Arbeitslosigkeit, inflationsbedingte Realeinkommensverluste, akute Armut und Marginalisierungsprozesse sind vielerorts die Fakten, die als Ergebnis der in den letzten Entwicklungsdekaden vorwiegend verfolgten Modernisierungs- und Industrialisierungsstrategien vorliegen. Viele Länder Lateinamerikas sind von diesen traurigen Tatsachen gekennzeichnet. Die jetzige vieler Staaten Situation ist das Resultat der Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte und einer vor dem Kollaps stehenden Ökonomie. Seit den 1950er Jahren haben sich in der Wirtschaftspolitik Lateinamerikas zwei unterschiedliche entwicklungsstrategische Konzepte abgelöst. Nach dem Scheitern der binnenorientierten Konzepte ist die weltmarktspezialisierte Entwicklungsstrategie das neue entwicklungspolitische Leitbild. Wie es zu dieser Entwicklung gekommen? Welche Chancen und Probleme ergeben sich aus dem Paradigmenwechsel? Ausgehend dieser Leitfragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Problematik, inwieweit die gegenwärtigen Diversifizierungsbestrebungen als effiziente Neoliberalisierungspolitik mit Erfolg besiegelt sind und ob diese zu einem gedeihlichen Wirtschaftswachstum in einer weniger entwickelten Gesellschaft beitragen können. Dies wird am Beispiel Ecuador näher erläutert. Zunächst werden die Wirtschaftspolitiken in Lateinamerika allgemein im 20. Jahrhundert in Kapitel zwei besprochen. Die Grundlage bildet die Ausgangssituation in den lateinamerikanischen Staaten nach den Unabhängigkeitsphasen. Während dieser Phase stellen sich die Länder als starker Rohstofflieferant für die Industrienationen dar. In den 1960er Jahren versucht man aber dann, sich von diesem Globalisierungsprozess abzulösen und man wendet sich der Importsubstitution zu. Nach Scheitern dieser Wirtschaftspolitik, versuchen viele lateinamerikanische Staaten in den 1990er Jahren durch eine Neoliberalisierungspolitik die Schäden zu deregulieren und integrieren sich wieder in den Weltmarkt. Im darauf folgenden Kapitel drei wird untersucht, wie die im Kapitel zwei beschriebenen angestrebten Theorien in der Praxis aussehen. Dazu soll das Beispiel Ecuador dienen. Es wird gesagt, auf welcher Basis sich im Land die Wirtschaftspolitik der Importsubstitution etabliert und der Weg in die Wirtschaftskrise beschrieben. Als Deregulierungsmaßnahme bewegte man sich in Richtung der Diversifizierungsmaßnahmen, um die bestehende Erdölabhängigkeit zu verringern. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Wirtschaftspolitiken Lateinamerikas im 20. Jahrhundert
2.1 Abhängige Exportorientierung nach den Unabhängigkeitsphasen
Lateinamerikas
2.2 Die Importsubstitution der 1960er Jahre
2.3 Neoliberalisierungspolitik der 1990er Jahre
3 Das Beispiel Ecuador
3.1 Abhängige Exportorientierung Ecuadors
3.2 Der Weg Ecuadors in die Krise
3.2.1 Der Ölboom
3.3 Die Neoliberalisierungspolitik Ecuadors
3.3.1 Diversifizierungsbestrebungen
3.3.2 Fallbeispiel: Die ecuadorianische Garnelenindustrie
3.3.2.1 Die Entwicklung der ecuadorianischen Garnelenindustrie
3.3.2.2 Die Auswirkungen der ecuadorianischen Garnelenindustrie
4 Diversifizierungsbestrebungen als effiziente Neoliberalisierungspolitik?
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, inflationsbedingte Realeinkommensverluste, akute Armut und Marginalisierungsprozesse sind vielerorts die Fakten, die als Ergebnis der in den letzten Entwicklungsdekaden vorwiegend verfolgten Modernisierungs- und Industrialisierungsstrategien vorliegen. Viele Länder Lateinamerikas sind von diesen traurigen Tatsachen gekennzeichnet. Die jetzige vieler Staaten Situation ist das Resultat der Wirtschafts- und Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte und einer vor dem Kollaps stehenden Ökonomie.
