Dieses Büchlein enthält eine Unterrichtsstunde zur natur- und totenmagischen Ballade "Der Knabe im Moor" inklusive Sachanalyse, methodischer und didaktischer Analyse.
„Der Literaturunterricht soll Schüler befähigen, epische, lyrische und dramatische Texte zu lesen und zu erschließen“. Eine Zuweisung der Ballade zu einem der drei großen Bereiche der Literatur ist nicht einfach, da sie in der Regel sowohl epische als auch lyrische und dramatische Elemente enthält, die deutsche Bezeichnung für die Ballade, nämlich „Erzählgedicht“, trägt diesem Zuordnungsproblem Rechnung. Goethe stellte die These auf, die Ballade sei eine Mischform, gleichsam das „Ur-Ei “ all dieser Gattungen. Aus dieser Vielfalt und auch der inhaltlichen Dichte der Ballade resultiert die besondere Eignung für den Deutschunterricht, wo man als Lehrer ja stets mit dem Problem der zeitlichen Beschränkung auf eine Schulstunde konfrontiert wird.
2. Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien, 1. Lehrprobe, Deutsch, 13.01.2006
„Balladen – Der Knabe im Moor“,
Wildis Streng
Hebel-Gymnasium Pforzheim, Klasse 8bm
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Planung der Unterrichtseinheit
1. Stunde: Einführung in das Thema „Ballade“ anhand einer modernen Popballade
2. Stunde: Die Ursprünge der Ballade
3. Stunde: Beispiel für den Typus der natur- und totenmagischen Ballade: Annette von Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor (I)
4. Stunde: Annette von Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor II
5. Stunde: Beispiel für den Typus der Hybris-Ballade: Heinrich Heine: Belsazar
6. Stunde: Beispiel für den Typus der Ideenballade: Friedrich Schiller: Die Bürgschaft
7. Stunde: Die poetologischen Elemente der „Bürgschaft“
8. Stunde: Brechts Balladenkritik: Sonett über Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“
9. Stunde: Epische, lyrische und dramatische Elemente in der Ballade: Friedrich Schiller: Der Taucher
10. Stunde: Mittelalterliche Lebenswelt: Friedrich Schiller: Der Handschuh
11. Stunde: Der Loreley-Stoff: Heinrich Heine: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten
12. Stunde: Kästners Balladenkritik: Erich Kästner: Der Handstand auf der Loreley
Zur Situation der Klasse
Die Klasse 8bm des Hebel-Gymnasiums in Pforzheim besteht aus 23 Mädchen und 5 Jungen. Dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bedingt, dass die Jungen vergleichsweise zurückhaltend agieren, was aber für einen erfolgreichen Unterrichtsverlauf eher einen Vorteil darstellt. In der Klasse herrscht, von Cliquenbildung abgesehen, eine relativ kollegiale Atmosphäre. Beiträge von Mitschülern werden von der Klasse häufig mit Applaus quittiert. Diese positive Grundstimmung lässt sich auch bei Disziplin und Arbeitsmoral der Schüler feststellen, im Allgemeinen wird konzentriert und effizient gearbeitet. Generell haben die Schüler ein hohes intellektuelles Niveau, die Arbeit mit ihnen ist aufgrund dieser Tatsache besonders motivierend. Mir persönlich liegt die Klasse sehr am Herzen und ich unterrichte sie sehr gerne, auch meine ich, dass diese Sympathie durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Zur Vorbereitung der Unterrichtseinheit „Ballade“ habe ich mit den Schülern bereits in der Einheit „Kurzgeschichte“ am Schuljahresbeginn einige poetologische Mittel erarbeitet und in den letzten Stunden vor Weihnachten in die formalen Kriterien eines Gedichtes (Reimschemata, Metren, weitere Stilmittel) eingeführt. In der gestrigen Doppelstunde wurde der Bänkelsang thematisiert, außerdem wurden die Merkmale der Ballade erarbeitet. Es gab keine Hausaufgabe, da diese beiden Stunden der Einführung ins Thema dienten.
