„Wer sich heute offenen Auges umschaut, sieht ein Land, das in zwei Nationen zu zerfallen scheint. In den Studentencafés von Ankara bemerkt er eine westlich-städtische Schicht, ein paar Straßen weiter ist er schon weit weg von Europa, im islamischen Orient.“2 Auch stellt die geographische Lage des Landes eine große Unsicherheit dar, besonders im Hinblick auf die Terroranschläge vom 11. September und die sich seitdem verschärfenden Gegensätze zwischen der islamischen und westlichen Welt. In diesem Zusammenhang ist die aktuelle Debatte um die in westlichen Zeitungen abgedruckten Karikaturen des Propheten Mohammed und die darauf folgenden Proteste interessant. Welche Rolle spielt die Türkei im so genannten Karikaturen-Streit? Inwiefern beeinflussen diese Entwicklungen die Beitrittsverhandlungen? Diese Themen werden in dieser Hausarbeit analysiert und interpretiert. Zunächst folgt jedoch ein geschichtlicher Überblick über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU.
2 Lorenz Jäger: Auf allen Karten abseits. Europa und die Türkei: Die Unlogik der Beitrittsverhandlungen, in: , in: Claus Leggewie (Hrsg): Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt/Main 2004, S.29.
Inhalt
1. Einleitung
2. Chronologie der Beziehungen Türkei - EU
3. Der mögliche EU-Beitritt der Türkei
3.1 Pro und Contra
4. Die Rolle der Türkei im Karikaturenstreit
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Türkei bemüht sich seit Jahrzehnten um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Seither wurden immer wieder Vor- und Nachteile eines möglichen Beitritts des Landes diskutiert, eine Einigung war bisher jedoch nicht in Sicht. Doch im letzten Jahr ergab sich eine entscheidende Veränderung: Auf Grund einer Empfehlung der Kommission aus dem Jahr 2004, wurden am 3. Oktober 2005 offiziell die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei aufgenommen.
Folgen wird nun jedoch kein sofortiger Beitritt, sondern ein jahrelanger Prozess. Ob am Ende der Verhandlungen eine Vollmitgliedschaft oder nur eine „privilegierte Partnerschaft“ zwischen der EU und der Türkei stehen wird, ist ungewiss. Sicher ist nur, dass sich die Türkei an europäische westliche Bedingungen anpassen muss, da sie sich in vielen Bereichen erheblich von den EU-Mitgliedstaaten unterscheidet.
„Es darf nicht übersehen werden, dass beide Partner zivilisatorisch nicht zueinander gehören, ja, sogar miteinander konkurrieren, wenngleich Brücken zwischen ihnen möglich sind.“[1]
Zurzeit diskutieren Befürworter und Gegner die Vor- und Nachteile eines möglichen Beitritts und prüfen unter anderem die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien, sowie die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union. Dies wird im Folgenden genauer erläutert.
Die Verhandlungen mit der Türkei sind komplexer und schwieriger, als die mit anderen Staaten und fordern intensivere Überlegungen. Denn einerseits entwickelt sich die Türkei in die Richtung eines westlichen Staates, andererseits werden beispielsweise immer noch Menschenrechte verletzt.
„Wer sich heute offenen Auges umschaut, sieht ein Land, das in zwei Nationen zu zerfallen scheint. In den Studentencafés von Ankara bemerkt er eine westlich-städtische Schicht, ein paar Straßen weiter ist er schon weit weg von Europa, im islamischen Orient.“[2]
Auch stellt die geographische Lage des Landes eine große Unsicherheit dar, besonders im Hinblick auf die Terroranschläge vom 11. September und die sich seitdem verschärfenden Gegensätze zwischen der islamischen und westlichen Welt. In diesem Zusammenhang ist die aktuelle Debatte um die in westlichen Zeitungen abgedruckten Karikaturen des Propheten Mohammed und die darauf folgenden Proteste interessant. Welche Rolle spielt die Türkei im so genannten Karikaturen-Streit? Inwiefern beeinflussen diese Entwicklungen die Beitrittsverhandlungen?
Diese Themen werden in dieser Hausarbeit analysiert und interpretiert.
Zunächst folgt jedoch ein geschichtlicher Überblick über die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU.
