Diese Arbeit befasst sich mit dem Thema „Schulische Sozialisation mit geschlechtsspezifischen Unterschieden: Notwendigkeit oder Irrtum?“. Es sollen vor allem Unterschiede zwischen dem Verhalten von und gegenüber Jungen und Mädchen herausgestellt werden, die Aufschluss darüber geben könnten, ob die Sozialisation in der Schule geschlechtsspezifisch erfolgt oder nicht. Um in die Thematik einzuführen, werden zunächst die Begriffe der „Sozialisation“ und der „Schule“ näher erläutert und theoretische Grundlagen dargestellt, die die Bedeutung von Sozialisation und Schule für Jungen und Mädchen klären. Im Anschluss daran wird die Sozialisation in der Schule mit ihren Zielen und verschiedenen Aspekten behandelt. Dann wird Sozialisation, jedoch in Bezug auf die verschiedenen Geschlechter, behandelt. Es werden unterschiedliche Geschlechtsstereotypen vorgestellt und der Begriff der Koedukation (gemeinsames Unterrichten von Jungen und Mädchen) behandelt. Hier geht es vor allem um die Entstehung der Koedukation und um Befunde der feministischen Schulforschung. Zum Schluss werden Statistiken des Statistischen Bundesamtes ausgewertet, jedoch nur in begrenztem Maße erörtert, da der Umfang dieser Hausarbeit eine detaillierte Herausarbeitung der Ursachen und Gründe für das Zustandekommen der angegebenen Zahlen nicht zulässt. Die Statistiken dienen vielmehr dem Zweck, aufzuzeigen, wie sich aktuell das Verhältnis von Jungen und Mädchen im Bildungssystem darstellt. Besonders eingegangen wird dabei auf die verschiedenen Schularten, auf Schulabgänger und Schulabsolventen, auf Schulabschlüsse und auf verschiedene Ausbildungsberufszweige. Im Fazit werden die in dieser Arbeit herausgestellten geschlechtsspezifischen Unterschiede bewertet, um dann die Problemstellung zu beantworten, ob geschlechtsspezifische Sozialisation in der Schule nun „Notwendigkeit oder Irrtum“ ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen und theoretische Grundlagen
2.1 Sozialisation
2.1.1 Strukturmodell von Sozialisationsbedingungen nach Tillmann
2.1.2 Soziologische Bezugstheorien
2.2 Schule
2.2.1 Funktionen von Schule
3. Schulische Sozialisation
3.1 Aspekte schulischer Sozialisation
3.2 Ziele schulischer Sozialisation
4. Sozialisation und Geschlecht
4.1 Weibliche und männliche Geschlechtsstereotypen
4.2 Koedukation und ihre Entstehung
4.3 Begriffsbestimmung und Befunde der feministischen Schulforschung
5. Statistische Auswertungen zum Bildungssystem
5.1 Schüler/innen in Deutschland im Jahre 2002 / 03 – Gesamtübersicht nach Schularten
5.2 Absolventen des Schuljahres 2001 / 02 in Deutschland – Gesamtübersicht nach Abschlussarten
5.3 Berufsschulen im dualen System: Schüler/innen mit Ausbildungsvertrag im Jahre 2002 / 03 – Gesamtübersicht nach Berufsgruppen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Hausarbeit befasst sich mit dem Thema „Schulische Sozialisation mit geschlechtsspezifischen Unterschieden: Notwendigkeit oder Irrtum?“. Es sollen vor allem Unterschiede zwischen dem Verhalten von und gegenüber Jungen und Mädchen herausgestellt werden, die Aufschluss darüber geben könnten, ob die Sozialisation in der Schule geschlechtsspezifisch erfolgt oder nicht. Um in die Thematik einzuführen, werden zunächst die Begriffe der „Sozialisation“ und der „Schule“ näher erläutert und theoretische Grundlagen dargestellt, die die Bedeutung von Sozialisation und Schule für Jungen und Mädchen klären. Im Anschluss daran wird die Sozialisation in der Schule mit ihren Zielen und verschiedenen Aspekten behandelt. Dann wird Sozialisation, jedoch in Bezug auf die verschiedenen Geschlechter, behandelt. Es werden unterschiedliche Geschlechtsstereotypen vorgestellt und der Begriff der Koedukation (gemeinsames Unterrichten von Jungen und Mädchen) behandelt. Hier geht es vor allem um die Entstehung der Koedukation und um Befunde der feministischen Schulforschung. Zum Schluss werden Statistiken des Statistischen Bundesamtes ausgewertet, jedoch nur in begrenztem Maße erörtert, da der Umfang dieser Hausarbeit eine detaillierte Herausarbeitung der Ursachen und Gründe für das Zustandekommen der angegebenen Zahlen nicht zulässt. Die Statistiken dienen vielmehr dem Zweck, aufzuzeigen, wie sich aktuell das Verhältnis von Jungen und Mädchen im Bildungssystem darstellt. Besonders eingegangen wird dabei auf die verschiedenen Schularten, auf Schulabgänger und Schulabsolventen, auf Schulabschlüsse und auf verschiedene Ausbildungs-berufszweige. Im Fazit werden die in dieser Arbeit herausgestellten geschlechtsspezifischen Unterschiede bewertet, um dann die Problemstellung zu beantworten, ob geschlechtsspezifische Sozialisation in der Schule nun „Notwendigkeit oder Irrtum“ ist.
