Die Arbeit geht der Frage nach, ob und wie ein intergenerativer Wissens- und Erfahrungstransfer innerhalb der Betriebsratsgremien vonstattengeht, damit der Übergabeprozess der älteren an die jüngere Generation gelingt. Dazu sollen auch Probleme und Hemmnisse herausgearbeitet werden, die diesen Prozess möglicherweise erschweren oder gar verhindern. Die Ergebnisse sollen den Anspruch erheben, auf neue Aspekte zur Optimierung künftiger Betriebsratsarbeit hinzuweisen und diese möglicherweise in entsprechende interne oder externe Bildungsmaßnahmen einzubinden.
Unsere Gesellschaft altert. Der demografische Wandel und das damit einhergehende Altern der Bevölkerung wirkt sich dabei spürbar auf den Arbeitsmarkt und speziell auf die Strukturen der Betriebe aus, deren Stellen zu großen Teilen mit Arbeitnehmern älterer Kohorten besetzt sind, was wiederum bedeutet, dass vielen Branchen in naher Zukunft ein Generationenwechsel bevorsteht, dessen Nachwuchs zudem nicht gesichert ist. Auch der Bereich der Betriebsratsarbeit scheint da-von betroffen: Statistisch gesehen sind über die Hälfte der Betriebsräte in Deutschland zwischen 46 und 59 Jahre alt und lediglich 8,5% sind jünger als 30 Jahre. Um langfristig die Qualität der Betriebsratsarbeit zu sichern, bedarf es daher eines ausgeprägten Wissens- und Erfahrungstransfers.
Inhaltsverzeichnis
I. Danksagung
II. Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Die Bedeutung des Demografischen Wandels für die Gesellschaft – Diagnosen und Maßnah-men
2.1 Grundlagen und Zukunftstendenzen
2.2 Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung
3 Betriebsräte
3.1 Die Rolle des Betriebsrats für Unternehmen und Belegschaft
3.2 Die Beziehungen des Betriebsrats
3.2.1 Das Verhältnis Betriebsrat-Management
3.2.2 Betriebsrat und Belegschaft
3.2.3 Betriebsräte und Gewerkschaften
4 Wissens- und Erfahrungstransfer
4.1 Der Prozess des Wissenstransfers
4.2 Wissenstransfer im Betriebsrat
4.3 Intergenerative Zusammenarbeit –Vorteile und Nutzen für Unternehmen und Beleg-schaft
4.3.1 Altersgemischte Teams
4.3.2 Mentoring
5 Empirische Untersuchung
5.1 Erhebungs- und Auswahlverfahren der Daten
5.1.1 Experteninterviews mit Gewerkschaftssekretären
5.1.2 Offene Leitfadeninterviews mit Betriebsräten
5.2 Qualitative Inhaltsanalyse als Methode zur Auswertung und Analyse der Forschungs-ergebnisse
5.3 Auswertung der erhobenen Daten
6 Fazit und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
I. Danksagung
Zunächst möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während des Schreibprozesses dieser Arbeit sowohl fachlich als auch emotional unterstützt haben.
Insbesondere danke ich meinen Betreuern, Herrn PD Dr. habil. Stefan Schmalz sowie Herrn Dipl. Soz. Ingo Singe, die mir bei allen Fragen und Anliegen stets zur Verfügung gestanden und mir auch in V orbereitung auf diese Arbeit viele Ratschläge und Hinweise gegeben haben. Auch „Arbeit und Leben Thüringen“ sei an dieser Stelle für die gemeinsame Kooperation gedankt, durch die ich die Möglichkeit hatte, mit vielen Betriebsräten zu sprechen und so konkrete Einblicke in die Hand-lungsfelder und Probleme der Betriebsratsarbeit zu bekommen.
Ebenso möchte ich mich bei meinem Freunden bedanken, die mich bei Schreibblockaden und Moti-vationstiefs emotional unterstützt und so manche Launen ertragen haben. Danken möchte ich auch Stefanie Rauch, Linda Achtermann und Janett Bredlow, die diese Arbeit Korrektur gelesen und auf sprachliche wie fachliche Verbesserungen hingewiesen haben. Nicht zuletzt und ganz besonders möchte ich meinen Eltern danken, da sie mich das gesamte Studium über sowohl finanziell als auch emotional unterstützt, sich bei Erfolgen mit mir gefreut und mich in schwachen Momenten stets motiviert und aufgebaut haben.
II. Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Generationenproblem in Thüringer Betriebsräten. Dabei wird der Frage nachgegangen, in wie weit dieses in den untersuchten Betriebsratsgremien er-kannt und thematisiert wird. Zudem wird herausgearbeitet, ob in den Betriebsräten innerbetriebli-cher Wissens- und Erfahrungstransfer stattfindet und wie dieser konkret vonstattengeht. Ziel ist es, anhand von Experteninterviews mit Gewerkschaftssekretären, die als Vorannahmen die-nen sollen, sowie durch Leitfadeninterviews mit Betriebsräten mögliche Handlungsempfehlungen abzuleiten, die gegebenenfalls in künftige Bildungsangebote für Betriebsräte mit einfließen können. Dabei werden im Untersuchungssample Betriebsräte interviewt, die größtenteils durch die IG Me-tall sowie der NGG organisiert sind. Die Gewerkschaften Verdi sowie die IG BCE sind jeweils nur einmal vertreten.
Die Ergebnisse der Ausarbeitungen zeigen, dass innerbetrieblicher Wissens- und Erfahrungstransfer ohne gezielte Planung oder gar Systematik stattfindet. Intergenerative Zusammenarbeit und speziell altersgemischte Teams stellen sich dabei als gängige und durchaus funktionierende Praxis heraus, die generationsübergreifend als Bereicherung empfunden wird und die Arbeit damit innovativ und zukunftsorientiert gestaltet. Als strukturelle Barriere können befristete Arbeitsverträge diagnostiziert werden, die sich hemmend auf eine mögliche Kandidatur auswirken. Hinzu kommt die Unbekannt-heit in größeren Unternehmen, die es weniger bekannten Kandidaten schwer machen, trotz Engagement ins Gremium gewählt zu werden.
1 Einleitung
Unsere Gesellschaft altert. Der demografische Wandel und das damit einhergehende Altern der Bevölkerung wirkt sich dabei spürbar auf den Arbeitsmarkt und speziell auf die Strukturen der Betriebe aus, deren Stellen zu großen Teilen mit Arbeitnehmern älterer Kohorten besetzt sind, was wiederum bedeutet, dass vielen Branchen in naher Zukunft ein Generationenwech-sel bevorsteht.
