Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den zwei gegensätzlichen Theorien zum Erstspracherwerb von Jean Piaget und Noam Chomsky. Einleitend wird zunächst das Phänomen des Erstspracherwerbs an sich kurz skizzieren, um dann auf die konstruktivistische Theorie Piagets und die nativistische Konzeption Chomskys einzugehen. Im Folgenden werden die beiden Theorien unter Bezugnahme auf die Debatte zwischen Piaget und Chomsky kritisch beleuchtet. Abschließend wird versucht einen Kompromiss von dem Neurobiologen Changeux aufzuzeigen.
Meine Wahl zu dieser Thematik wurde durch meine sprachwissenschaftlich ausgerichteten Studienfächer Deutsch und Spanisch motiviert sowie aufgrund persönlicher Erfahrungen (meiner vierjährigen Nichte mit leichten Sprachschwierigkeiten).
Es erschien mir sinnvoll die im Rahmen des Seminars behandelten erkenntnistheoretischen Annahmen Piagets der nativistischen Konzeption Chomskys gegenüberzustellen, da die beiden bei der Debatte von Royaumont als Vertreter ihrer Theorien sich als direkte Kontrahenten begegneten, obgleich Piagets Forschungsschwerpunkt mehr auf den Wissenserwerb allgemein als explizit auf den Spracherwerb ausgerichtet ist. Schon die Tatsache, dass Piaget als Entwicklungspsychologe in eine Debatte mit einem Linguisten (Chomsky) tritt, zeigt, dass Piagets Interesse weit über den Bereich der Entwicklungspsychologie hinaus geht. Um den Schwerpunkt dieser Arbeit auf die im Seminar behandelte konstruktivistische Grundlagenkonzeption Piagets auszurichten und eine zu stark linguistische Gewichtung zu vermeiden, behandelt die Arbeit bewußt eingehender Piagets Spracherwerbstheorie als Chomskys.
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den zwei gegensätzlichen Theorien zum Erstspracherwerb von Jean Piaget und Noam Chomsky.
Einleitend wird zunächst das Phänomen des Erstspracherwerbs an sich kurz skizzieren, um dann auf die konstruktivistische Theorie Piagets und die nativistische Konzeption Chomskys einzugehen. Im Folgenden werden die beiden Theorien unter Bezugnahme auf die Debatte zwischen Piaget und Chomsky kritisch beleuchtet. Abschließend wird versucht einen Kompromiss von dem Neurobiologen Changeux aufzuzeigen.
Meine Wahl zu dieser Thematik wurde durch meine sprachwissenschaftlich ausgerichteten Studienfächer Deutsch und Spanisch motiviert sowie aufgrund persönlicher Erfahrungen (meiner vierjährigen Nichte mit leichten Sprachschwierigkeiten).
Es erschien mir sinnvoll die im Rahmen des Seminars behandelten erkenntnistheoretischen Annahmen Piagets der nativistischen Konzeption Chomskys gegenüberzustellen, da die beiden bei der Debatte von Royaumont als Vertreter ihrer Theorien sich als direkte Kontrahenten begegneten, obgleich Piagets Forschungsschwerpunkt mehr auf den Wissenserwerb allgemein als explizit auf den Spracherwerb ausgerichtet ist. Schon die Tatsache, dass Piaget als Entwicklungspsychologe in eine Debatte mit einem Linguisten (Chomsky) tritt, zeigt, dass Piagets Interesse weit über den Bereich der Entwicklungspsychologie hinaus geht.
Um den Schwerpunkt dieser Arbeit auf die im Seminar behandelte konstruktivistische Grundlagenkonzeption Piagets auszurichten und eine zu stark linguistische Gewichtung zu vermeiden, behandelt die Arbeit bewußt eingehender Piagets Spracherwerbstheorie als Chomskys.
