Die qualitative Studie soll einen Einblick darüber vermitteln, welche psychosozialen Übergangsprobleme sich hinsichtlich Transition und Karriereende aus prospektiven Einstellungen und Wahrnehmungen von Fußballprofis ableiten lassen. Profifußballspieler stellen eine Gruppe von Sportlern dar, die ein hohes Risiko haben, psychische und soziale Probleme zu entwickeln und in diesem Zusammenhang keinen oder kaum Zugang zu professioneller Unterstützung erhalten. Jeder vierte Fußballprofi berichtet von psychosozialen Konflikten, wobei in dem Lebensabschnitt nach der aktiven Karriere eine noch höhere Prävalenz beobachtet wird.
Hierzu wurden acht aktive Athleten aus den drei deutschen Profiligen befragt. Die Daten wurden mittels teilnarrativer und leitfadengestützter Interviews erhoben und anhand der inhaltlich strukturierten qualitativen Analyse nach Kuckartz ausgewertet.
Die vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen zur Stärkung sozialer Ressourcen im Sport und zur gezielteren Planung des Karriereverlaufs beziehungsweise gelingenden Karriereübergangs könnten festgefahrene Strukturen aufbrechen und zu einer Öffnung der durch traditionell hegemoniale Männlichkeit geprägten Außendarstellung des Fußballs führen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Einordnung des Themas
2.2 Vorstellung des Untersuchungsfeldes
2.3 Begriffsbestimmung
2.3.1 Psychosoziale Ressourcen
2.3.2 Prospektive versus retrospektive Betrachtungsweise
2.3.3 Karriere und Karriereübergang
2.4 Theorien zum Karriereende
2.4.1 Thanatologische Ansätze
2.4.2 Gerontologische Ansätze
2.4.3 Transitionsmodelle
2.4.4 Entwicklungspsychologische Ansätze
2.5 Transitionsprobleme im Kontext des Profifußballs
2.6 Aktueller Forschungsstand
2.6.1 Die systematische Literaturrecherche
2.6.2 Zusammenfassung der Recherche-Ergebnisse
2.6.2.1 Studien mit aktiven Fußballprofis
2.6.2.2 Studien mit aktiven und Ex-Fußballprofis
2.6.2.3 Studien mit Ex-Fußballprofis
2.6.2.4 Tabellarische Übersicht relevanter Literatur
3. Methodik
3.1 Datenerhebungsmethode: Das teilnarrative Interview
3.1.1 Das leitfadengestützte Interview
3.1.2 Der Aufbau des Interviewleitfadens
3.2 Stichprobe und Durchführung
3.3 Die Software f4analyse
3.4 Reflexion der Untersuchungskonzeption und Interviewdurchführung
3.5 Die Analyse des Datenmaterials nach Kuckartz
3.5.1 Textarbeit, Markieren wichtiger Textstellen und Schreiben von Memos
3.5.2 Entwickeln von thematischen Hauptkategorien
3.5.3 Codieren des gesamten bisherigen Materials mit den Hauptkategorien
3.5.4 Induktives Bestimmen von Subkategorien am Material
3.5.4 Codieren mit den ausdifferenzierten Kategorien
4. Darstellung der Forschungsergebnisse
4.1 Analyse der emotionalen Ebene
4.2 Analyse der motivationalen Ebene
4.3 Analyse der kognitiven Ebene
4.4 Analyse der sozialen Ebene
4.5 Analyse von Problemen und Bewältigungsstrategien
4.6 Analyse des Systems Profifußball
4.7 Analyse von Einstellungen zum Karriereende
5. Diskussion
5.1 Diskussion der emotionalen Ebene
5.2 Diskussion der motivationalen Ebene
5.3 Diskussion der kognitiven Ebene
5.4 Diskussion der sozialen Ebene
6. Fazit
7. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Flowchart des Such- und Auswahlvorgangs der systematischen Litera-turrecherche
Abbildung 2: Prozentuale Verteilung der Textstellen auf die Hauptkategorien in Phase drei
Abbildung 3: Das prospektive Transitionsmodell psychosozialer Ebenen im Zuge geplanter Karriereübergänge bei Profifußballspielern
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht der Vereine und Spieler im Herrenbereich des deutschen Profi-fußballs
Tabelle 2: Tabellarische Übersicht relevanter Literatur
Tabelle 3: Demographische Daten der Interviewpartner
Tabelle 4: Determinanten der Interviewsituation
Tabelle 5: Übersicht Interview-Mottos
Tabelle 6: Kategoriesystem: Übersicht aller Haupt- und Subkategorien
1. Einleitung
„I am a very positive person, but you don’t get taught how to deal with the end of your career. Never1 “ (Bevan, 2019).
Diese Aussage stammt vom britischen Ex-Profifußballspieler Micah Richards2, der kurz nach seinem unfreiwilligen Karriereende ein viel beachtetes Interview gab. Das Zitat soll den Leser einleitend dafür sensibilisieren, dass das Karriereende aus Athle-tensicht unter Umständen als problematisch wahrgenommen werden kann.
Bei der Betrachtung von Karrieren im Profifußball gibt es einen Punkt, den jede Ath-letin und jeder Athlet, unabhängig von Alter, Erfolgheitsgrad oder sonstigen Deter-minanten früher oder später erreichen wird. Es ist ein Ereignis, das unausweichlich ist und aus gesamtsportlicher Sicht bereits vielfach in wissenschaftlichen Abhand-lungen thematisiert wurde - das Karriereende, beziehungsweise der Übergang in den Lebensabschnitt nach der aktiven Sportkarriere.
SportlerInnen gehen mit diesem einschneidenden Lebensereignis, genau wie mit ein-schneidenden Ereignissen in anderen Lebensbereichen, ganz unterschiedlich um. Ausschlaggebend sind in diesem Zusammenhang psychosoziale Prozesse. Psychi-sche Faktoren, zum Beispiel der Umgang mit einer Situation oder einer bestimmten Gefühlslage, sind bedingt durch soziale Gegebenheiten wie Kultur, Gesellschaft oder empfundene Unterstützung. Wie eine Athletin oder ein Athlet mit dem Karriereende umgeht, ergibt sich also aus dem Zusammenspiel zwischen Individuum und äußeren Einflussfaktoren.
Die Themenfelder Karrierebeendigung und Karriereübergang - in der einschlägigen Literatur auch häufig Transition genannt - können dabei aus zwei unterschiedlichen Perspektiven, nämlich aus der sportpsychologischen und aus der sportsoziologischen, betrachtet werden - beide stehen in enger Verbindung zu einander. Die sportsoziolo-gische Sicht zentriert vor allem die berufliche Entwicklung nach der Karriere. Sport psychologen fokussieren sich dagegen auf die Vorbereitung sowie die Bewältigung des Karriereendes (vgl. Alfermann, 2008, S. 499). Der Interessenschwerpunkt dieser Untersuchung liegt klar auf der sportpsychologischen Komponente. Obwohl die Sportart Fußball in Deutschland die unangefochtene Nummer Eins ist und die drei Profiligen von Jahr zu Jahr neue Rekordzahlen vermelden (vgl. DFL, 2018), findet die Karrierebeendigung der Hauptprotagonisten, als auch deren Über-gang in den Lebensabschnitt nach der aktiven Karriere nur wenig Beachtung. Dabei weisen eine Vielzahl von Autoren in ihren Ausführungen darauf hin, dass der Über-gang in die Nachkarriere nicht selten als kritisches Lebensereignis wahrgenommen wird. Lavallee et al. (2000b) analysierten beispielsweise 14 empirische Studien - all-gemein auf Sport und nicht nur auf Fußball bezogen - und kamen zu dem Ergebnis, dass bei durchschnittlich 20 Prozent der Athletinnen und Athleten ausgeprägte psy-chische Anpassungsprobleme auftreten, die professioneller Betreuung bedürfen (vgl. Lavallee, 2000b, S. 112f.). Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der Über-gang in den Lebensabschnitt nach der aktiven Karriere mitunter eine Vielzahl an Herausforderungen, Umstellungen und Problemen mit sich bringen, welche die Ath-letinnen und Athleten meistern müssen. Der Fakt, dass die Thematik in Deutschland bisher nur unzureichend im Interessenfeld wissenschaftlicher Abhandlungen stand3, sowie die Tatsache, dass die bestehenden Forschungen fast ausschließlich mit Ex-Profifußballspielern durchgeführt wurden, hat den Autor dieser Abschlussarbeit zu seiner Themenwahl bewegt.
Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen psychosoziale Übergangsprobleme, die sich auf die Beendigung und den Übergang von Profi-Fußballerkarrieren beziehen. Da es zu diesem Thema eine ganze Reihe an Forschungen mit sich in der Nachkar-riere befindenden Ex-Profis gibt, soll das Augenmerk im Folgenden auf der Gruppe der aktiven Profis liegen. Grundlegend soll sich anhand von qualitativen Interviews herauskristallisieren:
Welche psychosozialen Übergangsprobleme sich hinsichtlich Transition und Karriereende aus prospektiven Einstellungen und Wahrnehmungen von Fuß-ballprofis ableiten lassen. Kapitel zwei führt zunächst in die theoretischen Grundlagen ein und umfasst die aus-führliche Darstellung der Literaturrecherche und des Forschungsstandes. In Kapitel drei wird die Methodik der angewendeten qualitativen Forschung vorgestellt sowie die nach Kuckartz´ Sieben-Phasen-Modell durchgeführte Analyse des Datenmateri-als. Es folgt die Ergebnisdarstellung im vierten Kapitel. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse schließlich diskutiert, wobei die bestehende Literatur sowie theoreti-sche Hintergründe einbezogen werden. Das sechste Kapitel zieht ein Fazit und spannt den Bogen zum Themengebiet der Handlungsempfehlungen. Abschließend wird der Inhalt im siebten Kapitel der Arbeit noch einmal zusammengefasst.
2. Theoretische Grundlagen
Der Theorieteil dieser Arbeit soll dem Leser das Grundlagenwissen vermitteln, dass zum Verstehen des Kontextes von essentieller Bedeutung ist. Zunächst wird das in dieser Arbeit behandelte Thema eingeordnet und die Kernbegriffe, genauer psycho-soziale Übergangsprobleme, prospektive und retrospektive Betrachtungsweise sowie Karriereübergang und -beendigung, definiert. Darauf folgen verschiedene Theorien zur Erläuterung von Transitionsprozessen. Es wird auf thanatologische und geronto-logische Ansätze, als auch auf verschiedene Transitionsmodelle und entwicklungs-psychologische Ansätze eingegangen. Im Mittelteil des Kapitels wird das Untesu-chungsfeld genauer vorgestellt und der große abschließende Teil stellt die schriftliche und graphische Darstellung des Literaturrechercheprozesses sowie des aktuellen For-schungsstandes dar.
2.1 Einordnung des Themas
Wenn man sich mit Karrierebeendigungen und -übergängen im Kontext des Sports näher auseinandersetzt stellt man schnell fest, dass dies eine äußerst facettenreiche Thematik darstellt.
Es gibt eine Vielzahl an Sportarten, die teils extreme Unterschiede darin aufweisen, wie viel mediale Aufmerksamkeit sie bekommen und verbunden damit, wie viel Geld sich als Profi in dieser Disziplin verdienen lässt. Sportler der olympischen Sportarten haben nur in Ausnahmefällen die Verdienstmöglichkeiten, wie sie beispielsweise Fußballprofis oder Athleten anderer Sportarten haben, die regelmäßig große Auf-merksamkeit in den Massenmedien erhalten. Einer in 2018 von der Deutschen Sport-hochschule zu Köln und im Auftrag der Deutschen Sporthilfe veröffentlichten Studie, mit dem Thema „Lebens- und Einkommenssituation der Sporthilfe-geförderten Ath-leten in Deutschland“ nach, erhalten Spitzenathleten, wenn man ihr monatliches Ein-kommen und den Zeitaufwand für Sport, Beruf und Ausbildung verbindet, im Durch-schnitt einen kalkulatorischen Stundenlohn von 7,14 Euro (vgl. Breuer et al., 2018, S. 1). Dieser Betrag liegt weit unter dem Mindestlohn von 9,19 Euro (Deutscher Ge-werkschaftsbund, 2019) und verdeutlicht, wie prekär die finanzielle Lage von Spit- zenathleten unter Umständen sein kann. Wie viel Geld eine Sportlerin/ein Sportler am Ende ihrer/seiner Karriere verdient hat, gibt letztendlich den Ausschlag, wie eine Nachkarriere auszusehen hat. Hat der Athlet genug Geld verdient, um unabhängig leben zu können? Hat der Athlet Kontakte knüpfen können, die ihm nach der aktiven Karriere dabei helfen können in einer anderen Funktion weiter in seiner Sportart zu arbeiten? Hat der Athlet während seiner aktiven Karriere Bildungsmaßnahmen ge-troffen, die ihm in der Nachkarriere überhaupt erst eine „normale“ Arbeitsstelle er-möglichen? Diese Fragen können nicht generell beantwortet werden, sondern sind von Sportart zu Sportart und innerhalb der Sportart von Sportler zu Sportler intrain-dividuell zu beurteilen.
Des Weiteren beeinflussen kulturelle, sozioökonomische und geographische Fakto-ren die Karriereverläufe von Sportlern. So hat zum Beispiel ein aus dem Läuferland Kenia stammender professioneller Marathonläufer institutionell, infrastrukturell und soziokulturell ganz andere Voraussetzungen, als sein deutsches Ebenbild. Umgekehrt haben Profifußballer in Deutschland andere Möglichkeiten, als es Profifußballer in Kenia haben - diese Unterschiede können durch die den Athleten umgebende Um-welt erklärt werden. Obwohl die Athleten dieselbe Sportart ausüben, kann man die Karrieren augenscheinlich nur schwer miteinander vergleichen, ganz einfach weil die beeinflussenden Rahmenbedingungen höchst unterschiedlich sind. Nicht zuletzt ist entscheidend, in welcher Phase und aus welchem Grund eine Karrie-re beendet wird. Schafft ein Nachwuchsathlet nicht den Sprung zum professionellen Erwachsenenbereich und gibt seine Karriere auf, so ist dies etwas anderes, als wenn ein Athlet seine Karriere aufgrund einer Verletzung nicht fortführen kann, oder er/sie die Karriere aus freiwilligen Zügen beendet. Die Thematik der ungewollt verfrühten Karrierebeendigung, in Fachkreisen als „Drop-out“ bezeichnet, wird in dieser Arbeit nur am Rande thematisiert. Dieser Bereich stellt aufgrund seiner Komplexität ein ei-gens zu behandelndes Themenfeld dar.
Auf verschiedenen Ebenen herrscht also große Heterogenität im Sportsystem, was verallgemeinernde Aussagen kaum zulässt. Das breit gefächerte Spektrum an Unter-schiedlichkeiten im Sport wird in dieser Arbeit herunter gebrochen und konzentriert sich folgend ausschließlich auf den professionellen Herrenfußball.
Eine wesentliche Determinante, die Forschungen zu diesem Thema deutlich von ein-ander abgrenzt, ist dabei die Unterscheidung zwischen aktiven und sich bereits im Ruhestand befindenden Akteuren. Auf den ersten Blick erscheint verwunderlich, dass es in dem hier behandelten Forschungsbereich ein starkes Defizit an Untersuchungen mit Professionals, d. h. hier mit aktiven Fußballspielern, gibt. In dem Beitrag „Kar-rierebeendigung im Sport“ (2008) weist Dorothee Alfermann bereits auf diesen Um-stand hin:
„Demgegenüber liegt vergleichsweise wenig Wissen über Professionals vor, vermutlich auch deshalb, weil diese Gruppe wissenschaftlichen Untersu-chungen schwerer zugänglich ist. Auch sind die Ergebnisse der bisherigen Studien mit einer Zeitverzögerung behaftet, indem sie nur Aussagen über Athletinnen und Athleten liefern können, die unter den gegenwärtigen Be-dingungen [Hervorhebung v. Verf.] des Hochleistungssports aktiv sind“ (Al-fermann, 2008, S. 533).
Die in dieser Arbeit vorliegende qualitative Studie mit aktiven Fußballspielern stellt demnach zum heutigen Zeitpunkt eine Seltenheit dar und ist im deutschsprachigen Raum in Verbindung mit professionellen Fußballspielern so bis jetzt noch nicht vor-zufinden.
