Das Märchen der Frau Holle als soziokulturelles Phänomen bietet ein breites Spektrum an Deutungsmöglichkeiten und Symbolgehalten. An ihr zeigt sich anschaulich und exemplarisch die literarische Veränderung eines Frauenbildes.
Thematisiert werden die Überlieferungswege und mögliche Autorenschaften von Märchen.
Zunächst jedoch einmal stehen mit dem Märchen in engem Zusammenhang die Gebrüder Grimm, zwei äußerst bedeutende Germanisten und damit auch die Zeit der Romantik.
Die Nationale Identitätssuche und die Auseinandersetzung mit dem Begriff Volk, das bürgerliche Leben und die Entwicklung der Haus- und Kindermärchen sowie die Auswirkungen marktwirtschaftlicher Wandlungen auf den Buchhandel, all das prägte ausschlaggebend die zwischen Kunst- und Volkspoesie sich entwickelnde spezielle literarische „Gattung Grimm“.
Frau Holle bietet jedoch noch mehr, in enger Verbindung mit der Mythologie verbindet sie sich mit sagenumwobenen Gestalten germanischer Gottheiten. Altes Brauchtum vorchristlicher Zeit liefern weitere Hinweise.
Märchen generell sind geprägt von charakteristischen Merkmalen ihres Märchenpersonals, ihres Inventars und ihrer Darstellungswelten und bieten damit eine breite Fläche von Interpretationsmöglichkeiten. Insbesondere ein Märchen in dem bis heute kein Prinz Zugang gefunden hat!
Märchen sind wie andere Gattungen nicht isoliert zu betrachten, ihre Umformungen sind immer auf unterschiedliche Weise von der Zeit und der Sozialisation der jeweiligen Bevölkerungsgruppe gebunden, das Märchen der Frau Holle hat ihren Tribut gezahlt, seine Faszination und Deutungsvielfalt jedoch nie verloren!
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Literatur der Romantik
2.1 Der Begriff Volk
2.2 Nationale Identitätssuche
3. Die Gebrüder Grimm
3.1 Märchen; Zeugnisse mündlicher Erzähltradition
3.2 Volks- oder doch Kunstmärchen?
3.3 Kinder- und Hausmärchen
3.3.1 Die „Gattung Grimm“
4. Verbreitungstheorien von Märchen
4.1 Indogermanische Theorie
4.2 Indische Theorie
5. Charakteristische Merkmale eines Märchens
5.1 Märchenpersonal und Inventar
5.2 Typische Darstellungswelten im Märchen
5.3 Der (Schicksals-) Weg
6. Typische Figuren im Märchen
6.1 Märchendeutung im Sinne der Jung´schen Archetypen
6.2 Mutterfiguren im Märchen
6.2.1 Naturmuttergestalten
6.3 Männliches und weibliches Prinzip
7. Das Märchen der Frau Holle
7.1 Frau Holle eine „sagenumwobene Gestalt“
7.2 Überliefertes Brauchtum
7.3 Germanische Göttin
7.3.1 Todesgöttin „Halja“
7.4 Kontroverse Gestalt
8. Bildelemente und Symbole
8.1 Der Brunnen
8.2 Die Blumenwiese
8.3 Der Backofen
8.4 Der Apfelbaum
8.5 Der Hahn
9. Einzelne Märchenstationen und Figuren
9.1 Die Reise in den Brunnen
9.2 Pechmarie
9.3 Die alte Frau mit den großen Zähnen
9.4 Die Rückkehr
10. Schlussbemerkung
11. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Mit einer Frage möchte ich beginnen; was ist das faszinierende an einem Märchen, dass es von Seiten so vieler wissenschaftlichen Disziplinen mit Interesse aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet wird?
In der Märchenforschung finden sich unter anderem Disziplinen wie Sprach- und Literaturwissenschaften, Volkskunde, Psychologie verschiedenster Richtungen, Germanistik, Folkloristik, Theologie, Geschichte der Rechtskunde, Altertumskunde, germanische Philologie wieder. Und die Gebrüder Grimm haben dabei einen nicht unwesentlichen Teil dazu beigetragen.
