Am 4. Oktober 2005 fand an der Universität Oldenburg die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) statt. Dabei war man sich einig, dass die Systemische Therapie ein sehr effektives „Therapieverfahren ist, das eine hohe „Kundenzufriedenheit“ erzeugt und dazu besonders kostengünstig ist“ (DGSF-Presseinformation 4.10.2005). Speziell bei Kindern und Jugendlichen belegen Studien eine hohe Wirksamkeit der Systemischen Therapie wie etwa bei Drogenkonsum oder „Störungen des Sozialverhaltens und jugendlicher Delinquenz“. Auch für die Psychotherapie bei Erwachsenen lässt sich die Wirksamkeit des systemischen Ansatzes gut belegen. Ein weiterer Vorteil dieses Psychotherapieverfahren liegt in der Tatsache, dass man schon mit vergleichsweise wenigen Sitzungen in längeren Abständen Erfolge verzeichnen kann. In dieser Arbeit möchten wir zunächst erklären was unter der allgemeinen Systemtheorie zu verstehen ist und Grundlagen zum Verständnis mit Systemen darstellen (Kapitel 2), um im Anschluss daran ausführlich die Grundprinzipien der systemischen Beratung vorzustellen (Kapitel 3). Darauf folgt ein kurzer Einblick in mögliche systemische Interventionstechniken (Kapitel 4). Nachdem dann kurz auf die Anwendungsgebiete der Systemtheorie eingegangen wird (Kapitel 5), liegt ein weiterer Schwerpunkt dann bei der Erstellung eines Bezugs der Systemtheorie zum Sport (Kapitel 6).
Inhaltsverzeichnis
Oberseminar: Interaktion und Kommunikation in Sport-, Gesundheits-, und Fitnessmanagement
Theoriefelder der Sozialwissenschaften
WS 05/06
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Die Allgemeine Systemtheorie
