Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, Überlegungen von Peter Bieri und Aristoteles zum Thema Willensfreiheit darzustellen und zu analysieren. Dabei wird sich herausstellen, dass zwischen beiden Theorien eine grundsätzliche Ähnlichkeit besteht. Um einen Maßstab für die Bewertung zu bekommen, wird zunächst im ersten Kapitel der Versuch unternommen, den Begriff der Willensfreiheit näher zu bestimmen. Durch die Gegenüberstellung unserer Intuitionen über einen freien Willen mit der These des Determinismus werden drei zentrale Kriterien für Willensfreiheit herausgearbeitet. Außerdem werden zwei grundsätzliche Einstellungen über die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus thematisiert, die kompatibilistische und inkompatibilistische. Im zweiten Kapitel wird dann die Bierische Theorie über
Willensfreiheit vorgestellt und anhand der Kriterien bewertet. Dabei wird deutlich werden, dass die herausgearbeiteten Kriterien sehr gut mit Bieris kompatibilistischen Ansatz vereinbar sind. Im dritten Kapitel werden einige Aristotelische Texte, vornehmlich aus derNikomachischen EthikundDe animaauf eine Willensfreiheitskonzeption hin untersucht. Dabei werde ich zunächst der Frage nachgehen, ob dies überhaupt ein sinnvolles Unterfangen ist, da es eine Interpretations-Tradition gibt, die genau dies in Frage stellt. Danach werde ich den Versuch unternehmen zu zeigen, dass die drei Kriterien der Willensfreiheit erfüllt sind. Im Anschluss werde ich dann noch einige Textstellen aufzeigen, augrund derer man Aristoteles als Kompatibilisten interpretieren könnte.
Inhalt
Vorwort
1. Willensfreiheit
2. Bieris Konzeption der Willensfreiheit
3. Willensfreiheit bei Aristoteles
Die Aristotelische Handlungstheorie in EN III 1-7
Die drei handlungsbedingenden Vermögen in De Anima
4. Fazit
Literatur
Vorwort
Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, Überlegungen von Peter Bieri und Aristoteles zum Thema Willensfreiheit darzustellen und zu analysieren. Dabei wird sich herausstellen, dass zwischen beiden Theorien eine grundsätzliche Ähnlichkeit besteht.
Um einen Maßstab für die Bewertung zu bekommen, wird zunächst im ersten Kapitel der Versuch unternommen, den Begriff der Willensfreiheit näher zu bestimmen. Durch die Gegenüberstellung unserer Intuitionen über einen freien Willen mit der These des Determinismus werden drei zentrale Kriterien für Willensfreiheit herausgearbeitet. Außerdem werden zwei grundsätzliche Einstellungen über die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus thematisiert, die kompatibilistische und inkompatibilistische.
Im zweiten Kapitel wird dann die Bierische Theorie über Willensfreiheit vorgestellt und anhand der Kriterien bewertet. Dabei wird deutlich werden, dass die herausgearbeiteten Kriterien sehr gut mit Bieris kompatibilistischen Ansatz vereinbar sind.
Im dritten Kapitel werden einige Aristotelische Texte, vornehmlich aus der Nikomachischen Ethik und De anima auf eine Willensfreiheitskonzeption hin untersucht. Dabei werde ich zunächst der Frage nachgehen, ob dies überhaupt ein sinnvolles Unterfangen ist, da es eine Interpretations-Tradition gibt, die genau dies in Frage stellt. Danach werde ich den Versuch unternehmen zu zeigen, dass die drei Kriterien der Willensfreiheit erfüllt sind. Im Anschluss werde ich dann noch einige Textstellen aufzeigen, augrund derer man Aristoteles als Kompatibilisten interpretieren könnte.