Sachanalyse
„Der Literaturunterricht soll Schüler befähigen, epische, lyrische und dramatische Texte zu lesen und zu erschließen“[1]. Eine Zuweisung der Ballade zu einem der drei großen Bereiche der Literatur ist nicht einfach, da sie in der Regel sowohl epische als auch lyrische und dramatische Elemente enthält[2],[3] (die deutsche Bezeichnung für die Ballade, nämlich „Erzählgedicht“, trägt diesem Zuordnungsproblem Rechnung). Goethe stellte die These auf, die Ballade sei eine Mischform, gleichsam das „Ur-Ei[4] “ all dieser Gattungen. Aus dieser Vielfalt und auch der inhaltlichen Dichte der Ballade resultiert die besondere Eignung für den Deutschunterricht, wo man als Lehrer ja stets mit dem Problem der zeitlichen Beschränkung auf eine Schulstunde konfrontiert wird. Die Ballade hat ihre Ursprünge in den Volksballaden und Bänkelliedern[5] des 18. Jahrhunderts und findet auch unter zeitgenössischen Autoren großen Anklang[6]. Stets befasst sich die Ballade inhaltlich mit einem besonderen Ereignis, auch dies prädestiniert sie für die Behandlung im Unterricht. Man unterscheidet zwischen verschiedenen Balladentypen, Weißert nennt die drei großen Bereiche „numinose“ Ballade, „historische“[7] und „soziale“ Ballade. Die numinose, also sich mit metaphysischen Elementen befassende Ballade, wird nochmals unterschieden in den Typus der „naturmagischen - “, den der „totenmagischen[8] -“ und den der „Schicksalsballade“[9]. Annette von Droste-Hülshoffs „Knabe im Moor[10] “ ist den Typen „naturmagische“ und „totenmagische“ Ballade zuzurechnen. Sie kann deshalb als Mischform gelten, weil der Protagonist (Knabe, dessen Nachhauseweg durch ein Moor führt und der die Passage schließlich unbeschadet übersteht) sowohl durch die Natur an sich (das gefährliche Moor) als auch durch – zwar eingebildete, aber dennoch bedrohlich wirkende „Geister“ geängstigt wird. Die Ballade wurde von der sehr gläubigen Droste-Hülshoff im Jahre 1841 verfasst, typisch für sie ist erstens das Respektvoll-Numinose (Hinweis auf den Schutzengel) und zweitens die Situierung des Schauplatzes in ihrer geliebten Heimat Westfalen[11]. Die Ballade kann durchaus als gutherzig-ironischer Kommentar zum Aberglauben der westfälischen Bevölkerung gewertet werden[12]. Die Vielzahl an poetologischen, die Atmosphäre verdichtenden Elementen (vor allem Onomatopoia) sowie der Wechsel der Erzählperspektive (auktoriale, objektive Beschreibung der Natur steht der subjektiven, personalen Naturwahrnehmung des Knaben gegenüber) bieten an, die Schüler mit den Begriffen „Onomatopoia“ sowie „auktoriale und personale Erzählhaltung“ bekannt zu machen[13].
[...]
[1] vgl. Heinrich, Hans: Balladen und Gedichte, Donauwörth 2003, S. 5.
[2] vgl. Berger, Norbert: Stundenblätter Balladen, Stuttgart 1989, S.15. Dieses Dilemma wird den Schülern in der neunten Stunde im Rahmen der Behandlung von Schillers „Taucher“ klar werden.
[3] vgl. auch Weißert, Gottfried: Ballade, Stuttgart, Weimar 1992, S. 4 ff..
[4] vgl. u. a. Weißert, S. 5.
[5] Mit dem Bänkelsang befasste sich die zweite Stunde der Unterrichtseinheit.
[6] Einige Literaturwissenschaftler sehen die Ursprünge der Ballade sogar in den mittelhochdeutschen Heldenliedern wie zum Beispiel dem Hildebrandlied, vgl. z. B. Weißert, S. 18 und S. 51 ff., Müller-Seidel sieht jedoch nur unzureichende Parallelen für einen historischen Zusammenhang, vgl. Müller-Seidel, Walter: Wege zum Gedicht II. Interpretation von Balladen, München, Zürich 1963, S. 21.
[7] Wobei er seine Einordnung der historischen Ballade in den Hauptbereich damit begründet, dass sich auch z. B. Ideenballaden, wie etwa Schillers „Bürgschaft“ eine ist (vgl. sechste und siebte Stunde der Unterrichtseinheit), häufig historischer Stoffe bedienen. Eine „reiner“ historische Ballade wäre Schillers „Handschuh“, Thema der zehnten Stunde der Unterrichtseinheit.
[8] Annette von Droste-Hülshoffs „Knabe im Moor“ (dritte und vierte Stunde der Unterrichtseinheit) gilt als Paradebeispiel für die Kombination aus den beiden Typen.
[9] Oft mit Hybris- oder Schuld-und Sühne-Motiv wie in Heinrich Heines „Belsazar“, fünfte Stunde der Unterrichtseinheit.
[10] geschrieben 1841 in Meersburg, erstmals 1844 veröffentlicht in der Sammlung „Gedichte“ bei Cotta, vgl. Kunisch, Hermann: Annette von Droste-Hülshoff. Der Knabe im Moor. In: Rupert Hirschenauer und Albrecht Weber (hg): Wege zum Gedicht, München, Zürich 1963, S. 309.
[11] So hat Annette von Droste-Hülshoff der Nachwelt mit ihren „Bildern aus Westfalen“ ein eindrucksvolles Genreportrait der zeitgenössischen Bevölkerung hinterlassen.
[12] Annette von Droste-Hülshoff widmet in ihren „Westfälischen Schilderungen“ dem Aberglauben unter der Überschrift „Frömmigkeit und harmloser Aberglaube“ eine Passage, in der sie unter anderem die „Sontagsspinnerin“, dern „diebischen Torfgäber“ und den „kopflosen Geiger“ erwähnt, vgl. von-Droste-Hülshoff, Annette: Westfälische Schilderungen und ihr Echo in Westfalen, Paderborn 1991, S. 47/48 bzw. dies.: Bei uns zulande auf dem Lande, Frankfurt am Main 1983, S. 52.
[13] vgl. Berger, S. 43/44.
- Citation du texte
- Wildis Streng (Auteur), 2006, Balladen im Deutschunterricht der 8. Klasse. Unterrichtsstunde: "Der Knabe im Moor" von Annette von Droste-Hülshoff., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60661
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