Die Entstehungsgeschichte des deutschen Hamlets „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dännemark“ ist uns bis heute unbekannt. Es steht jedoch fest, dass dieses Drama aus ähnlichen Quellen wie Shakespeare geschöpft haben muss, nämlich aus der „Amlethus“-Sage des Saxo Grammaticus und von Belleforest. Einige Textübereinstimmungen zwischen den beiden Quarto-Ausgaben von Shakespeare weisen auch auf einen Zusammenhang dieser beiden Dramen hin. Die Entstehungstheorien reichen über verschiedene Abhängigkeiten von einzelnen Werken bis hin zum Rekonstruktion eines Thomas Kydschen Urhamlets. Diese Abhängigkeitsfragen werde ich jedoch bewusst nicht behandeln, da sie bereits zu genüge diskutiert worden sind, ohne eine einhellige Meinung erzielen zu können. Bei den meisten Forschungen zum „Bestraften Brudermord“ wurde jedoch fast ausschließlich diesen Fragen nachgegangen, wobei die deutsche Bearbeitung stets herabwürdigend dargestellt wurde. Diesen Missstand versuche ich mit meiner Hausarbeit zu beheben. Zuerst werde ich mich mit dem Verfasser befassen, danach mit dem Inhalt des Stücks und anschließend exemplarisch mit einem verwendeten Motiv, um zu zeigen, wie gut das deutsche Drama durchdacht ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Der Verfasser des „Bestraften Brudermordes“
2.2. Die Handlung des „Bestraften Brudermordes“
2.3. Hamlets Wahnsinn im Vergleich zu Shakespeare
3. Schlussteil
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Entstehungsgeschichte des deutschen Hamlets „Der bestrafte Brudermord oder Prinz Hamlet aus Dännemark“ ist uns bis heute unbekannt. Es steht jedoch fest, dass dieses Drama aus ähnlichen Quellen wie Shakespeare geschöpft haben muss, nämlich aus der „Amlethus“-Sage des Saxo Grammaticus und von Belleforest. Einige Textübereinstimmungen zwischen den beiden Quarto-Ausgaben von Shakespeare weisen auch auf einen Zusammenhang dieser beiden Dramen hin. Die Entstehungstheorien reichen über verschiedene Abhängigkeiten von einzelnen Werken bis hin zum Rekonstruktion eines Thomas Kydschen Urhamlets. Diese Abhängigkeitsfragen werde ich jedoch bewusst nicht behandeln, da sie bereits zu genüge diskutiert worden sind, ohne eine einhellige Meinung erzielen zu können. Bei den meisten Forschungen zum „Bestraften Brudermord“ wurde jedoch fast ausschließlich diesen Fragen nachgegangen, wobei die deutsche Bearbeitung stets herabwürdigend[1] dargestellt wurde. Diesen Missstand versuche ich mit meiner Hausarbeit zu beheben. Zuerst werde ich mich mit dem Verfasser befassen, danach mit dem Inhalt des Stücks und anschließend exemplarisch mit einem verwendeten Motiv, um zu zeigen, wie gut das deutsche Drama durchdacht ist.
2. Hauptteil
2.1. Der Verfasser des „Bestraften Brudermordes“
Der erhaltene Text des Bestraften Brudermordes ist auf den 27. Oktober 1710[2] datiert. Reichard, der Herausgeber des Gothaischen Theaterkalenders, machte im Jahr 1779 „Mitteilung von einem „ersten deutschen Hamlet“ den er in [Conrad] Ekhofs Nachlaß gefunden hatte.“[3] Er lieferte zunächst eine ausführliche Inhaltsangabe und druckte 1781 den vollständigen Text in der „Olla Potrida“ ab. Dies sind die einzigen absolut sicheren Zeugnisse des Bestraften Brudermordes.
