Anselm von Canterburys berühmtesunum argumentumist seit dem Zeitpunkt seines Erscheinens heftig umstritten gewesen. Vor allem durch die Annahme, in ihm finde sich ein so genannter ontologischer Gottesbeweis, zog dieses Werk die Aufmerksamkeit großer Philosophen und Theologen wie Thomas von Aquin, Kant und Barth auf sich. Jedoch ist die Bewertung des Arguments seit einiger Zeit umstritten. Lesen die einen in ihm den Versuch eines Gottesbeweises, so meinen andere, von einem solchen fehle im Text jegliche Spur -Anselm habe hier vielmehr eine Denkregel aufstellen wollen, die einem sagt, wie Gott gedacht werden muss, wenn man Ihn richtig denken will. Die vorliegende Arbeit möchte zeigen, dass die zuletzt genannte Lesart des anselmschen Arguments als Denkregel die zutreffende ist. Dazu wird es nötig sein, sich zunächst dem Werk zuzuwenden, das dem Proslogion zeitlich und thematisch voranging, und das von Anselm selbst in einen engen Zusammenhang mit dem Proslogion gesetzt wurde: dem Monologion (Punkt 2). Danach betrachte ich die die Einführung des Arguments vorbereitenden und für dessen rechtes Verständnis konstitutiven Ausführungen Anselms in Vorrede und erstem Kapitel des Proslogions (3). Im vierten Punkt erfolgt schließlich die Untersuchung des Arguments und seiner Entfaltung in den Kapiteln 2 bis 4, wobei auch die Auseinandersetzung mit Gaunilo in die Überlegungen mit einbezogen werden soll.
INHALT
1. Einleitung: Ontologischer Gottesbeweis bei Anselm von Canterbury?
2. Das vorangegangene Werk: Monologion
2.1. „ Sola ratione“: Der Nachweis der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens
2.2. Inhalt des Monologions
3. Der Kontext: Das Programm des Proslogions
3.1. Die Vorrede: Fides quaerens intellectum
3.2. Das erste Kapitel: Die Suche nach Glaubenseinsicht
4. Das unum argumentum und die sich daran anschließende Argumentation
4.1. Die Einführung des Arguments: Credimus te esse
4.2. Die Formulierung: „ aliquid quo nihil maius cogitari possit “
4.3. Der erste Schritt der Argumentation: esse in intellectu
4.4. Der zweite Schritt der Argumentation: esse et in intellectu et in re
4.5. Der dritte Schritt der Argumentation: non possit cogitari non esse
4.6. Der Denkfehler des Toren
4.7. Vom rechten Verständnis: Gottesbeweis oder Widerlegung des Toren?
5. Schluss: Anselms Theologie als der Versuch der Unwissenheit das Wesen des Unbegreiflichen zu erklären
Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Ontologischer Gottesbeweis bei Anselm von Canterbury?
Anselm von Canterburys berühmtes unum argumentum ist seit dem Zeitpunkt seines Erscheinens heftig umstritten gewesen. Vor allem durch die Annahme, in ihm finde sich ein so genannter ontologischer Gottesbeweis, zog dieses Werk die Aufmerksamkeit großer Philosophen und Theologen wie Thomas von Aquin, Kant und Barth auf sich. Jedoch ist die Bewertung des Arguments seit einiger Zeit umstritten. Lesen die einen in ihm den Versuch eines Gottesbeweises, so meinen andere, von einem solchen fehle im Text jegliche Spur - Anselm habe hier vielmehr eine Denkregel aufstellen wollen, die einem sagt, wie Gott gedacht werden muss, wenn man Ihn richtig denken will.
Die vorliegende Arbeit möchte zeigen, dass die zuletzt genannte Lesart des anselmschen Arguments als Denkregel die zutreffende ist. Dazu wird es nötig sein, sich zunächst dem Werk zuzuwenden, das dem Proslogion zeitlich und thematisch voranging, und das von Anselm selbst in einen engen Zusammenhang mit dem Proslogion gesetzt wurde: dem Monologion (Punkt 2). Danach betrachte ich die die Einführung des Arguments vorbereitenden und für dessen rechtes Verständnis konstitutiven Ausführungen Anselms in Vorrede und erstem Kapitel des Proslogions (3). Im vierten Punkt erfolgt schließlich die Untersuchung des Arguments und seiner Entfaltung in den Kapiteln 2 bis 4, wobei auch die Auseinandersetzung mit Gaunilo in die Überlegungen mit einbezogen werden soll.
