17. März 2005. Im Landtag von Schleswig-Holstein will sich Heide Simonis zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Sie braucht alle Stimmen ihrer zukünftigen Regierungskoalition, bestehend aus der SPD, den Grünen und dem SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Dass es knapp wird, war klar. Ein Abweichler und Simonis′ würde scheitern.
Sie scheitert. Vier Wahlgänge bringen das immer wieder gleiche Ergebnis: Was danach geschieht, ist ein Paradebeispiel für das Funktionieren der Medien. Reflexartig wird das Scheitern Simonis dramatisch in Szene gesetzt, Sondersendungen werden angesetzt um ausführlichst über das „Debakel von Kiel“, die „Krise an der Waterkant“zu berichen. Über alle Fernsehsender und Printmedien hinweg, prägen drastische Schlagwörter wie „Dolchstoß“, „Heide-Mörder“ und „Patt am Watt“das Nachrichtenbild. Bei Spiegel-Online ist noch heute eine Fotostrecke über „Das Debakel von Kiel“zu besichtigen – und wie sich die Mimik der enttäuschten Simonis immer weiter verdunkelt. Krisen, Skandale, persönliche Schicksale bringen erfreulich hohe Quoten und Auflagen.
Die mediale Auseinandersetzung mit dem Fall Simonis macht deutlich, wie die „Logik der Massenmedien“ funktioniert. Fälle wie diese, werden seit den 1990er Jahren in eine Diskussion eingeordnet, die den Einfluß massenmedialer Berichterstattung auf die Poltik und die demokratischen Strukturen untersucht. Inwieweit verzerrt mediale Berichterstattung die politische Wahnehmung der Konsumenten. Und inwiefern verändert die Medienlogik den politischen Prozeß.
Es ist die Rede von der „kopernikanischen Wende“, von einer „Symbiose aus Politik und Medien“, von Mediendemokratie als „Ideologiersatz in Europa nach dem Wegfall des Systemwettbewerbs“.
Die These von der Mediokratie. Was besagt Sie? Welchen Einfluss haben Massenmedien auf das politische System wirklich? Werden durch ihr Agieren, Tiefenstrukturen ausgehebelt? Sind wir auf dem Weg in eine andere Demokratie? Diese Problematik wird in der vorliegenden Arbeit erörtert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rolle der Massenmedien im politischen System und in der Politikvermittlung
2.1 Definition Massenmedien
2.2 Funktionen von Massenmedien
3. Warum Massenmedien unser politisches System verändern sollen
3.1 Diskrepanz zwischen Logik der Politik und Medienlogik
3.2 Politisierung der Medien – Mediatiserung der Politik: und deren Auswirkungen
3.3 Konsequenzen für den Rezipienten
4. Diskrepanz zwischen Theorie und Realität – Überprüfung der Mediokratie-These
5. Synthese: Auf dem Weg in eine andere Demokratie?
6. Literaturnachweis
1. Einleitung
17. März 2005. Im Landtag von Schleswig-Holstein will sich Heide Simonis zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Sie braucht alle Stimmen ihrer zukünftigen Regierungskoalition, bestehend aus der SPD, den Grünen und dem SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Dass es knapp wird, war klar. Ein Abweichler und Simonis' würde scheitern.
Sie scheitert. Vier Wahlgänge bringen das immer wieder gleiche Ergebnis: 34 (von 70) Abgeordnete stimmen für Sie. Aber eine Stimme fehlt.[1]
Was danach geschieht, ist ein Paradebeispiel für das Funktionieren der Medien. Reflexartig wird das Scheitern Simonis dramatisch in Szene gesetzt, Sondersendungen werden angesetzt[2] um ausführlichst über das „Debakel von Kiel“[3], die „Krise an der Waterkant“[4] zu berichen. Über alle Fernsehsender und Printmedien hinweg, prägen drastische Schlagwörter wie „Dolchstoß“[5], „Heide-Mörder“[6] und „Patt am Watt“[7] das Nachrichtenbild. Bei Sabine Christiansen fahndet man nach dem „Verräter aus den eigenen Reihen“, die Zeitungen spekulieren über den möglichen „gewissenlosen Abweichler“. Bei Spiegel-Online ist noch heute eine Fotostrecke über „Das Debakel von Kiel“[8] zu besichtigen – und wie sich die Mimik der enttäuschten Simonis immer weiter verdunkelt. Krisen, Skandale, persönliche Schicksale bringen erfreulich hohe Quoten und Auflagen.
