Noch heute, fast 75 Jahre nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933, ist aus soziologischer und sozialpsychologischer Forschungsperspektive die Entstehung und Form der nationalsozialistischen Herrschaft nicht eindeutig geklärt. Die moderne wahlsoziologische und kommunikationswissenschaftliche Forschung beschäftigt sich ebenfalls mit dieser Fragestellung und ist der Erklärung des NS-Phänomens vor und während des Dritten Reichs etwas näher gerückt. Medien und deren Instrumentalisierung spielen dabei eine ebenso bedeutsame wie relevante Rolle. Dies belegen eine Reihe von wissenschaftlichen Befunden zur Medienwirkungs- und Propagandaforschung (vgl. exemplarisch Rösler, 2004).
Die Inszenierung des schönen nationalsozialistischen Scheins durch die Synthese von Politik und Kunst, die Ästhetisierung der Politik wie Walter Benjamin diesen Akt bezeichnet, wird im Rahmen dieser Arbeit als zentrales Instrument der Nationalsozialisten zur Mobilisierung der Massen und zur Bildung eines Führerkultes hervorgehoben. Dabei soll anhand des Reichstagfilms Triumph des Willens von Leni Riefenstahl zum einen analysiert werden, wie der Film, das damalige zentrale Massenmedium, für die NS-Ziele instrumentalisiert wird, um die Massen zu mobilisieren. Zum anderen wird anhand der drei Herrschaftsformen von Max Weber dargestellt, wie die audiovisuelle Gestaltung der ersten Filmsequenz aus Triumph des Willens Adolf Hitler als charismatischen Herrscher darstellt.
INHALT
1. EINLEITUNG
2. ZUR GESELLSCHAFTLICHEN SITUATION – DEUTSCHLAND IN DER KRISE
3. DIE REICHSPARTEITAGFILME UND DIE ROLLE VON LENI RIEFENSTAHL
3.1 DIE REICHSPARTEITAGFILME – EIN PROPAGANDAINSTRUMENT
3.2 DIE REGISSEURIN LENI RIEFENSTAHL – ADOLF HITLER VERFALLEN
3.2.1 EINE BIOGRAPHIE – RIEFENSTAHL UND IHRE KARRIERREN
3.2.2 DER KONTAKT MIT HITLER. WESHALB RIEFENSTAHL DEN CHARISMATISCHEN REIZEN VON HITLER UNTERLIEGEN MUSSTE
4. DIE FILMANALYSE UND DAS INTERPRETATIONSINSTRUMENT
4.1 DIE DREI HERRSCHAFTSFORMEN NACH MAX WEBER
4.1.1 BÜROKRATISCHE HERRSCHAFT
4.1.2 TRADITIONELLE HERRSCHAFT
4.1.3 CHARISMATISCHE HERRSCHAFT
4.2 DIE ANKUNFT DES FÜHRERS – ANALYSE DER ERSTEN FILMSEQUENZ DES REICHTSPARTEITAGFILMS TRIUMPH DES WILLENS
4.2.1 DER PROLOG UND HITERLS ANKUNFT. BESCHREIBUNG DER ERSTEN FILMSEQUENZ AUS TRIUMPH DES WILLENS
4.2.2 ANALYSE – DER HITLER-MYTHOS AUF ZELLULOID
5. SCHLUSSBEMERKUNG
6. LITERATUR
7. LINKVERZEICHNIS
8. ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
Noch heute, fast 75 Jahre nach der Machtergreifung der NSDAP am 30. Januar 1933, ist aus soziologischer und sozialpsychologischer Forschungsperspektive die Entstehung und Form der nationalsozialistischen Herrschaft nicht eindeutig geklärt. Die moderne wahlsoziologische und kommunikationswissenschaftliche Forschung beschäftigt sich ebenfalls mit dieser Fragestellung und ist der Erklärung des NS-Phänomens vor und während des Dritten Reichs etwas näher gerückt. Medien und deren Instrumentalisierung spielen dabei eine ebenso bedeutsame wie relevant Rolle. Dies belegen eine Reihe von wissenschaftlichen Befunden zur Medienwirkungs- und Propagandaforschung (vgl. exemplarisch Rösler, 2004).
