Die vorliegende Arbeit hat sich zwei Ziele gesetzt.
Zum einen möchte sie dem Leser einen ersten Eindruck des mittelalterlichen Dichters Neidhart, seines Werkes und seiner Besonderheiten vermitteln. Zum anderen soll es darum gehen, vor dem Hintergrund der Frage nach einem möglichen Neidhartschen „Frauenbild“, zwei seiner Lieder detailliert zu analysieren und zueinander in Beziehung zu setzen.
Warum aber stellen die Lieder Neidharts und darunter im Besondern die so genannten Sommerlieder nun einen Sonderfall dar? Entscheidend ist die Tatsache, dass Neidhart die Frau zur zentralen Figur seiner Sommerlieder macht und das Frauenlied bei ihm somit nicht als eines unter vielen erscheint, sondern in den Sommerliedern eine eigene Gattung konstituiert. Doch nicht nur die Sommerlieder erweisen sich in Bezug auf die Beantwortung einer solchen Frage als produktiv. Neidhart hat neben den Sommerliedern noch ein weiteres großes Liedcorpus hinterlassen, die so genannten Winterlieder. Diese sind wiederum so interessant für die Beantwortung der Frage, da sie durch die Verkehrung des etablierten Minneschemas des Hohen Sang einen neuen Blick auf die Rolle der Frau freilegen. Vorausgesetzt ist in bei dieser Unternehmung selbstverständlich die Tatsache, dass alle Annahmen zu Neidharts Frauenbild abgeleitet von seinem Liedcorpus nur über das in den Liedern agierende lyrische Ich zu treffen sind. Das heißt ein Neidhartsches Frauenbild ist in dieser Arbeit immer gekoppelt an eine autorbezogene Interpretation des lyrischen Ichs.
Gewiss kann die vorliegende Arbeit nur einen exemplarischen Eindruck von Neidharts Werk vermitteln und das Neidhartsche Frauenbild bei weitem nicht erschöpfend thematisieren, doch erhebt sie den Anspruch, den Dichter Neidhart in seiner Vielseitigkeit präsentieren zu wollen und wenigstens eine Skizze seines individuellen Frauenbildes anzulegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Der Dichter Neidhart – biographische und literarische Spuren
3. Die für Neidhart charakteristischen Liedtypen: Sommerlied und Winterlied
4. Zur Rolle der Frau in Neidharts Winterlied 9
5. Zur Rolle der Frau am Beispiel von Mutter- Tochterlied SL 1
6. Fazit
1. Vorwort
Die vorliegende Arbeit hat sich zwei Ziele gesetzt.
Zum einen möchte sie dem Leser einen ersten Eindruck des mittelalterlichen Dichters Neidhart, seines Werkes und seiner Besonderheiten vermitteln. Dies erklärt, warum die Arbeit ein Portrait des Dichters und ein eigenes Kapitel zu den für ihn charakteristischen Liedtypen beinhaltet.
Zum anderen soll es darum gehen, vor dem Hintergrund der Frage nach einem möglichen Neidhartschen „Frauenbild“, zwei seiner Lieder detailliert zu analysieren und zueinander in Beziehung zu setzen.
Neidharts Lieder eignen sich für diese Fragestellungen, da sie, wie Ingrid Bennewitz behauptet, einen Sonderfall unter den deutschen Frauenliedern darstellen.[1] Allgemein ist zu vermerken, dass unter den deutschen Frauenliedern keine authentisch weiblichen Äußerungen zu finden sind, das heißt Lieder die nicht nur Frauenrollen entwickeln, sondern auch vom eben diesem Geschlecht geschrieben wurden. Alle Lieder dieses Typus’ sind also aus der Feder männlicher Dichter. Warum nun stellen die Lieder Neidharts und darunter im Besondern die so genannten Sommerlieder (eine nähere Erläuterung dieser Thematik erfolgt in Kap.4) aber nun einen Sonderfall dar? Entscheidend ist die Tatsache, dass Neidhart die Frau zur zentralen Figur seiner Sommerlieder macht und das Frauenlied bei ihm somit nicht als eines unter vielen erscheint, sondern in den Sommerliedern eine eigene Gattung konstituiert. Dieser Umstand, dass in den Sommerliedern immer wieder die Interaktion von Frauen verschiedenster Art bestimmend ist, macht sie für die Beantwortung der Frage nach einem Neidhartschen Frauenbild so fruchtbar.