Seit den 1950er Jahren haben sich in der Wirtschaftspolitik Lateinamerikas zwei unterschiedliche entwicklungsstrategische Konzepte abgelöst. Nach dem Scheitern der binnenorientierten Konzepte ist die weltmarktspezialisierte Entwicklungsstrategie das neue entwicklungspolitische Leitbild (Krause 2000: 1).
Wie es zu dieser Entwicklung gekommen? Welche Chancen und Probleme ergeben sich aus dem Paradigmenwechsel? Ausgehend dieser Leitfragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der Problematik, inwieweit die gegenwärtigen Diversifizierungsbestrebungen als effiziente Neoliberalisierungspolitik mit Erfolg besiegelt sind und ob diese zu einem gedeihlichen Wirtschaftswachstum in einer weniger entwickelten Gesellschaft beitragen können. Dies wird am Beispiel Ecuador näher erläutert.
Zunächst werden die Wirtschaftspolitiken in Lateinamerika allgemein im 20. Jahrhundert in Kapitel zwei besprochen. Die Grundlage bildet die Ausgangssituation in den lateinamerikanischen Staaten nach den Unabhängigkeitsphasen. Während dieser Phase stellen sich die Länder als starker Rohstofflieferant für die Industrienationen dar. In den 1960er Jahren versucht man aber dann, sich von diesem Globalisierungsprozess abzulösen und man wendet sich der Importsubstitution zu. Nach Scheitern dieser Wirtschaftspolitik, versuchen viele lateinamerikanische Staaten in den 1990er Jahren durch eine Neoliberalisierungspolitik die Schäden zu deregulieren und integrieren sich wieder in den Weltmarkt.
Im darauf folgenden Kapitel drei wird untersucht, wie die im Kapitel zwei beschriebenen angestrebten Theorien in der Praxis aussehen. Dazu soll das Beispiel Ecuador dienen. Es wird gesagt, auf welcher Basis sich im Land die Wirtschaftspolitik der Importsubstitution etabliert und der Weg in die Wirtschaftskrise beschrieben. Als Deregulierungsmaßnahme bewegte man sich in Richtung der Diversifizierungsmaßnahmen, um die bestehende Erdölabhängigkeit zu verringern. Diese Bestrebungen werden durch das Fallbeispiel der ecuadorianischen Garnelenindustrie näher untersucht.
Das vierte Kapitel fasst die Erkenntnisse zusammen und stellt die Verbindung zur Ausgangsfrage her.
2 Wirtschaftspolitiken Lateinamerikas im 20. Jahrhundert
2.1 Abhängige Exportorientierung nach den Unabhängigkeits-phasen Lateinamerikas
Seit den Unabhängigkeitsphasen (1813 -1832) waren die lateinamerikanischen Staaten stark vom Weltmarkt abhängig und lebten hauptsächlich vom Export der traditionellen Agrarprodukte wie zum Beispiel Wolle, Kaffee, Zucker oder Bananen. Die meisten Staaten waren darüber hinaus zu 50% - 80% des Exportes von nur zwei Gütern abhängig und waren somit den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgesetzt (thorp 1998: 53). Sie importierten Industriewaren vorwiegend aus Europa und den USA. Die Geldkapitalströme in Form von Direktinvestitionen etc. von Europa nach Lateinamerika bildete eine wichtige Dimension der neuen Austauschsbeziehungen (Boris 2001: 17 ff.).
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte auch für Lateinamerika weitreichende Folgen. Die Nachfrage nach Exportprodukten aus Lateinamerika sank. Dies führte zu großen Preisstürzen und Mengenreduktionen der lateinamerikanischen Exporte. Die Exportmengen Lateinamerikas sanken nach 1929 innerhalb von drei Jahren um ein Viertel und die erzielten Preise brachen um zwei Drittel ein (thorp 1998: 356). So konnten nur noch die Hälfte der Importe finanziert werden. Die Folge war daher eine starke Verschlechterung der Terms of Trade für die lateinamerikanischen Staaten. Zwischen 1929 und 1933 bedeutete dies eine Verschlechterung um 21 bis 45% (Boris 2001: 27). Eine aktiv greifende Wirtschaftspolitik schien mehr als nötig (thorp 1998: 349 ff., Boris 2001: 27 ff.).