Die Inszenierung des schönen nationalsozialistischen Scheins durch die Synthese von Politik und Kunst, die Ästhetisierung der Politik wie Walter Benjamin diesen Akt bezeichnet, wird im Rahmen dieser Arbeit als zentrales Instrument der Nationalsozialisten zur Mobilisierung der Massen und zur Bildung eines Führerkultes hervorgehoben. Dabei soll anhand des Reichstagfilms Triumph des Willens von Leni Riefenstahl zum einen analysiert werden, wie der Film, das damalige zentrale Massenmedium, für die NS-Ziele instrumentalisiert wird, um die Massen zu mobilisieren. Zum anderen wird anhand der drei Herrschaftsformen von Max Weber dargestellt, wie die audiovisuelle Gestaltung der ersten Filmsequenz aus Triumph des Willens Adolf Hitler als charismatischen Herrscher darstellt.
Zunächst findet zu Beginn dieser Arbeit eine kontextuelle Rahmung statt. Anhand bestimmter struktureller Merkmale der damaligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation soll erklärt werden, aus welchen Gründen die nationalsozialistische Bewegung so starken Zulauf erhielt bzw. zur Massenbewegung wurde und weshalb Hitler zum charismatischen Führer einer gesamten Nation werden konnte.
Im darauf folgenden dritten Kapitel wird auf das Medium des (Dokumentar-)Films und dessen nationalsozialistische Instrumentalisierung zum Zwecke der Propaganda eingegangen. Im Rahmen dieses Kapitels wird vor allem das NS-Film Genie Leni Riefenstahl und dessen Rolle im damaligen Regime behandelt. Neben einer kleinen Biographie von Riefenstahl wird auch ihr Verständnis vom Dokumentarfilm und ihr erstes Treffen mit Hitler und dessen Folgen thematisiert.
Die drei reinsten Formen der Herrschaft, wie Max Weber sie deutet, bilden den ersten Abschnitt des vierten Kapitels, da sie später als Analyseinstrument des Reichsparteitagfilms Triumph des Willens verwendet werden. Den Hauptteil dieses Kapitels bildet jedoch die Analyse der ersten Filmsequenz des Parteitagfilms. Dabei wird zunächst die Sequenz beschrieben und daraufhin analysiert. Abschließen wird diese Arbeit eine kurze Schlussbemerkung.
2. ZUR GESELLSCHAFTLICHEN SITUATION – DEUTSCHLAND IN DER KRISE
Der Soziologe Max Weber versteht unter Charisma ein dynamisches Interaktionsphänomen, bei dem sowohl strukturelle Rahmenbedingungen als auch Qualitäten (Persönlichkeitsdispositionen) auf Seiten des Führers und der Geführten von Relevanz sind (ausführlicher zu Webers charismatischer Herrschaftsform siehe Kapitel 4.1.3). Die Psychologen Bass und Aviolo haben 1990 den Begriff der charismatischen Führung mit ihrem Konzept der transformationalen Führung gleichgesetzt. Dabei stellen die beiden bei ihren wissenschaftlichen Befunden heraus, dass extravertierte und allgemein verträgliche Personen dazu neigen, transformational zu führen[1] und Individuen mit einem geringen Selbstvertrauen und tendenzieller Ähnlichkeit zum Führer anfällig für Charisma sind. Zu den kontextuellen Faktoren, die charismatische Führung unterstützen, zählen sie soziale bzw. gesellschaftliche Umbruchsituationen, fehlende Möglichkeiten der finanziellen Belohnung von Leistungen und mehrdeutige Aufgaben ohne klare messbare Ziele. Im Gegensatz zu Weber untermauern Bass und Aviolo allerdings ihre Befunde anhand von empirischen Daten (vgl. Schuler und Höft, 2004, S.304 und Wegge und von Rosenstiel, 2004, S.479ff).