2. Das vorangegangene Werk: Monologion
In der Vorrede zum Proslogion verweist Anselm ausdrücklich auf den Zusammenhang dieser Schrift mit seinem vorangegangenen Erstlingswerk. In den 80 Kapiteln des Monologions, das ursprünglich den Titel Exemplum meditandi de ratione fidei trug, versucht Anselm anhand zahlreicher Argumente dem Ungläubigen einen Weg zu zeigen, auf dem er sich „zum großen Teil [...] durch die bloße Vernunft“ von dem überzeugen könne, was „ wir von Gott und seiner Schöpfung notwendig glauben“[1]. Dazu übernimmt Anselm dort „die Rolle von jemande[m] [...], der still bei sich überlegt und dem nachforscht, was er nicht weiß.“[2] Damit diese Untersuchungen auch methodisch adäquat durchgeführt werden, beschränkt sich Anselm auf die Vernunft als einzige Quelle der Erkenntnis („Sola ratione“).
Da Anselm diese Methode auch im Proslogion verwendet, werde ich zunächst kurz auf diese näher eingehen (2.1). Danach erfolgt ein Blick in den Inhalt des Monologions (2.2).
2.1 „ Sola ratione“: Der Nachweis der Vernünftigkeit des christlichen Glaubens
Für das Verständnis von Anselms theologischem Programm ist es durchaus hilfreich, sich kurz den geschichtlichen Hintergrund zu vergegenwärtigen, auf dem Anselms Schriften entstanden sind. Galt bis dahin der christliche Glaube im europäischen Kulturkreis als relativ unangefochten, so war es in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts offenbar möglich, sich auch als Glaubender zumindest methodisch auf die Seite des Gottesleugners zu stellen[3]. Das zeigt sich gerade an der sich an das Proslogion anschließenden Auseinandersetzung Anselms mit Gaunilo.
Auch die kritischen Anfragen jüdischer und muslimischer Denker an die christlichen Glaubensgrundlagen, sowie die Entgegnungen von christlicher Seite mehrten sich. Was Anselm jedoch von den anderen Apologeten seiner Zeit abhebt, ist seine Methode: Er sah ein, dass eine angemessene Auseinandersetzung über den Glaubensinhalt nicht durch die Heranziehung geistlicher Autoritäten geschehen kann, welche von den Diskussionspartner als solche nicht anerkannt würden, sondern nur auf einer Ebene, die alle an der Diskussion beteiligten Parteien gemeinsam haben[4]. Diese sah Anselm in der menschlichen Vernunft gegeben.
Dabei ist es wichtig zu beachten, dass sein Vernunftbegriff nicht deckungsgleich mit dem der Aufklärung ist[5]. Letztere sah die Vernunft in der völligen Autonomie des Menschen begründet, Anselm dagegen völlig in der Heteronomie Gott gegenüber. Glaube und Vernunft sind daher für Anselm keine Gegensätze. Vielmehr erweist sich die ratio im Monologion sogar als die Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen[6]. Im Gegensatz zum Glauben, der ein Geschenk Gottes ist, kommt die ratio jedem Menschen von Natur aus zu. Wenn daher auch eine Diskussion mit dem Ungläubigen bzw. Toren über den Inhalt des Glaubens auf der Ebene des Glaubens nicht möglich ist, so ist sie es doch auf der Ebene der Vernunft, die jedem Menschen mitgegeben ist. Dass der Nachweis der Vernünftigkeit des Glaubens vor dem Forum der Nicht-Christen nicht der einzige Grund für eine denkerische Durchdringung des Glaubensinhaltes ist, wird sich später im Zusammenhang mit dem spezifischen Programm des Proslogions zeigen.
2.2 Inhalt des Monologions
Was den Inhalt des Monologions betrifft, möchte ich nur auf einige wenige seiner Aussagen hinweisen, die später im Zusammenhang mit dem Proslogion-Argument wichtig sein werden.
Anselm meint, es sei notwendig, dass alle endlich seienden Dinge durch etwas anderes gut, gerecht usw. sind, welches in allen Dingen als dasselbe erkannt würde. Er schließt daraus, dass es ein Gut gebe, das gut durch sich selbst und durch das alles gut sei - woraus folge, dass es das höchste Gut sei[7]. Durch eine formal ähnliche Argumentation kommt Anselm in den folgenden Kapiteln zum Schluss, dieses Gut sei das „ summum omnium quae sunt“[8]. Dieses sei allein durch sich selbst („ per seipsum“[9] ), und als Höchstes, Größtes und Bestes ein einziges Gut[10]. Dabei versteht Anselm diese summa natura nicht als den „Abschluss und [die] Krönung einer Seinspyramide“[11], wie der Superlativ vielleicht nahe legen könnte, sondern als ein von dem kontingent Seienden (esse per aliud) völlig unabhängiges Gut. Daraus folgt aber auch, dass Gott und Welt nicht unter denselben Seinsbegriff fallen können[12]. Vor allem letztere Erkenntnis wird später für eine Betrachtung des Proslogion- Arguments wichtig sein.