2.2 Vorstellung des Untersuchungsfeldes
Der professionell betriebene Fußballsport erstreckt sich im deutschen Herrenbereich über die drei höchsten Ligen - die Bundesliga, die 2. Bundesliga sowie die 3. Liga. Zwar gibt es auch in den fünf viertklassigen Regionalligen vereinzelt Mannschaften, die unter professionellen Bedingungen spielen4, weithin verbreitet wird aber nur im Kontext der oberen drei Ligen von Profifußball gesprochen. Der Deutsche Fußball-bund (DFB) betreibt die Onlineplattform FUSSBALL.DE, die auf den Amateurbe- reich ausgerichtet ist und auf der man Spielergebnisse und tabellarische Übersichten aller deutschen Amateur-Ligen einsehen kann. Unter dem Slogan „Unsere Amateure. Echte Profis.“ wurde das Portal im Jahr 2016 zur beliebtesten Website in der Katego-rie Sport gewählt, wobei von Seiten des DFB betont wird, dass sich FUSSBALL.DE ausschließlich dem Amateurbereich widmet, also dem Geschehen „von der Kreisliga bis zur Regionalliga“ (vgl. DFB, 2020).
Laut der Mitgliederstatistik konnte der DFB im Jahr 2019 insgesamt 7.131.939 akti-ve Mitglieder verzeichnen und ist damit der größte Fußballverband der Welt. Der Herrenbereich macht mit 4,2 Millionen Mitgliedern den größten Anteil aus, gefolgt von 1,3 Millionen männlichen Junioren bis 14 Jahren, 800.000 aktiven Frauen, 500.000 männlichen Junioren zwischen 15 und 18 Jahren und 300.000 weiblichen Spielerinnen bis 16 Jahren (vgl. DFB, 2019, S. 2). Die Zahlen zeigen, welche Rele-vanz die Sportart Fußball in Deutschland als aktiv betriebene Sportart innehat. Die Popularität des Fußballs spiegelt sich zudem in der öffentlichen Wahrnehmung wider. Besonders die höchste deutsche Spielklasse erfreut sich enormer Aufmerksam-keit, verbunden mit stetig wachsenden Umsatzzahlen. Laut einer von der Deutschen Fußballliga (DFL) im Jahr 2019 in Auftrag gegebenen repräsentativen Umfrage be-zeichnen 74 Prozent der Deutschen die 1. Bundesliga als „festen Bestandteil der Ge-sellschaft“, in der Spielzeit 2018/2019 erwirtschaftete die höchste deutsche Spiel-klasse mit 4,02 Milliarden Euro den 15. Umsatzrekord in Folge. In nur sieben Jahren (2011/12: 2,08 Milliarden Euro) konnte der Umsatz nahezu verdoppelt werden (vgl. DFL, 2020, S. 9). Auch die Zuschauerzahlen zeugen von der Strahlkraft des Profi-fußballs. Mit durchschnittlich 42.738 Zuschauern pro Spiel (insgesamt 13.1 Millio-nen) war die Bundesliga in der Spielzeit 2017/2018 die zuschauerstärkste Liga der Welt (vgl. DFL, 2020, S. 9,44) und auch vor den Bildschirmen verfolgen Millionen von Fans das Geschehen, meist über PayTV-Anbieter wie Sky, DAZN oder Euro-sport. Momentan erzielt die DFL allein durch die Vermarktung der Medienrechte für die Bundesliga jährlich einen Erlös von 1,25 Milliarden Euro (vgl. DFL, 2019, S. 8). Ein nicht unerheblicher Teil dieses Geldes fließt dabei in die Aufwendungen, die Vereine für ihr Personal im Spielbetrieb aufbringen. In der Saison 2018/2019 ergaben sich für die 18 Vereine der 1. Bundesliga durchschnittliche Jahresbruttogehaltskosten von 79,54 Millionen Euro (vgl. DFL, 2019, S. 27). Rechnet man diese Summe auf eine gewöhnliche Kadergröße herunter und bezieht man zudem das Trainerteam ein, dann kann davon ausgegangen werden, dass ein Bundesligaspieler im Schnitt über eine Million Euro pro Jahr verdient. Diese Kennzahlen zeigen einerseits, wie tief die Sportart Fußball in der hiesigen Kultur verankert ist und andererseits, wie sehr die Wirtschaftskraft des Profibereichs gerade in den letzten Jahren zugenommen hat. Zweiteres trägt ebenfalls dazu bei, dass immer mehr Menschen im Bereich des Profi-fußballs arbeiten. Waren es im Jahr 2010 noch 40.468 Personen, die im Lizenzfuß-ball (1. und 2. Bundesliga) beschäftigt waren, sind es im Jahr 2018 mit 56.081 über 36 Prozent mehr gewesen (vgl. DFL, 2011, S. 20; DFL, 2020, S. 23). Die Anzahl der aktiven Athleten ist dagegen gesunken. In Tabelle 1 zeigen die abgebildeten Zahlen, wie viele männliche Fußballprofis es in den Jahren 2010 (ein Jahr nach Einführung der 3. Liga als zusätzliche Profiliga) und 2019 (letzte abgeschlossene Saison) gab:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht der Vereine und Spieler im Herrenbereich des deutschen Profifußballs Eigene Darstellung: Datenquelle Transfermarkt, 2020
Obwohl die Anzahl der Vereine gleich blieb, ist die Zahl der Profis in den obersten drei Ligen um 191 zurückgegangen - ein Grund für die verkleinerten Kader konnte bislang nicht ausgemacht werden. Setzt man die Anzahl der Profis von 2019 ins Ver-hältnis zu der Gesamtheit der männlichen erwachsenen Mitglieder des DFB im sel-ben Jahr, dann ergibt sich ein prozentualer Anteil der Profis von 0,07 Prozent. Das Untersuchungsfeld kann demnach als ein Bereich beschrieben werden, der zu-vorderst charakterisiert ist durch den hohen Grad an Professionalität, eine enorme Wirtschaftskraft entwickelt (hat), von hohem öffentlichen Interesse ist und dessen Protagonisten eine verhältnismäßig kleine Gruppe von aktiven Sportlern darstellt.
2.3 Begriffsbestimmung
Auf die Einordnung des Themas folgt nun die Definition der wichtigsten Kernbegrif-fe. Im Einzelnen werden die in dieser Ausarbeitung zentralen und immer wiederkeh-renden Begriffe der psychosozialen Übergangsprobleme, die prospektive und die re-trospektive Betrachtungsweise, sowie Karriere, Karriereübergang und Karriereende beleuchtet.
2.3.1 Psychosoziale Ressourcen
Mittel, die dazu beitragen, dass Personen oder Gruppen verschiedenartige Aufgaben und Anforderungen erfolgreich bewältigen, werden als psychosoziale Ressourcen bezeichnet. Weit verbreitet ist der Begriff der psychosozialen Ressourcen beispiels-weise in der Kindheits- und Jugendforschung (Hurrelmann & Quenzel, 2016) oder auch in den Gesundheitswissenschaften und im Bereich des Gesundheitssports (Brehm et al., 2014). Im sonstigen sportwissenschaftlichen Diskurs werden psycho-soziale Ressourcen häufig mit Begriffen wie „psychische Fähigkeiten“, „soziale Be-dingungen“, „personale Voraussetzungen“ oder „Persönlichkeitsmerkmale“ ersetzt bzw. sinngemäß verwendet (vgl. Sygusch, 2007, S. 16).
Der Begriff „psychosozial“ besitzt im Alltagsgebrauch häufig einen eher negativen Bedeutungsgehalt und wird mit Adjektiven wie gestört, labil oder problemorientiert in Verbindung gebracht. Eigentlich ist „psychosozial“ aber weder ein negativer, noch ein positiver, sondern ein neutraler Begriff. Er verbindet soziale, kognitive, emotio-nale und motivationale Merkmale - jeder Mensch handelt unter ganz bestimmten psychosozialen Bedingungen. Auf der einen Seite gibt es psychosoziale Anforderun-gen, die sich aus dem alltäglichen Leben - Schule, Beruf, Sport - ergeben. Auf der anderen Seite sind bei jedem Individuum die zur Anforderung benötigten psychoso-zialen Ressourcen in gewissem Maße ausgeprägt (vgl. Willutzki, 2003, S. 63). Was genau ist nun eine Ressource? Nestmann (1996, S. 362) beschreibt Ressourcen als „letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt und/oder als hilfreich erlebt wird […]“. Solche Situationen betreffen die allgemeine Lebensführung, die Alltagsgestaltung, die Gesundheit und das Wohl- befinden, sowie Erfolge und Misserfolge in der Bewältigung von Problemen, Krisen und Anforderungen (vgl. Nestmann, 1997, S. 23). Räumliche, technische, körperli-che, finanzielle und eben auch psychosoziale Mittel beeinflussen sodann, ob und in wieweit die Situation von einer Gruppe oder einer Person bewältigt werden kann (vgl. Sygusch, 2007, S. 17). Außerdem sind Ressourcen nicht von Individuum zu In-dividuum gleich, sondern interindividuell hochgradig unterschiedlich ausgeprägt. Ob eine Ressource als vorteilhaft oder nützlich in einer bestimmten Situation empfunden wird, hängt in hohem Maße von der Funktionalität eines Merkmals ab (vgl. Willutzki & Teismann, 2013, S. 4).