Werden die drei strukturellen Rahmenbedingungen für den Erfolg von charismatischer Herrschaft (Führung) als Prämissen für deren Auftreten gedeutet, lässt sich der Erfolg der damaligen NS-Massenbewegung und der Aufstieg der NSDAP aus ihrer politischen Bedeutungslosigkeit wie folgt interpretieren:
Am 25. Oktober 1929 brach in New York die Börse zusammen und die Weltwirtschaftskrise begann. Einige Monate später traf auch Deutschland der Schwarzen Freitag mit voller Wucht. Die Arbeitslosenzahl stieg sprunghaft an und Anfang 1933 war fast jeder dritte Arbeitnehmer auf der Straße. Nicht nur in der Arbeiterschicht sondern selbst im Mittelstand machte sich Panik breit und immer mehr Menschen gaben dem System der Weimarer Republik und der Demokratie für die nationale und wirtschaftliche Talfahrt die Schuld[2]. Die Schmach des verlorenen ersten Weltkrieges und damit in Zusammenhang stehend, die Auflagen des Versailler Vertrages, taten ihr übriges, um in Deutschland für eine Krisenstimmung zu sorgen (vgl. Kinkel, 2002, S.22ff).
Diese emotionsgeladene Situation machte sich Hitler (der Führer), als redegewandter und verträglicher Kopf der NSDAP zu Ruhm und Anerkennung gekommen, zu Nutze. Das Volk sehnte sich nach einer partei- und klassenlosen Gesellschaft sowie nach nationalem Wiederaufstieg und wirtschaftlicher Sicherheit. Durch die Weltwirtschaftskrise zusätzlich verunsichert, besaß das deutsche Volk (die Geführten) kaum noch Vertrauen in sich selbst und seine Fähigkeiten. Die politischen Gegenlager der Nationalsozialisten, wie die in Lethargie verfallenen Liberalen, konnten nur fassungslos mit ansehen, wie immer mehr junge Menschen und Nichtwählergruppen sich der NS-Massenbewegung anschlossen und dieser bei Wahlen ihre Stimme gaben. Und selbst der Sozialismus war damals nicht dazu in der Lage, sein eigentliches Klientel, die Arbeitsklasse, zu rekrutieren (vgl. Broszat, 1983, S.57).
Resümierend kann festgehalten werden, dass die besondere Zugkraft der NSDAP darin bestand, dass sie dem Arsenal völkischer Ressentiments und Utopien, in Form des Traums vom dritten Reich und der Überwindung von Klassen, Ständen und Parteien, nicht nur gedanklichen, programmatischen Ausdruck verlieh, sondern es in Taten und konkret-massive Organisation umsetzte (vgl. Broszat, 1983, S.55ff). Durch geschickt gesteuerte NS-Massenpropaganda wurde die Krisensituation noch stärker emotionalisiert und dadurch beträchtliche Schub- und Bewegungskräfte ausgelöst. Die Emotionalisierung von Aufgaben und Zielen – ein völkisches drittes Reich - war das, was Hitler an der Spitze der NSDAP durch seinen unermüdlichen Redemut auf Massenkundgebungen vorantrieb und beherrschte. Aus diesem Grund trug Hitler zum Teil selbst dafür Sorge, dass die situativen Rahmenbedingungen günstig für einen charismatischen Kontext waren. Insofern drücken die Worte von Hess am Reichsparteitag Der Einheit und Stärke sehr genau das aus, was die Anhänger der NS-Bewegung dachten: „Die Partei ist Hitler – Hitler aber ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist“ (Hess zitiert nach Loiperdinger, 1987, S.85). Eine Identifizierung mit der Person Hitlers und seinen Zielen ist unter Berücksichtigung dieser Aspekte ebenfalls gegeben (Broszat, 1983, S.53ff und Broszat, 19770, S.594ff).
Folgende Grafik soll nochmals die relevanten Aspekte für das erfolgreiche Auftreten von Charisma darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 1: Darstellung der Kontextfaktoren, die als Prämissen für das Auftreten von charismatischer Herrschaft fungieren.
3. DIE REICHSPARTEITAGFILME UND DIE ROLLE VON LENI RIEFENSTAHL
Welche (Wirkungs-)Macht die Medien auf die Massen besaßen, war den Nationalsozialisten und vor allem Hitler und Goebbels nicht zuletzt durch die Schriften des amerikanischen Politologen Harold D. Lasswell bekannt[3]. Auch der große Erfolg der Russenfilme, die von Willi Münzenberg vertrieben wurden - hier sei explizit auf die starke klassenübergreifende emotionale Wirkungsweise von Panzerkreuzer Potemkin von Sergej Eisenstein hingewiesen - versetzten die Nazis in Zugzwang, ebenfalls einen kunstvoll ansprechenden und technisch modernen (Spiel- oder Dokumentar-)Film über ihre Bewegung anzufertigen (vgl. Rösler 2004, S.24-25, Kinkel, 2002, S.39, Trimborn, 2002, S.59 und Hinton, 1991, S.29).