Es sollte eine formale Wahl der Ministerpräsidentin werden – es wurde zur dramatisch medial inszenierten Dolchstoßlegende. Die Simonis-Abwahl prägte die Nachrichten. Inszenierung, Reduktion, Skandalisierung prägen die Berichterstattung.
Die mediale Auseinandersetzung mit dem Fall Simonis macht deutlich, wie die „Logik der Massenmedien“[9] funktioniert. Im Laufe meiner Erörterung, wird dies
ersichtlich werden. Fälle wie diese, werden seit den 1990er Jahren in eine Diskussion eingeordnet, die den Einfluß massenmedialer Berichterstattung auf die Poltik und die demokratischen Strukturen untersucht. Inwieweit verzerrt mediale Berichterstattung die politische Wahnehmung der Konsumenten. Und inwiefern verändert die Medienlogik den politischen Prozeß.
Es ist die Rede von der „kopernikanischen Wende“[10], von einer „Symbiose aus Politik und Medien“[11], von Mediendemokratie als „Ideologiersatz in Europa nach dem Wegfall des Systemwettbewerbs“[12]. Der ehemalige Minsterpräsident Sachsens, Kurt Biedenkopf, klagt über das Desinteresse „an ausführlicher Darstellung politisch relevanter Sachverhalte“[13], Roman Herzog will erkennen, dass das Fernsehen die „politische Beredsamkeit“ radikal verändert[14].
Die These von der Mediokratie. Was besagt Sie? Welchen Einfluss haben Massenmedien auf das politische System wirklich? Werden durch ihr Agieren, Tiefenstrukturen ausgehebelt? Sind wir auf dem Weg in eine andere Demokratie? Diese Problematik werde ich in der vorliegenden Hausarbeit erörtern.
Nach einer einleitenden Definition, in dem klar wird, was wir unter Massenmedien zählen müssen, und welchen (eigentlichen) Auftrag Sie in einem demokratischen System besitzen, wird die These der Mediokratie erörtert. Hierbei werde ich weitgehend auf den Autor des Buches „Mediokratie“, Thomas Meyer eingehen. Es soll deutlich werden, welche Folgen die massenmediale Berichterstattung auf die Politik und Gesellschaft haben könnte. In einem weiteren Schritt erfolgt die kritische Überprüfung dieser Thesen und Behauptungen. Nach diesem Prozeß des Abwägens, erfolgt eine Synthese der Poblematik. Ich versuche, die aufgeworfene Fragestellung zusammenfassend zu beantworten.
Die These von der Mediokratie. In meinen Nachforschungen zur Thematik fiel schnell auf, dass es sich hier um ein sehr breites und hochkontroverses Feld handelt. Mitunter sind Argumente von Autoren sehr schwammig und nur in einigen Fällen
auch empirisch belegt. Oftmals wird der Komplex interdisziplinär untersucht, einheitliche Definitionen oder abschließende, gemeinsam anerkannte Untersuchungsergebnisse fehlen aber.
In meiner Hausarbeit kann ich daher nur einen diskursiven, stark kompremierten Einblick in die Thematik geben. Eine detaillierte Betrachtungsweise sämtlicher Binnenproblematiken würde die Dimension der Arbeit sprengen. Ausklammern möchte ich auch die Betrachtung des neuen Massenmediums Internet. Gerade für diesen Bereich sind die Untersuchungen noch in einem sehr jungen Stadium.
2. Rolle der Medien im politischen System und in der Politikvermittlung
2.1 Definition Massenmedien
Presse, Hörfunk und Fernsehen sind die Medien, die man als Massenmedien bezeichnen kann[15].
Was macht ein Massenmedium aber aus? Laut „Bundeszentrale für politischer Bildung“, haben sie als gemeinsames Merkmal, „dass sie sich vorwiegend mit aktuellen Inhalten indirekt über ein technisches Mittel (Funkfrequenzen) einseitig an ein unbegrenztes anonymes Publikum wenden“[16]. Durch Massenmedien wird demzufolge eine Massenkommunikation hergestellt, welche sich maßgeblich von der Individualkommunikation unterscheidet, die zwischen einzelnen Personen stattfindet. Bei der Massenkommunikation existiert allerdings nur ein Sender (Kommunikator) und mehrere Empfängern (Publikum).[17]
Ähnlich, aber detaillierter, auch die Definition von Maletzke: Hier sind Massenmedien ein „Prozeß, bei dem Aussagen öffentlich, d.h. ohne begrenzte oder personell definierte Empfängerschaft, indirekt, d.h. bei räumlicher oder zeitlicher oder raumzeitlicher Distanz zwischen den Kommunikationspartnern, und einseitig , d.h ohne Rollenwechsel zwischen Aussagendem und Aufnehmenden, durch technische Verbreitungsmittel an ein disperses Publikum vermittelt werden“[18].
