Kinderarmut ist ein Thema, dass in der heutigen Zeit sehr oft in den Medien dargestellt wird und in aller Munde ist. Zuerst denken die meisten Menschen dabei an kleine Kinder, die in Lumpen gehüllt auf der Straße leben und betteln - in einem Entwicklungs-land. Doch dann kommt die Frage auf, wie es denn in Deutschland mit Kinderarmut aussieht - aktuell und geschichtlich. Bei der Überlegung, welche Texte herangezogen werden können, kommt man bei genauerer Betrachtung auf Pestalozzi, Wichern und Nohl. Recht aktuell betrachtet der 10. Kinder- und Jugendbericht (von 1998) Kinderarmut in Deutschland. Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der geschichtlichen Betrachtung der Kinderarmut. Daher lautet die zentrale Fragestellung: Wie wird Kinderarmut in der Geschichte der Sozialpädagogik dargestellt? Auf diese wird nun eingegangen…
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kinderarmut bei Pestalozzi
2.1 Johann Heinrich Wichern
2.2 Armenanstalten Pestalozzi´s
2.2.1 Brief an einen Freund über den Aufenthalt in Stans
2.2.2 Kinderarmut
3. Kinderarmut bei Wichern
3.1 Johann Hinrich Wichern
3.2 „Rauhe Haus“ Wichern´s
3.2.1 Öffentliche Begründung des „Rauhen Hauses“
3.2.1.1 Allgemeines zur Rettungsanstalt
3.2.1.2 Wicherns Ansprache auf der Gründungsversammlung
3.2.2 Kinderarmut
4. Kinderarmut bei Nohl
4.1 Herman Nohl
4.2 Verwahrlosung bei Nohl
4.2.1 Pädagogik der Verwahrlosten
4.2.2 Kinderarmut
5. Kinderarmut heute: 10. Kinder- und Jugendbericht
5.1 10. Kinder- und Jugendbericht
5.2 Kinderarmut im Sinne des 10. Kinder- und Jugendberichts
5.2.1 Allgemein
5.2.2 Kinderkosten
5.2.2.1 Kostenfaktoren
5.2.2.2 Kostenrechnungen
5.2.2.3 Leistungen der Allgemeinheit
5.2.3 Kinderarmut
5.2.3.1 Kinderarmut und Elternarmut
5.2.3.2 Verschiedene Armutskonzepte
5.2.3.3 Aspekte der Kinderarmut
5.2.3.4 Kinderarmut und ihr Ausmaß
5.2.3.5 Armutsdauer
5.2.3.6 Armutsfolgen für Kinder
5.2.4 Empfehlungen und Forderungen der Kommission
6. Kinderarmut: geschichtlich betrachtet
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Kinderarmut ist ein Thema, dass in der heutigen Zeit sehr oft in den Medien dargestellt wird und in aller Munde ist. Zuerst denken die meisten Menschen dabei an kleine Kinder, die in Lumpen gehüllt auf der Straße leben und betteln – in einem Entwicklungsland. Doch dann kommt die Frage auf, wie es denn in Deutschland mit Kinderarmut aussieht – aktuell und geschichtlich. Bei der Überlegung, welche Texte herangezogen werden können, kommt man bei genauerer Betrachtung auf Pestalozzi, Wichern und Nohl. Recht aktuell betrachtet der 10. Kinder- und Jugendbericht (von 1998) Kinderarmut in Deutschland.
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der geschichtlichen Betrachtung der Kinderarmut. Daher lautet die zentrale Fragestellung: Wie wird Kinderarmut in der Geschichte der Sozialpädagogik dargestellt? Auf diese wird nun eingegangen…
2. Kinderarmut bei Pestalozzi
2.1 Johann Heinrich Pestalozzi
Johann Heinrich Pestalozzi wurde am 12. Januar 1746 in Zürich geboren (Kuhlemann, S. 1). Durch den frühen Tod mehrerer Geschwister und seines Vaters gestaltete sich seine Kindheit und Jugendzeit stark behütet. Er besuchte alle Schulen, die für Stadtbürger offen standen und erfuhr dort eine Menge über die Gedanken und Werke alter und neuer Philosophen. Dann begann Pestalozzi ein Theologie- und Jurastudium, was er aber abbricht, um eine landwirtschaftliche Lehre zu beginnen. In dieser zeit lernt er seine spätere, acht Jahre ältere Frau Anna Schultheß kennen.