2. Definitionen und theoretische Grundlagen
Um in dieses Thema einzuführen, werden zunächst die Begriffe „Sozialisation“ und „Schule“ definiert und die theoretischen Grundlagen dazu ausgearbeitet. Dabei wird besonders auf das Modell von Tillmann und auf soziologische Bezugstheorien eingegangen. In diesem Teil wird ebenfalls deutlich, welche Stellung die Schule in der Gesamtgesellschaft einnimmt und welche Bedeutung ihr zukommt.
2.1 Sozialisation
„Sozialisation bezeichnet den Prozess der Konstituierung (Gründung) der Persönlichkeit in wechselseitiger Anhängigkeit von und in [...] Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich–materiellen Umwelt einerseits und der biographischen Struktur des Organismus andererseits.“[1]
“Prozess der Einordnung des […] Individuums in die Gesellschaft und die damit verbundene Übernahme gesellschaftlich bedingter Verhaltensweisen; []“[2]
Es gibt eine Vielzahl von Definitionen zum Sozialisationsbegriff, deshalb sind hier nur zwei dargestellt, die im Grunde die eigentlichen Hauptaussagen beinhalten. Die zentrale Frage, die immer wieder im Zusammenhang mit dem Begriff Sozialisation auftaucht, lautet: Wie und warum wird aus einem Neugeborenen ein autonomes und gesellschaftliches Subjekt? Oder anders formuliert: Wie wird der Mensch ein Mitglied der Gesellschaft?
Einen zentralen Aspekt stellt hierbei die soziale Bedingtheit der Persönlichkeitsentwicklung dar, also die Abhängigkeit der menschlichen Persönlichkeitsentwicklung von der sozialen Umwelt. Durkheim (1973) und Geulen (1977) prägten diese Annahme. Sie waren der Auffassung, dass der Mensch seine Persönlichkeit in Abhängigkeit von der sozialen Umwelt entwickeln muss.
Häufig wird Sozialisation mit Erziehung in Verbindung gebracht. Erziehung spielt zwar eine große Rolle, darf aber auf keinen Fall gleichgesetzt werden. Sozialisation ist ein viel weiter gefasster Begriff. Erziehung bedeutet nach Durkheim, dass zwischen Kindern und Erwachsenen Interaktionen entstehen, die einen wichtigen Teil des Sozialisationsprozesses darstellen. Erziehung wird als Voraussetzung für Sozialisation verstanden, da dem Kind geholfen werden soll, sich an das soziale System anzupassen, in das es hineingeboren wird (Sprache, Kultur, etc.). Sozialisation hingegen stellt die Aneignung von gesellschaftlichen Erfahrungen dar, wobei das Individuum keine passive Rolle einnimmt, sondern aktiv diese Erfahrungen mitgestaltet. Sozialisation bedeutet auch die Entwicklung der Persönlichkeit im Laufe des Sozialisationsprozesses. Als Persönlichkeit wird ein Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen und Handlungskompetenzen bezeichnet, welches jeden einzelnen Menschen kennzeichnet und einzigartig macht. Die Persönlichkeit eines Menschen lässt sich zum Teil über von außen beobachtbare Verhaltensweisen, Werthaltungen, Wissen, etc. erschließen. Diese Entwicklung geschieht immer im interaktiven Prozess mit dem eigenen Organismus (Psyche) und der Umwelt (Gesellschaft).[3]
2.1.1 Strukturmodell von Sozialisationsbedingungen nach Tillmann
Im Jahre 1989 hat Klaus-Jürgen Tillmann ein Modell entwickelt, das die Gesamtgesellschaft darstellt. Diese wird beeinflusst durch verschiedene Institutionen, Interaktionen und durch das Subjekt selber. Umgekehrt hat auch die Gesellschaft Einfluss auf die verschiedenen Ebenen (siehe Schaubild).