Im Kontext des Leistungssports gibt es eine Vielzahl von Themenbereichen, die mit psychosozialen Aspekten in Verbindung gebracht werden. Wie oben bereits erwähnt können psychosoziale Ressourcen in vier Kategorien unterteilt werden - in emotiona-le, motivationale, kognitive und soziale Ressourcen. Unter die emotionalen Ressour-cen fallen beispielsweise Strategien zur Stressbewältigung und Emotionskontrolle sowie emotionale Stabilität. Sind diese Ressourcen schwach ausgeprägt, so kann es zu störenden Einflüssen in der Regulierung der Handlungs- und Leistungsfähigkeit kommen. Motivationale Ressourcen umfassen Leistungsmotivation und Willensstär-ke. Diese Ressourcen ermöglichen erst, dass es trotz innerer und äußerer Erschwer-nisse zu Höchstleistungen und zur Durchsetzung geplanter Verhaltensweisen kommt. Ressourcen der Kognition sind auf der einen Seite das Selbstkonzept und die Selbst-wirksamkeit, d. h. die Fähigkeit das eigene Können einzuordnen und davon über-zeugt zu sein und andererseits die Konzentration und die Aufmerksamkeit, mit deren Hilfe Kognition, Motivation und Emotionalität reguliert wird - eine Voraussetzung für sportliches Handeln. Als soziale Ressource wird im sportlichen Kontext der Gruppenzusammenhalt aufgeführt, ohne den es zu keinem produktiven Klima in ei-ner Trainings- und Wettkampfgruppe kommt - gerade bei Mannschaftssportarten (vgl. Sygusch, 2007, S. 42f.). Über die sportliche Komponente hinaus sind soziale Ressourcen aber noch in zwei weiteren Dimensionen zu betrachten - der Dimension der sozialen Netze und der Dimension der sozialen Unterstützung. Ein soziales Netz beschreibt hierbei die Strukturen und Eigenschaften von Beziehungen zwischen Per- sonen. Soziale Unterstützung ist die Funktion des sozialen Netzes, also die Vermitt-lung von Hilfe zwischen den Mitgliedern des Netzes (vgl. Bachmann, 2018, S. 4). Eine Übertragung der für den aktiven Leistungssport notwendigen psychosozialen Ressourcen auf den Zeitpunkt des Übergangs in die Nachkarriere erscheint sinnvoll, da die jeweiligen Ressourcen hier ganz besonders gefragt sind. Emotionale Ressour-cen werden benötigt, um im normativen Austrittsfall eigenständig die Entscheidung zu einem Rücktritt von der aktiven Karriere und damit verbunden, all die dadurch hervorgerufenen Veränderungen, treffen zu können. Motivationale Ressourcen braucht es, um sich für neue Herausforderungen zu motivieren und kognitive Res-sourcen benötigt ein Athlet, damit er seine Fähigkeiten hinsichtlich anstehender Auf-gaben richtig einschätzt und einsetzt. Auch soziale Ressourcen sind von erheblicher Bedeutung, da Entscheidungen unter Umständen im familiären Kreis und nach Ab-sprache getroffen werden oder weitere Schritte hinsichtlich der Nachkarriere in ge-meinsamer Arbeit mit externen Personen angegangen werden.
2.3.2 Prospektive versus retrospektive Betrachtungsweise
Das Wort „prospektiv“ stammt aus dem Spätlateinischen und bedeutet so viel wie „auf das Zukünftige gerichtet“ und „vorausschauend“ (vgl. Duden, 2020a). Die pro-spektive Betrachtungsweise soll dementsprechend die Sichtweise oder Wahrneh-mung einer Person hinsichtlich eines Ereignisses oder einer Situation widerspiegeln, die zuvor noch nicht erlebt wurde und in der Zukunft liegt. Um eine Einschätzung bezüglich eines in der Zukunft stattfindenden Ereignisses entwickeln zu können ist es notwendig, dass zur Bildung einer Meinung erlebte Erfahrungswerte und unter Umständen auch Eindrücke und Erfahrungen, die andere Personen getätigt haben, einbezogen werden. Retrospektiv ist gleichbedeutend mit „zurückschauend“ oder „rückblickend“ (vgl. Duden, 2020b). Hier haben die Personen bereits eine bestimmte Situation oder ein Ereignis erlebt und bewerten nun rückblickend das Erfahrene. Zu-sammenfassend kann gesagt werden, dass die prospektive Betrachtungsweise das Antizipieren von etwas noch nicht Erlebten ist, wohingegen das Einordnen, Bewer- ten und Verarbeiten von etwas Erlebten die retrospektive Betrachtungsweise defi-niert.
2.3.3 Karriere und Karriere übergang
Für Alfermann und Stambulova (2007, S. 715) ist eine „Karriere im Leistungssport ein Terminus für eine mehrjährige sportliche Aktivität mit dem Ziel der kontinuierli-chen Leistungsverbesserung und dem Erreichen der individuellen [Hervorhebung v. Verf.] sportlichen Höchstleistung in einer oder mehrer Sportarten“. Karrieren können sich zudem hinsichtlich Wettkampf- und Leistungsniveau unterschiedlich entwickeln und auch die Dauer von Karrieren kann stark variieren. Hochleistungs- oder Spitzen-sportkarrieren zeichnen sich weiter dadurch aus, dass der Vergleich des Leistungsni-veaus unter AthletInnen auf nationalem oder internationalem Niveau stattfindet (vgl. Alfermann, 2010, S. 174).
Das Phasenmodell der Talententwicklung wurde vom Benjamin Bloom (1985) veröf-fentlicht und gilt als grundlegend, wenn es um die Beschreibung sportlicher Karrie-reentwicklungen geht - weitere ähnliche Modelle leiteten sich aus der Forschung des US-amerikansichen Psychologieprofessors ab. Die Ergebnisse zog er aus retrospekti-ven Interviews mit Spitzenathleten, die aus unterschiedlichen Bereichen wie Kunst, Musik, Naturwissenschaften, Mathematik oder auch Sport entstammten. Gemeinsam ist all diesen Phasenmodellen, dass sie im Kern von aufeinander aufbauenden Phasen ausgehen sowie dass den Phasen jeweils Übergänge vor- bzw. nachgehen (vgl. Al-fermann, 2010, S. 175). Eine Weiterentwicklung der herkömmlichen Phasenmodelle stellen sodann die sportpsychologischen Phasenmodelle der leistungssportlichen Entwicklung dar. Sie orientieren sich weniger am Lebensalter der Athleten, auch wenn dies immer noch eine von mehreren möglichen Kriterien zur Phaseneinteilung darstellt, sondern viel mehr an der sportlichen Leistungsentwicklung. Darüber hinaus werden zusätzlich weitere Determinanten berücksichtig, die die Entwicklung im Be-reich des Leistungssports ebenfalls beeinflussen können und über die im herkömmli-chen Phasenmodell ausschließlich betrachteten Faktoren, Anlage und biologische Reifung, hinausgehen. So beispielsweise die im Zuge der individuellen Entwicklun- gen angeeigneten Selbstregulationsfähigkeiten der Athleten, die verschiedenen So-zialisationsagenten (Freunde, Eltern, Trainer), die Rahmenbedingungen des Trainings sowie institutionelle Akteure des leistungssportlichen Systems. Zu guter Letzt ver-folgen sportpsychologische Phasenmodelle einen ganzheitlichen Ansatz. Das bedeu-tet, dass der Fokus zwar auf der Untersuchung und Beschreibung der sportlichen Karriereentwicklung liegt, zusätzlich aber auch noch schulisch-berufliche, psycholo-gische und psychosoziale Lebensbereiche Berücksichtigung finden. Aus dem Wort „Phasenmodell“ lässt sich bereits ableiten, dass hier kein gradliniger Karriereverlauf abgebildet wird, sondern das Hauptaugenmerk gerade die Diskontinuität der Ent-wicklung einer Karriere ist. Betrachtet werden vor allem die zwischen den Phasen stattfindenden Übergänge, sie finden besondere Beachtung im sportpsychologischen Kontext. Übergänge innerhalb von Sportkarrieren rufen verändernde Wendepunkte hervor und entstehen aus normativen und nicht-normativen Ereignissen. Ein norma-tives Ereignis, z. B. der Übergang vom Junioren- zum Erwachsenenalter sind vorher-sehbar und daher gut zu planen. Nicht normative Übergänge sind dagegen unerwartet und plötzlich - Karrierebeendigung aufgrund einer schweren Verletzung ist ein Bei-spiel für ein solch nicht planbares Ereignis. Athleten müssen Übergängen durch qualitative und quantitative Anpassungsleistungen gerecht werden. Anforderungen im Training verändern sich, Wettkämpfe steigen mit zunehmender Karrierephase im Ni-veau und auch der Lebensstil muss an eine Sportlerkarriere entsprechend angepasst werden (vgl. Alfermann, 2010, S. 175ff.).
