In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, den Archaismus im Kontext der sozialen Veränderungen der altägyptischen Gesellschaft, als Ausdruck eines Anpassungsprozesses, zu interpretieren. Zwar ergibt sich aus der Fragestellung dieser Arbeit die Möglichkeit eines Interpretationsversuchs, jedoch kann dieser im Rahmen einer wissenschaftlichen Hausarbeit nicht verifiziert werden. Ein detaillierter Beweis kann nicht erbracht werden, denn dies ist nur unter Berücksichtigung der Primärquellen möglich. Es geht in dieser Arbeit also nicht darum, die noch darzulegende These zu beweisen, sondern anhand einer Analyse der Forschungslage die Möglichkeit einer neuen Deutung des Archaismus darzustellen. Methodisch entspricht ein solches Vorgehen einem Sammeln von Daten anhand von Sekundärquellen. Der nächste Schritt wäre der, die Primärquellen auf die These hin zu untersuchen. Dagegen hält z.B. Der Manuelian eine Herangehensweise zur Untersuchung des "Warum" des Archaismus nach der induktiven Methode für angebracht, also eine Interpretation, basierend auf einer vollständigen Zusammenstellung und Analyse der Primärquellen. Er geht davon aus, in dem Vorfindlichen die Prinzipien finden zu können, aus denen heraus eben das Vorfindliche abgeleitet werden kann. Er meint also, aus seinen Erscheinungsformen heraus den Archaismus erklären zu können. In seinem Aufsatz "Prolegomena zu saitischen 'Kopien'" schreibt er: Der Zweck dieser Arbeit soll nicht darin bestehen, auf Einzelfälle einzugehen, die Abhängigkeit verschiedener Denkmäler zu beweisen oder überhaupt das "Warum" der archaisierenden Tendenz zu untersuchen. Der Autor ist der Meinung, daß auf diese Themen solange verzichtet werden sollte, bis eine übersichtliche Sammlung der Daten vorliegt. (Der Manuelian 1983b, 222) Um einen Wandel der Gesellschaft nachweisen zu können, genügt es, den qualitativen Wandel eines ihrer maßgeblichen Teilbereiche zu belegen. Denn laut Definition des Begriffs "Kulturwandel" ziehen "wegen der Interdependenz der kulturellen Teilbereiche Wandlungsvorgänge in einem derselben einen Wandel auch in anderen" nach sich (Stagl 1988e, 276). Obwohl es sich bei dem zur Verfügung stehenden Quellenmaterial fast ausschließlich um Zeugnisse der Gruppe der Herrschaftsträger (dazu zählen, neben der königlichen Familie, Militärs, Priester und Beamte) handelt, lassen sie Aussagen über allgemeine soziale Veränderungen zu. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Teil
1. Problemstellung
1.1 Einführung
1.2 Thema, methodischer Ansatz, Quellen
1.3 Zu den Begriffen "Spätzeit" und "Archaismus"
2. Forschungsstand und Interpretationen
2.1 Einführung
2.2 Zu den Interpretationen des Archaismus
2.2.1 Adolf Erman
2.2.2 Hermann Junker
2.2.3 Walther Wolf
2.2.4 John A. Wilson
2.2.5 Hermann Kees
2.2.6 Eberhard Otto
2.2.7 Hellmut Brunner
2.2.8 Jan Assmann
2.3 Resumée
2. Teil
3. Grundlagen
3.1 Einführung
3.2 Soziale Systeme, Gesellschaft und Interaktion
3.3 Kulturelle Konstanz und Tradition
3.4 Sozialer Wandel und soziale Veränderungen
3.5 Ethnozentrismus und Revitalisationsbewegungen
3.6 Resumée
4. Zu den gesellschaftlichen Veränderungen
4.1 Einführung
4.2 Geschichtlicher Abriß der 21.-26. Dynastie
4.3 Zur Individualisierung
4.3.1 Zur Religion
4.3.2 Zur Bildniskunst und Literatur
4.3.3 Zu den Gräbern
4.4 Resumée
5. Zur Selbstbeschreibung der herrschaftstragenden Elite
5.1 Einführung
5.2 Zu den Reinheitsvorstellungen
5.3 Zur Literalität
5.4 Zur Legitimation
5.5 Resumée
Abkürzungen
Bibliographie
Register
Anhang
Zeittafel
Abbildungen
Der spätzeitliche Archaismus,
Ausdruck sozialen Wandels?[1]
1. Teil
1. Problemstellung
1.1 Einführung
Keinem Bearbeiter der altägyptischen Geschichte ist der Archaismus, d.h. das Zurückgreifen auf alte Kulturelemente, als ein Charakteristikum der Spätzeit entgangen. Es gibt so viele unterschiedliche Ansichten zum Archaismus und seinen Erscheinungsformen wie es Bearbeiter gibt. In "Zum Verständnis der archaisierenden Tendenzen in der ägyptischen Spätzeit", der ersten konkreten Analyse des Phänomens, schreibt Brunner:
All diese Erscheinungen sind dem Fachmann wohlbekannt Mannigfaltig in Grundsatz wie in Nuancen sind die in der Forschung bisher vertretenen Deutungsversuche. (Brunner 1970, 155)
Deutungen der Erscheinungsformen, wie sie in der Nachfolge so bedeutender Ägyptologen wie Adolf Erman oder Gaston Maspero schon seit der Jahrhundertwende (modifiziert) übernommen wurden, sind heute in erster Linie wissenschaftsgeschichtlich interessant.[2] Bis zu den siebziger Jahren wurden zwar die Ausdrucksformen des Archaismus in Kunst oder Literatur untersucht, nicht jedoch der spätzeitliche Archaismus als kulturelles Phänomen.[3]
Der Spätzeit wurde seitens der Ägyptologie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar eine immer größer werdende Bedeutung zugesprochen, die Herangehensweise an den Archaismus als ägyptologischen Forschungsgegenstand ist heute dennoch grundsätzlich keine andere, als sie es vor den siebziger Jahren war. Auch in neueren, zeitlich und thematisch sehr begrenzten Untersuchungen werden die Formen des spätzeitlichen Archaismus nicht in einen größeren Kontext gebracht.
