Pädagogik und Antipädagogik – jeder Sozialpädagoge kennt diese Begriffe. Wer sich schon einmal näher mit ihnen auseinander gesetzt hat und die erheblichen Unterschiede zwischen beiden Theorien kennt, wird sich nur schwer vorstellen können, dass es einen „fruchtbaren Dialog“ zwischen ihnen gibt. Und doch wird einleitend die These aufgestellt, dass Pädagogik und Antipädagogik mehr Parallelen haben und stärker zusammenwirken, als so manch einer denkt – u.a. in der Sozialpädagogik. Dies soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. Nach zunächst einführenden Definitionen über beide Disziplinen werden unterschiedliche Stellungnahmen aus der Literatur miteinander verglichen und zunehmend in Verbindung zueinander gesetzt. Ein Interview mit einer Sozialarbeiterin und ein Bezug zur Sozialpädagogik runden die Ausführungen ab. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, einen tiefergehenden wissenschaftlichen Einblick in Pädagogik und Antipädagogik zu vermitteln. Stattdessen sollen bewusst sich scheinbar widersprechende Aussagen gegenübergestellt werden, um die These zu unterstreichen, dass die vermeintlichen Widersprüche gar nicht zwangsläufig wirkliche Widersprüche sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen im Vergleich
3. Wissenschaftliche Stellungnahmen im Vergleich
4. Interview mit Frau L.
5. Pädagogik und Antipädagogik in der Sozialpädagogik
6. Schlussbetrachtung
Interview mit Frau L.
Bibliografie
1. Einleitung
Pädagogik und Antipädagogik – jeder Sozialpädagoge kennt diese Begriffe. Wer sich schon einmal näher mit ihnen auseinander gesetzt hat und die erheblichen Unterschiede zwischen beiden Theorien kennt, wird sich nur schwer vorstellen können, dass es einen „fruchtbaren Dialog“[1] zwischen ihnen gibt. Und doch wird einleitend die These aufgestellt, dass Pädagogik und Antipädagogik mehr Parallelen haben und stärker zusammenwirken, als so manch einer denkt – u.a. in der Sozialpädagogik. Dies soll in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden. Nach zunächst einführenden Definitionen über beide Disziplinen werden unterschiedliche Stellungnahmen aus der Literatur miteinander verglichen und zunehmend in Verbindung zueinander gesetzt. Ein Interview mit einer Sozialarbeiterin und ein Bezug zur Sozialpädagogik runden die Ausführungen ab. Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, einen tiefergehenden wissenschaftlichen Einblick in Pädagogik und Antipädagogik zu vermitteln. Stattdessen sollen bewusst sich scheinbar widersprechende Aussagen gegenübergestellt werden, um die These zu unterstreichen, dass die vermeintlichen Widersprüche gar nicht zwangsläufig wirkliche Widersprüche sind.
2. Definitionen im Vergleich
Wissenschaftliche Definitionen von Pädagogik und Antipädagogik könnten zunächst einmal nicht entgegengesetzter und damit unvereinbarer zueinander erscheinen.
So bedeutet Pädagogik bzw. Erziehung als Instrument der Pädagogik die „Summe der Reaktionen einer Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache“[2]. Grundgedanke der Pädagogik ist, dass junge Menschen nicht von Geburt an mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sind. Die Antipädagogik setzt dem entgegen, dass ein Kind sehr wohl fähig sei, von Geburt an das eigene Beste zu spüren.[3] Geht die Pädagogik folglich davon aus, Menschen schrittweise Kompetenzen erwerben zu lassen, um sie zu mündigen Menschen zu machen, sind die Antipädagogen hingegen davon überzeugt, dass jedes Kind selbst die Kraft für seine eigene Entwicklung hat.[4] Erziehung ist also der maßgebliche Begriff, an dem sich Pädagogik und Antipädagogik reiben. Von Schoenebeck fasst dies in zwei markanten Sätzen zusammen: „[D]er (junge) Mensch ist ein zu erziehendes Wesen“ auf der Seite der Pädagogik, „[d]er (junge) Mensch ist kein zu erziehendes Wesen“ auf der Seite der Antipädagogik.[5]
Noch eindeutiger wird dies, betrachtet man die daraus abzuleitenden Konstellationen, die zwischen Menschen, z.B. Eltern und Kind, entstehen. Wenn es – den Ideen der Pädagogik nach – Unmündige (Kinder) gibt, denen Werte und Normen der Gesellschaft erst gelehrt werden müssen, setzt dies Mündige (Eltern) voraus, die (theoretisch) über Ersteren stehen. Aufgrund des freiheitlich-demokratischen Bildes vom Kind, das Antipädagogen anführen, werden Kind und Eltern hier als nebeneinander gleichgestellt aufgezeigt.[6]
Deutlicher können Widersprüche nicht sein. Dass trotzdem Gemeinsamkeiten oder zumindest Anhaltspunkte für den eingangs benannten „fruchtbaren Dialog“ zu finden sind, soll im Folgenden dargestellt werden.