Auch der Bereich der Betriebsratsarbeit scheint davon betroffen: Statistisch gesehen sind über die Hälfte der Betriebsräte in Deutschland zwischen 46 und 59 Jahre alt und lediglich 8,5% sind jünger als 30 Jahre (Vgl. Stettes 2015: 13). Um langfristig die Qualität der Betriebsratsarbeit zu sichern, bedarf es daher eines ausgeprägten Wissens- und Erfahrungstransfers: Die Zahl der Erwerbspersonen wird in den kommenden Jahren merklich zurückgehen, da eine große Kohorte älterer Arbeitnehmer das Renteneintrittsalter erreicht haben wird. Aus diesem Grund muss frühzeitig damit begonnen werden, sowohl das erforderliche „Know how“ als auch die betrieblichen Erfahrungen der Älteren aktiv an die jüngeren Generationen weiterzugeben.1 2 3
Speziell der Aspekt des Wissenstransfers hat in den letzten Jahren an Bedeutung hinzugewonnen, was mitunter dadurch zu erklären ist, dass sich der Aufgabenbereich der betrieblichen Interessenregulierung in den letzten Jahren und Jahrzehnten merklich gewandelt bzw. erweitert hat (Vgl. Wilkesmann/ Virgillito 2014: 137). Zu den ursprünglichen „Schutzaktivitäten“ (ebd.) kommen vermehrt auch gestalterische Aufgabenbereiche hinzu, die den Betriebsräten auch das Einführen neuer Technologien, die Gestaltung der Arbeit sowie Umstrukturierungsmaßnahmen und die Sicherung von Standorten abverlangt1 (Vgl. ebd.). Das Hinzukommen dieser neuen Aufgabenfelder transformiert die eigentliche Betriebsratsar-beit in eine „komplexe Dienstleistungs- und Interessenvertretungsarbeit, die auf viele Infor-mationen angewiesen ist und auch Kreativität und Innovation beinhaltet“ (ebd.), sodass der Wissenstransfer zunehmend an Relevanz gewinnt. Wissen wird somit im beruflichen Alltag des Betriebsrats zu einer zentralen Komponente, um allen Arbeitsbereichen effektiv gerecht zu werden (Vgl. ebd.). An dieser Stelle zeigen sich die Relevanz und die Aktualität des Wis- senstransfers für die Betriebsratsarbeit, der in der folgenden Forschungsarbeit näher unter-sucht werden soll. Von ebenso hoher Bedeutung ist dabei auch der Transfer von Erfahrungen, der im wissenschaftlichen Diskurs allerdings weniger im Fokus der Forschung steht. Neben dem Wissens- und Erfahrungstransfer der älteren an nachfolgende Generationen ist es aufgrund der demografischen Entwicklung am Arbeitsmarkt ebenso von Relevanz, den Aspekt des intergenerativen Wissenstransfers zu betrachten: „Ältere Arbeitnehmer werden angesichts der abnehmenden Zahl junger Menschen am Arbeitsmarkt immer wichtiger für die Betriebe“ (Bertelsmann Stiftung 2010: 4). Köchling (2000: 368) stellt diesbezüglich die Grundprinzipi-en intergenerativer Zusammenarbeit dar, die jeweils den Mehrwert für jüngere und ältere Ar-beitnehmer aufzeigen. Diese sollen an gegebener Stelle hinzugezogen werden, um die Not-wendigkeit und Effizienz intergenerativer Zusammenarbeit am Arbeitsplatz zu verdeutlichen. In der folgenden Forschungsarbeit soll darum, in Zusammenarbeit mit „Arbeit und Leben Thüringen“ untersucht werden, ob und wie ein (intergenerativer) Wissens- und Erfahrungs-transfer innerhalb der jeweiligen Betriebsratsgremien vonstattengeht, welche Probleme dabei auftreten können und wo möglicherweise die Grenzen solcher Transferprozesse liegen. Zu-dem sollen dabei mögliche Systematiken herausgearbeitet werden, die eine Generalisierung bzw. Konzeptualisierung von etwaigen Transferprozessen anvisieren sollen. Hinsichtlich Bil-dung und Qualifikation stehen ältere Arbeitnehmer den jüngeren Kohorten in nichts nach: Ei-ner Studie von Martina Morschhäuser (2006) zufolge sind etwa Alterskohorten von 45-54 Jahre bzw. von 55-64 Jahre nicht schlechter ausgebildet und qualifiziert, als die von 25-34 bzw. 35-44 Jahre. Daraus ließen sich zunächst gelingende Transferprozesse auf Augenhöhe vermuten.
Dass Betriebsräte in Ostdeutschland in den letzten Jahren wieder vermehrt an Präsenz und Ansehen dazugewonnen haben, kann nach Röbenack/ Artus (2015: 27) unter anderem aus der Krise 2008/2009 heraus vermutet werden. Währenddessen hätten sowohl Gewerkschaften als auch Betriebsräte eine erhöhte Aufmerksamkeit wie auch steigendes Ansehen in Medien und Politik erfahren und besonders die Betriebsräte hätten damals als Krisenmanager gegolten, die die Folgen der Krise in den Betrieben entscheidend abgefedert hätten. Die Erfahrungen der Krise sowie ein Wachstum der Wirtschaft und ein Mangel an Fachkräften haben die Politik zudem in einen Umdenkprozess2 gebracht, indem sie sich in positiver Weise Gewerkschaften und Betriebsräten gegenüber geäußert hätten. Als Grund dafür lässt sich der in Zukunft weiter ansteigende Bedarf an Arbeitskräften nennen, wodurch Betriebsräten die zentrale Aufgabe zu-2 Siehe dazu etwa die Auszüge aus den Koalitionsvereinbarungen der ostdeutschen Bundesländer nach der Krise bei Röbenack und Artus (2015: 28f.). kommt, für die Umsetzung der Komponenten „gute Arbeit“ und „guter Lohn“ zu sorgen. Nur unter der Voraussetzung fairer Löhne und guter Arbeitsbedingungen könnten die ostdeutschen Länder in Zukunft wirtschaftlich attraktiv für junge Menschen sein (Vgl. Röbenack/ Artus 2015: 28ff.). In wirtschaftlicher Hinsicht hätten sich die ostdeutschen Länder in den letzten Jahren stabili-siert, was sich auch „im Belegschaftswachstum der ehemaligen DDR-Betriebe und Neuan-siedlungen“ (ebd.: 33) widerspiegele. Etwa sei die Zahl der Insolvenzen im verarbeitenden Gewerbe in Ostdeutschland stetig