1769 errichtete Pestalozzi in der Nähe Zürichs seinen Neuhof. Erste Versuche mit Landwirtschaft, Viehwirtschaft und Baumwollverarbeitung scheitern. So begann Pestalozzi den Aufbau einer Waisenanstalt für die Kinder der umliegenden Gegend. Auch dieses Projekt scheiterte, da ihm die finanziellen Mittel ausgingen.
Es folgte ab 1780 eine schriftstellerische Phase, deren Werke als Versuch politischer Einflussnahme anzusehen sind (S. 2). Mit dem Einmarsch der Franzosen wurde Pestalozzi zum Leiter einer Anstalt für verwaiste Kinder, die sich in Stans befand. Allerdings konnte er seine Erziehungspläne nicht vollends verwirklichen, da er die Anstalt als Lazarett zur Verfügung stellen musste. Sowohl psychisch als auch physisch angeschlagen entstand hier sein wichtigster pädagogischer Text: der „Brief an einen Freund über meinen Aufenthalt in Stans“, der nicht nur pädagogische Überlegungen beinhaltete, sondern auch pädagogische Erfahrungen (siehe 2.2.1).
Daraus entwickelte sich Pestalozzi´s neues Ziel: er wollte nicht nur als Lehrer tätig sein, sondern eine mit einem Lehrerseminar verbundene Erziehungsanstalt in Burgdorf aufbauen. Diese sah er als Kombination von Knabenschule, Pensionsanstalt für auswärts wohnende Schüler, Lehrerseminar, Waisenhaus und Armenschule an, in der Unterricht Kopf (= intellektuelle Kräfte), Herz (= sittlich-religiöse Kräfte) sowie Hand (= handwerkliche Kräfte) ansprechen sollte (Brühlmeier / Kuhlemann, S. 2). Allerdings musste Pestalozzi aus politischen Gründen (neue Verfassung, keine Hilfe durch die neue Regierung) Burgdorf verlassen und mit seinem Institut nach Münchenbuchsee ziehen. Eine geplante Zusammenführung mit der Erziehungsanstalt von Fellenberg scheiterte an dessen Abneigung, Pestalozzis Zöglinge, die aus armen Verhältnissen stammten, unentgeltlich in seine Anstalt aufzunehmen.
So suchte er einen neuen Ort für sein Wirken, den er 1804 in Yverdon zur Verfügung gestellt bekam. Sein hier in kurzer Zeit aufgebautes Erziehungsinstitut war u. a. Schule (getrennter Unterricht für Jungen und Mädchen) für Kinder aller Schichten (Kuhlemann / Brühlmeier, S. 1). Das allgemeine Pensionsgeld war sehr niedrig angelegt und fast ein Drittel der Kinder stammten aus armen Familien, so dass sie unentgeltlich aufgenommen wurden. 1825 musste Pestalozzi jedoch sein Scheitern anerkennen, denn ökonomische Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen seiner Mitarbeiter zwangen ihn, seine Erziehungsanstalt in Yverdon zu schließen (Kuhlemann, S. 3). Er kehrte auf den Neuhof zurück, wo er erneut eine Armenanstalt aufbauen wollte. Allerdings verstarb er am 17. Februar 1827.
2.2 Armenanstalten Pestalozzi´s
2.2.1 Brief an einen Freund über den Aufenthalt in Stans
Pestalozzi beschäftigte sich – wie aus seinem Lebenslauf deutlich wird – mit der Aufnahme, Erziehung und Bildung verarmter Kinder. Besonders deutlich zeigt sich das in seinem 1799 verfassten „Brief an einen Freund über seinen Aufenthalt in Stans“. Zu Beginn äußerte Pestalozzi den Wunsch, das Erziehungswesen zu verändern, da er die öffentliche Erziehung auch für (wenigstens einen Teil) der ärmsten Kinder des Landes forderte (S. 2). Um dies zu verwirklichen, suchte er einen vorteilhaften Ort zur Ausdehnung seiner Anstalt (S. 3). Das gelang ihm aber nur sehr schwer, da nicht nur die Gebäude umgebaut werden mussten (S. 3 f), sondern sich auch viele Menschen gegen Pestalozzi stellten (S. 10 f). Er erfuhr nicht nur starke Abneigung, sondern auch politische und religiöse Missstimmung, da noch nicht viele Reformierte im öffentlichen Dienst arbeiteten (S. 10 f).