3. Das Programm des Proslogions
Ausleger, die in Anselms Proslogion einen ontologischen Gottesbeweis zu finden meinen, verbindet untereinander fast grundsätzlich die Konzentration ihrer Betrachtung auf die Kapitel 2-4 und die Auseinandersetzung mit Gaunilo. Das ist freilich auch historisch bedingt, da gerade diese drei Kapitel, in denen Anselm sein Argument einführt, von Gaunilo aufgegriffen und kritisiert wurden und auch sonst in der Geschichte der Anselm-Auslegung die größte Aufmerksamkeit erhielten. Ich meine jedoch, dass diese Verengung des Blickfelds der eigentlichen Intention Anselms nicht gerecht wird, sondern dass vielmehr Vorrede und 1.Kapitel für das Verständnis des gesamten Werkes konstitutiv sind und eine Isolierung der Kapitel 2-4 in eine hermeneutische Irre führt[13].
Um dieser zu entgehen, betrachten wir zunächst die Vorrede (3.1), bevor wir uns dann dem 1.Kapitel des Werkes zuwenden (3.2).
3.1 Die Vorrede: Fides quaerens intellectum
Wie in Punkt 2 bereits erwähnt, weist Anselm in der Vorrede des Proslogions auf dessen unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorhergehenden Monologion hin. Was er in letzterem anhand einer Argumentations kette vorgebracht habe, wolle er nun mit Hilfe eines einzigen Argumentes beweisen. Das Thema der beiden Werke ist demnach offenbar dasselbe: Es geht um die ratio fidei, den Grund des Glaubens – nämlich um Gott, dass er „wahrhaft ist und dass er das höchste Gut ist, das keines anderen bedarf und dessen alles bedarf, um zu sein und gut zu sein und alles, was wir von der göttlichen Wesenheit glauben.“[14]
Doch ist die Ersetzung der vielen Argumente durch eines offenbar nicht der einzige Punkt, in dem sich Monologion und Proslogion unterscheiden. Ein vorausgehender Blick auf den Text des Proslogions zeigt, dass sich die beiden Schriften offensichtlich auch in der Form unterscheiden: Ist das Monologion in Gestalt einer Meditation eines mit sich allein seienden Suchenden geschrieben, so ist das Proslogion das große Gebet eines, der bereits etwas gefunden hat und glaubt. Diese Differenz zeigt sich auch in den ursprünglichen Titeln der beiden Werke, die Anselm in der Vorrede nennt. Als „exemplum meditandi de ratione fidei“ geht das Monologion von jemandem aus, der „still bei sich überlegt und dem nachforscht, was er nicht weiß“[15]. Das Proslogion unterscheidet sich hier dahingehend, dass es ihm nun nicht mehr um einen Vorstoß in das Gebiet theologischen Nicht-Wissens geht, sondern um das Verständnis des bereits erworbenen Wissens[16]. Daher auch der ursprüngliche Titel: fides quaerens intellectum, Glaube der nach Einsicht sucht. Glückt dieses Vorhaben, so „weiß man am Ende freilich nicht mehr als am Anfang. Man weiß das, was man im Glauben schon wußte, vielmehr besser, weil man weiß, dass es wahr ist, weil man seinen Grund erkannt hat, weil man sich die Wahrheit dessen angeeignet hat, was man glaubt.“[17]
Es ist also der (bereits) Glaubende, der „seinen Geist zur Betrachtung Gottes zu erheben und das zu verstehen sucht, was er glaubt.“[18] Diese Erkenntnis, dass der Glaube bzw. das Wissen des Glaubens[19] Ausgangspunkt der Untersuchungen im Proslogion ist, ist konstitutiv für das Verständnis des gesamten folgenden Textes. Sie wird auch durch das darauf folgende erste Kapitel bestätigt und dort zudem von einem theologischen Gesichtspunkt her weiter erhellt.
[...]
[1] Monologion 1, S. 41. Zitate aus der Sekundärliteratur erscheinen allein in Anführungszeichen, Zitate aus den Werken Anselms sind dagegen zusätzlich kursiv markiert.
[2] Proslogion Prooemium, S. 7.
[3] Gäde, Glaubensverantwortung S. 10.
[4] Gäde, Glaubensverantwortung S. 11.
[5] Vgl. Gäde, Glaubensverantwortung S. 18.
[6] Vgl. Monologion 66f, S. 192-195; vgl. Gäde, Glaubensverantwortung S. 24f.
[7] Monologion 1, S. 43.
[8] Monologion 2, S. 45.
[9] Monologion 3, S. 47.
[10] Monologion 4, S. 51.
[11] Gäde, Barmherzigkeit S. 167f.
[12] Vgl. Gäde, Barmherzigkeit S. 169.
[13] Vgl. Dalferth, Fides, der sich auch gegen eine „unhaltbare Isolierung der Kapitel 2-4“ wehrt (S. 52).
[14] Proslogion Prooemium, S. 7.
[15] Proslogion Prooemium, S. 7.
[16] Vgl. Dalferth, Fides S. 59.
[17] Dalferth, Fides S. 58.
[18] Proslogion Prooemium, S. 9.
[19] Vgl. Dalferth, Fides S. 59.
- Quote paper
- Peter Münch (Author), 2006, Fides quaerens intellectum, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60848
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