gesunken3, allerdings sank auch die Zahl der Neugründun-gen, was zur Folge hat, dass „die Anzahl der Betriebe im ostdeutschen Gewerbe insgesamt leicht rückläufig ist“ (ebd.). Eine solche Rückläufigkeit der Betriebe sowie ein gleichzeitiger Anstieg an Beschäftigten bedeute im Umkehrschluss ein Wachstum der Belegschaft in den Betrieben, was wiederum eine Veränderung der Arbeitnehmerstruktur nach sich ziehe. An die-ser Stelle zeigt sich, dass sich die Auswirkungen des demografischen Wandels in naher Zu-kunft in den Betrieben bemerkbar machen werden. Konkret ist damit gemeint, dass ein be-trächtlicher Anteil an Arbeitnehmern, der momentan noch in den ostdeutschen Betrieben be-schäftigt ist, binnen der kommenden zehn Jahre gehen bzw. in Rente sein wird. Diese Gruppe an Beschäftigten ist in hohem Maße durch die langjährige Arbeit in der DDR geprägt. Im Ge-gensatz dazu hat die Nachfolgegeneration, dessen Anteil vermehrt größer wird, die Schulzeit sowie die Berufsausbildung zuallermeist in der Bundesrepublik durchlaufen (ebd.: 34). Röbe-nack und Artus (ebd.) weisen zudem darauf hin, dass in Sachsen mittlerweile die Hälfte der in der Industrie Beschäftigten, jünger als 44 Jahre ist und somit keine persönlichen Erfahrungen mit der Arbeit in DDR- Betrieben gemacht hat. Das bedeutet schließlich, dass diese Altersko-horte entsprechend andere Erfahrungswerte und Erwartungen an ihre Arbeit und dessen Be-dingungen mitbringen. Damit ist etwa gemeint, dass beispielsweise die Alterskohorte, die in den ersten Nachwendejahren in das Arbeitsleben eingestiegen sind, oftmals den Betrieb oder gar den Beruf hat wechseln und zeitweilige Phasen der Arbeitslosigkeit hat hinnehmen müs-sen. Die jungen Beschäftigten seien „überdurchschnittlich häufig mit prekären Beschäfti-gungsverhältnissen wie Befristungen konfrontiert“ (ebd.: 35), was sich jeweils auf die Bin-dung zum Betrieb auswirke, die entsprechend eine andere sein wird, als etwa eine ununterbro-chene und langjährige Anstellung in ein und dem selben Betrieb. Trotz prekärer Beschäfti-gungsverhältnisse sei die Angst arbeitslos zu werden oder in einen sozialen Abstieg zu geraten bei der jungen Generation aufgrund dessen, Stabilität und ein Zuwachs an Beschäftigung in den Betrieben erfahren zu haben, eher gering (ebd.). Laut Untersuchungen des Deutschen Ge-werkschaftsbundes Sachsen-Anhalt vom vergangenen Jahr habe nur etwa jeder Dritte Angst davor, im Falle eines Jobverlustes keine neue Anstellung zu finden (Siehe DGB Sachsen-An-halt 2015: 86). Grund dafür sei eine Vielzahl an beruflichen Alternativen, sodass man sich auf Dauer nicht mit unzureichenden Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung zufrieden ge-ben möchte und, wenn nötig, auch zu einem Wechsel des Arbeitsplatzes bereit wäre4 (Vgl. ebd.: 38). Hinzukommen, trotz großflächiger wirtschaftlicher Stabilisierung vieler ostdeut-scher Betriebe, noch immer deutliche Lohnunterschiede zwischen Ost und West sowie in ost-deutschen Ländern häufiger vorkommende atypische Beschäftigungen wie Befristung und Leiharbeit sowie längere Arbeitszeiten und häufige Wechselschichten an Wochenend- und Feiertagen (Vgl. Röbenack/ Artus 2015: 36). Das bedeutet somit, dass viele ostdeutsche Be-triebe trotz durchaus positiver Entwicklung noch immer unter dem westdeutschen Niveau hin-sichtlich Arbeitsbedingungen und Entlohnung liegen und die Unzufriedenheit der Beschäftig-ten darüber anwächst – „und mit ihr auch der Änderungswille“ (ebd.: 37). Insbesondere die jüngere Generation sei dabei ein einflussreicher und aktivierender Faktor, da diese, im Ver-gleich zur älteren Generation, andere Vorstellungen und Ansprüche an ihre Arbeit und vor al-lem den Willen zu Veränderungen habe. Dafür bedarf es Interessenvertreter in Form von Ge-werkschaften und Betriebsräten, die sich aktiv für gute Arbeitsbedingungen und eine ange-messene Entlohnung einsetzen. Die genannten Faktoren und Rahmenbedingungen können Röbenack und Artus (ebd.: 39) zufolge „die Gründung und Aktivierung von Betriebsräten un-terstützen, ein Automatismus ergibt sich daraus jedoch nicht.“
Diese kurze Darstellung sollte zunächst mögliche Faktoren und Gründe für die zunehmende Bedeutung und Präsenz5 von Betriebsräten in den Betrieben ostdeutscher Bundesländer mit in den Diskurs bringen und die Relevanz der Betriebsräte-Thematik für die folgende Arbeit deut-lich machen. Die bereits eingangs genannte Fragestellung soll unter Zuhilfenahme qualitativer Methoden beantwortet werden. Dabei soll anhand von neun leitfadengestützten Interviews mit Betriebs-räten versucht werden, eine Diagnose zum innerbetrieblichen Stand und Vorgehen intergene-rativen Wissens- und Erfahrungstransfers zu stellen, um daraus Handlungsmöglichkeiten und -muster aufzuzeigen bzw. abzuleiten. Das Untersuchungssample sollte sich entsprechend aus Betriebsratsgremien zusammensetzen, in denen sowohl ältere als auch jüngere Kohorten be-schäftigt sind, um die intergenerative Zusammenarbeit und den Wissenstransfer bestmöglich abzubilden und miteinander vergleichen zu können sowie möglicherweise den „Übergabepro-zess“ der älteren an die jüngere Generation aufzuzeigen. Um bereits im Vorfeld einige fun-dierte Annahmen treffen zu können, die mit in den Leitfaden für die Betriebsratsinterviews einfließen, wurden zunächst drei Experteninterviews mit Gewerkschaftssekretären der IG Me-tall sowie der NGG in Thüringen geführt.