Die hohen Investitionen, die in eine Sportlerkarriere getätigt werden, tragen zudem nicht nur zu Leistungssteigerung bei. Je mehr Zeit und Energie ein Athlet in den Sport steckt, desto weniger zeitliche Ressourcen hat er oder sie für andere Tätigkei-ten zur Verfügung. Die sportliche Tätigkeit nimmt einen ausschließlichen Status im Leben der Athleten ein und bedingt eine erhebliche Korrelation mit der wahrgenom-menen Identität. Je höher das ausgeübte sportliche Niveau, desto stärker definieren sich die Athleten über den Sport (vgl. Brewer et al., 1993, S. 242). Neben der Be-trachtung der Anlässe und Gründe für Phasenübergänge, werden im sportpsychologi-schen Kontext auch die Determinanten und Konsequenzen zwischen Übergängen ins Auge genommen. Meistens wird der Übergang von der aktiven- in die Nachkarriere eines Athleten beleuchtet, gerade auch deshalb, weil dieser Übergang am klarsten zu definieren ist.
2.4 Theorien zum Karriereende
Im folgenden Abschnitt soll es darum gehen, welche theoretischen Hintergründe es zur Karrierebeendigung gibt. Zunächst stehen mit thanatologischen und gerontologi-schen Ansätzen die Beginne der Forschung zum Karriereende im Fokus - aufgrund von mangelnder Übertragbarkeit stehen die Theorien dieser Forschungsbereiche in Zusammenhang mit der Karrierebeendigung im sportlichen Kontext heute nicht mehr hoch im Kurs, trotzdem lieferten sie wichtige Denkanstöße. Anschließend werden die im heutigen Forschungsdiskurs verwendeten Theorieansätze der Entwicklungspsy-chologische sowie die der Transitionsmodelle erklärt.
2.4.1 Thanatologische Ans ätze
Die Beginne der Forschung zum Karriereende von Leistungssportlern waren zumeist dadurch geprägt, dass aus krisenhaften oder problematischen Blickwinkeln auf diese Thematik geschaut wurde. Aus sportpsychologischer Sicht erscheint dies auch lo-gisch. Eine professionelle psychische Betreuung wurde schließlich von denjenigen Athleten aufgesucht, die Probleme mit dem Übergang in die Nachkarriere hatten. Verständlicherweise waren deshalb thanatologische Ansätze zunächst weit verbreitet (vgl. Alfermann, 2008, S. 504).
Ursprünglich ist die Thanatologie die Wissenschaft von Sterben und Tod. Interessant sind in in diesem Zusammenhang vor allem die Situationen von sterbenden und tod-kranken Personen. Übertragen auf die Sportpsychologie hat der thanatologische An-satz dagegen nichts mit dem physischen Tod, sondern vielmehr mit dem sozialen Tod zu tun. Das Karriereende birgt für Athleten aus dem Spitzensport extreme Verände-rungen. Die Rolle als aktiver Sportler geht verloren, die jahrelangen und gewohnten Funktionen fallen weg, soziale Belohnungen und Vorzüge werden plötzlich weniger -die vorher über einen langen Zeitraum geschaffene Sportleridentität scheint plötzlich vor dem Abgrund zu stehen. In diesem Fall wird das Karriereende einzig und allein als etwas Negatives erlebt - die Chance, dass hieraus auch ein Neuanfang entstehen könnte, wird ausgeblendet (vgl. Wippert, 2002, S. 69).
Besonders Phasenmodelle haben sich in der Thanatologie durchsetzen können - das bekannteste ist das von Kübler-Ross (1969). In diesem Modell wird die Bewältigung einer schweren Krankheit und das immer näher Rücken des Todes in Phasen einge-teilt - die Phasen stellen einen Teil des Bewältigungsprozesses dar. Es wird von fünf zu bewältigenden Phasen ausgegangen, die ebenfalls auf das Beenden einer Sportler-karriere projiziert werden können. Im Unterschied zu Personen die unheilbar er-krankt sind, steht dem sportlichen Karriereende im Normalfall allerdings eine Fort-setzung bevor. Sieht man von diesem wichtigen Unterschied ab, so stehen insgesamt fünf zu bewältigende Phasen im Raum. Sie stehen besonders oft dann an, wenn Ath-leten die Karriere unerwartet beenden müssen, können in ihrer Reihenfolge aber durchaus variieren und sich teilweise auch vermischen. Zu Beginn geht es fast immer um das Leugnen und Verdrängen - die Sportler sind in einer Art Schock und wollen das Ende nicht akzeptieren - sie fangen unter Umständen sogar an noch härter zu trainieren. Ist das Karriereende scheinbar unausweichlich, so kann es zu emotionalen Reaktionen wie Wut, Ärger, Auflehnung oder Zorn kommen, die von Versuchen des Verhandelns gefolgt werden. Mit allen Mitteln wird versucht, doch noch ein Weg zu finden, um im aktiven Sport zu verbleiben. Trägt dieses letzte Aufbäumen keine Früchte, dann können Niedergeschlagenheit und Depression resultieren - abhängig ist dies auch immer vom Ausmaß der Unterstützung des sozialen Umfelds des Athel-ten. Die letzte Phase ist dann die der Akzeptanz. Schwachpunkte des Modells sind, dass es keine Erklärung beinhaltet, ob überhaupt ein Bewältigungsprozess stattfindet und weshalb es so große Unterschiede im Verlauf gibt. Auf die Athleten, die die Kar-riere aus normativen Gründen verlassen, ist das Modell zudem nur sehr schwer an-zuwenden (vgl. Alfermann, 2008, S. 504ff.).
2.4.2 Gerontologische Ans ätze
Konträr zu den thanatologischen Ansätzen sehen gerontologische Ansätze (Alterns-theorien) das Karriereende nicht als krisenhaften Lebenseinschnitt bis hin zum sozia- len Tod, sondern als normale Entwicklungsaufgabe, die das Leben mit sich bringt. Das sportliche Karriereende wird demnach mit der Pensionierung in einem „norma-len“ Job gleichgesetzt, was die Übertragung des Modellgrundgedankens auf das Kar-riereende eines Leistungssportlers gleichzeitig sehr fragwürdig erscheinen lässt. Sich in der Nachkarriere befindende Sportler sind zumeist noch verhältnismäßig jung und haben die berufliche Laufbahn erst noch vor sich - sie befinden sich in einem gänz-lich anderen Lebensabschnitt als Menschen, die nach jahrzehntelanger Tätigkeit aus dem Berufsleben ausscheiden. Des Weiteren ist zu erwähnen, dass mit Alternstheori-en ausschließlich Situationen des normativen Karriereaustritts erfasst werden und Drop-outs in diesem Ansatz somit keinerlei Beachtung finden. Die im Folgenden an-gerissenen gerontologischen Theorien beschäftigen sich allesamt damit, wie Men-schen den Übergang in die Rente bewältigen, um möglichst „erfolgreich“ zu altern. Was hier „erfolgreich“ genau bedeutet, kann nicht erklärt werden, da die Definition von erfolgreich eine hochgradig subjektive Wahrnehmung ist und von individuellen Lebensumständen und Vergleichsmaßstäben abhängig ist (vgl. Alfermann, 2008, S. 506).
