein eines ‚interessanten’ Beispiels.“[7]
Auch wenn auf entsprechende Theorien hier nicht explizit eingegangen werden soll, wird die Frage inwieweit Klatsch reguliert und ob Mitglieder einer Gruppe sich dem sozialen Druck, der durch das Tratschen der anderen entsteht, beugen, immer wieder aufgegriffen werden.
Das Hauptaugenmerk soll aber an anderer Stelle liegen: Dem gruppenbildenden und stärkenden Charakter von Klatsch und Tratsch. Drei Aufsätze sollen dabei „quergelesen“ werden, die sich mit dem Thema Tratsch auseinandersetzen: Julia Hornbergers Untersuchung auf der Insel Aran[8], „Gossip in Henningsvaer“[9] von Randi Andreassen und David Gilmores Aufsatz zum Tratsch in einer spanischen Kleinstadt.[10]
Durch den Vergleich der drei Untersuchungen soll gezeigt werden, inwieweit Gruppen sich durch Tratsch bilden bzw. festigen und wie über Tratschgruppen Grenzen gezogen werden. Vielleicht aber auch, wie Tratsch der Gemeinschaft abträglich ist, eher destruktives als stabilisierendes Element.
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Situation des Forschers, wird an ihm doch dieser Mechanismus deutlich. Tratsch scheint in einigen Fällen den Weg zu bieten, an der Gruppe teilzunehmen, an anderer Stelle wird gerade in dem Moment der versuchten Teilnahme am gemeinschaftlichen Klatschen eine deutliche Grenze gezogen.
Die Beschränkung auf solch eine geringe Anzahl von Forschungen ist dabei sowohl Mangel, als auch Gewinn: Das Exemplarische wird immer im Vordergrund stehen und eine weiterführende Verallgemeinerung kann aufgrund der wenigen Daten wohl kaum gewagt werden. Dennoch ermöglicht die Konzentration auf solch ausgewählte Arbeiten eine Konzentration auf Details, die bei größeren Datenmengen unweigerlich aus dem Blickfeld gerieten.
Zwei Theorien sollen bei der Analyse den Hintergrund bilden, da sie sich – wenn auch unter verschiedenen Blickwinkeln – mit dem Verhältnis von Tratsch und Gemeinschaft beschäftigen: Max Gluckmanns Idee einer Schaffung von Gemeinschaft durch Tratsch und Bergmanns Theorie der Diskreten Indiskretion, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.[11]
2. Tratsch und Gemeinschaft
Max Gluckmann lieferte in seinem Artikel „Gossip and Scandal“[12] eine funktionalistische Theorie, die dem Tratsch beim Bilden und Erhalten von Gemeinschaften eine wichtige Stellung zukommen ließ. Im Tratsch, so seine These, versichert sich die Gesellschaft ihrer Werte und Normen und somit ihrer selbst. Mitglied einer Gemeinschaft zu sein heißt auch, Mittratschen zu können und zu müssen. Seine Theorie baut er zu großen Teilen auf die Ergebnisse der Forschungen von Elisabeth Colson über die Makah in Amerika.[13]
Hierbei hat der Tratsch einerseits die schon erwähnte Funktion durch das Lästern über Andere die gruppeninternen Werte und Normen zum Ausdruck zu bringen, andererseits darf nur derjenige Mittratschen, der auch Mitglied der Gruppe ist. Im Falle der Makah-Indianer geht Gluckman so weit, dass er das Tratschen über einander als wichtigstes Gruppenmerkmal sieht: „To be a Makah you must be able to join in the gossip, and to be fully a Makah, you must be able to scandalize skilfully.”[14] Die Grenze zwischen ‚den Amerikanern’ und der eigenen Gruppe wird so gezogen.
Aber auch indem im Tratsch Konflikte ausgetragen werden, hat er stabilisierende Funktion für die Gemeinschaft, da ein offenes Ausbrechen von Streit vermieden wird. Die Streitigkeiten werden verdeckt ausgetragen „for insult of this kind, if open, make impossible the pretence of group amity.“[15] Die Geschlossenheit der Gemeinschaft wird durch ein Verdrängen der Konflikte in den Bereich des Tratschens gesichert.
Gluckman weist dem Tratsch soziale Kontrollfunktion zu, Abweichungen vom Gruppenkonsens werden „tratschend“ abgestraft, Werte als allgemeine Werte – für Mitglieder der Gruppe - auf diesem Wege bestätigt.
Im Laufe dieser Arbeit wird auf Gluckmans Theorie immer wieder eingegangen werden. Im Moment soll der Hinweis auf die gruppenbildende und gleichzeitig kontrollierende Funktion des Tratsches genügen.