Die geführten Interviews sollen schließlich mittels Qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet und in den theoretischen Kontext eingebunden werden. Gewerkschaftlich be-schränkt sich die empirische Untersuchung auf die IG Metall, die NGG sowie, jeweils einmal vertreten, auf die Verdi und die IGBCE im Bundesland Thüringen.
Zuallererst soll jedoch ein Überblick über den demografischen Wandel sowie dessen Bedeu-tung und entsprechende Auswirkungen für Arbeitsmarkt und Beschäftigung gegeben werden. Daran anschließend wird auf den Betriebsrat als anvisierte Zielgruppe der Untersuchung ein-gegangen. Neben der Abbildung des Rollen- und Aufgabenverständnisses von Betriebsräten, soll ebenso das Verhältnis von Betriebsräten und Gewerkschaften in Deutschland in den Kon-text mit eingebunden werden. Das darauffolgende Kapitel widmet sich schließlich dem Wis-sens- und Erfahrungstransfer, der sich innerhalb von Betrieben vollzieht. Zunächst sollen da-bei die Bedeutung von Wissen sowie der Prozess des Wissenstransfers im Fokus stehen, der dann um die Komponente der intergenerativen Zusammenarbeit und deren Erscheinungsfor-men erweitert werden soll. Gleichzeitig sollen die Vorteile und der Nutzen für Betriebe und Belegschaft sichtbar gemacht werden. Im Anschluss daran soll die empirische Untersuchung folgen. Dazu soll zunächst eine kurze Beschreibung des Erhebungs- und Auswahlverfahrens der Daten erfolgen. Anschließend soll auf die Methode eingegangen werden, mit der die erho-benen Daten ausgewertet und analysiert werden sollen. Schließlich werden die ausgewerteten Daten als Forschungsergebnisse vorgestellt und in den Kontext der Arbeit eingebunden. Ab- schließend soll alles zusammengefasst und reflektiert sowie ein Ausblick auf die künftige Situation der Problematik gegeben werden.5
Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit sollen den Anspruch erheben, auf neue Aspekte zur Optimierung künftiger Betriebsratsarbeit hinzuweisen und diese möglicherweise in entspre-chende interne oder externe Bildungsmaßnahmen einzubinden.
2 Die Bedeutung des demografischen Wandels f ür die Gesellschaft – Diagnosen und Maßnahmen
2.1 Grundlagen und Zukunftstendenzen
Gibt man den Begriff „Demografischer Wandel“ in eine einschlägige Suchmaschine ein, so erhält man auf Anhieb ca. 594.000 Treffer. Erweitert man die Suche auf „Demografischer Wandel am Arbeitsmarkt“ werden gut 214.000 Suchergebnisse6 gefunden. Auf diese einfache Weise werden die Präsenz wie auch die Relevanz dieser Thematik sichtbar. Ganz allgemein ist unter dem gesellschaftlichen Phänomen des demografischen Wandels die Veränderung, die sich in der Bevölkerung hinsichtlich ihrer Größe sowie ihrer Altersstruktur vollzieht, zu ver-stehen. Konkret handelt es sich dabei aber um einen Umbruchprozess, der vor allem in hoch-entwickelten Gesellschaften zu beobachten ist und einen Abfall der Geburtenraten sowie eine steigende Lebenserwartung nach sich zieht (Vgl. Hillmann 2007: 14). Laut Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland zur Zeit rund 81,2 Millionen Menschen (Siehe Statistisches Bundesamt 2015). Im Vergleich zum Vorjahr7 lässt sich damit ein Plus von rund 430.000 verzeichnen8. Ein derart hoher Bevölkerungsanstieg ergebe sich jedoch nicht aus steigenden Geburtenraten: Im Jahr 2014 war die Anzahl der Verstorbenen um 153.000 höher als die der Neugeborenen (Vgl. ebd.). Als Hauptursache für den enormen Zu-wachs kann laut Statistischem Bundesamt die steigende Zuwanderung ausgemacht werden, wonach 2014 etwa 550.000 Menschen nach Deutschland gekommen sind9. Infolge der Flücht-lingskrise war das Jahr 2015 durch eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Zuwanderungen geprägt, wodurch eine Nettozuwanderung10 von 1,1 Millionen diagnostiziert werden konnte (Siehe Statistisches Bundesamt 2016). Nichtsdestotrotz lässt sich im Allgemeinen ein Bevöl-kerungsrückgang diagnostizieren: Im Jahr 2002 wurden in Deutschland vergleichsweise noch rund 82,5 Millionen Einwohner registriert (Vgl. Kröhnert 2013: 86).
Dass sich Gesellschaften in demografischer Hinsicht verändern, hängt prinzipiell mit dem Grad ihrer sozialen und ökonomischen Entwicklung zusammen: Der jeweilige Entwicklungs-grad einer Gesellschaft korreliert dabei negativ mit der Geburtenrate, das heißt je niedriger der Entwicklungsgrad einer Gesellschaft, desto mehr Kinder werden geboren. Allerdings ist das Sterberisiko in solchen Gesellschaften aber auch, unabhängig vom Alter, relativ hoch und die Lebenserwartung der Menschen im Durchschnitt eher gering, wodurch die klassische Py-ramidenform entsteht, die die Altersstruktur der Bevölkerung abbilden soll. Danach ist die Anteil der jüngeren Jahrgänge am höchsten und nimmt mit steigendem Alter ab. Infolge öko-nomischer Entwicklungsprozesse verbessern sich nicht nur die Hygiene und die Ernährung der Bevölkerung, auch der Fortschritt der Medizin und entsprechend die medizinische Versor-gung steigt, was ein Sinken der Kindersterblichkeit sowie eine höhere Lebenserwartung nach sich zieht (Vgl. Kröhnert 2013: 86ff./ Hillmann 2007: 141f.): Die Bevölkerung wächst - es kommt zum so genannten „ersten demografischen Übergang“ bzw. zur zweiten Phase des de-mografischen Übergangs, der sich aus heutiger Sicht in fünf Phasen einteilen lässt (Siehe Münz/ Ulrich 2007: 2f.). Auf die veränderten Lebensbedingungen und der fortlaufenden ge-sellschaftlichen Entwicklung reagieren Familien mit der Beschränkung ihrer Nachkommen, da Kinder nicht mehr in großem Umfang als Hilfsarbeiter für die häusliche Landwirtschaft oder ähnliches gebraucht werden, sondern vielmehr mit steigenden Kosten, etwa für Erzie-hung oder Ausbildung, verbunden sind (dritte Phase). Diese Entwicklungsphase könne vielen Ländern die Möglichkeit auf ökonomischen Fortschritt gewähren, da viele junge Menschen, die sowohl konsum- als auch karriereorientiert seien, weder für eine Vielzahl alter Menschen noch für eine hohe Anzahl an Kindern zu sorgen hätten. Die