Mit der Disengagement-Theorie, der Aktivitätstheorie und der Kontinuitätstheorie sollen nun kurz und knapp drei gerontologische Ansätze vorgestellt werden. Die Dis-engagement-Theorie geht davon aus, dass die höchste Zufriedenheit dann entsteht, wenn das gegenseitige Engagement von Sportsystem und Athlet sowie von Athlet und Gesellschaft drastisch zurückgefahren wird. Es sollte also möglichst wenig Be-rührungspunkte zwischen der alten Tätigkeit und dem neuen Leben geben. In Anbe-tracht dessen, dass viele SportlerInnen im Anschluss an die aktive Karriere weiterhin ehrenamtlich oder hauptberuflich im Sportsystem tätig sind und sich eben nicht voll-ständig zurückziehen, ist es nicht verwunderlich, dass dieser Ansatz wenig zum Er-kenntnisgewinn hinsichtlich der Bewältigung des sportlichen Karriereendes beitra-gen kann (vgl. Alfermann, 2008, S. 507).
Die Aktivitätstheorie geht dagegen davon aus, dass Individuen danach streben, ein möglichst gleichmäßiges Aktivitätsniveau während der gesamten Lebensspanne auf-rechtzuerhalten. Hohe Aktivität und die Aufrechterhaltung der Gesamtaktivität, so die Grundaussage, wirken sich positiv auf die Lebenszufriedenheit aus (vgl. Laval- lee, 2000, S. 2f.). Die Aktivitätstheorie ist realitätsnäher als die Disengagement-Theorie, da sie eine bessere Prognose hinsichtlich des Verhaltens nach dem Karriere-ende liefern kann.
Laut der Kontinuitätstheorie kann der Anpassungsprozess erfolgreich sein, wenn die einstigen Rollen, die durch die Beendigung der Karriere verloren gegangen sind, durch neue ersetzt werden. Zudem würden Athleten den Karriereübergang umso bes-ser verkraften, je weniger sie mit der Athletenrolle identifiziert gewesen sind. Eine konstante soziale Umgebung sowie ein breites Repertoire an verschiedenen Rollen tragen diesem Ansatz nach ebenfalls zu einem möglichst problemlosen Übergang bei. Die Kontinuitätstheorie kann ebenfalls einen Erklärungsansatz dafür liefern, weshalb einige Profisportler lange Zeiträume zur Beendigung der aktiven Karriere benötigen -Kontinuität wird als angenehm wahrgenommen und deshalb fällt der Schritt hin zum Karriereende schwer (vgl. Alfermann, 2008, S. 507). Passenderweise fanden Brewer et al. (1993) in einer Untersuchung heraus, dass sich Athleten, die sich in hohem Maße über ihre Sportleridentität definieren, keine weiteren außersportlichen Rollen zur Verfügung haben und auch ihren Freundeskreis zu weiten Teilen aus dem Bereich des Sports beziehen, hohe Anpassungsprobleme beim Übergang in die Nachkarriere haben (vgl. Brewer et al., 1993, S. 248).
Allgemein sind die Pensionierung aus Altersgründen und die Beendigung einer pro-fessionellen Sportlerkarriere nur schwer miteinander zu vergleichen. Zwar bedeuten beide Situationen einen Rollenverlust für die betroffenen Personen, doch gerade die Tatsache, dass Athleten meist noch verhältnismäßig jung sind und nach der sportli-chen Karriere vor dem Aufbau einer beruflichen Karriere stehen, kommt eher einer Erweiterung der Rollenidentität gleich, die bei der „normalen“ Pensionierung bereits erreicht ist. Gerontologische Ansätze können daher lediglich Gedanken und Anre-gungen zur Erklärung des sportlichen Karriereendes liefern, der Komplexität und Vielseitigkeit des Prozesses aber aus sich heraus nicht gerecht werden (vgl. Alfer-mann, 2008, S. 508).
2.4.3 Transitionsmodelle
Wie bereits einführend erläutert, wird der Übergang von der aktiven Karriere in den Lebensabschnitt danach in der Fachliteratur als Transition bezeichnet. Schlossberg beschreibt Transition als „an event or non-event which results in a change in assumptions about oneself and the world thus requires a corresponding change in one´s behavior and relationships"5 (Schlossberg, 1981, S. 5). Im Gegensatz zu thanatologi-schen und gerontologischen Modellen, die den Übergang in die Nachkarriere als einmaliges Ereignis ansehen, betrachten ihn Transitionsmodelle als Prozess. Dieser Prozess wird, ähnlich wie in vorherig erwähnten Phasenmodellen, in fünf verschie-dene Phasen untergliedert, die durch Übergänge gekennzeichnet sind - das Karriere-ende stellt den letzten Phasenübergang dar (vgl. Lavallee, 2000, S. 10). Die Über-gänge können dabei sanft und somit ohne problematische Nebeneffekte verlaufen, oder aber aufgrund von als kritisch wahrgenommenen Begleiteffekten eine sportpsy-chologische Beratung oder Betreuung erfordern. Am häufigsten berufen sich Transi-tionsmodelle auf das Modell menschlicher Anpassung, welches von Nancy Schloss-berg (1981) entwickelt wurde. Schlossbergs Intention war es, einen allgemeinen An-satz für verschiedenste Situationen des Übergangs im Leben eines Individuums zu schaffen. Ein direkter Bezug zur Sportkarriere besteht von vornherein nicht - dies sollte im Kontext dieser Arbeit und bei der Betrachtung des Modells stets im Hinter-kopf behalten werden. Demnach gibt es auffallende und weniger auffallende Ereig-nisse, die zu einem Übergang und entsprechenden Anpassungsleistungen führen können. Ereignisse, die man klar als Auslöser solcher Anpassung benennen kann, sind beispielsweise kritische Lebensereignisse (z. B. eine schwerwiegende Verlet-zung), Entwicklungsaufgaben (z. B. Schulabschluss oder Abschluss der Berufsaus-bildung) oder auch Statuspassagen, wie eben das Karriereende. Eher unterschwellig wahrnehmbare Ereignisse sind zum Beispiel das Altern oder auch das Ausbleiben eines solchen Ereignisses (z. B. die Aufgabe eines Ziels wie den Gewinn eines Titels). Grundlegend geht es also um durch Ereignisse ausgelöste Veränderungen, die einer Anpassung bedürfen - die Güte dreier Faktoren, die einzeln oder auch interaktiv wirksam werden, beeinflussen den Anpassungserfolg maßgeblich: Die Wahrneh-mung des Übergangs (z. B. plötzliches oder geplantes Karriereende), Charakteristika der Umgebung vor und nach dem Übergang (z. B. interne und institutionelle Unter-stützungssysteme) und Charakteristika des Individuums (z. B. psychosoziale Kompe-tenz oder Wertorientierung). Ausschlaggebend für den Erfolg der Anpassung ist also, in welcher Form der Übergang wahrgenommen wird und welche externen und inter-nen Ressourcen bei der Bewältigung zur Verfügung stehen (vgl. Alfermann, 2008, S. 510).
Taylor und Ogilvie (1994, 1998) haben ihr Modell der Anpassung an das Karriereen-de an das von Schlossberg angelehnt, jedoch drei Determinanten spezifiziert, die sich auf das Sportsystem beziehen und daher geeignet sind, um Ableitungen hinsichtlich des Übergangs in den Abschnitt nach der aktiven Sportlerkarriere vorzunehmen. Zu-nächst steht die Ursache des Karriereendes im Mittelpunkt, sprich ob die Laufbahn aus freien Stücken, oder zum Beispiel aus Gründen des Alters, einer Abwahl oder einer Verletzung beendet wurde. Weitere Determinanten sind die Faktoren, die mit der Anpassung zusammenhängen (z.B. Ausprägung der Athletenidentität) sowie die Ressourcen (z.B. soziale Unterstützung, Bewältigungsstrategien), die für die Anpas-sung zur Verfügung stehen und ausschlaggebend für die Qualität des Übergangs sind. Es kommt sodann zu einem gesunden oder einem krisenhaften Karriereübergang (vgl. Ogilvie & Taylor, 1994, zitiert nach Alfermann, 2008, S. 512).
