Peter Wasem untersucht die in Geistes- und Sozialwissenschaftlichen vorhandenen Vorstellungen von Charisma um einen eigenen Charisma-Begriff der Wissenschaft von der Personalentwicklung zu begründen: "Charisma ist die Befähigung eigenes Verhalten so auszurichten, dass es anderen über die Beziehungsebene Sinn und Kontext des eigenen Handelns vermittelt und so intrinsisch zu motivieren vermag. Es handelt sich um ein komplexes soziales Konstrukt, dessen Ausübung und Wahrnehmung erlernbar, individuell verschieden und zu systemisch transzendenter Wirkung befähigend ist."
Dieser ist für ihn Ausgangspunkt einer Unetrsuchung der sich aus diesem Verständnis von Charisma ergebenden Wechselwirkungen für Führung und System der "Lernenden Organisation". Er schlägt vor, in Organisationen charsismatisches Bewusstsein zu entwickeln, um so double-loop-lerning zu potenzieren und eine Immunisierung gegen die Gefahren eines Missbrauchs charismatischer Fähigkeiten zum Nachteil der Organisation aufzubauen.
Abschließend entlässt er die Leserin mit einem Überblick möglicher Methoden zur Entwicklung charisamtischen Bewusstseins, die unmittelbar in die Praxis umsetzbar und so für Personalentwicklerinnen und Personalentwickler, aber auch an der Weiterwentwicklung der eigenen Persönlichkeit und ihrer Mitarbeiter interessierte Führungskräfte unentbehrlich sind. Überraschend sein ausdrücklicher Hiwneis auf den Einsatz von Mantras, der aber nicht zwingend sondern beispielhaft ist.
Ass. iur. Peter Wasem M.A., geb. 1974 arbeitet derzeit als Manager bei der DB Regio AG und lebt in Leipzig. Von ihm erscheint demnächst auch "Mikropolitik als Wertschöpfungsquelle" - sein Manifest zur "mikropolitischen Aufklärung der Wissenschaft von der Personalentwicklung".
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Prolog
2. Charisma – Begriff der Personalentwicklung?
2.1. etymologische Annäherung
2.2. theologische Begrifflichkeit
2.3. soziologische Annäherung: charismatische Herrschaft nach Max Weber
2.4. psychologische Grundlagen
2.5. System und Wirkung: organisationale Bezüge
2.6. Vorschlag eines Charisma-Begriffs
der Personalentwicklung
3. Charisma und Führung in der lernenden Organisation
3.1. Begriffe
3.1.1. Führung
3.1.2. lernende Organisation
3.2. Ansprüche der lernenden Organisation an ihre Führung
3.2.1. Bedürfnisse der Mitarbeiter
3.2.2. Schlüsselqualifikationen der Führenden
3.3. emotionale Führung
3.4. charismatische Führung
3.4.1. Begriffsvorschläge in der Literatur
3.4.2. Bewertung
3.4.3. Chancen - Verstärkung
3.4.4. Risiken - Behinderung
3.5. Ergebnis
4. Methoden der Entwicklung und Organisierung charismatischer Eigenschaften
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Prolog
„Ich glaube, dass der eigentliche Wesenszustand des Geistes die Gelassenheit ist. Das heißt, den natürlichen Zustand des Geistes begleitet eine gewisse Gelassenheit. Wenn wir normalerweise ruhen, so versuchen wir das ohne bewusste Gedanken zu tun, aber dabei versuchen wir nicht, jeden Gedanken zu verhindern. Was wir demnach versuchen, ist das Verharren in einem natürlichen inneren Zustand mit dem Gefühl der Gelassenheit.“[1]
Tenzin Gyatso, Seine Heiligkeit der Vierzehnte Dalai Lama[2]
Diese Arbeit stellt sich dem Anspruch, eine Arbeitsbegrifflichkeit des Charismas für die PE vorzuschlagen, von dieser ausgehend die Bedeutung charismatischer Fähigkeiten für Führung in der LO aufzuzeigen und schließlich einen Ausblick auf die der PE zwecks Ermöglichung derartiger Fähigkeiten zur Verfügung stehenden Methoden anzubieten.