1. Willensfreiheit
Willensfreiheit gehört in der Geschichte der Philosophie zu einem der ältesten, meistdiskutiertesten und vielschichtigsten Themen und viele der großen Philosophen haben sich damit auseinandergesetzt.[1] Ein Grund hierfür mag darin bestehen, dass die Frage nach Willensfreiheit eine sehr grundsätzliche ist und dass Antworten darauf unmittelbare Konsequenzen für unser Selbstverständnis haben.
Doch was genau kann man unter Willensfreiheit verstehen? Folgende Abgrenzung mag eine erste vorsichtige Annäherung an den Begriff der Willensfreiheit ermöglichen: Handlungsfreiheit kann man als die Freiheit verstehen, das zu tun, was man will. Diese Definition scheint unmittelbar plausibel zu sein: Ich verfüge über einen bestimmten Willen, etwas zu tun, und die Welt ist so beschaffen, dass meinem Willen nichts entgegensteht. Ich sitze beispielsweise auf einem Stuhl, möchte aufstehen und kann dies tun, weil ich nicht an ihn gefesselt oder gelähmt bin, oder auf andere Weise am Aufstehen gehindert werde. Deshalb kann man sagen, ich sei handlungsfrei, wenn ich tun kann, was ich will.
Wenn man nun allerdings versucht, Willens freiheit ähnlich zu definieren, etwa so: Willensfreiheit ist die Freiheit, das zu wollen, was man will, scheint dies nicht unmittelbar plausibel zu sein. Diese Definition scheint so etwas wie ein höherstufiges Wollen vorauszusetzen, also zu implizieren, dass ein Wille wiederum Gegenstand eines anderen (höherstufigen) Willens sein kann. Dabei scheint sich auch eine gewisse Regressproblematik aufzudrängen: Was garantiert wiederum die Freiheit eines höherstufigen Willens? Ein noch höherstufiger Willen? (Welche Vorteile solch eine hierarchische Willenskonzeption dennoch bietet wird später noch behandelt.)
Da also diese Art, Willensfreiheit zu bestimmen eher kontraintuitiv ist, könnte man auf eine andere Weise versuchen, das Phänomen der Willensfreiheit näher zu bestimmen: Durch die Konfrontation mit der Position des Determinismus, der in der philosophischen Tradition oftmals als unvereinbar mit einem freien Willen angesehen wurde (und zum Teil noch wird). Unter Determinismus ist dabei die These zu verstehen, dass ein bestimmter Weltzustand in jedem Moment nur eine mögliche Zukunft zulässt, weil alle zukünftigen Ereignisse durch vergangene Ereignisse festgelegt werden.[2]
Es ist offensichtlich, dass die Vorstellung des Determinismus unseren Intuitionen über einen freien Willen widerspricht. Was soll es überhaupt noch heißen, dass ich über einen freien Willen verfüge, wenn sowieso schon alle zukünftigen Ereignisse durch die Vergangenheit festgelegt sind?[3] Es scheint dann unmöglich zu sein, eine freie Entscheidung zu fällen, da ja auch deren Ergebnis bereits festgelegt ist. Der Determinismus scheint identisch mit einer unveränderlichen Blockwelt zu sein, in der alles festgelegt und im Prinzip vorhersagbar ist. William James hat diese abschreckende Vorstellung so zusammengefasst: „Was lehrt der Determinismus? Er lehrt, dass die bereits feststehenden Teile des Universums verfügen und bestimmen, wie die anderen Teile sein werden. Die Zukunft birgt keine unentschiedenen Möglichkeiten in ihrem Schoß: Der Teil, den wir die Gegenwart nennen, ist nur mit einer einzigen Gesamtheit vereinbar. Jede künftige Ergänzung, die über die schon vor Urzeiten festgelegte hinausgeht, ist unmöglich. Das Ganze ist in jedem einzelnen Teil und verschweißt es mit dem Rest zu einer absoluten Einheit, einem Eisenblock, in dem es keine Mehrdeutigkeit oder auch nur den Anflug eines Wandels gibt.“[4]