2.2 Die Importsubstitution der 1960er Jahre
Die Wirtschaftspolitik der lateinamerikanischen Staaten in den folgenden Jahren schaffte bedeutende gesellschaftlich-politische Veränderungen und sah die Priorität in der staatlich gestützten Importsubstitution. Darunter versteht man ein Entwicklungskonzept, das versucht die zu dieser Zeit unbezahlbaren Importgüter zu begleichen. Dies führte zu einem Strukturwandel, in dem die primären Sektoren zugunsten des sekundären und mittelfristig auch den tertiären Sektors an Relevanz verloren (Boris 2001: 30). Also sollte der bisher monostrukturierte Agrarstaat in einen modernen Industriestaat umgewandelt werden. Es ist die Strategie des Ersetzens von den bisher importierten Gütern durch die nationale Industrie. Die Länder hatten das Ziel somit weniger am Weltmarkthandel teilzunehmen. Dies sollte dadurch erreicht werden, indem der Inlandsmarkt durch Zölle geschützt wird und es innerhalb des Staates zum Aufbau von Economies of Scale (Größenvorteile durch Massenproduktion) und lerning by doing- Effekten (technologische Fortentwicklung im Zuge der Produktion) kommt. Durch diese Komponenten soll ein rentabler Sekundärsektor entstehen, der attraktiv für ausländische Direktinvestitionen erscheint und somit eine internationale Wettbewerbsfähigkeit ausbaut. Die am stärksten von der Importsubstitution erfassten Industriezweige sollten Textil-, Nahrungsmittel- und Baumaterialindustrie sein (Boris 2001: 31). In dieser Entwicklungspolitik spielt der Staat eine besonders wichtige Rolle und tritt als Unternehmer auf. Durch politische Maßnahmen versucht er die Industrialisierung im Land voran zu treiben. Vom Staat wurden ganze Industriezweige aus dem Boden gestampft und viele ausländische Konzerne enteignet. Des Weiteren wurden staatliche Banken gegründet, womit er direkten Einfluss erreichte und somit gezielt die Kreditvergabe steuerte (Boris 2001 16 ff., Thorp 1998: 105 ff.).
2.3 Neoliberalisierungspolitik der 1990er Jahre
Nach dem Scheitern des binnenmarktorientierten Konzepts suchte man nach Deregulierungsmaßnahmen. Die Folge war eine Neoliberalisierungspolitik, die das neue Leitbild der lateinamerikanischen Staaten in den 1990er Jahren darstellte. Durch weitgehende Zollsenkung, Abbau der Zugangsschranken für das Auslandskapital etc. sollte es wieder zur Weltmarktöffnung kommen. Innerhalb des Landes war es das Ziel, die Staatsfinanzen zu stabilisieren und die Staatsunternehmen wieder zu privatisieren. Die Arbeitsverhältnisse sollten dereguliert, die Preise liberalisiert und die Sozialleistungen sowie die soziale Infrastruktur privatisiert werden (Boris 2001: 14 ff., 67 ff.).