2. Bereiche des Erstspracherwerbs
Vor der Auseinandersetzung mit den Theorien zum Spracherwerb möchte ich kurz auf das Phänomen an sich eingehen. Eine Sprache zu erwerben ist eine sehr komplexe Aufgabe, da viele unterschiedliche Bereiche zusammenwirken müssen. Neben der auditiven bzw. visuellen oder haptischen Wahrnehmung als Grundvoraussetzung werden aufeinander folgend bestimmte Fähigkeiten entwickelt, die als Teilgebiete der Linguistik wieder zu erkennen sind. Der Beginn bildet die Koordinierung der Sprechorgange (Phonetik / Phonologie), um die Bedeutung von Wörtern erfassen zu können (Semantik) und diese zu sinnvollen Sätzen zu verbinden und grammatikalisch richtig zu formen (Syntax, Morphologie). Für eine gelungene Kommunikation braucht man neben den Regeln der Muttersprache auch noch andere Fähigkeiten der Interaktion (Pragmatik), auch die richtige Verwendung von Mimik und Gestik ist dabei bedeutsam.
Der Erstspracherwerb besitzt einen universalen Charakter, da er bei jeder menschlichen Sprache einer allgemeinen Entwicklungslogik folgt, die sich in den Enwicklungsphasen abbildet, denn es ist eine
„vom Sprachtypus unabhängige Eigenschaft des Spracherwerbs, daß alle Kinder die Meilensteine der grammatischen Entwicklung in ungefähr dem gleichen Alter erreichen, daß sie zuerst Wörter der offenen Klasse (Nomen, Verben, Adjektive) und erst später die der geschlossenenen Klasse (Funktionswörter) erwerben, daß die ersten Wörter meist Nomina sind […].“ (Klann-Delius: 46)
Der Zeitpunkt und die Schnelligkeit des Spracherwerbs ist jedoch individuell verschieden. Man unterscheidet beispielsweise zwischen dem early talker und dem late talker .
Die erste Entwicklungsphase beginnt mit dem ersten Schrei bzw. den ersten ruhigen Grundlauten und schreitet über das Gurren, Babbeln fort zum ersten Wort. In der zweiten Phase erfolgt eine Ausweitung des Vokabulars und die Bildung von Ein-, Zwei- dann Drei- und Mehrwortsätzen. In der dritten Phase werden die morphologischen Markierungen erworben und komplexere syntaktische Muster angeeignet. Die jeweiligen sprachlichen Fähigkeiten werden früh im Dialog kommunikativ genutzt und später in komplexen sprachlichen Handlungsmustern wie Erzählungen, Beschreibungen, Instruktionen weiter ausgebaut.
Die Stadien des Spracherwerbs lassen sich also in folgende Bereiche unterteilen:
- Lautentwicklung
- Lautrezeption, Hörvermögen
- Gestik, Mimik
- Wortschatzentwicklung, Wortverständnis
- Syntaxerwerb
- Entwicklung konversationeller und diskursiver Fähigkeiten.
3. Jean Piaget – Konstruktivismus
Jean Piaget, 1896 in der Schweiz geboren und 1980 dort verstorben, gehört neben Sigmund Freud zu den wichtigsten und meist zitierten Psychologen. Er studierte Biologie und Philosophie und war von 1929 bis 1954 Professor der Psychologie an der Universität von Genf. Er zählt zu den bedeutsamsten Vertretern der kognitiven Entwicklungspsychologie. Neben einer der wichtigsten Fragen seiner Forschung, nämlich wie Menschen zu Wissen über die Welt gelangen, beschäftigte er sich mit vielen verschiedenen Fachbereichen, wie der Biologie, der Geschichte, der Mathematik und den verschiedenen Zweigen der Philosophie und Psychologie. Diese Bereiche beeinflussten auch seine Forschungen. Piaget setzte sich zwar nicht explizit mit dem Thema Spacherwerb auseinander, jedoch indirekt und teilweise direkt, da es einen Bestandteil des Wissenserwerbs bildet.