Einen anderen Ansatz wählt Bergmann, der die schon Eingangs erwähnte gesellschaftliche Ächtung des Tratsches zum Angelpunkt seiner Theorie macht. Informationen über das Privatleben von Freunden führen zu einem paradoxen Loyalitätskonflikt, da man einerseits der Diskretion verpflichtet ist, das Erfahrene nicht weiterzugeben, andererseits den anderen Freunden ein Recht zuzustehen scheint, diese Informationen ebenfalls zu erhalten. Indem die erhaltenen Informationen nun nicht wahllos beliebigen Menschen mitgeteilt werden, sondern gezielt an gemeinsame Freunde, wird wiederum Diskretion bewahrt. „Diese Sozialform der diskreten Indiskretion bildet die institutionalisierte Lösung eines strukturellen Widerspruchs. (…) Klatsch verstößt gegen das Diskretionsgebot und respektiert es doch auch gleichzeitig.“[16]
Gemeinschaft wird hier nicht durch die Artikulation gemeinschaftlicher Werte und Normen im Tratsch geschaffen, sondern auf der Basis einer Mittäterschaft, hervorgerufen durch die gesellschaftliche Ablehnung: „Erst die Ächtung von Klatsch und Indiskretion führt zur Aktivierung des sozialen Beziehungsnetzes aus Freunden und Bekannten“, was durch die diskret indiskret ausgetauschten Neuigkeiten zusätzlich gestärkt wird: „Damit ist Klatsch (…) ein Vergemeinschaftungsmechanismus ersten Ranges – freilich nur unter der Voraussetzung, dass er auch weiterhin einer gesellschaftlichen Ächtung unterliegt.“[17]
3. Mittäterschaft vs. Gruppenbildung: Vergleichende Analyse
Mit diesen beiden Theorien im Hintergrund soll nun ein Vergleich der erwähnten Forschungen gewagt werden. Es stellt sich natürlich in diesem Zusammenhang die Frage, nach Vergleichskriterien, Kategorien, die eine Ebene bilden, um die gesammelten Daten einordnen zu können. Die Idee ist dabei, von äußeren Faktoren zu den inneren zu gehen, d.h. nachdem Örtlichkeit und Zusammensetzung der tratschenden Gruppen verglichen wurden, soll über die Inhalte und Objekte des Tratsches die Frage nach Gruppenzusammenhalt und Grenzziehung gestellt werden. Der bisher durch die Theorien hergestellte Zusammenhang von Tratsch und Gemeinschaft kann in diesem Kontext nochmals kritisch hinterfragt werden.
Wie bei allen gesellschaftlichen Phänomenen, kämpft man auch bei einer Analyse des Tratsches mit seiner Uneindeutigkeit. Jenseits der positiven Wissenschaften im Reich der reinen Oralität zu Hause, lässt er sich kaum greifen, einordnen und kategorisieren. Man möge dieser Arbeit manche Uneindeutigkeit und Wiederholung verzeihen, sind sie doch Zeugnis gerade dieser hervorstechenden Eigenschaften des untersuchten Gegenstandes.
[...]
[1] Bergmann, Jörg R.,1987, Klatsch – Zur Sozialform der diskreten Indiskretion, Berlin, S. 85
[2] Kapferer, Jean-Noel, 1987, Gerüchte – Das älteste Massenmedium der Welt, Paris/Berlin, S. 29
[3] Um Verwirrungen zu vermeiden, verstehe ich im Folgenden Tratsch als kritisches Gespräch über abwesende Dritte. Diese Definition erscheint mir am neutralsten und erfüllt die Anforderung, sich den verschiedenen Inhalten des Tratsches anzupassen.
[4] Ich benutze beide Begriffe als Synonyme. Ein Bedeutungsunterschied lässt sich meiner Meinung nach nicht nachweisen oder erscheint im Rahmen dieser Arbeit als nicht relevant.
[5] Gilmore, David, 1978, Varieties of Gossip in a Spanish Rural Community, Ethnology, XVIII,S. 69 – 89, S. 92
[6] Hornberger, Julia, 1998, Die Kraft des Tratschens. Versuch einer Definition, Ethnofoor, XI (2), S. 7-24, S.20
[7] Bergmann, S. 193
[8] Hornberger, Julia, 1998, a.a.O.
[9] Andreassen, Randi, 1998, Gossip in Henningsvaer, Ethnofoor, XI (2), S. 41-56
[10] Gilmore, David, 1978, a.a.O.
[11] Auf Robert Paines Theorie des Tratsches als Informationsmanagement wird aus Gründen der Vereinfachung nicht explizit eingegangen. Sie mag an einigen Stellen der Analyse durchschimmern.
[12] Gluckman, Max, 1963, Gossip and Scandal, Current Anthropology 4 (3), S. 307 - 315
[13] Colson, Elisabeth, 1953, The Maka Indians, Manchester – hier zitiert aus Gluckmans Artikel.
[14] Gluckman, S. 311
[15] ebd., S. 313
[16] Bergmann, S. 210
[17] ebd., S. 211
- Citation du texte
- Gesine Aufdermauer (Auteur), 2005, Klatsch, Tratsch und Gemeinschaft: Eine vergleichende Analyse zum Verhältnis von Gruppenbildung und Hörensagen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61277
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