Auf der Ebene des Subjekts (1) steht das Individuum mit seiner Entwicklung im Vordergrund. Es kommt zur Entstehung von Einstellungen, das Kind sammelt Erfahrungen und Wissen und es bilden sich emotionale Strukturen und kognitive Fähigkeiten heraus.
Die Ebene der Interaktionen und Tätigkeiten (2) betrifft die unmittelbare sozialisatorische Umwelt. Das bedeutet, dass das Kind in Institutionen wie Kindergarten, etc. eingebettet ist und sich den Bedingungen und Erwartungen dieser anpassen und mit ihnen auseinandersetzen muss.
Es folgt die Ebene der Institutionen (3), auf der Kinder und Jugendliche auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorbereitet werden sollen. Dies geschieht durch Institutionen, die teilweise nur zum Zweck der Sozialisation eingerichtet worden sind (Schule, etc.).
Schließlich gibt es noch die Ebene der Gesamtgesellschaft (4), die das gesellschaftliche System mit seinen ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Strukturen darstellt.[4]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Abbildung 1: Quelle: Gudjons, H. (2001): Seite 151)
2.1.2 Soziologische Bezugstheorien
Es wurden viele Theorien aufgestellt, die den Begriff der Sozialisation auf verschiedenste Art und Weise erklären. Zum einen gibt es die psychologisch orientierten Theorien von Sigmund Freud (Sozialisation als Triebschicksal) und Erikson (Sozialisation als Weg zur Identität) und die lerntheoretischen Ansätze von Pawlow (Sozialisation über „Außenkräfte“) und Bandura (Sozialisation über Modelle). Auch die Entwicklungspsychologie hat sich mit dem Begriff der Sozialisation befasst. Vertreter wie Piaget (Sozialisation über aktive Aneignung der sozialen Umwelt) und Kohlberg (Sozialisation als moralische Entwicklung) entwickelten Stufenmodelle zu dieser Thematik. Zum anderen prägte Bronfenbrenner den sozialökologischen Ansatz, nach dem die Umwelt eine ineinander verschachtelte und konzentrisch angeordnete Struktur darstellt, die es im Laufe der Sozialisation zu begreifen gilt. Diese Arbeit wird sich mit diesen Theorien jedoch nicht detaillierter befassen, sondern auf die soziologisch orientierten Ansätze eingehen. Neben der Theorie von Parsons, auf die hier näher eingegangen wird, gibt es weitere Theorien von Mead, Bourdieu und Beck. Da sich der Ansatz von Talcott Parsons auch auf die schulische Sozialisation bezieht, wird diese als einzige ausführlicher erläutert:
Talcott Parsons prägte im Jahre 1951 den so genannten struktur-funktionalen Ansatz. Diese Theorie basiert auf der Grundannahme, dass soziales Handeln von Menschen in Systemen auftritt. Parsons unterscheidet drei Systeme: das organische, das psychische und das soziale System. Das organische System bildet die Basis für alle Handlungsprozesse. Damit sind vor allem die physiologischen Grundfunktionen der menschlichen Persönlichkeit gemeint. Das psychische System hat die Aufgabe, die Antriebsenergie des Menschen in gesellschaftlich tolerierte Bahnen zu lenken. Parsons lehnt sich bei dieser Formulierung eng an die Theorie des Psychoanalytikers Sigmund Freud an, der die Annahme vertritt, dass sich Persönlichkeit durch die Abfuhr von Triebenergie entwickelt. Das soziale System hingegen wird dadurch bestimmt, dass Menschen Beziehungen mit verschiedenen handelnden Personen eingehen und in Interaktion mit diesen zu Rollenträgern werden.