2.1.1 Definition System
2.1.2 Definition Theorie
2.1.3 Definition Systemtheorie
2.2 Die Geschichte der Systemtheorie
2.3 Von der Summe der Teile zu einem sozialen System
2.4 Die Position des Beobachters: Kybernetik 1. und 2. Ordnung
2.5 Von Autopoiese zur Theorie sozialer Systeme als Kommunikationssysteme
2.6 Kerngedanken beim Umgang mit Systemen
2.6.1 Realität
2.6.2 Kausalität und Zirkularität
2.6.3 Sprache
2.7 Zur Komplexität von und Kontingenz in sozialen Systemen
2.8 Das systemische Problemverständnis und die Problemlösung
3 Systemische Beratung - Grundprinzipien
3.1 Wertschätzung
3.2 Den Möglichkeitsraum erweitern
3.3 Bildung von Hypothesen
3.4 Neutralität
3.5 Irreverenz
3.6 Ressourcenorientierung ist Lösungsorientierung
3.7 Kundenorientierung
3.8 Verstörung
3.9 Neugier
3.10 Pragmatische Grundsätze für Systemische Beratung
4 Techniken für die systemische Intervention
4.1 Zirkuläres Fragen
4.2 Paradoxe Interventionen
4.3 Familienskulptur
5 Anwendungsgebiete
6 Bezug zum Sport
6.1 Das Salutogenese- Modell
6.2 Das Anforderungs-Ressourcen-Modell
6.3 Salutogenese-Modell versus Anforderungs-Ressourcen- Modell
6.4 Leistungssteigerung im Sport im Rahmen eines systemischen Anforderungs-Ressourcen-Modells
6.5 Das Phänomen „Trainingsweltmeister“ – optimaler Einsatz für systemische Beratung?
7 Fazit und Ausblick
8 Literatur
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Versuch der grafischen Darstellung der Kybernetik 2. Ordnung nach
Simon
Abb. 2: Kommunikationssystem und seine teilnehmenden psychischen Systeme A/B/C
Abb. 3: Zirkuläre/rekursive Prozesse ohne zeitliche Dimension
Abb. 4: Zirkuläre/ rekursive Prozesse mit zeitlicher Dimension
Abb. 5: Veränderung von Sprache und gesellschaftlicher Wirklichkeit als zirkulärer Prozess ohne zeitliche Dimension
Abb. 6: Vom Problem zur Ressource durch positive Sichtweise
Abb. 7: Der „Interventionsbaum“
Abb. 8: Klassisches Fragemuster
Abb. 9: Beispiel für ein zirkuläres Fragemuster 1
Abb. 10: Beispiel für ein zirkuläres Fragemuster 2
Abb. 11: vereinfachte Darstellung des Salutogenese- Modell
Abb. 12: Vereinfachte Darstellung des Anforderungs-Ressourcen-Modell
1 Einleitung
Am 4. Oktober 2005 fand an der Universität Oldenburg die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) statt. Dabei war man sich einig, dass die Systemische Therapie ein sehr effektives „Therapieverfahren ist, das eine hohe „Kundenzufriedenheit“ erzeugt und dazu besonders kostengünstig ist“ (DGSF-Presseinformation 4.10.2005).
Speziell bei Kindern und Jugendlichen belegen Studien eine hohe Wirksamkeit der Systemischen Therapie wie etwa bei Drogenkonsum oder „Störungen des Sozialverhaltens und jugendlicher Delinquenz“. Auch für die Psychotherapie bei Erwachsenen lässt sich die Wirksamkeit des systemischen Ansatzes gut belegen.
Ein weiterer Vorteil dieses Psychotherapieverfahren liegt in der Tatsache, dass man schon mit vergleichsweise wenigen Sitzungen in längeren Abständen Erfolge verzeichnen kann.
In dieser Arbeit möchten wir zunächst erklären was unter der allgemeinen Systemtheorie zu verstehen ist und Grundlagen zum Verständnis mit Systemen darstellen (Kapitel 2), um im Anschluss daran ausführlich die Grundprinzipien der systemischen Beratung vorzustellen (Kapitel 3). Darauf folgt ein kurzer Einblick in mögliche systemische Interventionstechniken (Kapitel 4). Nachdem dann kurz auf die Anwendungsgebiete der Systemtheorie eingegangen wird (Kapitel 5), liegt ein weiterer Schwerpunkt dann bei der Erstellung eines Bezugs der Systemtheorie zum Sport (Kapitel 6).
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Die Allgemeine Systemtheorie
Dieses Kapitel soll dazu dienen, dem Leser einen Einblick in die Welt der Systemtheorie zu bieten, um dann explizit auf Grundgedanken beim Umgang mit Systemen einzugehen. Doch den Einstieg sollen Definitionen von „System“, „Theorie“ und „Systemtheorie“ machen.
2.1.1 Definition System
Es gibt zahlreiche Definitionen zum Begriff „System“. An dieser Stelle sollen zwei Definitionen den Anfang machen[1]:
Ein System bezeichnet allgemein ein „geordnetes Ganzes oder (die) gegliederte Vereinigung der Teile.“ (www.wissen.de)
„Ein System wird als eine neue Einheit verstanden, die zwar bestimmte Elemente als Voraussetzung hat, aber nicht als bloße Summe dieser Elemente zu verstehen ist. Diese Erkenntnis wird als Übersummation bezeichnet. Durch die Beziehungen der Elemente untereinander und die daraus entstehenden Wechselwirkungen ergibt sich etwas Neues, das nicht ausschließlich auf die Eigenschaften der Elemente zurückführbar ist.“ (Wenzel 2005)
So kann man beispielsweise Wasser als ein System bezeichnen. H2O besteht aus den beiden Elementen Wasserstoff und Sauerstoff. Wenn diese beiden Elemente sich verbinden, entsteht eine neue Einheit. Die Eigenschaften der neuen Einheit Wasser stammen jedoch nicht von der Summe der Eigenschaften der einzelnen Elemente Wasserstoff und Sauerstoff. (vgl. Wenzel 2005).