2. Chronologie der Beziehungen Türkei - EU
Die Türkei bewarb sich bereits 1959 um eine Mitgliedschaft in der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zu der Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten gehörten. Mitglied wurde sie nicht, 1963 entstand jedoch ein Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei. Der damalige Kommissionspräsident Walter Hallstein sicherte darin dem Land eine Beitrittsperspektive zu und war damals sehr optimistisch: „Die Türkei gehört zu Europa.“[3] In diesem Abkommen wurden grundsätzliche Ziele zur Annäherung der Türkei an EU-Maßstäbe, wie zum Beispiel die ständige und ausgeglichene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und die Einführung einer Zollunion in drei Stufen, festgelegt. Der Assoziierungsvertrag bedeutete für die Türkei die formelle Aufnahme in den Kreis der europäischen Staaten.[4]
In den folgenden Jahren zeigten sich jedoch die unterschiedlichen Vorstellungen zwischen den Demokratien der Römischen Verträge und der Türkei, besonders im Hinblick auf den Staat. Während die europäischen Länder sich bemühten, nach der Erfahrung mit Hitlers Nationalstaat, den Bürgern mehr Rechte und Würde zu geben, und sie durch politische Ordnungen vor dem Staat zu schützen, galt in der Türkei der Staat nach wie vor als Übermacht. Der Staat bestimmte und regelte alles, wer dagegen rebellierte, wurde gefoltert. Eine Emanzipation der Gesellschaft konnte somit kaum stattfinden.[5] Auch die Umstände, dass die Türkei zwei Militärregime (1971-73, 1980-87) durchlief, führte 1982 zur Aussetzung des Assoziierungsabkommens.
Nach den ersten wieder freien Parlamentswahlen 1987 reichte die Türkei bei der Europäischen Gemeinschaft ihren Antrag auf Vollmitgliedschaft ein, der jedoch 1989 von der Kommission auf Grund der weiterhin instabilen politischen und wirtschaftlichen Lage des Landes abgelehnt wurde.[6]
1993 legte der Europäische Rat die Kopenhagener Kriterien fest, die für die weitere Entwicklung der Bemühungen der Türkei um einen Beitritt zur Europäischen Union von großer Bedeutung sind. Diese Kriterien gelten als Beitrittsbedingungen für Staaten, die anstreben, in die EU einzutreten und beinhalten folgende Punkte:
Der Beitrittskandidat muss eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte und die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben. Weiterhin werden eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standzuhalten, gefordert. Auch müssen die Verpflichtungen, die sich aus einer Mitgliedschaft ergeben, übernommen und genutzt werden.[7]
1996 wurde die Türkei Mitglied der Zollunion. Seitdem existieren keine Zollschranken zwischen beiden Seiten mehr, und gegenüber Drittstaaten besteht ein gemeinsames Außenzollregime. Die Türkei öffnete durch dieses Abkommen als erstes Land ohne EU- Zugehörigkeit ihre Grenzen für die Europäische Union.[8]
Die Zollunion gab einen wichtigen Impuls für die Rechtsangleichung der Türkei an das Gemeinschaftsrecht. Um ein gutes Funktionieren dieses Bündnisses sicherzustellen, musste die Türkei vor deren Inkrafttreten wichtige Teile des Besitzstandes der Europäischen Gemeinschaft übernehmen, vor allem in den Bereichen Zoll, Handelspolitik, Wettbewerb und Schutz des geistigen, gewerblichen und kommerziellen Eigentums. Eine Vollmitgliedschaft ergab sich jedoch nicht.
[...]
[1] Bassam Tibi: Mit dem Kopftuch nach Europa? Die Türkei auf dem Weg in die Europäische Union. Darmstadt 2005, S. 74.
[2] Lorenz Jäger: Auf allen Karten abseits. Europa und die Türkei: Die Unlogik der Beitrittsverhandlungen, in: , in: Claus Leggewie (Hrsg): Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt/Main 2004, S.29.
[3] Walter Hallstein, Thomas Oppermann (Hrsg): Europäische Reden, Stuttgart 1979, S. 439.
[4] Vgl. Udo Steinbach: Die Türkei und die EU. Geschichte richtig lesen in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/2004, 9.8.2004, S.4.
[5] Vgl. Udo Steinbach: Die Türkei und die EU. Geschichte richtig lesen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/2004, 9.8.2004, S.4.
[6] Vgl. Claus Leggewie: Die Türkei in die Europäische Union? Zu den Positionen einer Debatte, in: Claus Leggewie (Hrsg): Die Türkei und Europa. Die Positionen, Frankfurt/Main 2004, S. 12.
[7] Vgl. Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels: Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Bonn 2002, S.40.
[8] Vgl. Udo Steinbach: Auf dem Weg zu einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft, in: Informationen zur politischen Bildung: Türkei. München 2002. S.51
- Arbeit zitieren
- Annika Hoffmann (Autor:in), 2006, Die Türkei als EU-Mitglied? Diskussionen, Kompromisse, Vor- und Nachteile, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60979
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