Ausgangspunkt seiner Forschung waren erkenntnistheoretische Überlegungen, die dem Teilgebiet der Philosophie angehören. Die Erkenntnistheorie befasst sich nach Piaget mit dem „Problem der Beziehungen zwischen dem handelnden und denkenden Subjekt und den Gegenständen der Erfahrungen“ (Pongratz, 1979, Bd. 2, S.162, zitiert nach Miller: 50). Wie bereits erwähnt ging es ihm also um die Frage, wie der Mensch die Welt begreift, und damit verbunden die Fragen, wie Wissen erworben wird und ob es bestimmte angeborene Ideen gibt, oder ob alles Wissen erst erworben werden muss.
Ganz im Sinne seiner Beschäftigung mit verschiedenen Fachgebieten hat er dabei vesucht diese Fragestellungen hinsichtlich verschiedener Gebiete, wie der Mathematik , der Moralphilosophie und der Sprache zu klären.
Ausgehend von den grundlegenden Kategorien des Denkens in der Philosophie, also der Zeit, des Raumes, der Kausalität und Quantität formulierte Piaget empirische Hypothesen, die überprüfbar sein sollten. Durch dieses experimentelle Vorgehen verband er die Philosophie mit wissenschaftlichen Methoden und die Logik mit Beobachtungstatsachen.
Die Übertragung des Konzepts der biologischen Adaption auf die Kognition
„Die psychische Entwicklung, die mit der Geburt einsetzt und im Erwachsenenalter auskling, ist dem organischen Wachstum vergleichbar: Wie dieses besteht sie wesentlich in einer fortschreitenden Zunahme an Geichgewicht.“ (Piaget 1974: 153)
Piaget geht bei seinem Ansatz von allgemeinen Prinzipien der Biologie aus, nämlich der Anpassung des lebendigen Organismus an seine Umwelt, und wendet diese auf das menschliche Denken an. Hieran läßt sich erkennen, wie sehr Piagets Denken in der Biologie verwurzelt. Da die Adaptation des Individuums an seine Außenwelt nach Piaget allgemein und universal ist, gilt diese Annahme auch für die psychologischen Funktionsweisen des menschlichen Geistes.
Eine weitere Analogie eines biologischen Konzeptes wendet Piaget auf das Funktionieren der Intelligenz an. Für ihn verläuft die Entwicklung der Kognition gleich der Entwicklung des Embryos, bei der sich eine organisierte Struktur im Laufe der Zeit immer weiter ausdifferenziert. Piaget überträgt dabei das Konzept und damit auch den Begriff der Adaption eines Lebenwesens an seine Umwelt (wobei es sich ursprünglich um eine Überlebensfunktion handelt) auf das kognitive Verhalten.
Die kognitive Adaptation basiert auf zwei funktionalen sowie komplementären Prozessen: der Assimilation und der Akkommodation. Piaget beschreibt diese Prozesse wie folgt:
„Man kann in dieser Hinsicht sagen, daß jedes Bedürfnis trachtet, 1. die Dinge und Personen der Aktivität des Ich einzuverleiben, also die Außenwelt an die bereits erstellten Strukturen zu «assimilieren», und 2. diese letzteren je nach den eingetretenen Veränderungen neu abzustimmen, sie also an die äußerlichen Objekte zu «akkommodieren». Solcherart sucht das gesamte psychische Leben, so wie übrigens das organische Leben selbst, die Umwelt nach und nach zu assimilieren, und es verwirklicht diese Einverleibung mit Hilfe von Strukturen – oder psychischen Organen –, deren Aktionsbereich immer ausgedehnter wird: […].