Doch nicht nur die Sommerlieder erweisen sich in Bezug auf die Beantwortung einer solchen Frage als produktiv. Neidhart hat neben den Sommerliedern noch ein weiteres großes Liedcorpus hinterlassen, die so genannten Winterlieder. Diese sind wiederum so interessant für die Beantwortung der Frage, da sie durch die Verkehrung des etablierten Minneschemas des Hohen Sang einen neuen Blick auf die Rolle der Frau freilegen. Vorausgesetzt ist in bei dieser Unternehmung selbstverständlich die Tatsache, dass alle Annahmen zu Neidharts Frauenbild abgeleitet von seinem Liedcorpus nur über das in den Liedern agierende lyrische Ich zu treffen sind. Das heißt ein Neidhartsches Frauenbild ist in dieser Arbeit immer gekoppelt an eine autorbezogene Interpretation des lyrischen Ichs. Die Notwendigkeit, sich bei der Analyse von Frauenbildern auch immer auf die Rolle des auktorialen Ichs zu beziehen, betont auch Edith Wenzel in ihrem Vortrag zum Thema: „hêre frouwe und übelez wîp: Zur Konstruktion von Frauenbildern im Minnesang.“, in dem sie sagt:
„Eine Untersuchung der Frauenrollen in der Lyrik muß […] auch immer die Rolle des auktorialen Ichs miteinbeziehen, um die Konstruktionsmechanismen in der Perspektivierung der dargebotenen Rollen zu erkennen.“[2]
Gewiss kann die vorliegende Arbeit nur einen exemplarischen Eindruck von Neidharts Werk vermitteln und das Neidhartsche Frauenbild bei weitem nicht erschöpfend thematisieren, doch erhebt sie den Anspruch, den Dichter Neidhart in seiner Vielseitigkeit präsentieren zu wollen und wenigstens eine Skizze seines individuellen Frauenbildes anzulegen.
2. Der Dichter Neidhart – biographische und literarische Spuren
Begegnet einem der Name des Dichters zum ersten Mal, so trifft man ihn oft in dreifacher Form an. Einmal ist von „Nîthart“ die Rede, ein andermal heißt er „Neidhart von Reuental“, dann wird nur er „Neidhart“ genannt.
Insgesamt ist das Leben und Wirken dieses vielseitigen Dichters nur innerliterarisch zu fassen. So findet sich eine erste Nennung des Namens in Wolfram von Eschenbachs „Willehalm“, wo Rennwart zu Tische verlauten lässt: „man muz des sîme swerte jehen, hel ez hêr Nîthart gesehen über sînen geubühel tragen, er begundez sinen friunden klagen.“ (v. 312,11)
Über 50 Nennungen des Autors in verschiedenen literarischen Zusammenhängen belegen, dass jener mhd. Lyriker zu seiner Zeit wohl nur unter dem Namen „Nîthart“ bekannt war.[3] Seit der Ausgabe von Moritz Haupt aus dem Jahre 1858 wurde dem Dichter jedoch oft der ständische Beiname „von Reuental“ gegeben, den man aus seinem literarischen Werk zu gewinnen versuchte. In der Tat fällt die Ortsbezeichnung Reuental sehr häufig in Neidharts Dichtung, mögliche realhistorische Orte könnten Reuental im Freising bzw. Landshut sein. Dies erklärt sich jedoch daraus, dass es ein poetisches Spezifikum Neidharts ist, in seinen so genannten Sommerliedern einen Protagonisten mit Namen „knappe“ oder „ritter von Riuwental“ auftreten zu lassen. Diese von ihm geschaffene Kunstfigur des Ritters von Riuwental für eine persönliche Biographie des Dichters zu Grunde zu legen ist hingegen kurzschlüssig. Dass die Ortsbezeichnung „von Riuwental“ Neidharts Herkunft dokumentiert, bleibt fragwürdig und ist als das Produkt einer biographistischen Germanistik einzustufen. Nicht auszuschließen ist nämlich auch die allegorische Bedeutung der Ortsbezeichnung „Riuwental“, das man mit Jammertal von mhd. riuwen – in Betrübnis versetzen, reuen, verdrießen (z.n. Lexer, Matthias. 38. Aufl. S.170) übersetzen kann. Nicht zuletzt ist es sogar möglich, im Namen „Nîthart“ einen fiktiven Dichternamen zu sehen, so ist dessen negative Bedeutung doch „Neidling“ oder „Teufel“, was sich durchaus auf manche Liedinhalte Neidharts beziehen lässt. Am unverfänglichsten ist es wohl im Zusammenhang mit dem Dichter schlicht von Neidhart zu sprechen.