2.4.4 Entwicklungspsychologische Ans ätze
Entwicklungspsychologische Modelle sind eine weitere Möglichkeit, Karrieren und ihre Beendigung zu betrachten - auch hier wird eine Sportkarriere in mehrere Phasen eingeteilt, Übergänge liegen dazwischen und verbinden die Phasen. Vor allem das erstmals von Robert J. Havighurst in die Psychologie eingeführte Konzept der Ent-wicklungsaufgaben wird in diesem Zusammenhang zur Interpretation von Karriere-enden herangezogen. In seinem Modell gibt es sechs grundlegende Altersgruppen, für die er jeweils bestimmte Bewältigungsaufgaben entwarf: Frühe Kindheit (0-6 Jahre), mittlere Kindheit (6-13 Jahre), Adoleszenz (13-18 Jahre), frühes Erwachse- nenalter (18-30 Jahre), mittleres Erwachsenenalter (30-60 Jahre) und spätes Erwach-senenalter (nach dem 60. Lebensjahr). Die in die Kategorien passenden Aufgaben (z. B. Erlernen der Grundfähigkeiten, Partnerwahl, Aufrechterhaltung des Lebensstan-dards, Anpassung an schlechtere Gesundheit, etc.) sind allerdings nicht tatsachenba-siert, sondern werden aufgrund von psychologischen Veränderungen (z. B. Pubertät) beeinflusst, auf Basis von sozialen und kulturellen Vorgaben definiert und schluss-endlich durch die eigenen Vorstellungen der Personen interpretiert (Havighurst, hier zitiert nach K. Hurrelmann u.a. 1985, S. 12). Havighurst (1948) definiert eine Ent-wicklungsaufgabe wie folgt:
„A developmental task is a task, which arises at or about a certain period in the life of the individual, successful achievement of which leads to his happiness and to success with later tasks, while failure leads to unhappiness in the individual, disapproval by society, and difficulty with later tasks6 “.
Entwicklung ist demnach eine Abfolge von Auseinandersetzungen mit zu meistern-den Entwicklungsaufgaben. Ein Zusammenspiel aus äußeren Anforderungen (z. B. Abschluss einer Berufsausbildung), biologischen bzw. physischen Voraussetzungen (z. B. nachlassende Leistungsfähigkeit) sowie individuellen psychischen Gegeben-heiten (z. B. Bedeutsamkeit und Identifikation mit der Sportlerrolle) führen schließ-lich zu diesen unumgänglichen Entwicklungsaufgaben. Sieht der Transitionsansatz in dieser Aufgabe noch eine eher kritische und mit Problemen behaftete Situation, bettet der entwicklungspsychologische Ansatz die zu irgendeinem Zeitpunkt für jeden Menschen anstehenden Entwicklungsaufgaben in den „normalen“ Lebenslauf mit ein und sieht sie als Aufgaben, die es zu lösen gilt (vgl. Alfermann, 2008, S. 513).
2.5 Transitionsprobleme im Kontext des Profifu ßballs
Es kommt selten vor, dass sich Akteure aus dem Fußballsystem öffentlich zu beste-henden Problemen ihrer Umgebung äußern und wenn sie dies tun, dann meist erst nach Beendigung der aktiven Laufbahn. Das in der Einleitung (Kapitel 1) erwähnte Interview mit dem Ex-Profi Micah Richards thematisiert gleich mehrere Probleme, die sich auf das Karriereende beziehen. Er spricht offen an, dass man als Profi von niemandem auf die Zeit nach der Karriere vorbereitet werde. Außerdem bezieht er sich auf die gesellschaftliche Stellung erfolgreicher Profis, die seiner Meinung nach bestimmte Erwartungshaltungen hervorruft und die Beziehungen zu Freunden und Familie - vor allem in kritischen Situationen - aus Sicht der Profis schwierig gestal-tet:
„When you are a successful footballer, you get put on a pedestal. Your are the person your friends and family look up to, and they do not know how to approach you when you just need someone to reach out to you and ask you if you are all right. The perception is you are a man, you are an athlete, and you are extremely well paid. You are supposed to be doing great“7 (vgl. Bevan, 2019).
Auch Ex-Profi Philipp Wollscheid, der während seiner aktiven Karriere Bundesliga-spieler und deutscher Nationalspieler war, äußert im Nachgang seiner Laufbahnbe-endigung problematische Facetten des Fußballsystems. Das ständige Unterwegssein, die Trainingslager und die Entfernung von Partner, Familie und Freunden hätten ihm zu schaffen gemacht, außerdem sei das Geschäft im Allgemeinen einfach falsch: „An einem Tag wird man von allen in den Himmel gelobt, am nächsten ist man dann nicht mehr gut genug“ (vgl. Schmidt, 2019). Einer der wenigen aktiven Profis, der über seine Person betreffende psychische Probleme spricht, ist der Schweizer Timm Klose vom englischen Erstligaverein Norwich City FC. In einem YouTube-Video sagt er, dass er in kritischen Situationen in seiner Vergangenheit weder mit seiner Frau, noch mit seiner Familie über seiner Probleme sprechen konnte, weil er Angst hatte vor ihnen als schwach dazustehen und verurteilt zu werden (vgl. Norwich City Football Club, 2019, 15:56 - 16.09).
Neben den Stimmen von beteiligten Akteuren kann vor allem die Darstellung der Li-teraturrecherche (Kapitel 2.6.2) vertiefende Einblicke zu möglichen kritischen Situa-tionen und problemerzeugenden Bereichen geben. Über die Studien hinweg geht es zusammengefasst immer wieder um Themen wie nicht vorhandene oder mangelnde Planung des Karriereendes, nicht vorhandene oder mangelnde Unterstützung bei der Planung und Umsetzung des Karriereendes, vielschichtige negative Emotionen und psychische Probleme, Problembewältigung durch schädigende Maßnahmen, Verlust(ängste) hinsichtlich des sozialen Status sowie die Unklarheit der nachkarrier-lichen (beruflichen) Tätigkeiten - vor allem die meist stark ausgeprägte Sportleriden-tität wird häufig mit den Problemen in Verbindung gebracht.
2.6 Aktueller Forschungsstand
In diesem Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zur Thematik psychosozialer Übergangsprobleme von Profifußballspielern in die Nachkarriere näher beschrieben. Zunächst ist die Vorgehensweise der systematischen Literaturrecherche Gegenstand der Aufmerksamkeit - hier wird genau beschrieben und auch bildlich dargestellt, mit welchen Stichworten und in welchen Datenbanken nach passender Literatur gesucht wurde. Anschließend erläutert der Autor den Aufbau der Literaturübersicht und geht auf die gefundenen Ergebnisse und deren jeweilige Relevanz ein.
2.6.1 Die systematische Literaturrecherche
Ziel der systematischen Literaturrecherche ist es einen umfassenden Überblick hin-sichtlich der für diese Ausarbeitung relevanten deutschen und englischen Literatur zu geben. Hierzu wurden die Online-Datenbanken „BISP-SURF: Sport und Recherche im Fokus“, „SPORTDiscus“, „psycArticles“, „psycINFO“ und „Google Scholar“ auf eine Reihe von Stichworten durchsucht.
„BISP-SURF“ wird vom Bundesinstitut für Sportwissenschaften bereitgestellt und löste im Jahr 2016 die alten Portale BISp-Datenbanken und SPORTIF ab. Zusätzlich werden unter der Rechercheoberfläche der SURF-Plattform die Datenbanken „SPO-LIT“, „SPOFOR“, „SPOMEDIA“ sowie der „Fachinformationsführer Sport/FIF“ kostenlos zur Nutzung angeboten (vgl. Bundesinstitut für Sportwissenschaften, 2019).
Während der ersten groben Literatursichtung wurde vom Autor bereits festgestellt, dass es hinsichtlich der hier behandelten Thematik äußerst wenig relevante For-schungen in deutscher Sprache gibt. Zudem werden im Titel der Arbeit mit „Profi-fußball“, „psychosozialen Übergangsprobelemen“ und „Nachkarriere“ gleich drei Bereiche genannt, die allesamt komplex sind und eine Suche mit mehreren Schlag-worten erfordern. Folgende deutsche und englische Schlüsselbegriffe wurden ver-wendet: Nachkarriere, Karriereübergang, Übergangsprobleme, Transition, Fußball, psychosozial, Sport, Career, Termination, Problems, Transitional, Retirement, Football, Soccer, psychosocial. Um auch Literatur zu erfassen, bei der die relevanten In-formationen nicht in den Schlagworten hinterlegt waren, wurde die Suche mit der Option „Alle Felder“ ausgeführt. Folgend wird nun eine Übersicht der Suchkombina-tionen gegeben, die auch Ergebnisse mit sich gebracht haben. Der zu erst verwendete Suchterm war [Nachkarriere*] UND [+Sport] und führte zu zwei Ergebnissen. Als zweites wurden mit der Wortkombination [Karriereübergang*] UND [+Sport] 15 Er-gebnisse gefunden. Durch die Eingabe der Worte [Transition*] UND [+Psychosozial] wurde ein weiteres Ergebnis gefunden und die Kombinationen [Transition*] UND [+Problem] sowie [Transition*] UND [+Fußball] führten zu jeweils zwei Resultaten, [Retirement*] UND [+Soccer] zu drei. Um wie zuvor erwähnt auch etwaige relevan-te Forschungen auf englischer Sprache erfassen zu können und der Komplexität des behandelten Themas Sorge zu tragen, wurde unter anderem mit drei Suchfeldern und zusätzlich mit englischen Suchbegriffen gearbeitet. Die Kombination [Career*] UND [+Transition] UND [+Fußball] brachte einen Treffer, [Career*] UND [+Transition] UND [+Football] drei an der Zahl und [Retirement*] UND [+Transition] UND [+Sport] führte zu zehn passende Forschungen. Insgesamt wurden so 39 Literatur-quellen auf der Platform „BISP-SURF“ entdeckt.