Die Entwicklung zu den heutigen Massenmedien fand dabei in Schüben statt. Die Entwicklung nahm mit dem Buchdruck im 15. Jahrhundert ihren Lauf. Der zweite
Schub erfolgte dann mit den ersten Presseerzeugnissen im 19. Jhr., gefolgt von den ersten technischen Medien (Radio und Fernsehen) zu Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Mit der Entwicklung und Verbreitung von Radiotechnik und dem Aufkommen der Massenblätter bildet sich die Bezeichnung Massenmedien heraus.[19]
Mit der Entwicklung der Satelittentechnik 1980 gab es einen weiteren Schub. Die stetige Entwicklung impliziert auch eine stetig wachsende Reichweite und expandierende Nutzungsdauer der Medien. Mittlerweile nimmt die Mediennutzung das größte Zeitbudget in der Tagesgestaltung ein. 1980 lag die mediale Nuzungsdauer bei täglich sechs Stunden[20], in der Zwischenzeit ist dieser Anteil weiter angewachsen.[21]
2.2 Funktionen von Massenmedien
Aufgrund der enormen Reichweite, kommen auf Massenmedien auch wichtige Aufgaben zu. Sie sollen in einem demokratischen System grundsätzlich drei wesentliche Funktionen erfüllen: Information, Mitwirkung an der Meinungsbildung und Kontrolle und Kritik.[22]
Im Rahmen ihrer Informationsfunktion sollen sie „so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren, damit ihre Nutzerinnen in der Lage sind, das öffentliche Geschehen zu verfolgen“. Dabei sollen politische Zusammenhänge erfasst und an die Nutzer vermittelt werden. Darauf kann sich dann ein Kommunikations- bzw. Diskussionsprozeß aufbauen.[23]
Ein weiteres zentrales Kriterium ist das Transportieren von verschiedenen, unterschiedlichen Meinungen. Demnach existiert die Überzeugung, dass in einer Demokratie sich aus der Fülle von Meinungen, die „Beste“ herauskristallisiert und die Chance hat, sich durchzusetzen.[24]
Die dritte wesentliche Funktion beruht auf der Kritik- und Kontrollfunktion. So soll
neben der parlamentarischen Opposition auch die Medien eine Kritikrolle einnehmen. Laut bpb sollen Medien gezielt Defizite und Mißstände aufdecken und kritisieren. Als vierte Gewalt (neben Exekutive, Legislative und Judikative) sollen die Medien bei diesem Prozeß allerdings nicht avancieren. Wie hier die Trennlinie zu ziehen ist, erachte ich allerdings als problematisch.[25]
Nach Meinung Meyers, sollen die Medien zudem als „Responsivitäts-Organ“ agieren. Das bedeutet, dass die Bürger über die Medien, die Möglichkeit haben sollen, auch eine „Rückmeldung“, bezugnehmend auf die Politik, geben zu können.[26]
Um eine stabile Demokratie zu gewährleisten, spielen Medien eine große Rolle. Laut Meyer sollen sie geährleisten, dass eine angemessene politische Kommunikation in Gang gesetzt wird, so dass der Bürger in die Lage versetzt wird, autonom über politische Prozeße und Sachverhalte zu entscheiden.[27] Massing beschreibt die Medien als „kommunikative Schnittstelle zwischen den politischen Akteuren und den Bürgerinnen und Bürgern“. Medien sollen die „Herstellung von Öffentlichkeit gewährleisten“.[28]
[...]
[1] Vgl. Pergande, Franz: Simonis in Kiel gescheitert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.03.2005; S.1
[2] Über alle Fernsehsender hinweg gab es Sondersendungen, die ausführlich den Vorgang ausleuchteten (ARD: Brennpunkt; ZDF: ZDF Spezial...)