Noch bevor seine Armenanstalt vollendet war, drängten sich viele verwahrloste und verwaiste Kinder zu ihm (S. 4). Anfangs musste er sogar die armen Kinder trotz deren miserablen Zustandes wegschicken (S. 4 f). Später konnte er nach und nach mehr Kinder aufnehmen, Dabei stellte er fest, dass viele der Kinder nicht nur körperlich in einem sehr schlechten Zustand waren, sondern auch eine mangelhafte Schulbildung besaßen, da sie weder kognitiv noch körperlich gefordert wurden (S. 5). Pestalozzi beschreibt dies folgendermaßen: „Träge Untätigkeit, Mangel an Übung der Geistesanlagen und wesentlicher körperlicher Fertigkeiten waren allgemein. Unter zehn Kindern konnte kaum eines das A b c“ (Pestalozzi 1944, S. 5).
Hier kamen die „Kräfte der menschlichen Natur“ (S. 5) zu tragen, denn nicht nur die geistige Not, sondern auch die finanzielle Not befähigen den jungen Menschen, wie eine Pflanze zu wachsen (S. 6). Pestalozzi wollte dabei die notwendige Unterstützung geben, um – in Anlehnung an Rousseau – die positiven Kräfte der Jungen und Mädchen zur Entfaltung zu bringen. Zur Umsetzung dienten seine Erziehungsgrundsätze: als Hilfsmittel zur Bildung und Erziehung dienen als Erstes die Natur, die die Kinder unmittelbar umgibt, als Zweites die täglichen Bedürfnisse der jungen Menschen (nicht nur nach Nahrung, sondern auch nach Bildung) und als Drittes eine rege Tätigkeit durch den gebrauch und die Anwendung alltäglicher Dinge (S. 7). Dabei hatte Pestalozzi weder Mitstreiter (die Anstalt eröffnete er allein), noch ein sicheres pädagogisches Konzept (S. 8). Dieses wollte er erst mit Hilfe der Arbeit mit den Kindern aufstellen. Klar war für ihn allerdings, dass er nur eine gute Erziehung erreichen konnte, wenn seine öffentliche Erziehung die häusliche Erziehung nachahmt. Seine allgemein gehaltenen Vorstellungen sahen eine familiäre Struktur vor, die der Grundversorgung (Nahrung, Schlafplatz, Kleidung) und dem Aufbau rechtlicher und sittlicher Gefühle dient (S. 18). Dazu befriedigte er die Grundbedürfnisse der Kinder, bringt ihnen Fertigkeiten bei (z. B. Lesen, gute Haushaltung) und zeigte ihnen, was „Gut“ und „Böse“ ist, ohne zugleich Moral und Religion zu lehren (S. 19 f). Bei Notwendigkeit nutzte er nicht nur strenge Strafen, sondern auch körperliche Züchtigungen (bspw. Ohrfeigen). Dazu beschrieb Pestalozzi: „[…] der pädagogische Grundsatz, mit bloßen Worten sich des Geistes und Herzens einer Schar Kinder zu bemächtigen […], ist freilich ausführbar bei glücklichen Kindern […]; aber im Gemisch meiner ungleichen Bettelkinder, bei ihrem Alter, bei ihren eingewurzelten Gewohnheiten […] war der Eindruck körperlicher Strafen wesentlich […]“ (Pestalozzi 1944, S. 24). Er führte weiter aus, dass Strafen nicht schaden, wenn gleichzeitig genügend Zuneigung gegeben wird (S. 25). Durch eine solche Begründung sahen die Kinder gleichzeitig den Sinn der vorgegebenen Regeln und Strukturen. Solches Wissen führte kurzfristig zu einer positiven Gemütsstimmung und langfristig zur weiteren Erkenntnis im Sinne lebhafter Vorstellungen über eigene Erfahrungen und die eigene Zukunft (S. 31 f). Lernen vollzog sich so durch Überzeugung, wobei stetiges Üben zur Selbständigkeit führte (S. 36 f).