Auf Grund von Neidharts Apostrophen Herzog Friedrichs II von Österreich lässt sich seine Wirkungszeit etwa auf den Zeitraum zwischen 1200 und 1240 eingrenzen. Einzelne Lieder geben Aufschluss darüber, dass Neidhart wohl zunächst in Bayern tätig war, hier ist das Kreuzzugslied zu Grunde liegend, dann an den Wiener Hof ging und schließlich eine Bleibe in Medelicke fand, womit das heutige Melk gemeint sein könnte.[4]
Schaustätten in seiner Dichtung sind wie schon das erwähnt jenes Riuwental und in seinen österreichischen Liedern das Tullner Feld.
Das unter Neidharts Namen überlieferte Liedcorpus ist laut Günther Schweikle mit etwa 1500 Strophen (etwa 150 Lieder) „das umfangreichste mhd. Liedcorpus“[5]. Die wichtigsten Neidhart-Sammlungen sind die Hs.C/ Große Heidelberger Liederhandschrift (Manessische Liederhandschrift), Hs.R/ Riedegger Handschrift, und Hs.c/ Riedsche Handschrift.
Viele der Lieder gelten jedoch seit der Edition Haupts bis heute als unecht. Moritz Haupt vertritt die Ansicht, die Hs.R dokumentiere die Neidhartsche Dichtkunst am ehesten. Jene, seiner Ansicht nach „unechten“ Textzeugnisse, hat er so genannten „Pseudo- Neidharten“ zugeordnet.[6] Der Streit um die Frage, welche Texte als echte Lieder Neidharts ausgewiesen werden können, und welche so genannten Pseudo-Neidharten zugeschrieben werden müssen, ist bis heute nicht beigelegt; konkrete Kriterien zur Bestimmung sind schwer zu definieren.
55 der Lieder Neidharts sind mit Melodien überliefert, wobei zu sagen ist, dass die Überlieferung der Melodien erst ab dem 15.Jh. einsetzt und auch hier eine scharfe Trennung zwischen unechten und echten Melodien schwer auszumachen ist.[7] Die überlieferten Melodien geben aber einen Eindruck von der möglichen Vortragsweise Neidhartscher Lieder zu seiner Zeit, sind jedoch nicht als Originale zu verstehen.
„ [S]ämtliche Notenaufzeichnungen [repräsentieren], den Tradierungsmodalitäten mittelalterlicher Sangverslyrik entsprechend, keine Melodie-„Originale“, sondern an ihre jeweiligen Textversionen, zumal an die metrischen Gegebenheiten der Melodie führenden Anfangsstrophen angepasste Fassungen.“[8]
Am Ende dieses kurzen Dichterportraits soll der Frage nachgegangen werden, warum Neidhart als „[e]iner der „radikalsten und originellsten Neuerer der deutschen Literaturgeschichte“[9] bezeichnet werden kann.