Solch ein sprachliches Bild ist geeignet, diejenigen, die von der Wahrheit des Determinismus überzeugt sind, in eine fatalistische Resignation verfallen zu lassen. Wenn der Determinismus tatsächlich wahr ist, kann dies gravierende Fragen aufwerfen: Wenn jedwedes Ereignis sich sowieso aus der Vergangenheit ergibt, was ist dann noch unser spezieller Beitrag ? Ergibt sich nicht jedes Ereignis aus den vorangehenden Ereignissen quasi automatisch? Was bedeutet es dann überhaupt noch, Urheber einer Handlung zu sein? Können wir mehr sein als eine bloß passive Durchgangsstation der Ereignisse? Lohnt sich dann überhaupt noch eine Anstrengung? Und auch in moralischer Hinsicht ergeben sich angesichts einer Gültigkeit des Determinismus einige Fragen: Inwiefern können wir Handlungen bestimmten Personen noch zurechnen, sie für bestimmte Handlungen verantwortlich machen? Es wäre doch bereits seit Anbeginn der Welt festgelegt, wie Personen sich verhalten würden. Können wir Menschen überhaupt noch gerechterweise bestrafen und macht es Sinn, Menschen für bestimmte Taten zu loben? Die grundsätzliche Frage, die hinter diesen Überlegungen steht ist folgende: Gibt es, wenn der Determinismus wahr ist, so etwas wie freie Entscheidungen? Oder noch allgemeiner: Was ist eine „Möglichkeit“ im Determinismus?
Aufgrund solcher Überlegungen kann man zu der Überzeugung gelangen, dass Determinismus und Willensfreiheit inkompatibel sind. Man kann darüber hinaus postulieren, dass Willensfreiheit ein spezielles akausales und spontanes Vermögen voraussetzt. Da die durchgängige Bedingtheit des Determinismus’ so gar nicht mit unserer Intuition über Willensfreiheit vereinbar scheint, könnte man versucht sein, Willensfreiheit gerade in der Abwesenheit von Bedingungen zu suchen. In dieser Richtung gab es in der Geschichte der Philosophie einige Ansätze: Als Beispiel seien hier die so genannte Indifferenztheorie der Scholastik aufgeführt, nach der Willensfreiheit darin besteht, zu einem gegebenen Zeitpunkt unter genau denselben Umständen sowohl A als auch B wollen zu können.[5] Auch bei Kant findet sich die Vorstellung von Freiheit als absolut spontanem Vermögen: Der Wille ist für ihn das Vermögen, nach Prinzipien - oder „nach der Vorstellung der Gesetze“ - zu handeln, im Gegensatz zu den „Dingen der Natur“, die nach Naturgesetzen wirken.[6] Für Kant haben Menschen insofern einen freien Willen, als dass sie über die Fähigkeit verfügen, "unabhängig von [den] Naturursachen [...] etwas hervorzubringen [...], mithin eine Reihe von Begebenheiten ganz von selbst anzufangen"[7]. Freiheit besteht für Kant in der „absoluten Spontaneität der Ursachen“.[8] Einer der berühmteren Ansätze findet sich außerdem bei Roderik Chisholm: In Anlehnung an den aristotelischen Begriff des „unbewegten Bewegers“[9] hat er das Konzept der so genannten Akteurskausalität entwickelt. Danach verfügt ein Handelnder genau deshalb über einen freien Willen, weil seine Handlung nicht kausal durch andere Ereignisse determiniert, sondern allein durch den Handelnden selbst verursacht ist. Ein Handelnder ist auch bei Chisholm ein Erstauslöser.