Die zweite verwendete Datenbank, SPORTDiscus, ist in das Recherchesystem „EB-SCO“ bzw. „EBSCOhost“ eingebettet und umfasst insgesamt 24 Unter-Datenbanken, darunter auch die für die Recherche zu dem hier behandelten Thema relevante Such-systeme, wie „PsycARTICLES“, „PsycINFO“ und „SPORTDiscus with Full Text“. SPORTDiscus wertet in erster Linie angloamerikanische Zeitschriften und Monogra-phien aus, weshalb auch ausschließlich englischsprachige Ergebnisse gefunden wur-den (vgl. EBSCO, 2019). Bei „SPORTDiscus with full text“ ergab die Suche mit den Schlagworten [Retirement*] UND [+Transition] UND [+Football] ODER [+Soccer] vier Treffer und [Retirement*] UND [+Career] UND [+Football] ODER [+Soccer] lieferte sieben Ergebnisse. Ebenfalls zu sieben Treffern führte die Suche nach der Wortkombination von [Transition*] UND [+Career] UND [+Football] ODER [+Soc-cer] - es wurden demnach 18 relevante Forschungsarbeiten identifiziert. Die Platt-form „PsycARTICLES“ ergab mit den Wortkombinationen [Transition*] UND [+Re-tirement] UND [+Sport] (drei Treffer), [Psychosocial*] UND [+Problems] UND [+Transition] (ein Treffer), [Transition*] UND [+Sports] (drei Treffer), [Psychosoci-al*] UND [+Issues] UND [+Transition] (ein Treffer) und [Psychosocial*] UND [+Is-sues] UND [+Retirement] (ein Treffer) insgesamt 9 zu beachtende Ausarbeitungen. Die Plattform „PsycINFO“ ergab 24 Treffer, die sich aus folgenden Suchen ergaben: [Psychosocial*] UND [+Issues] UND [+Retirement] (fünf Treffer), [Psychosocial*] UND [+Transition] UND [+Sports] (sieben Treffer), [Retirement*] UND [+Transiti-on] UND [+Football] ODER [+Soccer] (zwei Treffer), [+Transition] UND [+Foot-ball] ODER [+Soccer] (fünf Treffer) und [+Retirement] UND [+Football] ODER [+Soccer] (fünf Treffer).
Zusätzlich wurde noch die wissenschaftliche Suchmaschine, betrieben durch das US-amerikanische Technologieunternehmen Google LLC, „Google Scholar“ genutzt. Die Eingabe der Suchwortkombinationen [Retirement*] UND [+Transition] UND [+Football] UND [+Soccer] brachte acht Werke zum Vorschein, [Retirement*] UND [+Transition] UND [+Soccer] zwölf Treffer, also noch einmal 22 Ergebnisse. Insge-samt wurden durch die Suche 111 relevanten Ergebnissen gefunden. Diese Vorauswahl wurde anschließend anhand verschiedener Auswahlkriterien gefil-tert. Da sich das Forschungsinteresse in der Vorliegenden Abhandlung auf die Grup-pe der professionellen Fußballspieler bezieht, wurden die Abhandlungen, die sich mit anderen Sportarten - häufig olympische Disziplinen - beschäftigen, aussortiert. Des Weiteren wurden fast ausschließlich die Arbeiten berücksichtigt (wenige Ausnah-men), die in deutscher oder englischer Sprache verfasst wurden. Weiter wurden die Arbeiten, die sich im Kern um physische Komponenten, wie dem Drop-Out durch Verletzungen oder der Gesundheitsprävention beschäftigen, aussortiert. Die ur-sprüngliche Anzahl von 111 gefundenen Arbeiten wurde so nach Sichtung der Titel auf Relevanz auf 54 reduziert. Nach dem Lesen der Abstracts reduzierte sich diese Zahl weiter auf 25 Studien. Im Anschluss wurden die Volltexte studiert, woraufhin sich die Anzahl der relevanten Studien weiter verringerte. Schlussendlich kristalli-sierten sich so 17 Werke heraus, die als relevant für den Kontext dieser Arbeit einge-stuft wurden. Der Such- und Auswahlvorgang ist zur besseren Übersicht als Flowchart in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Flowchart des Such- und Auswahlvorgangs der systematischen Literaturrecherche Quelle: Nach Kuritz, Dinkelacker & Mess, 2016, S. 165
[...]
1 Übersetzung: „Ich bin eine sehr positive Person, aber man lernt nicht, wie man mit dem Ende seiner Karriere um-geht. Niemals.“
2 Micah Richards spielte auf dem höchstmöglichen Level Fußball. Er war für große Vereine wie Manchester City, den AC Florenz und Aston Villa unter Vertrag und absolvierte auf Vereinsebene fast 300 Spiele - auch in der engli-schen Nationalmannschaft kam er 13 Mal zum Einsatz. Im Alter von 31 Jahren musste er seine Karriere verlet-zungsbedingt beenden.
3 Ausgenommen ist hier die VDV-Bildungstendenzstudie (VDV, 2018) mit aktiven Profis, in der Einstellungen zur Nachkarriere aber nicht in umfassenden Maße abgefragt wurden. In der quantitativen Studie wurde - soweit öffent-lich - nur eine Frage hinsichtlich der nachkarrierlichen Berufsvorstellung gestellt. Außerdem befassten sich die Stu-dien von Maseko, & Surujlal, 2011; Wood, Harrison & Kucharska, 2017 und Lim, Bowden-Jones, Salinas, Price, Goodwin, Geddes & Rogers, 2017 mit aktiven Profis. Duque-Ingunza & Dosil 2017 arbeiteten als einzige mit aktiven und Ex-Profis.
4 Hiermit sind vor allem die zweiten Mannschaften der Profivereine gemeint. In der Regionalliga Nord sind mit dem VfL Wolfsburg II, dem Hamburger SV II, Hannover 96 II, dem FC St. Pauli II, Holstein Kiel II und Werder Bremen II in der Saison 2019/2020 sechs U23-Mannschaften von Erst- oder Zweitligisten vertreten - ähnliches gilt für die an-deren Regionalligen (vgl. Kicker, 2020). Diese Mannschaften agieren unter vollprofessionellen Bedingungen und verfolgen das Ziel junge Talente auf höchstmöglichen Niveau an den Profifußball heranzuführen, wobei die Spieler allerdings nicht automatisch mit einem Profivertrag ausgestattet sind (vgl. Meise, 2019).
5 Übersetzung: Schlossberg beschreibt Transition als „ein Ereignis oder Ausbleiben eines Ereignisses, das zu einer Änderung der Annahmen über sich selbst oder der Welt führt und damit eine entsprechende Änderung des eigenen Verhaltens und der geführten Beziehungen erfordert.
6 Übersetzung: „Eine Entwicklungsaufgabe ist eine Aufgabe, die in oder um eine bestimmte Periode im Leben des Individuums entsteht, deren erfolgreiche Erfüllung zu seinem/ihrem Glück und Erfolg bei späteren Aufgaben führt, während Misserfolg zu Unglück, Missbilligung durch die Gesellschaft und Schwierigkeiten bei späteren Aufgaben führt.“
7 Übersetzung: „Wenn du ein erfolgreicher Fußballspieler bist, dann dann stehst du wie auf einem Podest. Du bist einer Person, zu der deine Freunde und deine Familie aufschauen, allerdings wissen sie nicht, wie sie mit dir um-gehen sollen, wenn du jemanden brauchst, der dir eine Hand ausstreckt und dich fragt, ob es dir gut geht. Die Auf-fassung ist: Du bist ein Mann, du bist ein Athlet und du wirst extrem gut bezahlt. Dir muss es großartig gehen.“
- Quote paper
- Florian Elias Zerrath (Author), 2020, Profifußballspieler und das Karriereende. Psychosoziale Übergangsprobleme bei der Nachkarriere von Profifußballspielern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/594525
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