Das Gleichgewicht dieser Assimilationen und Akkommodationen kann man «Anpassung» nennen: Sie ist die allgemeine Gestalt des psychischen Gleichgewichts, und die geistige Entwicklung äußert sich mithin in ihrer zunehmenden Organisierung einfach als eine immer bessere Anpassung an die Wirklichkeit.“ (Piaget 1974: 157)
Durch den kognitiven Äquilibrierungsprozess also der steten Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Assimilation und Akkommodation passt sich das Individuum fortwährend besser an seine Außenwelt an. Die geistigen Strukturen, die dabei ausgebildet werden vergleicht Piaget mit der Konstruktion eines Gebäudes:
„die geistige Entwicklung [stellt] einen ununterbrochenen Aufbau dar, vergleichbar der Errichtung eines großen Gebäudes.“ (Piaget 1974: 154)
Dieser Vergleich verdeutlicht schon den Begriff des Konstruktivismus, denn Piaget stellte die Hypothese auf, dass Wissen kein Zustand, sondern ein Prozess ist, an dem die Menschen aktiv beteiligt sind. Aus dieser Annahme ergibt sich auch der Begriff des Konstruktivismus. Menschen „konstruieren“ ihr Wissen, indem sich der erkennende Mensch aktiv die Informationen aus seiner Umwelt aussucht und interpretiert. Das bestehende Wissen, sprich das Gewußte, verändert sich mit dem hinzukommenden Wissen, wobei eine ständige Interaktion zwischen dem Wissenden und seiner Umwelt stattfindet. Nach Piagets Auffassung von Wissenserwerb wird jede Erfahrung durch eine altersbedingte Verstehensstruktur gefiltert, so dass im Voranschreiten der geistigen Entwicklung das subjektive Bild der Welt immer mehr auf die Realität abgestimmt wird.
Die kognitive Entwicklung in Stadien: Merkmale der Stadien und ihre Abfolge
Nach Piaget vollzieht sich diese kognitive Entwicklung in Stadien, wobei man sich diese als aufeinanderfolgende Ebenen der Anpassung vorstellen kann. Ein Stadium ist ein Zeitabschnitt, in dem das Denken und Verhalten des Kindes in vielfältigen Situationen eine spezifische Grundstruktur widerspiegelt.
„Piagets Entwicklungsstadien sind strukturierte Ganzheiten, die aus vorangehenden Stadien hervorgehen, diese transformieren, eine invariante und universelle Sequenz bilden und sich über eine instabile Periode des Übergangs zu einer endgültigen stabilen Struktur entwickeln.“ (Miller: 54)
Die stadienspezifischen Entwicklungen lassen sich auf unzählige Minientwicklungen zurückzuführen, die durch bestimmte äußere oder innere Invarianten ausgelöst werden.
Es gibt zwei elementare geistige Funktionen, die während der Entwicklung des Kindes konstant bleiben, erstens die schon oben erläuterte Adaption und zweitens die Organisation kognitiver Strukturen.
„Vom biologischen Standpunkt aus kann die Organisation nicht von der Anpassung getrennt werden. Anpassung und Organisation sind die beiden sich ergänzenden Prozesse ein und desselben Mechanismus, wobei die Organisation den internen Aspekt dieses Zyklus und die Adaption seinen äußeren Aspekt darstellt. […]: Indem sich das Denken den Dingen anpaßt, strukturiert es sich selbst, und indem es sich selbst strukturiert, strukturiert es auch Dinge.“ (Piaget 1936 (1975, I, S.18); zitiert nach Miller: 78)
Aufgrund seines Interesses an der Organisation von Denkstrukturen und kognitiven Inhalten, zählt Piaget wie der Sprachwissentschaftler F. de Saussure zu den Strukturalisten. Strukturalistische Theorien stellen fest, wie Teile im Verhältnis zu einem Ganzem organisiert sind und welche Muster der Veränderungen sich abstrahieren lassen, sowie die Beziehungen zwischen den Teilen und dem Ganzen und zwischen früheren und späteren Stadien.
Piagets Ansicht nach ist kognitives Verhalten viel mehr als eine reine Ansammlung von Reiz-Reaktions-Ketten wie es der Behaviorismus nach Skinner vertritt. Kognitives Wissen ist in hohem Grade strukturiert, der Mensch strebe quasi eine Organisation seiner gesammelten Informationen an. Diese strukturellen Erscheinungsformen der kognitive Organisation machte Piaget zu seinem Untersuchungsgegenstand. Eine geringe Anzahl geistiger Operationen bildet die Grundlage für eine breite Spanne von Denkprozessen. Es liegt also der offentsichtlichen Vielfalt der Inhalte eine gemeinsame Struktur zugrunde.
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- Arbeit zitieren
- Cora Scholz (Autor:in), 2005, Piagets und Chomskys Spracherwerbstheorie , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61243
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