Bevor ich mich jedoch der Zeit der Gebrüder Grimm annähere, zeigt bereits ein kurzer Blick auf zwei unterschiedliche Thesen welche Spannbreite von Ansichten in diesem Bereich vorzufinden sind. Nach dem Bertelsmann Lexikon (b) von 1990 (S. 333) gründen sich Märchen „weniger in einer bestimmten künstlerischen Absicht, als vielmehr in der Freude am Erzählen..., die Weltordnung im Märchen ist immer einfach“. Hingegen sieht Frau Helga Krüger „das Märchen als soziokulturelles Phänomen“ an. (Vgl. Krüger 1969:11). In ihrer Dissertation an der Philosophischen Fakultät in Kiel zeigt sie auf interessante Weise auf, dass die allgemeine Verknüpfung in unserem Raum: Märchen – Kindergeschichten – Gebrüder Grimm, viel zu eng gesehen ist und den Märchen nicht gerecht werden kann.
So sieht sie die Grundstrukturen der Märchen über die Zeiten hinweg als relativ beständig an, auch wenn formelle und inhaltliche Änderungen nicht ausblieben, auffallend jedoch auch ihr, dass selbst kulturell stark unterschiedliche Völker, gleiche Menschentypen und Motive besitzen. (Krüger 1969:14) Andererseits lässt sich nach Frau Kellner (1994:66) “die Störanfälligkeit der oralen Tradition“ natürlich nicht leugnen, wenngleich die Meinungen darüber auch differieren können ob dies tatsächlich „der rasche Zerfall“ (vgl. Kellner 1994:78) der Geschichten bedeuten muss.
Für diese Preisgabe, „dem raschen Zerfall“, sehe ich insoweit keine Bestätigung, da immer noch reges Interesse und damit meine ich nicht die „Kinderstuben“, an den Märchen mit der ihnen oberflächlich zugeordneten „einfachen Weltordnung“ besteht. Dies schlägt sich auch im Brockhaus Lexika wieder von 2005[1] (S. 3882) indem unter dem Stichwort Märchen eine weitere Variante der Darstellung zu finden ist, die im Gegenzug zu ihren Kollegen 15 Jahre zuvor sogar auf die Möglichkeit hinweisen, dass es sich bei Märchen um „ältere literarische Zeugnisse der Menschheit“ handeln könne und eine Abgrenzung zum Mythos sich nicht klar definieren lässt.
Um dieser Diskrepanz von Meinungen etwas näher zu kommen, möchte ich im Folgenden unter anderem auf verschiedene Thesen der Ursprungsmöglichkeiten von Märchen näher eingehen und dabei die Indogermanische und Indische These der Verbreitung näher erläutern. Wichtige Fragestellungen aus der Erzählforschung über Schöpfer, Erzähler, Hörer und ihre Rückwirkung des jeweiligen kulturellen Erbes spielen dabei genauso eine Rolle, wie die Unterscheidungsmerkmale von Kunst- und Volkspoesie. Wir wirkt sich das Zusammenspiel jeweils religiöser und eth(ni)scher Werte sich aus oder sind gar verdeckte Botschaften alter Kulturen (Matriarchate?) zu finden? (Pöger-Alder 1994:20-21)
All diese Aspekte werfen ihr eigenes Licht auf dieses soziokulturelle Phänomen. Weiterhin zu berücksichtigen sind die Assoziations- und Definitionsmöglichkeiten von dem Begriff „Volk“.
Inwieweit die Gebrüder Grimm dabei mit ihrer „nationalromantischen Identitätssuche“(vgl.Blum1995-44) auch den vaterländischen Entwicklungen jener Zeit Vorschub geleistet haben, sei zwar erwähnt, bedürfte allerdings wiederum gesonderter sorgfältiger Ausführungen.
Von den „über die Lande ziehenden Brüdern, die in Spinnstuben... dem einfachen Volk dessen Erzählungen abgelauscht haben“, (vgl. Blum 1995:4) sei jedoch schon im Vorfeld sich zu verabschieden, was jedoch die Gebrüder und ihre Leistung nicht uninteressanter werden lässt. Das zeigt sich an ihren reichlichen Hinterlassenschaften und darunter eben auch die „Gattung Grimm“, mit der das exemplarisch herausgesuchte Märchen, der Frau Holle heute für uns in enger Verbindung steht. Ein Märchen, das seine Zeit, wie viele Märchen, überdauert hat und dankbar den unterschiedlichsten Richtungen Interpretationsmöglichkeiten anbietet.