Eine andere Bedeutung als im molekularen Bereich hat ein System in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Hier kann ein Subsystem nur im Zusammenhang mit anderen Subsystemen und im Bezug zum Gesamtsystem verstanden werden. Die Besonderheiten sind dann erkennbar, wenn das Milieu der einzelnen Systeme untereinander stark voneinander abweicht. Zum Beispiel differenzieren sich gesellschaftliche Gruppen unterschiedlicher Länder durch ihre Sprache, Etikette, Lebensformen, Lebensgewohnheiten und Brauchtümer. (vgl. Wenzel 2005).
2.1.2 Definition Theorie
Zur Definition des Begriffes „Theorie“ soll die Beschreibung von Friedrichs (in Bös/Steiner/Fessler 2000) herangezogen werden:
„Eine Theorie ist eine Menge logisch miteinander verbundener Hypothesen. Sie enthält unabhängige Aussagen (Axiome) aus denen weitere Aussagen mit Hilfe von Gesetzen abgeleitet werden.“
2.1.3 Definition Systemtheorie
Nachdem geklärt ist, was ein System und eine Theorie ist, stellt sich nun die grundlegende Frage, was unter Systemtheorie zu verstehen ist:
„Die Systemtheorie ist ein Denkansatz, in dem es um Ganzheiten geht. Systemisches Denken ist somit eine Betrachtungsweise, die der Gefahr entgegenwirkt, sich in Einzelheiten zu verlieren“ (Wenzel 2005)
Der Biologe Ludwig von Bertalanffy (1901- gestorben…) gilt als der Begründer der Allgemeinen Systemtheorie. Er filterte durch Beobachtung allgemeiner Prinzipien unterschiedlichster Wissensgebiete die gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten heraus. „Die Systemtheorie ist also eine Metatheorie, die eine Integration von unterschiedlichem Wissen ermöglicht und in den verschiedensten Bereichen anwendbar ist.“ (Wenzel 2005).
Die Begriffe Struktur und Funktion spielen in den Anfängen der Systemtheorie eine entscheidende Rolle. Die Gesetze, die sich innerhalb eines Systems herauskristallisieren bezeichnet man als Strukturen. Die Funktion dagegen ist das Dazutun der einzelnen Elemente, das dazu beiträgt das System zu erhalten. Die Umwelt des Systems bezeichnet das, was nicht zum System gehört, es ist komplexer als das System selbst, denn die Umwelt begrenzt das System. Da allerdings auch Strukturen veränderbar sind hat der Begriff Struktur unterdessen in der Systemtheorie keine Bedeutung mehr. Denn schließlich soll eine Struktur ja die Stabilität definieren und dies ist leider nicht mit der Tatsache vereinbar, dass Strukturen der Veränderung unterliegen. Beispielsweise stellt die Soziologie mit dem Begriff Strukturfunktionalismus dar, „wie in menschlichen Verbänden (Staat, Gesellschaft, Religion etc.) überkommene Werte und Regeln übernommen werden und welche Funktion dem einzelnen dabei zukommt.“ (Wenzel 2005). Dabei übernimmt ein Mensch das bereits vorhandene Kulturgut. Bei dieser Übernahme finden jedoch durch die unterschiedliche menschliche Betrachtungsweise Veränderungen statt und sind diese auch noch so minimal. So ist also nur dann von einer Struktur im engen Sinne die Rede, wenn man den Faktor Zeit außen vor lässt. Daher bilden Strukturen nur eine relative Stabilität.
Die Systemtheorie ist eng mit der Kybernetik vernetzt. Auf diese Verknüpfung wird im nachfolgenden noch genauer eingegangen. Zunächst einmal wird beschrieben wie sich die Systemtheorie zu einer Therapieform bei psychisch kranken Menschen etabliert hat.