Der verarbeitete Stoff schien zeitweise uferlos, trotz Bedenken blieb der Anspruch, allen drei der o. b. Komplexe nachzugehen. Allerdings musste es hinsichtlich der Methoden bei einem kursorischen Aufriss bleiben, um Geduld und Aufmerksamkeit der Korrektur nicht restlos überzustrapazieren.
Den Leserinnen und Lesern[3] wünsche ich Spaß, Freude und Anregungen aus der Lektüre. Mir wünsche ich, ihre Neugier zu wecken und so einen kleinen Beitrag zur Entmystifizierung und konstruktiven Nutzung des Phänomens Charismas zu leisten.
2. Charisma – Begriff der Personalentwicklung?
2.1. etymologische Annäherung
Charis ist nach der altgriechischen Mythologie der Name der Göttin der Anmut[4]. Diesem den Wortstamm entnehmend bezeichnet der Begriff „Charisma“ im heutigen Alltagsgebrauch die „besondere Ausstrahlungskraft eines Menschen“[5], „besondere Ausstrahlungskraft einer Persönlichkeit“[6], „besondere Ausstrahlung“[7] bzw. die „außergewöhnliche Ausstrahlungskraft einer politischen Führungsgestalt, eines Künstlers usw.“[8]. Der englische Sprachkreis scheint eine praktischere und pragmatischere Bedeutung für „charisma“ in der Alltagssprache gefunden zu haben. Es wird verwendet als „attribute of awesome and almost magical power and capacity ascribed by followers to the person and personality of extraordinarily magnetic leaders. (…)”[9] bzw. beschreibt „an extraordinary power in a person, group, cause etc. wich takes hold of popular imagination, wins popular support etc.”[10]. Das Auftreten von Charisma wird aus meiner Sicht so bereits als kontextuell, auf der Beziehungsebene handelnder Personen angesiedelt betrachtet und – im Gegensatz zum wohl heute noch wirksamen deutschsprachigen Alltagsgebrauch – weniger als objektive Größe verstanden.
2.2. theologische Begrifflichkeit
Der christliche griechische Begriff „Charisma“ bedeutet zum einen „`Amtsgnade, die durch Handauflegen vermittelt wird´ …, daneben aber auch `besondere Gnadengaben´.“[11], prägnant zusammengefasst als „göttliche Gnadengabe, Berufung“[12]. Er wird auf die Ausführungen des Paulus im Neuen Testament, insbesondere im „Brief an die Römer“, zurückgeführt[13] und beschreibt „die durch den Geist Gottes bewirkten Gaben und Befähigungen des Christen in der Gemeinde“[14] bzw. „a special spiritual gift bestowed temporarily by the Holy Spirit on a group or an individual for the general good of church“[15]. Paulus war es danach „… daran gelegen, dass es durch die Mitteilung gewisser … geistlicher Gnadengabe zur Stärkung der Christen in Rom kommen möge.“[16] Dabei zählt er beispielhaft unterschiedliche Charismen auf „…, die, jedes an seinem Platz, dem Gemeinwohl zu dienen haben.“[17] So wird „jeder einzelne Christ … als Glied der Gemeinde angesprochen, der er angehört und zu dienen hat.“[18] Charisma ist m. E. nach diesem – originären – Verständnis keine eindeutig bestimmbare Eigenschaft, sondern vielmehr ein Phänomen, das in unzähligen Formen auftritt und für das Ganze aus dem Einzelnen wirkt.
„Charisma ist Seinsgeschenk. Es wird hinzugetan zu meiner Natur“[19] schreibt der Theologe Paul Schütz und weist auf das „Charisma der Hoffnung … (in dem) etwas von der Geduld Gottes auf den Menschen übergegangen (ist).“[20] hin. Nun soll der rechte Glaube nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, aber Hoffnung auf die Möglichkeiten des Menschen und hinreichende Geduld, dieser Hoffnung – trotz Enttäuschungen – zu folgen, sind m. E. unabdingbare Voraussetzungen erfolgreicher Menschenführung.