Hier setzt diese Arbeit an: mittels soziologischer und ethnologischer Ansätze soll ein neuer Deutungsversuch des Archaismus dargestellt werden.
Zunächst sei der Begriff "Revitalisierung" eingeführt. Revitalisieren meint Wiederbeleben. Alte Kulturelemente werden aufgegriffen und neu belebt; d.h. sie werden mit neuen Inhalten gefüllt. "Wiederbelebung eines Vergangenen bedeutet auch bereits Umdeutung, denn ein kultureller Habitus, der nur noch in der Erinnerung besteht, ist, 'wiederbelebt', nicht mehr mit sich identisch" (Mühlmann 21964, 11). Positiv ausgedrückt: "Das 'Zurückgreifen' ist anders als das Evolutionär-Ursprüngliche, ist eine bereits reichere Potenz" (Mrsich 1979, 209).[4]
Revitalisierungen finden sich in allen Kulturen; sie finden sich weltweit in den verschiedensten Ausformungen.[5] Allein aus diesem Grund ist es zweckmäßig, sich zum Verständnis des Archaismus der Theorien der vergleichenden Kulturwissenschaften zu bedienen. So eröffnen sich Interpretationsmöglichkeiten, die rein ägyptologischer Betrachtungsweise entgehen müssen, da in der Ägyptologie, disziplinbedingt, kaum Theorien über kulturelle Phänomene existieren; zudem mangelt es oftmals an konkreten Begriffsbestimmungen oder ihrer korrekten Anwendung.[6]
1.2 Thema, methodischer Ansatz, Quellen
In dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, den Archaismus im Kontext der sozialen Veränderungen der altägyptischen Gesellschaft, als Ausdruck eines Anpassungsprozesses, zu interpretieren.[7] Zwar ergibt sich aus der Fragestellung dieser Arbeit die Möglichkeit eines Interpretationsversuchs, jedoch kann dieser im Rahmen einer wissenschaftlichen Hausarbeit nicht verifiziert werden. Ein detaillierter Beweis kann nicht erbracht werden, denn dies ist nur unter Berücksichtigung der Primärquellen möglich.
Es geht in dieser Arbeit also nicht darum, die noch darzulegende These zu beweisen, sondern anhand einer Analyse der Forschungslage die Möglichkeit einer neuen Deutung des Archaismus darzustellen. Methodisch entspricht ein solches Vorgehen einem Sammeln von Daten anhand von Sekundärquellen. Der nächste Schritt wäre der, die Primärquellen auf die These hin zu untersuchen.