[5] Als Rolle versteht Parsons die Verhaltenserwartungen, die Interaktionspartner sich gegenseitig stellen. Sozialisation bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Menschen lernen müssen, in sozialen Rollen sozial zu handeln. Dies gilt zunächst für die Gesamtgesellschaft, die wiederum aus mehreren Subsystemen besteht, zu denen auch die Schule gehört. Auch innerhalb dieser Subsysteme werden Menschen bestimmte Rollen zuteil, die ihr Handeln gegenüber der Umwelt und anderen Personen festlegen und bestimmen. Für jede Rolle ergeben sich verschiedene Verhaltensmöglichkeiten. Sozialisation bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und den eigenen Bedürfnissen herzustellen. Genau das soll die Institution Schule als Sozialisationsfeld vermitteln. Die Persönlichkeit soll durch die Entwicklung von Bereitschaften und Fähigkeiten Kinder und Jugendliche befähigen, Erwachsenenrollen zu erfüllen und ihren Erwartungen nachzukommen. Dabei wirken verschiedene Aspekte auf die Sozialisation in der Schule ein. Zum einen kann die Persönlichkeit des Lehrers einen Einfluss auf die Kinder haben. Zum anderen kann der Unterrichtsstil, der meistens vom Lehrer vorgegeben wird das Schulklima und somit auch jeden einzelnen Schüler beeinflussen. Und ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schulklasse, in der jeder Schüler den anderen durch sein Verhalten beeinflusst.[6] Schulische Sozialisation erfüllt nach dem Ansatz von Talcott Parsons wichtige Aufgaben. Eine davon wäre, den Kindern und Jugendlichen die Analyse der bestehenden Gesellschaft beizubringen. Diese stellt sich als eine hochkomplexe Struktur und als politisches System dar, das durchschaut und kritisch betrachtet werden muss. Des weiteren dient die schulische Sozialisation dem Fortbestand der bestehenden Gesellschaft, denn durch sie werden die Werthaltungen und das Wissen von den Erwachsenen an die Kinder weitergegeben. Die Schule fungiert bei Parsons demnach als kontrollierte und veranstaltete Sozialisation.[7]
2.2 Schule
Die Schule ist heutzutage in allen industriellen Gesellschaften zur größten sozialen Institution geworden. Sie hat verschiedene gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen, unter anderem die Reproduktion von sozialen Strukturen und den damit verbundenen ökonomischen, politischen und kulturellen Handlungssystemen.[8] Die Schule ist ein Ort der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten. Schüler und Schülerinnen können sich dort erwünschte wie auch unerwünschte Verhaltensmuster und normative Orientierungen aneignen. Die Lernprozesse werden von Lehrern und Lehrerinnen organisiert, die Lernfortschritte beobachtet, registriert und beurteilt (Noten, Zeugnisse, etc.). Durch die permanente Leistungs-beurteilung besteht die gesellschaftliche Funktion auch darin, so genannte Sozialchancen zu verteilen. Neben der Leistungsauslese hat die Schule noch weitere Funktionen wie Erziehung und Sozialisation – darauf wird später noch genauer eingegangen.[9] Die Institution Schule stellt gleichzeitig – wie in dem Modell von Tillmann deutlich wird (siehe Punkt 2.1.1) – einen Teilbereich der Gesamtgesellschaft dar. Sie steht zwischen der Familie und der Gesellschaft, verbindet diese beiden Bereiche und bildet somit die notwendige Durchgangsstation. Der Teilbereich der Familie ist durch die Interaktion mit den Eltern gekennzeichnet und von Emotionalität, Sorge und Zuneigung geprägt. Die Interaktion in der Gesellschaft hingegen beruht zum größten Teil auf Leistungen. Emotionen rücken in den Hintergrund. Die Schule bildet den Übergang zwischen diesen beiden „Welten“. Durch die Familie vorbereitet, sollen Kinder und Jugendliche für das Leben in der Gesellschaft befähigt werden.[10]
[...]
[1] Quelle: Stroß, A. (2001): Seite 27.
[2] Quelle: Duden (2002): Seite 933.
[3] Vgl.: Zimmermann, P. (2003): Seite 13 ff.
[4] Vgl.: Gudjons, H. (2001): Seite 149 ff.
[5] Vgl.: Internet. In: people.freenet.de.
[6] Vgl.: Internet. In: www.billes-gerhart.de.
[7] Vgl.: Internet. In: www.uni-saarland.de.
[8] vgl.: Rolff, H.-G. (1997): Seite 9 ff.
[9] Vgl.: Baumgart, F. / Lange, U. (Hrsg.): Seite 161 ff., 1999.
[10] Vgl.: Kaiser, A. / Kaiser R. (2001) : Seite 183 ff.
- Citation du texte
- Christin Remmers (Auteur), 2004, Schulische Sozialisation mit geschlechtsspezifischen Unterschieden: Notwendigkeit oder Irrtum?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60870
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