Schon vor den Zeiten der Brüder war den Märchen und gemeinen
Volkssagen Interesse gewidmet, so Herders Idee (1777), „dass das
Inhaltliche aus dem Erleben, Erklären und Verarbeiten von Natur und Umwelteinflüsse, die man als solches nicht versteht, vorangeht“.(Vgl. Herder Johann Gotfried; Von Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst, Bd.9, Berlin 1893, S. 525 in Pöge-Alder 1994:37) Dies ist aber eben nur eine Erklärungsvariante unter vielen. Woher auch immer diese Geschichte stammen oder aus welchem Grund heraus sie entstanden sind, einige Veränderungen lassen sich erkennen und auch historisch erklären. So ist der Wandel des Frauenbildes ein Aspekt der Märchen und auch erkennbar, absichtlich oder unabsichtlich zeigt sich darin eine Entwicklung auf, es spiegelt etwas wieder und diesen Spuren möchte ich folgen. Exemplarisch am Märchen der Frau Holle zeigt sich die zeitgeistige, gar nicht so harmlosen literarischen Veränderungen eines Frauenbildes. Letztendlich bleibt jedoch am Ende die zeitunabhängige Faszination und Reichhaltigkeit von Märchen und den Geschichten die sie erzählen.
2. Literatur der Romantik
Der romantische Text versteht sich als Ansporn zur schöpferischen Interpretation und nicht zur „eindimensionalen Decodierung“. (Schmitz-Emans 2004:16)
Die Romantik war ein Zeitalter der Umwälzungen. Die französische Revolution, der Geist Fichtes und Goethes, unterschiedliche politische Richtungen, Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften, medizinische und neue psychologische Erkenntnisse prägen diese Zeit. Soziale, politische und ethische Ordnungen befinden sich im Wandel. Die Entdeckung der Unbewusstheit, die Faszination des Abnormen und der Extreme von Seelenzuständen rücken in den Blickpunkt des Interesses.
Ein sich etablierendes Bürgertum wird zum „Kaufpublikum“. Kunst und Literatur hat nun auch die Funktion, die eigene gesellschaftliche Identität zu reflektieren. Die Rolle des Künstlers und Dichters wird freier, unabhängiger von einem bestimmten Auftraggeber aber auch abhängiger vom Kaufpublikum! Eine Begleiterscheinung der Revolution war die Aufwertung von Wort und Rede! (Schmitz-Emans 2004:17-22)
Unterschiedliche Epochen der Romantik und verschiedene literarische Kreise lassen sich finden, so zum Beispiel in: Jena, Berlin, Tübingen, Heidelberg zu deren romantischen Literaten unter anderem auch Achim von Armin, sowie Clemens Brentano und Eichendorff gehörten in deren Umkreis sich auch die Brüder Grimm befanden. (Schmitz-Emans 2004:77)
Die Romantik zeigt in sich vielfältige Tendenzen, darunter auch emanzipatorische genauso wie konservative aber auch kosmopolitische Haltungen und Liberalismus sind zu finden. Es herrschte eine Tendenz zur
Verklärung der Vergangenheit und ihrer Gebräuche.
„Diskussionsbeherrschend wird die Leitdifferenz von Natur und Zivilisation.“ (Vgl. Schmitz-Emans 2004:24) Eine große deutsche Vergangenheit soll das „Gewachsene“ dem „Gemachten“ gegenüberstellen. Indirekter Anteil an dieser Verklärung der Vergangenheit trägt die Bearbeitung volkstümlicher Stoffe und darunter vor allem die Sammlungen von Volksbüchern, Märchen und Mythen. (Schmitz-Emans 2004:24). Das „romantische Paradigma“ jener Zeitepoche beeinflusst die zeitgeschichtlichen Autoren, ihren Schwerpunkt auf der Sichtweise, der Entstehung der Märchen im Volk zu belassen und ihre mündliche Tradierung zu fokussieren. Dieses „romantische Paradigma“ entsprach dem Geist seiner Zeit (Pöge-Alder 1994:48) und auch Schriftsteller können sich dem herrschenden Geiste nicht entziehen.
