Emotionen und Affekte sind etwas Alltägliches. Wir haben sie und wir lesen sie unwillkürlich aus den Gesten und Gesichtern der Menschen, denen wir begegnen. Wir hinterfragen nicht ob das, was wir interpretieren auch dem entspricht, was unser Gegenüber tatsächlich empfindet. In der Kunst hat die Affektdarstellung eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Der ästhetische Begriff des Affekts bezieht sich laut der Erläuterungen des „Lexikon der ästhetischen Grundbegriffe“„sowohl auf die Ebene künstlerischen Darstellungs- bzw. Abbildungsinhalte als auch auf das expressive Wirkungspotenzial von Kunst.“ Die Film-Kunst bedient sich in dieser Tradition beider Funktionen der Affektdarstellung: erstens als Bildinhalt, um die Information über die Gefühle einer Figur zu transportieren und zweitens, um eine emotionale Wirkung beim Betrachter zu erzielen. Lässt sich nicht sogar sagen, dass es das vornehmliche Ziel von Kinofilmen ist, beim Zuschauer Emotionen zu wecken? Ist nicht sogar eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale, ob man von einem kinematoraphischen Ereignis emotional berührt wurde? Das charakteristische der Filmsprache ist die Fähigkeit Handlungen aus unterschiedlichen Distanzen zu zeigen und so eine emotionale Reaktion herbeizuführen. Knut Hickethier bestätigt: „Durch den Wechsel der Einstellungsgrößen werden wir in unterschiedliche Nähe zum Objekt gesetzt, werden ihm nahegebracht und von ihm entfernt. Für die emotionale Steuerung spielt dies eine wesentliche Rolle,…“
Inhalt
1. Einleitung
2. Carl Plantinga – Das Gesicht in der Szene der Empathie
2.1.Entstehung von Empathie für die Figuren des Films
2.2 Der Einsatz des Gesichts
3. Gilles Deleuze –das Gesicht als Affekt
3.1 Aktionsbild und Affektbild
3.2 Die Bedeutung der Großaufnahme als Affektbild
für den Film
3.3 Die Fläche des Gesichts und die Linie des Minenspiels
3.4 Ausdruck und Bewegung des Gesichts im Film
4. „Artificial Intelligence“ – das Gesicht im Film
4.1 Das Gesicht in der Szene der Empathie im Vergleich zu anderen emotionalen Szenen
4.2 Sprechbewegungen als affektiver Indikator
4.3 Das Objekt als Affektbild
4.4 Lenkung der Aufmerksamkeit
5. Resumee
7. Quellen
„Unsere Arbeit beginnt mit dem menschlichen Antlitz … In der Möglichkeit, dem Gesicht des Menschen näherzukommen, liegt die ursprüngliche und wesentliche Eigentümlichkeit des Films.“[1]
1. Einleitung
Emotionen und Affekte sind etwas Alltägliches. Wir haben sie und wir lesen sie unwillkürlich aus den Gesten und Gesichtern der Menschen, denen wir begegnen. Wir hinterfragen nicht ob das, was wir interpretieren auch dem entspricht, was unser Gegenüber tatsächlich empfindet.
In der Kunst hat die Affektdarstellung eine Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Der ästhetische Begriff des Affekts bezieht sich laut der Erläuterungen des „Lexikon der ästhetischen Grundbegriffe“
„sowohl auf die Ebene künstlerischen Darstellungs- bzw. Abbildungsinhalte als auch auf das expressive Wirkungspotenzial von Kunst.“[2]
Die Film-Kunst bedient sich in dieser Tradition beider Funktionen der Affektdarstellung: erstens als Bildinhalt, um die Information über die Gefühle einer Figur zu transportieren und zweitens, um eine emotionale Wirkung beim Betrachter zu erzielen. Lässt sich nicht sogar sagen, dass es das vornehmliche Ziel von Kinofilmen ist, beim Zuschauer Emotionen zu wecken? Ist nicht sogar eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale, ob man von einem kinematoraphischen Ereignis emotional berührt wurde?
Das charakteristische der Filmsprache ist die Fähigkeit Handlungen aus unterschiedlichen Distanzen zu zeigen und so eine emotionale Reaktion herbeizuführen. Knut Hickethier bestätigt:
„Durch den Wechsel der Einstellungsgrößen werden wir in unterschiedliche Nähe zum Objekt gesetzt, werden ihm nahegebracht und von ihm entfernt. Für die emotionale Steuerung spielt dies eine wesentliche Rolle,…“[3]
Im Besonderen sagt er:
„[Die Großaufnahme] konzentriert den Blick des Zuschauers ganz auf den Kopf des Abgebildeten. Hier wird der mimische Ausdruck hervorgehoben, damit werden auch intime Regungen der Figur gezeigt, die den Dargestellten charakterisieren sollen und die damit auch die Identifikation des Zuschauers mit der Figur erhöhen sollen.“[4]
Der Begriff der Identifikation, den Hickethier benutzt, ist für den Filmwissenschaftler Carl Plantinga ungeeignet, um den emotionalen Bezug des Zuschauers auf die Figur adäquat zu benennen. In seinem Aufsatz „Die Szene der Empathie und das menschliche Gesicht im Film“ plädiert er für den Begriff der Empathie, um diese spezifische Beziehung zu beschreiben. Als wichtigen Auslöser für empathische Reaktionen benennt er die Einstellung auf das Gesicht.
Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich Plantingas Argumentation darstellen und herausarbeiten welche Funktion er der Großaufnahme des Gesichts im Prozess der affektiven Ansteckung des Zuschauers zuschreibt.
Von einem philosophischen Standpunkt aus, betrachtet Gilles Deleuze in seinem Buch „Das Bewegungs-Bild“ das Thema der Großaufnahme. Es ist gerade deshalb interessant seine Thesen zur Funktion des Gesichts zu analysieren, da er der Philosophie eine exklusive Kompetenz zuweist, über Kino zu schreiben.
Der Film „Aritficial Intelligence“ (A.I.) aus dem Jahr 2001 von Steven Spielberg wird mir als Matrix dienen, die Thesen beider Konzepte im Vergleich zu beleuchten und zu Untersuchen wie die Großaufnahme des Gesichts in diesem Film eingesetzt wird.
„A.I.“ scheint mir für diese Untersuchung geeignet zu sein, weil Spielberg eine klare und klassische Montagetechnik anwendet. Inhaltlich setzt der Film sich mit dem Thema Emotionen auseinander: im Zentrum der Handlung steht die programmierte Liebe eines Roboterjungen zu einer menschlichen Mutter.
Es soll im letzten Abschnitt der Arbeit der Frage nachgegangen werden, wie und wann in „A.I.“ Großaufnahmen zu sehen sind. Welche Funktion haben diese Einstellungen nach den Thesen von Plantinga und Deleuze?
2. Carl Plantinga – Das Gesicht in der Szene der Emphatie
In dem Aufsatz „Die Szene der Empathie und das menschliche Gesicht im Film“ präsentiert Plantinga eine Konzeption der Emotionsübertragung vom Film auf den Zuschauer, die er vom Einsatz der Großaufnahme des Gesichts abhängig macht. Seine Grundannahme ist, dass es vornehmlich eine[5] so genannte Empathieszene im Film gibt, in der das Gesicht in Großaufnahme gezeigt wird. Durch die geringe Distanz zum Gesicht werden unterschiedliche Prozesse beim Zuschauer in Gang gesetzt, die die Empathie mit den Figuren begünstigen.
Im Folgenden möchte ich zunächst Plantingas Definition der Szene der Empathie erläutern und darstellen wie er den Status des Gesichts beschreibt.
2.1.Entstehung von Empathie für die Figuren des Films
Unter dem Begriff der Identifikation findet sich im Duden-Lexikon eine kurze Definition, die sagt, dass man sich mit anderen Person gleichsetzt und ihre Motive und Ideale übernimmt. Dieser Begriff ist für Plantinga irreführend, um den emotionalen Rezeptionsprozess zu beschreiben. Er favorisiert, Bezug nehmend auf andere Autoren wie Murray Smith oder Noël Carroll, den Begriff der Empathie, also des Sich-Einlassens [character engagement][6] auf filmisch dargestellte Charaktere.
Er definiert den Begriff der Empathie im allgemeinen, dass dies
„[die] Fähigkeit oder Disposition [ist,] zu wissen, zu fühlen und darauf zu reagieren, was in einer anderen Person vorgeht, und der Begriff bezeichnet zugleich diesen Prozess.“[7]
Dieser Prozess ist zweigeteilt: einerseits in das Verfahren der mentalen Simulation der psychischen Verfassung der Figur und andererseits erfolgt gleichzeitig ein Abgleich mit den individuellen Moralvorstellungen und Erfahrungen des Zuschauers. Dabei sollte sich eine Kongruenz einstellen. Der Zuschauer entwickelt ein ganzes Bündel von Emotionen im Bezug auf eine Figur, was aber nicht bedeutet, dass die Emotionen identisch sind. Plantinga sagt, dass diese Emotionen häufig nicht so intensiv sind, aber dennoch von der gleichen Art. Der emotionale Bezug zu den Figuren, egal ob positiv, negativ oder neutral, entsteht im Verlauf der Narration.
Einen besonderen Kristallisationspunkt, an dem die emotionale Verbindung zur Figur des Films intensiviert wird, findet Plantinga in der Szene der Empathie. Sie ist dadurch zu erkennen, dass man das Gesicht in der Großaufnahme in einer langen Einstellung sieht. In einer solchen Szene wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die inneren Prozesse der Figur gelenkt und eine Rückbesinnung auf die vorsprachliche Kommunikation findet statt. Diese Szene der Empathie befindet sich in der Regel am Ende des Films und soll die emphatischen Reaktionen des Zuschauers in Gang setzten.