2.3. soziologische Annäherung
Max Webers Begriff der „charismatischen Herrschaft“, der neben die „traditionale“ und „legale“ Herrschaft als „besonderer Herrschaftstyp“[21] tritt, ist über die Soziologie hinaus wirksam[22]. Weber versteht unter Charisma „… eine außeralltägliche Qualität eines Menschen …“[23], wobei „Der Träger des Charisma(s) … die ihm angemessene Aufgabe (ergreift) und … Gehorsam und Gefolgschaft kraft seiner Sendung (verlangt).“[24] Weber weist darauf hin, dass „Die Deckung allen über die Anforderungen des ökonomischen Alltags hinausgehenden Bedarfs … prinzipiell … heterogen und zwar: charismatisch, fundiert gewesen (ist).“[25] Die Wirkung des Charismas steht dabei im Gegensatz zur „Rationalisierung“, die „… so verläuft, dass … (sich) die Geführten lediglich die äußeren, technischen, für ihre Interessen praktischen Resultanten … aneignen oder sich ihnen anpassen …, während der `Ideen´gehalt ihrer Schöpfer für sie irrelevant bleibt.“[26] Dem gegenüber wirkt „das Charisma, …, umgekehrt von innen, von einer zentralen `Metánoia´[27] der Gesinnung der Beherrschten her …“[28]. Auch wenn sich die Ergebnisse der Weberschen Herrschaftssoziologie nicht unkritisch auf Unternehmen und andere unter der Gesellschaft stehende O-en übertragen lassen, ist aus meiner Sicht festzuhalten, dass die Eigenart des Charismas nach Weber in seiner sinnstiftenden[29], den Einzelnen intrinsisch motivierenden Wirkung besteht.
[...]
[1] zit. nach Goleman 2004 S. 112
[2] i. F.: „Dalai Lama“
[3] Dem deutschen Sprachgebrauch folgend und wegen der besseren Lesbarkeit wird in dieser HA von „MA“ etc. gesprochen. Selbstverständlich sind damit jedoch auch Mitarbeiterinnen etc. gemeint.
[4] Duden 5; Lasko S. 11
[5] Duden 5 aaO
[6] Hübner S. 133
[7] Kluge S. 168
[8] Paul S. 201
[9] Encyclopaedia Britannica S. 103 – Beschreibung einer erstaunlichen und fast magisch anmutenden Macht und Kraft, die Person und Persönlichkeit eines besonders anziehenden Führers von dessen Anhängern zugeschrieben wird (Übers. d. Verf.)
[10] Cayne S. 165 – die besondere Kraft einer Person, Gruppe, Sache usw., welche die öffentliche Meinung fesselt, öffentliche Unterstützung generiert usw. (Übers. d. Verf.)
[11] Kluge ebenda
[12] Hübner ebenda
[13] Paul ebenda
[14] Duden 5 ebenda
[15] Cayne ebenda – eine spezielle spirituelle Gabe, die vorübergehend vom Heiligen Geist einer Gruppe oder einem Individuum verliehen, dem Wohle der Kirche dient (Übers. d. Verf.)
[16] Lohse S. 73 f
[17] aaO S. 339
[18] ebenda
[19] Schütz S. 497
[20] aaO S. 498
[21] zit. nach Paul ebenda
[22] vgl. Paul ebenda; Encyclopaedia Britannica ebenda – dort wird namentlich sogar auf „Wirtschaft und Gesellschaft“ (1921) Bezug genommen
[23] MWG S. 22
[24] Weber S. 833
[25] aaO S. 832
[26] aaO S. 837
[27] Bed.: Umkehr der inneren Einstellung, Gewinnung einer neuen Weltsicht – so Duden 5
[28] Weber ebenda
[29] vgl. auch Jeremias S. 56 mwN
- Quote paper
- Ass. iur., M.A: Peter Wasem (Author), 2006, Charisma: Fluch oder Segen für die lernende Organisation?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59814
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