Mit Skepsis wird die Beschleunigung und die Entwicklungsprozesse in Wirtschaft, Technik und Politik beobachtet (Schmitz-Emans 2004:37)
Fünf wichtige Themenkreise sind in der Romantik eng mit einander verbunden:
- Kunst
- Poesie
- Frage nach der Identität
- Subjektivität und Erfahrungen von Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit. (Schmitz-Emans 2004:139)
Die Romantik denkt gern in Dichotomie und beleuchtet dabei den Dualismus von Innenwelt und Außenwelt, von der Tag und Nachtseite der Welt und Seele. (Schmitz-Emans 2004:149)
Dem wird die Sehnsucht zeitloser Gegenwärtigkeit entgegengesetzt, die sich unter anderem in der Sammlungstätigkeit der Gebrüder Grimm ausdrückt, in der der spielerische Umgang hinter dem Bestreben Überliefertes zu sichten und zu dokumentieren zurückbleibt und in der die vorgenommenen Umgestaltungen und Eingriffe offiziell gesehen mit weniger Licht beleuchtet werden. Aufkommendes national patriotisches Bewusstsein nach den napoleonischen Kriegen spiegelt sich in den Vorlieben verschiedener Autoren für Gestalten und Geschichten Germaniens wieder. Zudem lassen die Auswirkungen einer „marktwirtschaftlichen Wandlung im Bereich des Buchhandels“ einen „armen Poeten“ nicht unberührt. ( Vgl. Schmitz-Emans 2004:25)
Damit ging der Weg fort vom „Zulieferer einer höfischer Repräsentationskultur“, hin zu Lieferanten eines bürgerliches Kaufpublikums. (Vgl. Schmitz-Emans 2004:26)
2.1 Der Begriff Volk
Die Sprache als Ausdruck des „Volksgeistes“ und Grundlage nationaler Kulturen, als „Muttersprache“ einzelner Menschen und ganzer Völker, drückt deren Denkweise aus und prägt sie wieder. (Schmitz-Emans 2004:41)
Zwischen idealtypischem Verständnis des Volkes, begleitet von der Vorstellung des ungekünstelten, urwüchsigen bis hin zu der Spannbreite zwischen Pöbel und „ Erzeugnis klassenbewusster Proletarier“ (Vgl. Kahlo, Gerhard: Die Wahrheit des Märchens 1954 Halle S. 17 in Pöge-Alder 1994:205) und Kulturnation. Damit hat der Begriff Volk schon unzählige Male Auf- und Abwertungen erfahren. (Pöge-Alder 1994:36)
Die Schöpfung der Volksmärchen wird durch die Vorstellung vom Volksgeist als ein kollektiver Vorgang angenommen, die Gebrüder begründen damit eine „mündliche Tradierung der Entstehung in sozial unteren Schichten, die Verbreitung der Volksmärchen im ländlichen Niveau. (Pöge-Alder 1994:17)
2.2 Nationale Identitätssuche
Die Frage stellt sich doch, ob hier nicht auch die Verpflichtung zur nationalromantischen Identitätssuche auftaucht, im Bemühen um eine kulturelle Tradition, um ein nationales Selbstbewusstein zu konstituieren. „Wird hier eine vaterländische dem gesamten Deutschland aufbauliche Gesinnung“ entgegengebracht? ( Vgl. Blum 1995:44)
Darüber gehen die Meinungen auseinander und wie ich schon zu Beginn bemerkte, möchte ich den Gedankengang zwar nicht unerwähnt lassen, so findet sich zum Beispiel in der Germanischen Mythologie (von der Reichstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums von 1934 herausgegeben), die Bezugnahme auf Grimm folgendermaßen wieder: „Grimm gebührt den Verdienst zu einem eingehenden Studium dieses nationalen Stoffes angeregt zu haben“ aber auch Klopstock und Herder werden hier genannt. ( Vgl. Schlender 1934:27)
Vergleicht man die Germanische Mythologie der Reichsstelle mit der deutschen Mythologie von Jacob Grimm, lässt sich schon im Inhaltsverzeichnis erahnen was von den Forschungen Jacob Grimms noch übrig bleibt. Alte germanische (männliche) Gottheiten werden ausführlich in vielen Kapiteln dargestellt, vorzugsweise ihre Kampf- und Siegesfreude, während von den Göttinnen (zusammengefasst in einem Kapitel), die Darstellung der sittlichen und hausfraulichen Tätigkeit übrig bleibt, „der treuen Gefährtin“ (vgl. Schlender 1934:167) des Mannes. In der Germanischen Mythologie wird glühend auf die „heilige Glaubensbegeisterung“ (vgl. Schlender 1934: 17) der Männer für ihr Volk hingewiesen. Da hier Jacob Grimms Bemühen die „Quellen der germanischen Urzeit“ (vgl. Schlender 1934:27) zu erforschen gewürdigt und für den Nationalsozialismus weiterverwendet wurde, wäre es trotz allem auch meiner Meinung nach ein Kurzschluss „den romantischen Nationalismus der Mythologen aus der ersten Hälfte der 19 Jahrhunderts mit der Ideologie der Nationalsozialisten verbinden zu wollen“. (Vgl. Kellner 1994:3)
Eher greifen die Nationalsozialisten auf die bereits traditionelle Verbindung von Mythologie und Volkstumsideologie zurück und funktionalisieren sie in diesem Sinne. (Kellner 1994:3)
Der wachsende Nationalgeist, auch eine Reaktion auf die Bedrohung von Außen, drückte sich aus in Sprache, Mythos und Volkspoesie. (Kellner 1994:21) Und so stießen die „authentischen Erzählungen“ als Wiedergabe von Geschichten aus dem Volk auf tatsächliches Kaufinteresse.