Reinhold Freudenstein untersuchte neun mögliche Aufführungen des „Bestraften Brudermordes“ zwischen 1616 und 1770.[4] Er stellte jedoch fest, dass nur die Aufführung am 24. Juni 1626 in Dresden unter der Leitung von John Greene[5] als „sichere[s] Zeugnis über eine Aufführung des Bestraften Brudermordes in Deutschland“[6] angesehen werden kann. „Es darf als so gut wie sicher angenommen werden, daß es sich bei dieser Dresdener Aufführung um das gleiche Spiel handelt, das uns im Bestraften Brudermord erhalten ist.“[7] Auffällig ist hierbei jedoch, dass die Quelle einen anderen Titel aufweist. „Die Differenz der Titel“, so Freudenstein, „ergibt sich aus dem Bedürfnis der Wandermimen, gleiche Dramen zuweilen unter anderem Titel anzukündigen, um ihnen den Reiz der Neuheit zu verleihen.“[8]
Eine Untersuchung des Primärtextes gibt wenig direkte Hinweise über Entstehungszeit und –ort, sowie über einen möglichen Verfasser. Anhand der verwendeten Wortwahl lässt sich feststellen, dass der Autor sehr gebildet war. Er benutzt viele Fremdwörter aus der lateinischen und der französischen Sprache und kennt sich mit griechischer Mythologie, vor allem mit dem Götterpantheon, aus, was er im Prologus (vgl. DBB. S.149-150.), aber auch an anderen Stellen im Stück (vgl. DBB. S. 172, Z. 18.) beweist. Weiterhin besitzt er geographische Kenntnisse: Er erwähnt die englische Stadt Dover (vgl. DBB. S.181, Z. 25.), neben den (damals) deutschen Städten „Straßburg“ (DBB. S. 164, Z. 32.)[9], „Wittenberg“ (DBB. S. 158, Z. 20.) und „Hamburg“ (DBB. S. 163, Z. 8.). Über Wittenberg weiss er sogar, dass es dort eine „Universität“ (DBB. S. 163, Z. 4.) gibt. Diese gibt es dort erst seit 1502 und somit lässt sich die Entstehungszeit des Stückes bereits eingrenzen. Die Beschreibung der Wirkungsweise des Giftes, mit dem der König seinen Bruder getötet hat (vgl. DBB. S. 155. Z. 23-26.), beweist, dass der Verfasser des Bestraften Brudermordes auch über medizinische Kenntnisse verfügen muss. Anhand häufiger Begriffe und Redensarten aus der militärischen Fachsprache, wie zum Beispiel „Schildwache“ (DBB. S. 151, Z. 4.), „Camerad“ (DBB. S. 151, Z. 10.), „[Castel]“ (DBB. S. 151, Z. 20.), „Castey“ (DBB. S. 151, Z. 21.), „Hauptwache“ (DBB. S. 151, Z. 26.), „Musquete“ (DBB. S. 152, Z. 17.), „[s]teh Runde“ (DBB. S. 152, Z. 26.), „Corporal heraus“ (DBB. S. 152, Z. 26.), „Bursche ins Gewehr“ (DBB. S. 152, Z. 26-27.), „Companie“ (DBB. S. 153, Z. 1.) und vielen anderen mehr, kann die Entstehungszeit des Stückes auf den Dreißigjährigen Krieg zwischen 1618 und 1648 vermutet werden. Auffällig ist das Nebeneinandersein sprachlicher Formen, die teilweise im 17. und teilweise erst im 18. Jahrhundert gebräuchlich waren[10]. Schulze geht hierbei von einer „Modernisierung der älteren Fassung [aus], die nur noch im Satzbau dann und wann durchblickt“[11]. Diese These, das Stück im Dreißigjährigen Krieg anzusiedeln, kann durch einige Auffälligkeiten im Text unterstützt werden, die den Konfessionsstreit zum Ausdruck bringen: Neben der Nennung der Stadt Wittenberg, von der die Reformation ausging, wird auch der Papst genannt, der der Königin die zweite Ehe „erlaubt“ (DBB. S. 170, Z. 36.) hat. Freudenstein sieht dies als Beschuldigung gegen den Papst an[12]. Es steht fest, dass die Königin und somit auch ihre Familie katholisch waren. Obwohl anhand dieser beiden Textstellen die Religion und Konfession des Königshauses festzustehen scheint, werden immer noch mehrere Götter angerufen[13], was laut Evans aber „dem sonstigen Gebrauch der Komödianten ganz gemäss ist“[14]. Hamlet verdeutlicht die Konfessionszugehörigkeit des Königshauses, als er in seiner gespielten Tollheit Ophelia auffordert in ein Kloster zu gehen, „aber nicht nach einem Kloster, wo zwey Paar Pantoffeln vor dem Bette stehen“ (DBB. S. 161, Z. 17-18.), also nicht in ein protestanitsches Kloster. Eine eindeutige Haltung, welcher Konfession und somit welcher Streitpartei im Dreißigjährigen Krieg der Verfasser angehörte, kann anhand des Textes nicht ermittelt werden.