Kehrseite einer solchen demo-grafischen Entwicklung könne aber auch das Herausbilden eines politischen Extremismus sein, etwa wenn es an ausreichenden Jobmöglichkeiten und Perspektiven für die Menge an jungen Menschen mangele11. In der darauffolgenden vierten Phase sinken die Geburtenraten in den Industrieländern weiter, teilweise sogar unter 2,1 Kinder pro Frau. Zuvor konnte die steigende Lebenserwartung auf die sinkende Kindersterblichkeit zurückgeführt werden, nun nimmt diese insbesondere im fortgeschrittenen Lebensalter zu (Vgl. Kröhnert 2013: 87; Münz/Ulrich 2007: 3). Es kommt insgesamt zu einer Verschiebung der Altersstruktur, genauer bewegt sich der Schwerpunkt altersmäßig „von den jungen zu den älteren Erwerbsfähigen und schließlich zu den Rentnern, während immer kleinere Gruppen von jungen Menschen ins El-tern- und Erwerbsalter nachrücken“ (Kröhnert 2013: 87). Folglich sinkt die Anzahl der Bevöl-11 Eine solche Situation war unter anderem in den 1930er Jahren in Deutschland zu beobachten (Siehe Kröhnert 2013: 87).7 8 kerung und spiegelt damit auch die gegenwärtige demografische Situation wider, in der sich Deutschland seit geraumer Zeit befindet und mitunter als „fünfte Phase des demografischen Übergangs bezeichnet wird“ (Münz/Ulrich 2007: 3). Münz und Ulrich (ebd.) üben allerdings auch Kritik am in Phasen unterteilten Konzept des demografischen Übergangs und plädieren für eine exaktere Betrachtung einzelner Länder sowie deren Einflüsse und Entwicklungsver-läufe, die in dem Modell nicht berücksichtigt würden. Fundamental sei etwa, dass der Über-gangsprozess hin zu sinkender Sterblichkeit und ebenso sinkenden Fertilitätsraten in Europa wie in Nordamerika durch das Entstehen von modernen Industriegesellschaften im Prinzip von selbst seinen Lauf nahm, was in vielen Entwicklungsländern noch immer nicht aktueller Zustand sei. Das Sinken der Mortalitätsrate sei dort etwa auf moderne Medikamente und medizinische Methoden sowie auf Chemikalien zur Bekämpfung von Malaria zurückzufüh-ren, die in den Industriestaaten entwickelt wurden. Das heißt der tatsächliche Verlauf einzel-ner Länder weicht in der Praxis vom theoretischen, doch sehr vereinheitlichenden Modell des demografischen Übergangs, in nennenswerter Weise ab (Vgl. ebd.).9 10 11
Hinsichtlich der demografischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte in Deutschland lässt sich klar feststellen, dass nie wieder so viele Kinder geboren wurden wie nach dem Zweiten Welt-krieg. Dazu zählen die heute geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre. Diese werden allerdings in einigen Jahren so alt sein, dass sie aus der Erwerbstätigkeit austreten und in Rente gehen werden (Vgl. Kröhnert 2013: 87ff.). Kein anderes Land auf der Welt weise da-bei ein derart frühes und fortwährendes Sinken der Geburtenzahlen auf. In den 70er Jahren vollzog sich ein regelrechter Geburtenknick12: Die Zahl an Kindern pro Frau reduzierte sich innerhalb einer Dekade nahezu um die Hälfte auf 1,413 und ist seit dem nicht von diesem Wert abgewichen, wodurch die demografische Entwicklung des Landes im Prinzip seit Ende der 70er Jahre abzusehen war (Vgl. ebd./ Klingholz 2016: 3). Das bedeutet, seit Ende der 70er Jahre und mit Blick in die Zukunft „ist jede Kindergeneration um ein Drittel kleiner als die ihrer Eltern. Dabei werden aus 100 Müttern 70 Töchter, 49 Enkelinnen und 36 Urenkelinnen. Binnen drei Generationen, in weniger als 100 Jahren schrumpft also eine Bevölkerung langfristig und ohne Betrach-tung von Zuwanderung sowie einer möglicherweise steigenden Lebenserwartung um fast zwei Drittel.“ (Klingholz 2016: 5)
Die ursprüngliche Form der Pyramide als Abbild der Bevölkerungsstruktur ist in Deutschland mittlerweile in eine Zwiebel- bzw. Urnenform übergegangen (siehe Statistisches Bundesamt 2015a: 18). Prognosen des Statistischen Bundesamtes zufolge wird die Bevölkerungszahl im Jahr 2050 bis auf 76,1 Millionen und 2060 auf 67,6 Millionen zurückgehen (Vgl. ebd.: 19/ Klingholz 2016: 8). Welche Auswirkungen dies für den Arbeitsmarkt hat, soll im nun folgen-den Kapitel näher betrachtet werden.13 14
2.2 Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Besch äftigung
Den demografischen Wandel hinsichtlich seiner Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu ana-lysieren, bedeutet, nur einen Teil der Bevölkerung, nämlich den der Menschen im erwerbsfä-higen Alter14, zu betrachten. In dieser Bevölkerungsgruppe kann der Wandel mitunter ganz an-dere Folgen haben als in den verbleibenden Altersgruppen. Das bedeutet etwa, dass eine Än-derung oder konkret ein Rückgang der Geburtenzahlen innerhalb der Erwerbsbevölkerung erst dann zum Vorschein kommt, wenn die betreffende Generation die Lebensabschnitte Schu-le und Ausbildung hinter sich gebracht hat. Konkret ist damit gemeint, dass ein Geburtenrück-gang auf dem Arbeitsmarkt in der Regel erst nach 20 bis 30 Jahren diagnostiziert werden kann. Die Menschen, die sich schon im Lebensabschnitt Rente befinden, sind im Zusammen-hang des Arbeitsmarktes nicht von Bedeutung (Vgl. Ruf 2008: 9).
Die Relevanz des Arbeitsmarktes für den Prozess des demografischen Wandels erschließt sich mit Blick auf den fortwährenden Alterungsprozess der Erwerbsbevölkerung, der sich entspre-chend auf das Arbeitskräftepotenzial auswirkt (Siehe Tivig/ Hetze 2007: 62). Dabei schreitet das Altern der Arbeitskräfte durchschnittlich schneller voran als das der Bevölkerung insge-samt. Und diese befindet sich bekanntermaßen im Rückgang, was für den künftigen Arbeits-markt ein immer geringer werdendes Angebot an Arbeitskräften bedeutet. Dadurch, dass der Anteil an jungen Arbeitskräften zunehmend rar wird und die Produktivität sowie die Beschäf-tigungsfähigkeit der älteren Arbeitnehmer extrem unterschiedlich sein kann, muss sich der Ar-beitsmarkt der Mammutaufgabe stellen, langfristig für entsprechenden Ersatz an qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften zu sorgen (Vgl. Möller/ Walwei 2013: 121ff).