Damit weist Frau Beate Kellner nicht zu unrecht auf den „Mythos der Volkspoesie“ hin ( vgl. Kellner 1994:19) und die damit verbundene Aufwertung des Volksbegriffes.
Doch auch sie, die dem „Mythos Grimm“ recht kritisch gegenübersteht, sieht in ihnen Schriftsteller die reagieren und agieren als Zeitgenossen. (Kellner 1994:46)
3. Die Gebrüder Grimm
Die Gebrüder Jacob (geb. 1785) und Wilhelm (geb. 1786) Grimm (Museum Haldensleben 2004:12), landläufig eher als Kindermärchenbuchautoren bekannt, waren bedeutende Germanisten und füllten auch andere Forschungsgebiete, wie die Literaturgeschichte, Sprachwissenschaften, Volkskunde, die Rechtsgeschichte und Religionsgeschichte aus. Ihre Hinterlassenschaften sind umfangreich und umfassen unter anderem solche Werke wie „Deutsche Grammatik“, „Deutsches Wörterbuch“, „Deutsche Mythologie“, „Deutsche Sagen“, „Deutsche Altertümer“. Sie lehrten an der Universität in Göttingen (Wagner 2004:40).
Liest man die Liste ihrer hinterlassenen Werke sind die Kinder- und Hausmärchen darunter eben nur ein Teil ihrer vielfältigen Arbeit. Die Gebrüder Grimm können auch durchaus als die eigentlichen Begründer der Märchenforschung zu Beginn 19. Jahrhundert angesehen werden. Auf der Basis ihrer reichhaltig zusammengetragener Stoffe, konnte es zu ernsthaften Auseinandersetzungen sowie zu Thesen zur Entstehung und Verbreitung von Volksmärchen kommen. (Pöge-Alder 1994:26)
In der Zusammenarbeit, zu Beginn mit Achim von Armin und Clemens Brentano, die (1805/08) an einer Liedersammlung arbeiteten, trugen die Gebrüder Grimm viele Geschichte zusammen. Als deren Fortsetzung planten sie alte, mündlich überlieferte Sagen und Märchen. Dabei war dieser Begriff zunächst weit gefächert. Vom Zaubermärchen über Tiergeschichten, Fabeln, Legenden, Sagen, Novellen, Schwänke, Lügengeschichten und Kettenmärchen. (Tomkowick u. Marzolph 1996:10)
Bei ihrer reichhaltigen germanistischen Tätigkeit und vielfältigen Interessen und ihrer umfangreichen eigenen Bibliothek (Museum Haldenleben 2004:99-114), sowie ihres „unermüdlichen Ordnungs- und Sammeltriebs“, (Wagner 2004:40) liegt es nahe, dass die Gebrüder Grimm, wie schon Eingangs erwähnt, nicht primär Märchen sammelnd über Land zogen. Falls sie doch auch mündliche Quellen nutzten, so handelte es sich eher um weibliche Gewährspersonen aus dem gehobenen Stadtbürgertum, literarisch gebildet und dem französischen mächtig. So wird nach Tomkowick und Marzolph (1996:10) davon ausgegangen, dass eben nicht Frauen des niederen Standes als Beiträgerinnen in Frage kommen.
Was die Märchensammlung der Gebrüder Grimm angeht, so nutzten Brentano und Arnim jedoch die gesammelten Texte der Grimm nicht, wobei laut Tomkowick und Marzolph (1996:10) dreißig Prozent aus literarischen Quellen stammten und so beschlossen die Grimms die Texte selbst zu verwenden.