2.2 Der Einsatz des Gesichts
Plantinga beobachtet, dass das Gesicht in der Szene der Empathie für eine längere Zeit im Bild bleibt. Daraus folgert er, dass mehr Informationen übertragen werden als nur die, die für die Fortführung der Narration notwendig sind. Die Aufmerksamkeit des Zuschauers wird auf das Gesicht gelenkt, indem während der Großaufnahme des Gesichts, Objektive mit geringer Tiefenschärfe benutzt werden. In der klassischen Syntax des Films kommt häufig die Poin-of-View-Montage zum Einsatz. Plantinga beschreibt ihre Funktion darin, dass die Emotionsinformation in der Montage konkretisiert wird. Anfangs wird in der Punkt/Blick-Einstellung ein relativ eindeutig lesbares Gesicht gezeigt. Trotzdem ist die Identifikation der gezeigten Emotion nur pauschal. Erst in der folgenden Punkt/Objekt-Einstellung erfolgt eine genauere Beschreibung der Emotionen, dadurch dass der Zuschauer erkennt, was die Emotionen auslöst.
Er schreibt dem Gesicht ein international und interkulturell lesbares Ausdrucksrepertoire, bestehend aus fünf bis sechs Basisemotionen, zu. Plantinga stützt sich auf die Erkenntnisse von Paul Ekman, Carroll E. Izard und Silvan S. Tomkins, die davon ausgehen, dass die Mimik bei den Basisemotionen nicht bewusst gesteuert wird, sondern diese Expressionen frei von sozialen Konventionen sind und instinktiv hervorgerufen werden. Diese Basisemotionen werden dann nur in der Aufnahme des Gesichts gelesen, wenn die nicht in der Relation zu einer Punk/Objekt-Einstellung steht.
Der Anblick eines Gesichts auf der Leinwand provoziert auf drei Prozessebenen eine emotionale Reaktion des Rezipienten: 1. Durch die Gefühlsansteckung, 2. durch die affektive Nachahmung und 3. durch das mimische Feedback. Bei all diesen Beobachtungen, die er in seine filmtheoretische Konzeption einbindet bezieht sich Plantinga auf empirische Studien der Verhaltensforschung.
Diese drei Prozesse lassen sich von der Alltags- auf die Kinosituation übertragen. Das gezeigte Gesicht überträgt seine Stimmung auf den Zuschauer, so wie sich die Stimmung eines ganzen Kinopublikums auf den einzelnen überträgt oder schon vorhandene Emotionen verstärkt. Plantinga verweist in diesem Punkt auch darauf, dass die gesamte Körperhaltung der Figur die Stimmung definieren kann.
Der Prozess der affektiven Nachahmung beinhaltet die Beobachtung, dass Menschen in unterschiedlichen Ausprägungen dazu neigen die Mimik, Stimmführung und andere Bewegungen unbewusst zu imitieren und sich ihrem Gegenüber im Ausdruck anzupassen. Der letzte Prozess, den Plantinga beschreibt ist der des mimischen Feedback. Er ist sicherlich auch derjenige, der am wenigsten greifbar ist. Während dieses Prozesses werden aufgrund der affektiven Nachahmung durch die körperliche Imitation die Emotionen hervorgerufen. Plantinga positioniert sich auf der Seite der Vertreter der schwachen Auslegung dieser Hypothese und ist der Ansicht, dass dieses mimische Feedback zumindest die Stimmung beeinflusst.[8]
[...]
[1] Bergman, Ingmar: „Cahiers du cinéma“ Oktober 1959. Zitiert in: Dleuze, Gilles: „Das Bewegungs-Bild. Kino I“ Frankfurt am Main, Suhrkamp, 2. Auflage 1990. S. 139
[2] Barck, Karlheinz (Hg.): „Ästhetische Grundbegriffe: historisches Wörterbuch in sieben Bänden“. Stuttgart, Metzler (2000). Bd. 1 S.16
[3] Hickethier, Knut: „Film und Fernsehanalyse“. Stuttgart/Weimar (1993). S. 60
[4] ebd. S. 59
[5] Plantinga ergänzt, dass es manchmal auch mehrere Empathieszenen in einem Film geben kann, die aber nur sehr sparsam eingesetzt werden.
[6] Plantinga, Carl: „Die Szene der Empathie und das menschliche Gesicht im Film“ Handout der Übersetzung von Christine Noll-Brinckmann für montage/av 13.02.04. S. 8
[7] ebd. S. 8f
[8] Klassische Schauspieltheorien gehen z.B. davon aus, dass durch die physische Nachahmung im Rückkopplungseffekt Emotionen beim Schauspieler selbst erwecken. Vgl. dazu Staniskawski, Konstantin S.:„ Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle“. Berlin, 1981. Natürlich muss man diesen Prozess im Kontext eines „Handwerks“ sehen, das Körperhaltungen und emotionalen Ausdruck wie in einem Archiv aufbewahrt und regelmäßig trainiert. Also könnte man dieses mimische Feedback tatsächlich bei einem durchschnittlichen Rezipienten in abgeschwächter Form vermuten.
- Citation du texte
- Anna Jontza (Auteur), 2005, Die Funktion der Großaufnahme des Gesichts im Film: Vergleich der Konzepte von Carl Plantinga und Gilles Deleuze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59713
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