2.2 Die Geschichte der Systemtheorie
Die Systemtheorie entstand aus der Familientherapie. Den genauen Ursprung der Familientherapie lässt sich nicht genau festlegen. Nach Rotthaus (2001) stammt sie aus den USA, wo sie in der Mitte der fünfziger Jahre aufkam. Diese Therapieform entwickelte sich sowohl lokal als auch bezogen auf die einzelnen praktizierenden Therapeuten unabhängig voneinander. Ursache dafür war die hohe Anzahl an Rückfälligen, obwohl zunächst Therapieerfolge verzeichnet werden konnten. Es wurde immer deutlicher, dass die Familienmitglieder zum Therapieerfolg im entscheidenden Maße beitrugen. So entstand beispielsweise der Anschein, dass die Patienten oft von den Angehörigen aus der Therapie genommen wurden sobald letztendlich erste Behandlungserfolge erzielt werden konnten.
Deshalb rückte die Familie des Patienten zunehmend in den Blickpunkt bei der Behandlung psychisch kranker Menschen. Mit dem damals populären Ursache-Wirkung- Modell begründete man nun das kranke Patientenverhalten mit dem „krankmachenden“ Verhalten der Familienmitglieder.
Somit wurde lediglich die Ursache der Erkrankung verschoben. Eine neue Herangehensweise an das Problem entwickelte Gregory Bateson mit seinen Kollegen in Palo Alto. Die Gruppe um Bateson versuchte die Schizophreniekrankheit der Patienten in Verbindung mit dem Verhalten der anderen Familienangehörigen als in sich sinnig zu begründen. Bateson, Haley, Weakland und Frey bildeten „Kategorien, um die Eigenschaften von Beziehungen, dynamische Prozesse und Interdependenzen innerhalb von Systemen bzw. in der System-Umwelt-Beziehung zu erfassen“ (Rotthaus 2001).
Die Systemtheorie ist eng mit der Kybernetik vernetzt. Der Denkansatz der Kybernetik als die Lehre von den sich selbst steuernden und regulierenden Systemen, ist nämlich gut geeignet um auf menschliche Regelsysteme übertragen zu werden. Somit wendete man sich von den geradlinigen kausalen Modellen ab und betrachtete nun „zirkuläre Rückkopplungsprozesse innerhalb von Familien bzw. anderen Systemen“ (Rotthaus 2001).
Die Kybernetik lässt sich aber keinesfalls vollständig auf das menschliche Handeln abbilden. „Kybernetik kann nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit verdeutlichen.“ (Wenzel 2005). Dennoch ist sie besser geeignet zur Beschreibung menschlicher Interaktionen als die lineare Denkweise in Ursache und Wirkung. Die Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ beschreibt bei simplen Zusammenhängen die Ursache auf eine bestimmte Reaktion zwar oft sehr schlüssig, doch lassen sich komplexe andauernde Interaktionen wie menschliche Beziehungen mit dieser kausalen Denkweise nicht ausreichend erläutern. Der kybernetische Regelkreis ist wesentlich besser dafür geeignet, denn er beschreibt die Aktionen und Reaktionen des Menschen nicht linear, sondern zirkulär als Kreislauf. Diese kybernetische Analysemethode ist für die komplexe Wirklichkeit angemessener. In Kapitel 2.4 werden die Zusammenhänge der Systemtheorie und der Kybernetik ausführlich dargestellt und beschrieben.
In der Praxis sah das zunächst so aus, dass versucht wurde mittels Verhaltensverstärkung eines Familienmitgliedes das eingefahrene Familienschauspiel aus dem Gleichwicht zu bringen und dadurch neue Rollen und Organisationsprozesse hervorzurufen. Nach und nach setzte sich die Meinung fest, dass es einfacher und effektiver ist ein Interaktionssystem anstelle eines Individuums zu behandeln. Dies lässt sich damit begründen, dass es wesentlich leichter ist die Interaktionsregeln in einem System, als die Gedanken und Gefühle (die intrapsychischen Vorgänge) in einem Individuum zu beobachten. Somit bewirkte der systemische Ansatz eine grundlegende Veränderung bei den Erklärungsmodellen für individuelles Verhalten; die Verhaltungsweise der einzelnen Person lässt sich aufgrund intraindividueller Störungen im psychischen System oder im Verhalten des Interaktionspartners beispielsweise der Familie erläutern.