3.1 Märchen; Zeugnisse mündlicher Erzähltradition?
Das Interesse für Märchen hatte auch bereits in den literarischen Salons im 16. Jahrhundert in der gehobenen und gebildeten Schicht bestanden. Die Gebrüder Grimm konnten also bereits in ihrer Zeit auf ein erhebliches schriftliches Material zurückgreifen. So war es ein beliebtes Vergnügen in Frankreich bspw. für märchenschreibende Damen und Herren Feenmärchen dichterisch auszugestalten und sich später auch von orientalischen Einflüssen inspirieren zu lassen. (Tomkowick u. Marzolph 1996:9) Nicht nur in Frankreich, auch auf ein weites Spektrum der italienischen erzählenden Literatur aus der Zeit des Humanismus, Renaissance und Barock konnten die Gebrüder auf bereits vorhandene Geschichtensammlungen zurückgreifen. (Tomkowick u. Marzolph 1996:7)
Die Gebrüder Grimm verstanden ihre Märchen als Zeugnisse einer mündlichen Erzähltradition, gleichgültig ob aus oraler oder schriftlicher oder gar literarischer Quelle. (Blum 1995:5) So beschrieben sie selbst in ihrer Vorrede (Grimm 1819:X) ihre Werke als gesammelte mündliche Überlieferung, verwiesen dabei zum Beispiel auf eine Bäuerin, die „die Gabe des Erzählens hatte, auch langsam zum Mitschreiben und sich beim Wiederholen auch nicht vertat.“ (Vgl. Grimm 1819:XII) , andererseits weist er selbst daraufhin dass das „erste Band fast ganz umgearbeitet, das Unvollständige ergänzt, manches einfacher und reiner erzählt“ wurde (vgl. Grimm 1819: XIV), trotz allem es ihm auf „Treu und Wahrheit angekommen“ sei und ihm daran gelegen war die „Eigentümlichkeit zu bewahren“. (Vgl. Grimm 1819: XV).[2] Das sogenannte „romantische Paradigma“ durchzieht, wie schon erwähnt und nicht zu vergessen, diese Zeitepoche.
3.2 Volksmärchen oder doch Kunstmärchen?
Monika Schmitz-Emans deutete dies so, dass die Brüder Grimm die „Suggestion des Authentischen“ zu erzeugen versuchten. Während bei anderen Verfassern wie Novalis, Tick, Hoffmann, Brentano, Armin, um hier nur einige zu nennen ihrer Ansicht nach „das ironische Spiel mit poetischen Stoffen“ dominiert. (Vgl. Schmitz-Emans 2004:59)
Die Gebrüder Grimm konnten auf ein reichhaltiges, bereits bestehendes literarisches Material zurückgreifen. Davon zeugt nicht nur ihre eigene Bibliothek sondern auch die Nutzung der königlichen Bibliothek in Berlin. Die Frage ob es sich bei den Volksmärchen gar um „gesunkene Hochkulturliteratur“ handelt (Krüger 1969:87) oder ob umgekehrt, die führenden Schichten sich die vertrauten Elemente des Volkes zunutze machten, lässt sich letztendlich nicht klären. Es ließe sich auch die Frage stellen, wozu diese Unterscheidung eine solche Wichtigkeit trägt. Haben den Menschen unterschiedlicher Schichten, unterschiedliche Intensionen, Geschichten zu erzählen? Sicher haben sie eine unterschiedliche Sozialisation erfahren, haben unterschiedliche Wertigkeiten in ihren Bedürfnissen, aber ähneln sich nicht auch die Grunderfahrungen und Wünsche der Menschen in ihrer Essenz? Findet nicht schon eine Bewertung statt durch die Unterscheidung in „höhere“ und „niedere“ Schichten?!
Um auf die Fragestellung, ob den nun Märchen und damit primär die von den Gebrüder Grimm veröffentlichten zurück zu kommen, stellt Lothar Blum in seiner Grimm Philologie dazu sachlich fest; „dass der Streit (der einige Bücher füllt) über die Autorenschaft im Prinzip müßig sei, festzustellen ist, das die Buchmärchen von den Gebrüder Grimm als „Standort zwischen Volkserzählung und Kunstmärchen“ zu sehen ist. ( Vgl. Blum 1995:20)
3.3 Kinder u. Hausmärchen
[...]
[1] Eben je nach Stand und Interesse der aktuellen Wissenschaft
[2] Eigentümlichkeiten der „Gattung Grimm“ auf die sich später Interpretationen verschiedenster Richtungen beziehen.
- Quote paper
- Beatrice Bucher (Author), 2005, Das soziokulturelle Phänomen des Märchens der Frau Holle nach den Gebrüder Grimm, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60195
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