[3] Unbekanter Autor: Wahlkrimi in Kiel: Simonis scheitert viermal, in: Der Tagesspiegel v. 18.03.2005; S.1
[4] Titel eines RTL-Nachrichten-Berichtes vom 17.05.2005
[5] Patt am Watt: Das Dolchstoß-Drama von Kiel und die Suche nach einer Koalition für Schleswig-Holstein; Titel-Thema des Nachrichtenmagazins Der Spiegel v. 21.03.2005
[6] Schmidt, Wolfgang: Heide Simonis: „Ich bin da jetzt durch“, Interview mit der gescheiterten Ministerpräsidentin, in: http://www2.onnachrichten.t-online.de/dyn/c/73/10/98/7310980.html
[7] Duhm-Heitzmann, Jutta: Patt am Watt: Ministerpräsidentin findet keine Mehrheit, v. 18.03.2005, in: http://www.wdr.de/radio/wdr4/wort/zur_sache/2005_0318.phtml
[8] http://www.spiegel.de/archiv/suche/0,1518,suchcache-PB64-QV9FPSZBX0Y9U0lNT05JUyZBX1Q9QiZBX0I9MjUlMkUwMyUyRTIwMDUmQV9WPTE4JTJFMDMlMkUyMDA1JkFfWj1YJkFfTz1TUE8rU1BJK0tTUCtVTkkmQV9TPTI_3,00.html
[9] Meyer, Thomas: Mediokratie. Die Koloniesierung der Medien durch die Politik, edition suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, passim
[10] Ebda., S. 2
[11] Massing, Peter: Einleitung: Mediendemokratie. Grundlagen – Anspruch -Wirklichkeit, in: Massing, Peter (Hrsg.): Mediendemokratie. Eine Einführung, Wochenschau-Verlag, Schwalbach 2004, S. 6
[12] Meyer, Thomas: Mediokratie – Auf dem Weg in eine andere Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2002, B.15-16, S.9
[13] Biedenkopf, Kurt (auf einer Tagung der „Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ im Februar 1997 in Leipzig), zit. nach http://www.bpb.de/publikationen/07485476851957751290460634362276,4,0,Wirkungen_der_Medien.html#art4
[14] Herzog, Roman (bei einer Rede an der Universität Tübingen im Jahr 1997), zit. nach Ebda.
[15] Vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung: Lexikoneintrag zum Stichwort Massenmedien, in: http://www.bpb.de/publikationen/04309502558076112983648580539468,0,0,IZPB_260_Funktionen_der_Massenmedien_in_der_Demokratie_050402.html
[16] Ebda.
[17] Vgl. Ebda.
[18] Wikipedia: Lexikoneintrag zum Stichwort Massenmedien, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Massenmedien
[19] Vgl. Schulz, Winfrid: Politikvermittlung durch Massenmedien, in: Sarcinelli, Ulrich (Hrsg.): Politikvermittlung. Beiträge zur politischen Kommunikationskultur [Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 238], Bonn 1987, S. 130
[20] Vgl. Ebda. S. 131
[21] Neueste Forschungsergebnisse zeige, dass der deutsche Durschnittsbürger im Schnitt 10 Stunden am Tag sich mit Medien auseinandersetzt. De Haan, Gerhard, in: http://www.institutfutur.de/uploads/vl_ewi0506/Vorlesung%2013%20Lebenswelt.pdf
[22] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, in: http://www.bpb.de/publikationen/04309502558076112983648580539468,0,0,IZPB_260_Funktionen_der_Massenmedien_in_der_Demokratie_050402.html
[23] Vgl. Ebda.
[24] Vgl. Ebda.
[25] Vgl. Ebda.
[26] Vgl. Pfetsch, Barbara/ Perc, Derjan: Die Medien als Akteure und Instrumente im politischen Prozeß – Mediatisierung und Inszenierung von Politik, in: Massing, (Hrsg.): Mediendemokratie, S. 36-37
[27] Vgl. Meyer: Mediokratie, S. 15
[28] Massing, Peter: Einleitung: Mediendemokratie. Grundlagen – Anspruch -Wirklichkeit, in: Massing (Hrsg.): Mediendemokratie, S. 5
- Citar trabajo
- Marcus Sommer (Autor), 2006, Die These von der Mediokratie. Ohnmacht der Demokratie - durch Übermacht der Massenmedien?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60924
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