3. Wissenschaftliche Stellungnahmen im Vergleich
Oelkers und Lehmann definieren Erziehung als einen bewusst gestalteten Prozess, der Mündigkeit erst hervorbringe (Hervorhebung durch den Verfasser). Dass Mündigkeit mit Werten und Normen besetzt ist, wurde bereits in Kapitel 2 gesagt. Darüber hinaus gehend aber kann – in Bezug zur Philosophie der Aufklärung und Immanuel Kant – Mündigkeit mit Vernunft und Freiheit verbunden werden.[7] Diese sind daher als Ziele von Erziehung zu nennen. Unter dem bewusst gestalteten Prozess ist ein Verhältnis zwischen Eltern und Kind zu verstehen, das über den bloßen Umgang hinausgeht. Er orientiert sich nach bestimmten Maximen, mit denen dem Kind Vernunft und Freiheit näher gebracht werden sollen.[8] Erziehung ist – in Hinblick auf ihre Intention, Mündigkeit hervorzubringen – „objektiv die Vermittlung des Gesetzes und subjektiv die Herausbildung personaler Identität“[9]. Gemeint ist, dass gesellschaftliche Rechte und Pflichten zusammen mit Moralvorstellungen und Charakterbildung Kernelemente der Erziehung sind und sich wechselseitig beeinflussen.
Diese Theorie kann in ihrer Schlüssigkeit problemlos nachvollzogen werden. Es stellt sich die Frage: Was hat nun die Antipädagogik dem konkret entgegenzusetzen?
Die Antipädagogik richtet sich, wie schon in Kapitel 2 erwähnt, fast ausschließlich gegen die Erziehung als Kernbestandteil der Pädagogik. Aufgrund des Bildes vom freiheitlich-demokratischen und gleichberechtigten Kind stellt sich von Braunmühl die Frage, wie die Erziehung die eigens eingestandene „Herrschaftsausübung“[10] rechtfertigen könne. Erziehung als planmäßiger, intentionaler Akt (oder nach Oelkers und Lehmann als bewusst gestalteter Prozess) sei auf das Kind als Objekt gerichtet und daher ein einseitiger Akt Erwachsener.[11]
Dieser Ansatz klingt soweit nachvollziehbar. Jedoch wird von Braunmühls Argumentation im Folgenden stark unsachlich. Erziehung sei nämlich deswegen als überflüssig abzulehnen, da sie mit ihrer Beeinflussung und Lenkung junger Menschen kinder- und lebensfeindlich, ja sogar verbrecherisch und Gehirnwäsche und damit ein „kleiner Mord“ sei.[12]
So radikal diese Aussage klingt und so wenig man sich dem anschließen muss, so unverkennbar deutlich wird der Konflikt zwischen Pädagogen und Antipädagogen.
Womit kontert nun die Pädagogik? Hier sei Flitner erwähnt. Er erkennt einen entscheidenden Widerspruch im Gedankengut der Antipädagogik. Wenn die Erwachsenen das Kind in ihrer Entwicklung lediglich unterstützen statt erziehen und damit gar keinen Einfluss nehmen würden, werde das Verhalten des Kindes als jederzeit unberührbar angenommen. Den Erwachsenen selbst werde hiermit die vitale bzw. aktive Seite im Verhältnis zum Kind in Abrede gestellt.[13] Ob ein solches Verhältnis dann als Gleichberechtigung oder möglicherweise sogar schon als „Diktatur des Kindes“ verstanden werden muss, kann zu Recht kritisch gesehen werden. Entscheidend für die Erziehung sei die Fähigkeit Erwachsener, eigene Interessen mit denen des Kindes zu verbinden und in Einklang zu bringen, so dass ein Austausch entstehe. Denn so sei Erziehung letztlich nichts anderes als Unterstützung.[14]
Im Gegensatz zu Oelkers und Lehmann stellt Flitner Erziehung stärker als zwischenmenschlichen und weniger als einseitigen Prozess durch Erwachsene dar. Hierin lassen sich Eckpunkte für Gemeinsamkeiten mit der Antipädagogik erkennen. Ferner gesteht Flitner zu, dass Erziehung mit zunehmendem Alter des Kindes in geringerem Maße zu gewähren sei.[15]
[...]
[1] Schoenebeck, Hubertus von: Antipädagogik im Dialog. Eine Einführung in antipädagogisches Denken. 3.Auflage. Weinheim; Basel 1992. S.14.
[2] Bernfeld, S.: Sisyphus oder die Grenzen der Erziehung. 6.Auflage. Frankfurt am Main 1990. Nach: Thole, Werner; Hans Pfaffenberger: Erziehung. S.280. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit. 5.Auflage. Frankfurt am Main 2002. S.280-281.
[3] vgl. von Schoenebeck 1992. S.19.
[4] vgl. Menck, Peter: Was ist Erziehung? Eine Einführung in die Erziehungswissenschaft. Donauwörth. 1998. S.23 und 174.
[5] Von Schoenbeck 1992. S.19f.
[6] vgl. Braunmühl, Ekkehard von: Antipädagogik. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.) 2002. S.44.
[7] vgl. Oelkers, Jürgen; Thomas Lehmann: Antipädagogik: Herausforderung und Kritik. 2.Auflage. Weinheim; Basel 1990. S.112.
[8] vgl. Oelkers; Lehmann 1990. S.118ff.
[9] Oelkers; Lehmann 1990. S.122.
[10] vgl. Groothoff, Hans-Hermann (Hrsg.): Funktion und Rolle des Erziehers. 2.Auflage. München 1974. S.196. Nach: Braunmühl, Ekkehard von: Antipädagogik. Studien zur Abschaffung der Erziehung. 8.Auflage. Weinheim; Basel 1993. S.72.
[11] vgl. von Braumnühl 1993. S.72ff.
[12] vgl. von Braunmühl 1993. S.78ff.
[13] vgl. Flitner, Andreas: Konrad, sprach die Frau Mama... Über Erziehung und Nicht-Erziehung. 5.Auflage. München; Berlin 1990. S.60.
[14] vgl. Flitner 1990. S.60ff.
[15] vgl. Flitner 1990. S.53.
- Quote paper
- Henning Becker (Author), 2006, Pädagogik und Antipädagogik in der Sozialpädagogik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59679
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