Seine Erfahrungen aus der Armenanstalt in Stans fasste Pestalozzi zusammen (S. 44). Zum einen fand er es – im Gegensatz zur damaligen Meinung – relativ leicht möglich, eine Masse von Kindern unterschiedlichen Alters gleichzeitig zu lehren. Und zum anderen wurden der Geist und die Geistestätigkeit am besten angeregt durch die Verschmelzung von Arbeit und Unterricht.
2.2.2 Kinderarmut
Pestalozzi beschreibt in seinem Brief sehr gut, was er unter armen Kindern versteht. Seine Definition von Kinderarmut bezieht sich dabei zum einen auf die finanzielle Not der Kinder und ihrer Familien (Pestalozzi 1944, S. 6). Diese äußert sich darin, dass die Kinder bei sich zu Hause oftmals kaum nahrhaftes Essen bekamen, meist kein Bett zur Verfügung stand, ihre Kleidung abgetragen, zu klein und löchrig war, sie sehr viel und hart arbeiten mussten und darüber hinaus zum Betteln geschickt wurden (S. 15). Dazu kam der – bereits angesprochene – miserable Zustand der körperlichen Gesundheit (S. 4 f). Viele der Kinder, die Pestalozzi aufnahm, litten unser Krätze, deren nicht behandelte Stellen wund und von Ungeziefer befallen waren, waren zudem stark unterernährt, kraftlos und hatten einen fahlen, gelben Teint, der auf Gelbsucht schließen ließ.
Zum anderen zählte für Pestalozzi auch die geistige Not der Kinder zu deren Armut, da sie so keine Perspektive für die Zukunft hatten (S. 5) Hier führte er die Trägheit und Untätigkeit der Kinder auf, deren Analphabetismus sowie kognitive Unterforderung.
Wichtig ist bei Pestalozzi, dass er trotz der Kinderarmut für die Standeserziehung plädierte, bei der Bildung und Erziehung nicht über den Stand hinausgehen (S. 2). Es ging ihm darum, die Lehrmittel so weit zu vereinfachen, damit alle Mütter ohne fremde Hilfe ihre eigenen Kinder lehren und zugleich selbst lernen können (S. 42 f). Selbständigkeit, Wissen und Erfahrung wirkten sich positiv aus, so dass der junge Mensch gestärkt in seine Zukunft blicken kann.
3. Kinderarmut bei Wichern
3.1 Johann Hinrich Wichern
Johann Hinrich Wichern wurde am 21. April 1808 als ältestes Kind von sieben Geschwistern in Hamburg geboren (Schäfer 2004, S. 1; Raupp 1999, S. 1). Da sein Vater früh verstarb, musste er durch Nachhilfestunden zum Familienunterhalt beitragen. Das Gymnasium brach er vorzeitig ab und arbeitete als Erziehungsgehilfe im Internat. Von 1828 bis 1831 studierte Wichern evangelische Theologie in Göttingen und in Berlin, wo er nicht nur Schleiermacher und Hegel hörte, sondern auch die Waisenanstalten von Francke und die Armenbeschäftigungsanstalt von Kottwitz besuchte.
Nach dem Examen 1832 kehrte Wichern wieder nach Hamburg zurück und arbeitete als Oberlehrer einer Sonntagsschule, die Kinder aus der sozialen Unterschicht besuchten. Um Kinder aus diesen armen Verhältnissen zu helfen, gründete er – unterstützt durch Freunde – das „Rauhe Haus“, eine „[…] Anstalt >>zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder<<, die im November 1833 unter Wicherns Leitung mit drei Jungen ihre Arbeit aufnahm“ (Raupp 1999, S. 1). Grundgedanke war, das „Rauhe Haus“ für schulischen Unterricht, das religiöse Leben und die Arbeitswelt zu nutzen (Schäfer 2004, S. 1). Bedürftigen Kindern sollte einmal Lesen und Schreiben beigebracht werden, aber es fanden auch Gottesdienste und Gebete statt. Dabei achtete er darauf, durch familienähnliche Erziehungsgruppen eine vertraute Umgebung herzustellen und lehnte sich so an Pestalozzi an (Raupp 1999, S. 1). Die Idee der Rettungshäuser fand großen Anklang.
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- Arbeit zitieren
- Nancy Kunze-Groß (Autor:in), 2006, Wie wird Kinderarmut in der Geschichte der Sozialpädagogik dargestellt? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59834
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