In der Systemtherapie fungiert der Therapeut oder die Therapeutin nicht mehr als Spezialist, der die alleinige Verantwortung für den Therapieprozess trägt und versucht Änderungen im Einzelnen oder in der Familie hervorzurufen, sondern jetzt versucht man (..) „durch konsequente Einführung einer Außenperspektive den Rahmen der wechselseitigen Selbst- und Fremdinterpretationen und damit die Interaktionsregeln der Familie zu verändern“ (Rotthaus 2001).
Dies geschieht durch spezielle Fragetechniken wie das zirkuläre Fragen (vgl. Kapitel 4.1) oder durch das Auslassen bestimmter „Spielzüge“ im System, wodurch neue Organisationsprozesse angeregt werden sollen. Die Aufgabe der Therapeutin bzw. des Therapeuten besteht nun darin bei gestörten bestehenden Mustern neue Ideen und Perspektiven einzuführen, die neue Entfaltungen bewirken. Dadurch lässt sich schon durch eine geringe Intervention eine schnelle und relativ beständige Veränderung erzielen. Die Aufgabe des Therapeuten in der Systemtherapie besteht in einem neugierigen Fragen und Suchen zusammen mit dem Interesse für das jeweilige einzigartige System und dessen Organisationsformen. Dabei ist es wichtig, dass die Therapeutin den Patienten mit seinen Ansichten und Überzeugungen mit Respekt behandelt. Es gilt, die Grenzen, die der Entwicklung im Weg stehen zu sprengen und damit dem System die Gelegenheit zu bieten sich so neu zu strukturieren, dass ein Leben mit wesentlich kleinerem oder gar keinem Leid für das Individuum oder Kollektiv möglich wird. (vgl. Rotthaus 2001).
2.3 Von der Summe der Teile zu einem sozialen System
„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Diese Aristoteles[2] zugeschriebene Aussage stellt einen guten Einstieg zur Erklärung von Systemen dar. Denn das „Ganze“ kann man als System und unter dem „mehr“ könnte man die Interaktion zwischen den einzelnen, das „Ganze“ konstituierende, Elementen verstehen. Somit könnte man ein System in einer ersten weiten Definition verstehen als
„Satz von Elementen oder Objekten zusammen mit den Beziehungen zwischen diesen Objekten und deren Merkmalen“.
(Hall und Fagen 1956; in: von Schlippe/Schweitzer 1996, S. 54). Diese weite Definition führt allerdings gleich zu einem Problem: Faktisch kann man alles als System verstehen, kann alles als System gesehen werden, was zur Folge hat, dass das System durch sich nicht erkennbar ist. Zu Recht weisen in diesem Zusammenhang von Schlippe/Schweitzer (1996, S. 54) darauf hin, dass ein System nicht nur von innen heraus beschrieben wird, sondern von auch von einer Außensicht erkennbar sein muss, in dem es von seiner Umwelt abgegrenzt werden kann. Für diese Außensicht benötigt das System jedoch den Beobachter, der für sich entscheidet, was er als System und was als Außenwelt versteht. Vor diesem Hintergrund verweisen von Schlippe/Schweitzer (1996, S. 55) auf die Definition von Willke (1993). Somit beschreibt ein System
„einen ganzheitlichen Zusammenhang von Teilen, deren Beziehungen untereinander quantitativer intensiver und qualitativ produktiver sind als ihre Beziehung zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt“.