Hinzukommt, dass die durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Altersteilzeit Ende des Jahres 2009 ausgelaufen15 ist und das Renteneintrittsalter16 nach und nach ansteigt, was zum einen nach sich zieht, dass das Arbeitskräfteangebot älterer Menschen wächst. Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass immer mehr Menschen länger in Arbeit bleiben können bzw. müssen (Vgl. Urs 2008: 9). Dies nimmt ein grundlegendes gesellschaftliches Problem vor-weg: Die durch den demografischen Wandel aufkommende Frage der Finanzierung einer ste-tig wachsenden Bevölkerungsgruppe von Alten und Rentnern gegenüber einer fortwährend sinkenden Gruppe von Beitragszahlern. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit verringert sich in alternden Gesellschaften, wie Deutschland, sofern ältere Arbeitnehmer auch in Zukunft in dem geringen Umfang erwerbstätig bleiben wie derzeit17. Weniger absolvierte Arbeitsstunden pro Einwohner bedeuteten in Konsequenz auch weniger Einkommen sowie geringere Spiel-räume dies zu verteilen (Vgl. Klingholz 2016: 8; Vaupel/ Loichinger 2007: 64). Nicht nur die geleisteten Arbeitsstunden werden mit steigendem Alter geringer, auch die Erwerbsquoten an sich nehmen im Alter entsprechend ab: Im Vergleich zu den 30-35-Jährigen, wo 88% der Männer und 76% der Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen, sind es in der Altersgruppe der 60-65-Jährigen nur noch 59% der Männer und 46% der Frauen, die erwerbstätig sind (Vgl. Statistisches Bundesamt 2015b: 353)18.
Um auf den altersbedingten Strukturwandel am Arbeitsmarkt entsprechend zu reagieren, ist die zentrale Aufgabe für die künftige Gestaltung des Arbeitsmarktes die Beschäftigungsfähig-keit einer steigenden Anzahl an älteren Menschen aufrechtzuerhalten bzw. diese in eine Be-schäftigung zu integrieren (Urs 2008: 11).
Bezüglich des bereits erwähnten Sinkens des Arbeitskräfteangebots stellt sich nun die Frage nach einem Steigen oder Sinken der Arbeitslosenzahlen im Demografischen Wandel. Die Re-levanz dieses Aspekts ergibt sich aus dem doch sehr unterschiedlichen Verhalten von jüngeren und älteren Menschen am Arbeitsmarkt. Konkret bedeutet das, dass die Intensität eine Ar-beitsstelle zu suchen eng mit dem Alter der Arbeitssuchenden korreliert. Ein möglicher mit einzubindender Faktor sei zudem, dass die Produktivität jüngerer und älterer Arbeitnehmer von Seiten der Betriebe unterschiedlich bewertet wird und die jeweiligen Altersgruppen je-weils verschiedene Kostenintensitäten hinsichtlich Weiterbildung oder Löhne bedeuten (Vgl. Hetze/ Ochsen 2007: 70). Hetze und Ochsen (ebd.) zufolge sei aus theoretischen Überlegun-gen heraus sowohl das Ansteigen, aber auch das Sinken von Arbeitslosigkeit möglich, wenn mehr ältere Menschen nach einer Erwerbstätigkeit suchen. Für eine effizientere Stellenbeset-zung mit älteren Arbeitnehmern und somit für ein Sinken der Arbeitslosigkeit spräche dabei, dass zum einen die Wahrscheinlichkeit den passenden Beruf schon gefunden zu haben bei Äl-teren höher sei und diese somit eine geringere Fluktuation ausweisen würden. Ebenso würden familiäre Gründe bei Älteren eher gegen einen Job- oder Betriebswechsel sprechen. Bei unzu-reichender Mobilität kann sich diese Effizienz, Stellen an Ältere zu vermitteln, jedoch in Ar-beitslosigkeit umschlagen. Hinzu kommt die Art und Weise, wie Unternehmen Kosten und Nutzen ältere Menschen einzustellen, bewerten und umsetzen: Wird die Leistungsfähigkeit vom Arbeitgeber als hoch und die Einstellungskosten als niedrig bis moderat eingestuft, wer-den womöglich mehr Stellen geschaffen werden, sofern sich viele ältere Bewerber auf die Stellengesuche melden. Als Konsequenz daraus ergäbe sich dann ebenso ein Sinken der Ar-beitslosigkeit. Werden von Betriebsseite her jedoch jüngere Arbeitnehmer bevorzugt, wirke sich das entsprechend negativ auf die Genese neuer Arbeitsplätze aus (Vgl. Hetze/ Ochsen 2007: 70f.). Räder (2013: 373) zufolge seien in der Praxis „Jugendzentrierung und als Kehrseite Altersdiskriminierung nach wie vor sehr verbreitet.“ Die Risiken in eine Arbeitslo-sigkeit zu geraten seien bei Älteren zwar am geringsten, jedoch sei es für sie, wenn erst ein-mal arbeitslos geworden, merklich schwerer die bestehende Arbeitslosigkeit mit der Wieder-aufnahme einer Erwerbtätigkeit zu beenden. Räder (ebd.) geht zudem darauf ein, dass der An-teil an Langzeitarbeitslosen19 mit fortschreitendem Alter zunimmt: 60% der Arbeitslosen, die 50 Jahre oder älter sind, befinden sich bereits in der Langzeitarbeitslosigkeit. Dieser Wert werde Räder (2013: 373) zufolge aufgrund der Anhebung des Renteneintrittsalters sowie dem Auslaufen der Altersteilzeit in dieser Altersgruppe in Zukunft noch weiter ansteigen. Insgesamt würden sich die Chancen für Ältere auf dem Arbeitsmarkt im Zuge des Demografi-19 Damit ist der Anteil an Arbeitslosen gemeint, der sich seit mehr als einem Jahr in Arbeitslosigkeit befindet.16 schen Wandels und durch den Fachkräftemangel nicht verbessern. Der Demografische Wandel gehe zwar mit einem abnehmenden Erwerbspersonenpotenzial einher, jedoch bedeute dies nicht ohne weiteres eine erhöhte Nachfrage an Arbeitskräften. Trotz dessen werde die Arbeits-losenquote gemäß Prognosen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2013: 4f.) von 7,1% (2010) auf 4,1% im Jahr 2030 sinken. Begründen ließe sich dies mit in Zukunft anvi-sierten Fortschritten in den Kernbereichen der Fachkräftesicherung, der Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf sowie eben auch der Beschäftigung Älterer. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales (ebd.:13) werde der in Zukunft anstehende Mangel an Arbeitskräften den Unternehmen Anlass dazu geben, insbesondere ältere Arbeitnehmer in einer Beschäftigung bzw. auf dem Arbeitsmarkt zu halten. Umgesetzt werde dies idealerweise durch das hohe Wertschätzen der Älteren, sodass diese gern bereit dazu sind, länger zu arbeiten. Sollten je-doch nicht genügend bzw. unzureichende Anreize für Ältere von Seiten der Unternehmen so-wie der Politik gesetzt oder der frühere Austritt aus dem Erwerbsleben etwaigen Anreizen be-vorzugt werden, könne die Entwicklung des Arbeitsmarktes auch in die negative Richtung verlaufen und der Arbeitsmarkt würde im Jahr 2030 etwa über 1,2 Millionen weniger Arbeits-kräfte verfügen „sollten sich die Erwerbsquoten der Älteren nur um die Hälfte des angenom-menen Zuwachses erhöhen“ (ebd.).17
Aus dem wissenschaftlichen Diskurs heraus lassen sich keine konkreten Angaben zur künfti-gen Situation des Arbeitsmarktes machen, da ein tatsächliches Sinken oder Ansteigen der Ar-beitslosigkeit, wie gezeigt werden konnte, vom Zusammenspiel unterschiedlichster Faktoren beeinflusst werden. Beispielsweise kann die Sichtweise auf die Produktivität und den Nutzen älterer Arbeitnehmer sowie dessen Umgang mit ihnen sehr subjektiv und von der Persönlich-keit der entsprechend verantwortlichen Person im Unternehmen abhängen. Ebenso spielen in betriebliche Entscheidungen wohl auch ökonomische Möglichkeiten, die wiederum auch von politischen Rahmenbedingungen geprägt und gelenkt sein können, eine Rolle. Diese können in 20 Jahren natürlich ganz andere sein als heute, wodurch klare Aussagen über die zukünftige Lage des Arbeitsmarktes sowie dessen Akteure schwer zu treffen sind.18 19 20
3 Betriebsr äte
Das System der Interessenvertretung beruht in Deutschland auf einer dualen Struktur, in der sich „zwei verschiedene Arenen der Repräsentation und Vermittlung kollektiver Interessen funktional ausdifferenziert (haben)“ (Müller-Jentsch 1999: 9). Diese basieren auf einer Art funktionaler Arbeitsteilung, auf dessen einer Seite die Tarifautonomie und die gewerkschaftli-che Mitbestimmung (überbetriebliche Ebene) steht und sich demgegenüber die Betriebsver-fassung und betriebliche Interessenvertretung befindet, in der die Betriebsräte für die Vertre-tung der Arbeitnehmerinteressen zuständig sind (betriebliche Ebene) (Vgl. Abel/ Bleses 2005: 259; Minssen 2012: 161).
3.1 Die Rolle des Betriebsrats f ür Unternehmen und Belegschaft
Als Arbeitnehmervertretung eines Betriebs ist der Betriebsrat dafür zuständig, dass „zuguns-ten der Arbeitnehmer geltende Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarif-verträge und Betriebsvereinbarungen“ (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) auch tatsächlich eingehal-ten und umgesetzt werden. Grundsätzlich lassen sich die Aufgaben des Betriebsrats in folgen-de Kategorien einteilen: Die so genannte Schutzaufgabe meint dabei das Überwachen sowie die Einhaltung von Vorschriften bezüglich des Arbeitnehmerschutzes. Die Gestaltungsaufgabe fordert vom Betriebsrat, etwaige Arbeitsbedingungen, die Arbeitszeit oder Ordnung und Ver-haltensangelegenheiten innerhalb des Betriebs etwa, mitzugestalten. Hinzu kommt die Aufga-be, personalspezifische Maßnahmen wie Einstellungen, Kündigungen oder Versetzungen auf Angemessenheit zu überwachen und zu kontrollieren. Darüber hinaus hat der Betriebsrat sozi-alpolitische Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehören etwa die Integration von Arbeitnehmern aus dem Ausland, die Schwerbehinderteneingliederung, Umweltschutz sowie die Sorge für die Gleichstellung von Frauen und Männern im Betrieb (Vgl. Kluge 2014: 11f.). Das Betriebsverfassungsgesetz bildet dabei die Grundlage für die Arbeit des Betriebsrats. Etwa sind neben den Rechten für Betriebsräte insbesondere auch die allgemeinen Grundsätze enthalten, nach denen die Art und Weise der Zusammenarbeit von Betriebsrat, Arbeitgeber so-wie im Betrieb vertretene Gewerkschaften geregelt ist (Vgl. Scheriau 2014: 42). Zur umfas-senden Vertretung der Arbeitnehmer im Betrieb kann sich der Betriebsrat den ihm zugedach- ten Rechten der Mitwirkung, der Mitbestimmung sowie der Alleinbestimmung, die ebenfalls im Betriebsverfassungsgesetz verankert sind, bedienen.
Erstere, als schwächere Form der Beteiligungsrechte, gestehen dem Betriebsrat zu, dass er „zwar an den Entscheidungen des Arbeitgebers mitwirkt, es aber offen bleibt, inwieweit diese Mitwirkung die unternehmerische Entscheidung tatsächlich beeinflusst“ (ebd.: 119). Das be-deutet also, dem Betriebsrat kommt beim Mitwirkungsrecht zwar durchaus das Recht auf Mit -sprache zu, über eine konkrete Mit entscheidung verfügt er jedoch nicht (eigene Hervorhebun-gen). Zu den Mitwirkungsrechten gehört unter anderem das Recht auf Mitteilung oder Unter-richtung, etwa wenn es um Betriebsänderungen oder Angelegenheiten, die die Personalpla-nung betreffen, geht. Für den Betriebsrat sei dies unverzichtbar und fundamental wichtig für die rechtzeitige Wahrnehmung der ihm zugedachten betriebsverfassungsrechtlichen Aufga-benbereiche (Vgl. Scheriau 2014: 119f./ ifb 201620).