In diesem Kapitel soll dargestellt werden, welche Medien wie zur nationalsozialistischen Propaganda instrumentalisiert wurden und auf welchem Wege die Filmemacherin Leni Riefenstahl, neben dem Architekten Albert Speer und dem Skulpturkünstler Arno Breker, zur Ästhetisierung der NS-Bewegung beitrug (vgl. Trimborn S.151ff, Hinton, 1991, S.42 und Loiperdinger, 1987, S.23ff).
3.1 DIE REICHSPARTEITAGFILME – EIN PROPAGANDAINSTRUMENT
Unmittelbar nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 sorgte Hitler noch im Laufe desselben Jahres durch die Positionierung von Joseph Goebbels an die Spitze dreier wesentlicher Institutionen für Propaganda, Film, Rundfunk und Kultur (der Reichskulturkammer, des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und der Reichspropagandaleitung der NSDAP) dafür, dass sämtliche Bereiche der öffentlichen Meinung unter die strikte Kontrolle und Lenkung der Nationalsozialisten fielen. Auf diesem Wege gelangte, auch gegen den Willen der Koalitionspartner und des Vizekanzlers Franz von Papen, die Regie der Massenmedien in die Hände des NS-Staates. Durch die entsprechende Gleichschaltung der medial vermittelten Massenkommunikationsinhalte entstand die Massenkultur und NS-Ästhetik der Nationalsozialisten. Die damalige Avantgarde der Künstler hatte nach der Machtergreifung der Nazis prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten oder zu emigrieren (vgl. Trimborn, 2002, S.155-157, Kinkel, 2002, S.39-49, Broszat, 1970, S.405 und Reichel, 1987, S.128).
[...]
[1] Unter transformationale Führung verstehen Bass und Aviolo die Transformation der Bedürfnisse, Werte und Ziele sowie das Verhalten von Individuen bzw. Geführten durch den Führer. Dabei wandelt der charismatisch Führer durch verbales und nonverbales Verhalten die eher als egoistisch zu umschreibenden Interessen der Geführten in kollektivistisch ausgerichtet Ziele und Wünsche um. Die Folge ist eine erhöhte intrinsische Motivation auf Seiten der Geführten, die bis zur absoluten Opferbereitschaft zur Zielerreichung münden kann. (vgl. Wegge und von Rosenstiel, 2004, S.496).
[2] Nie Nationalsozialisten verstanden es damals wie keine andere politische Bewegung diesen Protest zu ideologisieren und massenhaften zu organisieren. Aus sozialpsychologischer Perspektive war dieser Protest Ausdruck einer allgemeinen Orientierungslosigkeit und Panik (Geiger), einer Angst vor dem Chaos (Schumacher) oder eines Unbehagens in der Kultur (Freud) (vgl. Reichel, 1981, S.125).
[3] Der amerikanische Politologe Harold D. Lasswell war einer der ersten Wissenschaftler, der sich mit der Wirkungsweise von Medien beschäftigte. Er formulierte die Wirkungsweise von politischer Propaganda strikt nach dem Schema von Reiz und Reaktion. Bestimmte Reize können gewünschte Reaktionen hervorrufen. Unter Verwendung eines allgemein anerkannten und akzeptierten Codes kann das Wirkungspotential von Propaganda nach Lasswell auch maximiert werden. Dazu müssen die zu Überzeugenden mit konsistenten und kohärenten Informationen versorgt und umgeben werden. Mit anderen Worten: Es müssen alle Reizinformationen gleichgeschaltet sein, um die intendierte Wirkung erreichen zu können (vgl. Rösler, 2004, S.24-25.)
- Citation du texte
- Marc Petrovic (Auteur), 2006, Triumph des Willens – Sieg der Bilder. Wie Leni Riefenstahls Propagandafilm Adolf Hitler als charismatischen Herrscher darstellt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61270
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