Das bedeutet für die einzelnen Elemente, dass sie innerhalb eines Systems Verknüpfungen miteinander aufbauen, die aufgrund ihrer ursprünglichen, allein stehenden Funktionen nicht möglich gewesen wären. Damit produziert das System Eigenschaften und Erscheinungsbilder, die nicht mehr durch das Reflektieren der einzelnen Systemelemente erklärbar sind und damit auch eine Abgrenzung zur Umwelt des Systems bedeuten[3]. Um ein System zu erkennen, ist es also wichtig, seine Grenzen zu erkennen.
Nun muss man -aber auf unser Thema bezogen - weitere Einschränkungen am Systembegriff vornehmen: die Definition von Willke begreift System immer noch zu weitläufig, weiter kann alles als System verstanden werden. Es bedarf jetzt einer weiteren Unterscheidung in lebende und nicht lebende Systeme (in Anlehnung an von Schlippe/Schweitzer 1996). Nicht lebende Systeme wie z.B. Computerprogramme sollen hier außen vor bleiben, im Mittelpunkt bleiben die lebenden Systeme. Diese unterliegen einem ständigen Wandel und weisen stets eine Eigendynamik auf, die von außen weder im Detail beobachtbar noch determinierbar ist.[4] Durch diesen Wandel und diese Dynamik kommt bei lebenden Systemen noch ein weiterer Faktor dazu: das lebende System verfügt plötzlich über eine große, schier unendliche Vielfalt an Alternativen, sich zu verhalten. Wie es sich verhält, ist, wenn überhaupt, nur schwer vorhersehbar. Damit wird das lebende System überkomplex, die Wahrscheinlichkeit, das, ein Ereignis eintritt, reduziert sich auf ein Minimum. An dieser Stelle sei nur, wenn auch aus dem mathematisch – physikalischen Bereich kommend, auf die Chaostheorie verwiesen: verändert sich in meinem lebenden System auch nur das geringste Ausgangselement, hat dies Aussagen auf mein gesamtes System, macht den Beobachter, der Prognosen über den Output des Systems trifft, zu einem Hasardeur[5]. Dieser Umstand hat zur Folge, dass, um ein lebendes System verstehbar zu machen, dessen Komplexität reduziert werden muss. Darauf soll aber erst an späterer Stelle weiter eingegangen werden. Weiter soll hier aber noch das lebende System zusammen geschnitten werden auf den Bereich, in dem Menschen miteinander interagieren. Solche Systeme, die man als soziale Systeme bezeichnet, sollen für unsere Arbeit im Vordergrund stehen. Ein soziales System entsteht durch Vereinbarungen zwischen Elementen, welche entscheiden, welche Elemente zum System gehören oder nicht. Durch diese Mitglieder definieren sich die Identität und der Sinn des Systems (von Schlippe/Schweitzer 1996, S. 59). Dabei kann es sich bei dem sozialen System um ein Verein, eine Familie, ein Mannschaft, eine Firma usw. handeln, die Liste ist beliebig zu erweitern. Zuletzt sei noch angeführt, dass die Elemente des sozialen Systems die Menschen sind. Im systemischen Verständnis ist der einzelne Mensch als Element ebenfalls als System zu sehen und wird damit zu einem Subsystem des sozialen Systems.