Dagegen hält z.B. Der Manuelian eine Herangehensweise zur Untersuchung des "Warum" des Archaismus nach der induktiven Methode für angebracht, also eine Interpretation, basierend auf einer vollständigen Zusammenstellung und Analyse der Primärquellen. Er geht davon aus, in dem Vorfindlichen die Prinzipien finden zu können, aus denen heraus eben das Vorfindliche abgeleitet werden kann. Er meint also, aus seinen Erscheinungsformen heraus den Archaismus erklären zu können. In seinem Aufsatz "Prolegomena zu saitischen 'Kopien'" schreibt er:
Der Zweck dieser Arbeit soll nicht darin bestehen, auf Einzelfälle einzugehen, die Abhängigkeit verschiedener Denkmäler zu beweisen oder überhaupt das "Warum" der archaisierenden Tendenz zu untersuchen. Der Autor ist der Meinung, daß auf diese Themen solange verzichtet werden sollte, bis eine übersichtliche Sammlung der Daten vorliegt. (Der Manuelian 1983b, 222)
Um einen Wandel der Gesellschaft nachweisen zu können, genügt es, den qualitativen Wandel eines ihrer maßgeblichen Teilbereiche zu belegen. Denn laut Definition des Begriffs "Kulturwandel" ziehen "wegen der Interdependenz der kulturellen Teilbereiche Wandlungsvorgänge in einem derselben einen Wandel auch in anderen" nach sich (Stagl 1988e, 276).[8]
Obwohl es sich bei dem zur Verfügung stehenden Quellenmaterial fast ausschließlich um Zeugnisse der Gruppe der Herrschaftsträger (dazu zählen, neben der königlichen Familie, Militärs, Priester und Beamte) handelt,[9] lassen sie Aussagen über allgemeine soziale Veränderungen zu. Wenn innerhalb dieser Gruppe ein qualitativer Wandel festgestellt werden kann, dann stellt dieser nicht nur eine Reaktion auf vorangegangene Veränderungen dar, sondern bildet selbst wiederum den "Anstoß" für weitere Reaktionen auch anderer sozialer Gruppen.
Von Bedeutung ist im Kontext dieser Arbeit ausschließlich die Tatsache, daß es aufgrund der hierarchischen Sozialstruktur in Altägypten eine Elite (im Sinne einer herrschenden Gruppe) gab, und daß aus diesem Grund in irgendeiner Form untere soziale Gruppen existieren mußten. Es ist selbstredend, daß diese Elite eine soziale Minderheit darstellte; unerheblich ist die Frage, ob mit sozialen Schichten, Klassen, Kasten, Ständen oder sonstigem zu rechnen ist.
Vorangestellt werden soll noch, daß die Sekundärquellennachweise im Text in Form von Kurzbelegen erfolgen, d.h. mit Verfassernamen, Erscheinungsjahr und Seitenangabe. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung einer verwendeten Arbeit ist eine zusätzliche Information, die vor allem dann wichtig wird, wenn es sich bei diesen Arbeiten um Interpretationen des Archaismus handelt; dann bietet diese Information Zugang zum Verständnis vieler dieser Deutungen.[10]
Bevor im zweiten Kapitel anhand verschiedener Interpretationen des spätzeitlichen Phänomens der Forschungsstand aufgezeigt wird, folgen im Anschluß einige Erläuterungen zu den Begriffen "Spätzeit" und "Archaismus". Im zweiten Teil der Arbeit werden im dritten Kapitel zunächst die theoretischen Grundlagen dargestellt, auf denen der neue Deutungsversuch des Archaismus basiert. Im daran anschließenden Kapitel werden nach einem geschichtlichen Abriß der 21.-26. Dynastie unter dem Aspekt der Individualisierung einige Veränderungen in verschiedenen kulturellen Teilbereichen nachgezeichnet. Im letzten Kapitel schließlich wird der Selbstbeschreibung der herrschaftstragenden Elite nachgegangen.
1.3 Zu den Begriffen "Spätzeit" und "Archaismus"
In der Ägyptologie herrscht weder ein Konsens darüber, was unter Spätzeit, noch darüber, was unter Archaismus zu verstehen ist. Damit im folgenden ein Arbeiten mit den verschiedenen Begriffen möglich ist, und um Unklarheiten von vornherein auszuschließen, muß die verwendete Terminologie definiert und erläutert werden. Bei dem Begriff "Spätzeit" hält sich die Arbeit an die Vorgabe von Rößler-Köhler:
[...]
[1] Das Thema dieser wissenschaftlichen Hausarbeit entwickelte sich aus dem Oberseminar "Kulturelle Wiederbelebung als Typ kultureller Dynamik" von Prof. Jensen am Institut für Ethnologie der Universität Hamburg im SS 1992.
[2] Bibliographische Einzelheiten zum Archaismus und seinen Erscheinungen s. Brunner (1970), (1975); Der Manuelian (1983b); Nagy (1973).
[3] Die oben in Anm. 2 genannten Arbeiten von Brunner und Nagy sind bis heute die einzigen zum Archaismus als solchem.
[4] S. a. Assmann, Assmann (1987), 18.
[5] S. La Barre (1971); Mühlmann (21964); Weiss (1988).
[6] S. a. Trigger (1979), bes. 27ff.
[7] Zu den theoretischen Grundlagen s. unten Kap. 3.
[8] S. a. unten S. 60.
[9] S. a. Otto (1954b), 8.
[10] Vgl. unten Kap. 2.
- Citar trabajo
- M.A. Sabine Neureiter (Autor), 1993, Der spätzeitliche Archaismus, Ausdruck sozialen Wandels?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61108
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