Betrachtet man Neidharts Lieder vor der Folie des klassischen Minnesangs, so lassen sich einige markante Unterschiede feststellen. Neidharts Lieder spielen nicht, wie im hohen Minnesang, am Hofe, sondern haben ländliche Schauplätze. Sein Hauptanliegen ist es, die etablierte höfische Minneszenerie aufzubrechen und in ein „antihöfische[s] Liebes- und Rauftheater“[10] umzukehren. Was Neidhart macht, ist für seine Zeit in gewisser Weise revolutionär. Man könnte sagen, dass er der höfischen Gesellschaft, für die er schrieb und sang, einen Spiegel vorhalten will. Sein Wunsch ist es nicht möglichst kunstvoll, die vergebliche Werbung eines stilisierten Ritters gegenüber einer höfischen Dame darzustellen, wie wir es im hohen Minnesang finden; vielmehr möchte er das wahre Bild einer in seinen Augen nur vermeintlich gesitteten Hofgesellschaft wiedergeben. Um dies zu demonstrieren, schafft er eine eigene literarische Kunstform, die so genannten Dörper. Wer sich genau hinter dieser literarischen Figur verbirgt, soll im nächsten Kapitel bei der Betrachtung der Winterlieder näher erläutert werden, da die Dörper vor allem in diesem Liedtypus eine besondere Rolle spielen.
Die Unterteilung in Sommer- und Winterliedern durchzieht das gesamte Liedcorpus Neidharts’ und wird auf Grund der thematischen Dichte in einem separaten Kapitel behandelt. Im Folgenden soll ein kurzer Verweis auf die formalen Neuerungen Neidharts noch einmal unterstreichen, warum dieser Dichter sich von seinen Zeitgenossen abzuheben wusste.
Zu den formalen Neuerungen Neidharts zählt vor allem die Einführung der so genannten Reienstrophen sowie der Trutz- und Bilanzstrophen. Die Bezeichnung Reienstrophe geht zurück auf das mhd. Wort reie für Frühlings- bzw. Sommertanz. Ähnlich dem Ablauf eines Sommerreiens, in dem die Tänzer in einer langen Reihe hintereinander gehen oder tanzen, ist das Kennzeichen der Reienstrophe die einleitende Reimpaarbasis auf die verschiedene Erweiterungen folgen. (Bsp. SL = Sommerlied 2 4a4a/4b 4+4b )[11]
[...]
[1] Vgl. Bennewitz, Ingrid: "Wie ihre Mütter"? : zur männlichen Inszenierung des weiblichen Streitgesprächs in Neidharts Sommerliedern. In: Sprachspiel und Lachkultur / hrsg. von Angela Bader ... 1994 S.178
[2]Wenzel, Edith: „hêre frouwe und übelez wîp – Zur Konstruktion von Frauenbildern im Minnesang“. In: Manlîchiu wîp, wîplîch man: Zur Konstruktion der Kategorien ’Körper’ und ’Geschlecht’ in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hg. von Ingrid Bennewitz und Helmut Tervooren. Berlin 1999 (=Beihefte zur ZfdPh 9), S. 281
[3] Vgl. Schweikle, Günther: Neidhart. Stuttgart 1990 (SM 253) S.51
[4] ebd. S. 637
[5]Schweikle. a.a.O. S. 69
[6] Vgl. ebd. S. 33
[7] ebd. S.46
[8] „Die Lieder Neidharts.“ Hrsg. Von Edmund Wießner. Fortgeführt von Hanns Fischer. 5. verb. Aufl. Tübingen 1999 S. XXV
[9] „Metzler Autorenlexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom MA bis zur GW“. 2. überarbeit. u. erw. Aufl./ ungekürzte Sonderausgabe. Hrsg. v. Bernd Lutz. Stuttgart 1997S. 636
[10] ebd. S.636
[11]Schweikle. a.a.O. S.103
- Citation du texte
- Vera Fischer (Auteur), 2006, Zum Frauenbild in Neidharts Winter- und Sommerliedern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60356
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