2.4 Die Position des Beobachters: Kybernetik 1. und 2. Ordnung
Allgemein beschreibt der Begriff „Kybernetik“ die Lehre von der Struktur komplexer Systeme sowie deren Regelung und Steuerung. Dieses Konzept fand in dem Bereich der Familientherapie früh Einlass, in dem Versuch, soziale Systeme, in diesem Fall das soziale System der Familie, durch die von dem System gezeigten Ereignisse zu erklären. (vgl. von Schlippe/Schweitzer 1996, S. 53). Daraus wurde dann versucht, Theorien über beobachtete Systeme abzuleiten. Dieser Versuch der Erklärung von außen wurde dann aber zunehmend auch kritisch bewertet: Schließlich reglementiert und kontrolliert der Beobachter damit das von ihm beobachtete System, in dem er versucht, ihm einen theoretischen Rahmen zu geben, das System einzugrenzen und erlangt damit zumindest faktisch Macht und Kontrolle über das System. Deshalb wurde die Sichtweise der Kybernetik 2. Ordnung entwickelt, die auch den Beobachter selbst in einer „Theorie über Beobachter“ (von Schlippe/ Schweitzer 1996, S. 53) versucht zu beschreiben. Mücke (2001, S. 185) formuliert hierfür folgende Gesetzmäßigkeiten:
1. Der Beobachter verändert das Beobachtete und das Beobachtete verändert den Beobachter
2. Jedes Verhalten und Zeichen wirkt beziehungsgestaltend
3. Je stärker Verhalten geprägt und Zeichen ausfallen, je unberechenbarer das Verhalten erscheint, desto stärker ist dessen Auswirkung
Im Sinne einer Kybernetik 2. Ordnung wird dann jedes Element eines sozialen Systems[6] gleichzeitig zum Beobachter und zum Beobachtenden mit den von Mücke genannten Gesetzmäßigkeiten. Und die Aussagen des Beobachters über das beobachtete System sind immer auch Erkenntnisse über den Beobachter selbst, seinen Aufbau und seine Verhaltensweisen. Grafisch beschreibt Simon (1999, S. 35) die Kybernetik 2. Ordnung folgendermaßen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Versuch der grafischen Darstellung der Kybernetik 2. Ordnung nach Simon (1999, S. 35)
Es bleibt dabei folgendes zu beachten: weder die Kybernetik 1. noch die 2. Ordnung ist DIE richtige Sichtweise: Ohne die Kybernetik 1. Ordnung wäre es nicht möglich, Systeme in Grenzen zu fassen und damit zu erkennen, ohne die Kybernetik zweiter Ordnung ist es nicht möglich, die Interaktion von Beobachter und Beobachteten zu verstehen und damit das Verhalten des Systems zu interpretieren.
2.5 Von Autopoiese zur Theorie sozialer Systeme als Kommunikationssysteme
Systeme, die all ihre Elemente, aus denen sie bestehen selbst erzeugen, nennt man autopoietische Systeme[7]. Ursprünglich wurde dieser Begriff in der Biologie von Maturana und Varela geprägt im Versuch eine Definition für die eigenständige Organisation von Lebewesen zu finden. Diese Autopioesis ermöglicht es einem Organismus, seine eigenen Elemente durch eigene, interne Vorgänge selbst zu produzieren und zu stabilisieren und sich damit als autarkes Gebilde von seiner Umwelt abzugrenzen. Damit sind diese Organismen robust gegen Veränderungseinflüsse von außen. (vgl. Pfeffer 2004, S. 5 und von Schlippe/Schweitzer 1996, S. 67 – 70)
[...]
[1] Weitere Definitionen zum Begriff „System“ finden sich in Kapitel 2.4
[2] Aristoteles, 384 bis 322 v. Chr. Griechischer Philosoph und Naturwissenschaftler prägte diesen Satz höchstwahrscheinlich in seinem Werk „Metaphysik“ (Wikipedia, 2005)
[3] Diese neuen Eigenschaften des Systems werden bei Willke (1993, S. 278) als „emergente Eigenschaften“ bezeichnet. (Mücke 2001, S. 200)
[4] Ein Beispiel hierfür bietet Heinz von Foerster mit seiner Unterscheidung von trivialem und nichttrivialem System und seinem Beispiel zur „Unmöglichkeit der Berechnung eines nichttrivialen Systems“ (in: von Schlippe/Schweitzer 1996, S. 56)
[5] Dies wird in der Chaostheorie unter dem Begriff „Schmetterlingseffekt“ zusammengefasst.
[6] Wir wollen hier der Einfachheit halber davon ausgehen, dass ein soziales System nur aus den Elementen „Menschen“ besteht
[7] Aus dem griechischen: Selbsterzeugung
- Citation du texte
- Peter Ewig (Auteur), Katrin Rummer (Auteur), 2005, Systemische Beratung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59815
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