Ein Problem solcher inkompatibilistischen Willenskonzeptionen besteht nun darin, dass so ein Wille nicht mehr verständlich wäre. Wenn wir in exakt derselben Situation sowohl das eine als auch etwas anderes wollen können, scheint lediglich der Zufall darüber zu bestimmen, wofür wir uns letztendlich entscheiden. Denn um den Willensbildungsprozess einer Person verstehen zu können, müssten wir ja Bedingungen angeben können, die zu einem bestimmten Willen geführt haben. Wenn die Freiheit aber gerade in der Abwesenheit von Bedingungen bestehen soll, wenn also weder beispielsweise unsere Überzeugungen noch unsere Wünsche eine Rolle im Willensbildungsprozess spielen dürfen, dann können wir solch einen Willen nicht erklären und somit nicht verstehen. Eine solche Willensfreiheit wäre also nicht intelligibel.[10]
Sowohl kompatibilistische als auch inkompatibilistische Willensfreiheitstheorien gehen also mit bestimmten Problemen einher, auf die an dieser Stelle allerdings nicht weiter eingegangen werden soll. Stattdessen sollen nun aus den bisherigen Überlegungen drei Kriterien benannt werden, die meines Erachtens für das Phänomen der Willensfreiheit zentral sind.[11]
Zum einen scheint es unseren Intuitionen zu entsprechen, dass wir bei einem freien Willen über verschiedene Möglichkeiten des Handelns verfügen können müssen. Unsere Zukunft muss in gewisser Weise „offen“ sein, denn nur so können wir verschiedene Handlungsoptionen haben, also so oder anders handeln. Dieses Kriterium möchte ich das Wahlkriterium nennen.
Ein weiterer Umstand, der für unsere Intuitionen über einen freien Willen zentral zu sein scheint, ist die Frage nach Urheberschaft. Wir wollen die wirklichen Urheber unserer Handlungen sein, eben keine bloß passive Durchgangsstation anderer Ereignisse. Unser Handeln soll ganz in unserer Hand liegen und das scheint eine Abhängigkeit unserer Entscheidungen von determinierenden Bedingungen auszuschließen. Dieses Kriterium möchte ich das Kriterium der Urheberschaft nennen.
Das letzte Kriterium möchte ich das Kriterium der Intelligibilität nennen. Es soll unserer Intuition Rechnung tragen, dass wir auch (oder gerade) eine freie Entscheidung verstehen können möchten. Dafür ist es wichtig, dass wir unseren Willensbildungsprozess nachvollziehen können, und das heißt nichts anderes als die Bedingungen angeben können, die zu unserer Entscheidung geführt haben.
Im Folgenden werde ich nun diese drei Kriterien als Leitkriterien verwenden, um die Überlegungen von Bieri und Aristoteles zum Problem der Willensfreiheit zu bewerten. Dabei wird sich zeigen, dass es Bieri gelingt, eine kompatibilistische Theorie zu entwickeln, die alle drei Kriterien erfüllt. Dieser Umstand wird dann, da auch bei Aristoteles die Kriterien erfüllt werden, die Frage nach einem Aristotelischen Kompatibilismus aufwerfen.
[...]
[1] vgl. dazu auch Seebass, Wille, S.55; für einen historischen Überblick vgl. z.B. Steinvorth, Freiheitstheorien
[2] vgl. Jedan, Willensfreiheit, S.37
[3] vgl. dazu van Inwagens Konsequenz-Argument, in Pothast, Seminar, S. 255
[4] zitiert nach Walter, Neurophilosophie, S.36
[5] vgl. Steinvorth, Freiheitstheorien, S.42
[6] Kant, GMS, S.41 (BA36)
[7] Kant, KrV, S.622 (A534/B562)
[8] Kant, KrV, S.550 (A447/ B475)
[9] vgl. Chisholm, Freiheit, S.86 Anm. 1
[10] Diese Überlegungen gegen den Inkompatibilismus werden deshalb auch „Intelligibilitäts-Argument“ genannt. vgl. dazu Walter, Neurophilosophie, S. 78
[11] vgl. dazu auch Seebass, Wollen, S.25-31, und Walter, Neurophilosophie, S.23f.
- Arbeit zitieren
- Bakkalaureus Artium Christian Schumacher (Autor:in), 2006, Willensfreiheit bei Peter Bieri und Aristoteles, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59591
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