Für uns heute im 21. Jahrhundert ist es selbstverständlich, Menschen mit psychischen Problemen nicht gleich als verrückt abzuqualifizieren. Im 20. Jahrhundert haben sich verschiedene psychoanalytische Richtungen etabliert, mit denen versucht wird, psychisch auffälligem, oft auch lebensbedrohlichem Verhalten, auf den Grund zu gehen. Wahnsinn und Irrsinn erscheint uns dabei in erster Linie als Krankheit des Geistes oder als Krankheit der Psyche, wobei auch diese Vorstellungen von psychischer Krankheit hinterfragenswert ist, da Kranksein oft auch ein Abweichen von der Norm, z.B. der sozialen Norm, leistungs- und arbeitsfähig zu sein, bezeichnet. Nicht zuletzt suggeriert auch der Begriff `Krankheit´ eine körperlich-medizinische Funktionalität des Menschen und es wurde auch bei psychischen Krankheiten sehr oft versucht, diese über biologische und physiologische Störungen zu erklären. Verbunden damit ist gerade bei psychoanalytischen Betrachtungen der Versuch, Begründungen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden, die oft mit Erfahrungen aus der Kindheit erklärt werden, um diese dann in eine rationalistisch geprägte Erfassung der Welt und des menschlichen Handelns, das gestaltbar und damit auch durch den Menschen veränderbar erscheint, einzuordnen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Situation der Irren im 18. Jahrhundert
3. Wahnsinn und die Gesellschaft
4. Reform- und Erklärungsversuche
5. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Für uns heute im 21. Jahrhundert ist es selbstverständlich, Menschen mit psychischen Problemen nicht gleich als verrückt abzuqualifizieren. Im 20. Jahrhundert haben sich verschiedene psychoanalytische Richtungen etabliert, mit denen versucht wird, psychisch auffälligem, oft auch lebensbedrohlichem Verhalten, auf den Grund zu gehen. Wahnsinn und Irrsinn erscheint uns dabei in erster Linie als Krankheit des Geistes oder als Krankheit der Psyche, wobei auch diese Vorstellungen von psychischer Krankheit hinterfragenswert ist, da Kranksein oft auch ein Abweichen von der Norm, z.B. der sozialen Norm, leistungs- und arbeitsfähig zu sein, bezeichnet. Nicht zuletzt suggeriert auch der Begriff `Krankheit´ eine körperlich-medizinische Funktionalität des Menschen und es wurde auch bei psychischen Krankheiten sehr oft versucht, diese über biologische und physiologische Störungen zu erklären. Verbunden damit ist gerade bei psychoanalytischen Betrachtungen der Versuch, Begründungen für bestimmte Verhaltensweisen zu finden, die oft mit Erfahrungen aus der Kindheit erklärt werden, um diese dann in eine rationalistisch geprägte Erfassung der Welt und des menschlichen Handelns, das gestaltbar und damit auch durch den Menschen veränderbar erscheint, einzuordnen.
Im beginnenden 18. Jahrhundert war das Weltbild der Menschen noch geprägt vom mittelalterlichen Denken, Aberglauben und Vorstellungen von Hexen und Zauberei. Wahnsinnige, so glaubte man, seien vom Teufel besessen und abweichendes Verhalten wurde oft als Strafe Gottes und damit von einer höheren Macht initiiert verstanden.[1] In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, ausgehend von einer kurzen Skizzierung der politischen und wirtschaftlichen Situation Deutschlands im 18. Jahrhundert, den gesellschaftlichen Umgang mit Wahnsinn im 18. Jahrhundert aufzuzeigen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie vom Aberglauben geprägte Projektionen langsam durch weltlichere Erklärungsansätze ersetzt wurden. Gleichzeitig geht es darum, zu beschreiben, welchen Stellenwert Wahnsinnige in der Gesellschaft hatten und welcher Platz ihnen im Rahmen gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen zugewiesen wurde. Ein kurzer Ausblick auf den Beginn der Psychiatrie als Wissenschaft um 1800 rundet die Arbeit ab.
2. Die Situation der Irren im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert ist Deutschland in zahlreiche Kleinstaaten zersplittert. Deutschland ist eine Agrargesellschaft: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts leben 80 % der Bevölkerung auf dem Land. Aufgrund von Kriegen, Missernten und Geldentwertung beginnt ein Prozess kontinuierlich wachsender Verelendung der unteren Schichten der Bevölkerung. Die Ernährungssituation ist schlechter als im Spätmittelalter. Zwischen 1660 und 1800 gibt es in jedem vierten Jahr in mindestens einem großen Teil Deutschlands eine Hungersnot.[2]
Die Gesellschaft ist ständisch gegliedert in Adel, Bürgertum und Bauern. Das Bürgertum zerfällt in das niedere Bürgertum und in das höhere Bürgertum.
Allerdings ist diese Ständegesellschaft in Bewegung geraten. Entscheidend für diese Zeit ist das wachsende Selbstbewusstsein des Bürgertums, das versuchte, durch Handel, Bankgewerbe und durch das eben erst aufkommende Industriewesen, zu Reichtum zu gelangen. Im höheren Bürgertum werden dabei immer mehr Stimmen laut, die in Frage stellen, ob die Vorrechte des Adels als legitim angesehen werden können. Gegen adlige Geburt werden bürgerliche Verdienste und Leistungen gesetzt.