Ein besonderes Augenmerk verdient die im Vergleich zu Shakespeares Hamlet lange Einführungszene der Comödianten (II,7). Der Prinzipal wird mit dem Namen „Carl“ (DBB. S. 162, Z. 27.) eingeführt. Sein Name taucht jedoch nur in den Regieanweisungen und nicht in der Sprechhandlung auf. Es werden viele Details über die Schauspieler mitgeteilt. Man erfährt, dass sie eine Wandertruppe und an der Universität in Wittenberg aufgetreten sind (vgl. DBB. S. 163.). Der sächsische Hof wird in diesem Zusammenhang in auffälliger Weise erwähnt: Hamlet und Carl sprechen über eine Aufführung in Wittenberg. Dann unterbricht Hamlet jedoch das Gespräch um nach „drey Weibspersonen“ (DBB. S. 163, Z. 13.) zu fragen, die auch in der Schauspieltruppe mitgespielt haben. Carl antwortet, dass eine „mit ihrem Mann an den Sächsischen Hof geblieben“ (DBB. S. 163, Z. 15-16.) ist. Danach sprechen die beiden wieder über die Aufführung in Wittenberg. Aufgrund dieses eigentlich überflüssigen Einschubes lässt sich die These halten, dass er nur zur Erwähnung des Sächsischen Hofes, eventuell einem Geldgeber des Autors, dient. Wittenberg, im Königreich Sachsen, als Entstehungsort des Stückes anzunehmen klingt plausibel, zumal eine Reise nach Dresden, zum ersten belegten Aufführungsort, zu Fuß oder sogar mit dem Schiff über die Elbe möglich war. Dem widerspricht jedoch die Tatsache, dass Wittenberg auch schon bei Shakespeare genannt wird und „noch in anderen englischen Dramen der Zeit ihre Rolle“[15] spielt. In der Handschrift wird außerdem der Ort Pretz genannt[16]. „Dieses „Pretz“ ist vermutlich entweder Preetz in Holstein oder Pretzsch in der Provinz Sachsen“[17], vermutet Creizenach. Pretzsch gibt es sogar zweimal, einmal etwa 25 Kilometer südlich von Wittenberg und einmal südlich von Leipzig. Es stammen also sämtliche Zeugnisse über den Bestraften Brudermord aus dem Großraum Sachsen. Schulze, der von „Preetz, Kleinstadt im Kreis Plön, Schleswig“[18] ausgeht, stellt folgendes fest: „Die Sprache des Bestraften Brudermordes allerdings ist nicht durchgängig die Sprache von Preetz, über weite Strecken hin eher die der Mittelelbe.“[19] Und genau dort liegen beide Städte mit dem Namen Pretzsch. Man kann also davon ausgehen, dass das Stück im sachsener Raum entstanden ist.
[...]
[1] wie z. B. im Titelzitat: vgl. Schulze, F. W.: Hamlet. Geschichtssubstanzen zwischen Rohstoff und Erdform des Gedichts. Halle a. S., Max Niemeyer-Verlag, 1956. S. 47.; im folgenden zitiert: Schulze, 1956
[2] vgl. Greg, W. W.: The Shakespeare first folio. Its bibliographical and textual history. Oxford, Clarendon Press, 1955. S. 308.; im folgenden zitiert: Greg, 1955.
[3] Daffis, Hans: Hamlet auf der deutschen Bühne bis zur Gegenwart. Reprint von 1912. Nendeln/ Liechtenstein, Kraus, 1977 (= Literaturhistorische Forschungen Heft L). S. 1.; im folgenden zitiert: Daffis, 1977.
[4] vgl. Freudenstein, Reihold: Der Bestrafte Brudermord. Shakespeares „Hamlet“ auf der Wanderbühne des 17. Jahrhunderts. Hamburg, Cram, de Gruyter & Co., 1958. S. 11-37.; im folgenden zitiert: Freudenstein, 1958.
[5] Greg, 1955. S. 308.
[6] Freudenstein, 1958. S. 24.
[7] Ebd. S. 24-25.
[8] Ebd. S. 25.
[9] Straßburg war bis 1681 deutsche Stadt. Im Text wird sie ausdrücklich als deutsche Stadt bezeichnet.
[10] vgl. Schulze, 1956. S. 46-47.
[11] Ebd. S. 46.
[12] Freudenstein, 1958. S. 49.
[13] vgl. z. B. DBB. S. 168, Z. 14.
[14] Evans, Marshall Blakemore: Der bestrafte Brudermord, sein Verhältnis zu Shakespeares Hamlet. Reprint von 1910. Nendeln/Liechtenstein, Kraus, 1978 (= Theatergeschichtliche Forschungen Bd. XIX). S. 16.; im folgenden zitiert: Evans, 1978.
[15] Schulze, 1956. S. 122.; zu ,Wittenberg‘ in Shakespeares Hamlet: Schulze, 1956. S. 119-125.
[16] Creizenach, W.: Die Schauspiele der englischen Komödianten. Berlin/Stuttgart, Verlag von W. Spemann, 1873 (= Deutsche National-Litteratur Bd. 25). S. 128.; im folgenden zitiert: Creizenach, 1873.
[17] Ebd. S. 128.
[18] Schulze, 1956. S. 45.
[19] Ebd. S. 45.
- Arbeit zitieren
- Daniel Steinbach (Autor:in), 2005, "Der bestrafte Brudermord" im Vergleich zu William Shakespeares "Hamlet", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60435
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