3 Das Beispiel Ecuador
3.1 Abhängige Exportorientierung Ecuadors
Das Land Ecuador im Nordwesten Südamerikas wird durch die Anden in drei Regionen aufgeteilt, wie Abbildung 1 verdeutlicht. Im Osten des Landes befindet sich der sehr dünn besiedelte Oriente. Es handelt sich um das Amazonastiefland, das mit 10% Bevölkerungsanteil von der Subsistenzwirtschaft lebt und somit eine wirtschaftlich geringe Bedeutung trägt. Lediglich durch die ansässige Kautschukindustrie kommt diese geringe Bedeutung zu Stande. In der Sierra hingegen, der Andenregion leben 45% der Bevölkerung. Die meisten Menschen der Sierra wohnen in der Hautstadt Quito mit 1,4 Mio. Einwohner mitten in den Anden. Seit der Kolonialzeit ist diese Region auf den internen Markt ausgerichtet und betreibt externe Landwirtschaft und Viehzucht. In der Küstenregion (Costa) leben die restlichen 45% der Bevölkerung Ecuadors. Zur Zeit der abhängigen Exportorientierung nach der Unabhängigkeitsphase war hier der Sitz der dynamisch wirtschaftlichen Entwicklung vor allem durch den Kakaoboom (1870 – 1920) und durch den darauf folgenden Bananenboom in den 1950er Jahren. Das wichtigste und einzige Handelszentrum der Costa ist die Hafenstadt Guayaquil mit 1,8 Mio. Einwohnern (Barrios 2002: 211, Ummenhofer 1983:78).
Abb. 1: Höhenprofil Ecuadors
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]
Quelle: Engelhardt 2000: 25
3.2 Der Weg Ecuadors in die Krise
3.2.1 Der Ölboom
In den 1960er Jahren kam es zur schlagartigen Änderung in der Wirtschaftsstruktur. Durch Ölvorkommen im Nordosten des Landes begann der Bau einer Transandinen Pipeline, um die Fördergebiete im Oriente mit einem Verladehafen in der Küstenstadt Esmeraldas im Nordwesten zu verbinden. Sofort entwickelte sich eine Industrie und schon 1972 begann die Erdölförderung Ecuadors (Krause 2000: 41). Die Erdölfördermengen stiegen ohne Pause und somit kam es zu einem rapiden Anstieg der Exporteinnahmen. Wie Tabelle 1 verdeutlicht ist dies schon 1974, 2 Jahre nach Beginn der Erdölförderung bemerkbar. Während die Gesamteinnahen 1970 noch, als noch keine Förderung stattfand, bei 12.096 Mio. Sucre lagen, verdreifachte sich fast dieser Wert in nur 7 Jahren auf 45.128 Mio. Sucre. Von diesen öffentlichen Gesamteinnahmen stammen 1977 allein 60% ausschließlich aus der Erdölsteuer. Somit überstieg das Erdöl die Exportwerte der traditionellen Agrarprodukte und wuchs zum wichtigsten Exportprodukt Ecuadors in den 1970er Jahren (Schneider 1985: 30, Krause 2000: 42 f.).
Tab. 1: Öffentliche Einnahmen Ecuadors (in Mio. Sucre)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung nach Schneider 1985: 30
Abbildung 2 zeigt den rasanten Anstieg des BIP in den 1970er Jahren in Ecuador. Schon 1974 betrug der Erdölexport 16,6% des BIP (Posten 2003: 29). Ab Beginn der Erdölförderung 1972 stieg das BIP um das Siebenfache an (Krause 2000. 43). Während die jährliche Wachstumsrate des BIP 1968 vor der Erdölförderung bei etwa 2,3% lag, waren es 1973 während des Erdölerfolgs schon 16,2% und im Durchschnitt betrug die jährliche Wachstumsrate in den 1970er Jahren 8,5% (Statistisches Bundesamt 2006). Dank des Erdölstandbeins schaffte es Ecuador zum Land des zweitgrößten Wirtschaftswachstums nach Brasilien in Lateinamerika zu sein (Posten 2003: 29).
Abb. 2: Entwicklung des BIP in Ecuador 1972 – 1981
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt 2006
Dieser wirtschaftliche Erfolg hat positive Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft des Landes. Durch die steigenden Deviseneinnahmen des Erdölexports stehen dem Staat erstmal finanzielle Mittel zur Verfügung die für notwendig erachtete Aufgaben ausgeben wurden und die wirtschaftliche Aktivität des Staates wächst mehr und mehr. Die erste Priorität des Staates bestand in dem Entwicklungsprojekt der importsubstitutionierenden Industrialisierung (Krause 2000: 43).
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- Quote paper
- Christina Hoffmann (Author), 2006, Staatskrise Ecuador, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61187
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