Eng verbunden damit ist ein Prozess der Merkantilisierung der Gesellschaft, die zudem – beeinflusst von aufklärerischem Gedankengut – nach rationalistischen Vernunftprinzipien organisiert wird.[3] Landesherren und Magistrate beginnen mit Infrastrukturmaßnahmen, wie Landesausbau, Einführung neuer Pflanzen wie Kartoffel und Klee, gezielter Gewerbeförderung und Errichtung von Manufakturen wie auch von Arbeits- und Waisenhäusern die Produktivität zu steigern: „Die Untertanen sollten zu maximaler Arbeitsamkeit als sittlicher Pflicht erzogen werden und dadurch merkantilistisch den größtmöglichen Reichtum aus ihrem Besitz“[4] erwirtschaften. Dörner spricht in diesem Zusammenhang von bürgerlicher „Forderung nach ökonomischer und politischer Freiheit zum Bedürfnis nach relativer Freisetzung disponibler Massen“.[5] Die sozioökonomischen Veränderungen der beginnenden Moderne als sich abzuzeichnende Industrialisierung waren daran geknüpft, einen stetig wachsenden Bedarf an Arbeitskräften bereitzustellen. Deshalb erfolgte eine Differenzierung der Bevölkerung, die in Leute, die arbeiten können und nicht arbeitsfähige Bürger unterschieden wurde. Damit verbunden ist ein gesellschtliches Sichtbarwerden der Irren. Unter dem Blickwinkel einer gesamtgesellschaftlichen Arbeitsfähigkeit zur merkantilistischen Produktivitätssteigerung erscheinen die Irren als gefährliche Störer. Sie fielen aus den rationalistischen Ordnungsvorstellungen des Bürgertums, das sich an den Gedanken der Aufklärung orientierte, nach denen der Mensch als denkendes Wesen die Welt vernünftig gestaltet und sich nicht länger auf einen unveränderlichen göttlichen Fatalismus berufen kann. Aufklärung ist identisch mit Vernunftgebrauch im Dienste der Mündigkeit. Das Ideal der Aufklärung, ihren Leitbegriff stellt die Vernunft dar, die als allgemeines Prinzip gedacht wird. In der Forderung, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen, lag nach aufklärerischen Vorstellungen die Garantie für ein ständiges Fortschreiten der Menschheit in der Beherrschung der Naturkräfte ebenso wie in der Herbeiführung einer gerechten sozialen Ordnung.[6]
Zwar ist mit diesem aufklärerischen Denken ein wachsendes Selbstbewusstsein des Menschen verbunden, der sich nun selbst als Urheber und Gestalter seines Handelns entdeckt, gleichzeitig sind damit aber Vorstellungen von vernunftgemäßem Handeln verbunden, die gerade vernünftige Menschen als Ideal eines Menschenbildes erscheinen lassen, von dem nicht-vernünftige Menschen, wie Geisteskranke, Irre und Wahnsinnige abzugrenzen sind, was rasende wie ruhige, tobende wie harmlose Irre als aus der menschlichen Ordnung herausgefallene Bürger erschienen ließ. Geisteskranke lebten im 18. Jahrhundert als Taugenichtse, Landstreicher und Verbrecher, Bettler oder harmlose Narren, die immer wieder der strafenden Gerechtigkeit in die Hände fielen.[7] Gesamtgesellschaftlich wächst die Tendenz, auch harmlose Irre und geisteskranke Bettler als störend zu empfinden und sich über sie zu beschweren.[8] Nicht mehr nur rasende und tobende Irre werden eingesperrt, sondern aus Furcht vor der Unberechenheit und Gefährlichkeit werden auch harmlosere und ruhigere Irre in Arbeits- und Zuchthäuser eingewiesen; man erweitert den Kreis sogar auf diejenigen, die möglicherweise zukünftig gefährlich werden könnten.[9] Der Charakter des bedrohlich Fremden der Irren in Staaten, deren Politik die Autarkie gegen alle fremden Einflüsse anstrebte, zeigt sich auch daran, dass sie nicht nur in verschiedene feste Häuser interniert, sondern auch über die zahlreichen Grenzen abgeschoben oder durch bezahlte Verschiffung in die Neue Welt oder andere Kolonien exterritorialisiert wurden.[10]
Auch in den Familien wuchs das Bewusstsein einer kleinen, engen Gemeinschaft. Die Familie wird im Bürgertum nicht mehr als Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft verstanden, sondern als eine eigene kleine Gemeinschaft, der Schutz von außen gewährt wird. Mit diesem Familienbewusstsein ist eine veränderte Verantwortung verbunden. Man fühlte sich nur für die nächsten Angehörigen verantwortlich und war froh, entferntere Verwandte, auch irrsinnige, die als asozial galten, abschieben zu können.[11] Auch die Kirchen bedurften kaum noch der Irren als Hexen und dämonisch Besessenen, um ihre weltliche Macht zu demonstrieren.[12]
[...]
[1] Vgl. Kraeplin 1919, S. 14.
[2] Vgl. Fandrey, 1990 S. 59
[3] Vgl. Dörner 1984, S. 186.
[4] Ebendaselbst.
[5] Ebendaselbst.
[6] Vgl. Fandrey 1990, S. 72.
[7] Vgl. Kraeplin 1919, S. 2.
[8] Vgl. Dörner 1984, S. 186.
[9] Vgl. Fandrey 1990, S. 75.
[10] Vgl. Dörner 1984, S. 187.
[11] Vgl. ebd., S. 186.
[12] Vgl. ebd., S. 187.
- Citation du texte
- Gülsah Uzun (Auteur), 2000, Schwachsinn im 18. Jahrhundert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59866
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