Im Gegensatz zu den eben genannten Mitwirkungsrechten kann der Betriebsrat mittels des ihm zustehenden Mit bestimmungsrechts eine tatsächliche Beeinflussung ausstehender Maß-nahmen und Entscheidungen vornehmen. Hierbei handelt es sich um die stärkste Form der Beteiligungsrechte, was konkret bedeutet, dass der Arbeitgeber entsprechende Maßnahmen nicht ohne die Zustimmung des Betriebsrats einleiten oder gar durchsetzen darf. Sollte es da-bei zu keiner Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kommen, entscheidet eine Eini-gungsstelle über den entsprechenden Fall (Vgl. Kluge 2014: 14f./ Scheriau 2014: 122f.). Ein durchaus handlungsstarkes Instrument des Betriebsrats ist dabei das so genannte „Initia-tivrecht“. Dieses gehört ebenfalls zu den Mitbestimmungsrechten und ist deshalb so hand-lungsstark, weil der Arbeitgeber tätig werden muss, sofern der Betriebsrat die Initiative er-greift, also von sich aus aktiv wird. Beispielsweise ist das Informationsrecht (§80 Absatz 2 BetrVG), das eigentlich zu den Mit wirkungs rechten gehört, für den Betriebsrat gleichzeitig auch ein Initiativrecht: Der Arbeitgeber ist dabei lediglich verpflichtet, den Betriebsrat zeitnah und umfangreich zu unterrichten bzw. zu informieren, ob auf mündlichem oder schriftlichen Wege, ist gesetzlich nicht festgehalten. Nimmt der Arbeitgeber diese Pflicht allerdings nur auf mündlichem Wege wahr, kann der Betriebsrat von sich aus nach Akten oder anderen Unter-lagen verlangen, um etwa sein Recht auf Überwachung in Fällen wahrzunehmen, an deren Ende möglicherweise ein Änderungsvorschlag oder gar eine Betriebsvereinbarung steht. Soll-te sich der Arbeitgeber weigern, etwaige Dokumente herauszugeben, kann der Betriebsrat die Unter das Recht auf Alleinbestimmung werden zu guter Letzt all jene Bereiche gefasst, bei denen der Betriebsrat keinerlei Zustimmung von Seiten des Arbeitgebers benötigt, etwa wenn es um laufende Geschäfte und betriebsinterne Abläufe geht21 (Vgl. Scheriau 2014: 125).
3.2 Die Beziehungen des Betriebsrats
Wie bereits eingangs angedeutet, ist der Betriebsrat als Institution ein entscheidender Teil der industriellen Beziehungen. Dabei pflegt er auf innerbetrieblicher Ebene Beziehungen zum Management wie auch zur Belegschaft. Ebenso relevant ist dabei die Gestaltung der Bezie-hung zur Gewerkschaft auf überbetrieblicher Ebene (Vgl. Hocke 2012: 25).
3.2.1 Das Verh ältnis Betriebsrat – Management
Das Verhältnis des Betriebsrats zum Management sei nach Müller-Jentsch (1999) durch eine Art „Konfliktpartnerschaft“ zu beschreiben. Gemeint sei damit ein ambivalentes Verhältnis von Kooperation auf der einen und Konflikt auf der anderen Seite, was wiederum verdeutli-che, dass das Verhältnis der beiden „Parteien“ zwar einen „den Kapitalismus grundlegend strukturierenden Interessenkonflikt“ (Hocke 2012: 25f.)22 inne habe, allerdings trotzdem eine beidseitige Abhängigkeit voneinander bestehe. Was die konkrete Ausgestaltung des Verhält-nisses der beiden Instanzen betrifft, komme es vermehrt zu Verhandlungen zwischen Betriebs-rat und Management und der Betriebsrat gewinnt an Verantwortung dazu: „Betriebsräte wer-den über Steuerungs- und Projektgruppen in die betrieblichen Veränderungsprozesse einge-bunden“ (Minssen 2012: 170) und „übernehmen damit – nicht selten mehr, als ihnen lieb ist -ein Stück weit Mitverantwortung am unternehmerischen Geschehen“ (Tietel 2006: 29).
Für die Interessenvertretung bedeutet das, dass sie zu einem prägenden Teil der Unternehmen-sentwicklung wird. Wie mit den unterschiedlichen (neuen) Anforderungen und Verantwortun-gen umgegangen wird, ist ganz unterschiedlich, jedoch wurden unter anderem von Mül-ler-Jentsch et al. (1998) einige Betriebsratstypologien abgeleitet, „deren verbindendes Element die Unterscheidung verschiedener typischer Reaktions- und Handlungsmuster von Be-triebsräten im Rahmen der Austauschbeziehungen zum Management ist“ (Minssen 2012: 170).
Generell sei zwischen vier Betriebsratstypen zu unterscheiden: Der so genannte konventionel-le Betriebsrat sei fast ausschließlich auf seine grundsätzlichen und traditionellen Aufgaben fo-kussiert und beschäftige sich wenig bis gar nicht mit neuen Formen der Arbeitsorganisation oder der Qualitätssicherung. Der engagierte Betriebsrat hingegen öffne sich neuen Themen-komplexen und versuche diese auch mitzubeeinflussen, jedoch würden diese Versuche nicht über eine Betriebsvereinbarung hinausgehen. Beim Typus „ambitionierter Betriebsrat“ hinge-gen bleibt es nicht nur bei Versuchen zur Einflussnahme, sondern diese gelingen ihm auch (Vgl. Müller-Jentsch et al. 1998: 82ff; Minssen/ Riese 2007: 24). Schließlich ließe sich als vierter Typus der so genannte „Co-Manager“ diagnostizieren. Dieser zeichne sich dadurch aus, in einem breiteren Spektrum an Themen, wie Reorganisation oder neue Arbeitszeitmodel-le, involviert zu sein und vor allem auch über ein hohes Maß an Eigeninitiative zu verfügen, wodurch er das traditionell abgesteckte Arbeitsfeld des Betriebsrats erweitere (Vgl. Minssen 2012: 171; Minssen/ Riese 2007: 24). Minssen (2012: 171) weist zudem darauf hin, dass sich die Arbeitsweise des Typus Co-Manager strukturell an den modernen Managerliteraturen an-lehne: „Handlungsleitend für die Art und Weise der Organisierung von Betriebsratsarbeit ist der systematische Versuch, die Komplexität des um zahlreiche Aufgaben erweiterten Arbeit-salltags zu reduzieren“ (ebd.). Auslöser dafür seien oftmals innerbetriebliche Restrukturie-rungsprozesse, die den Betriebsrat vor zunehmende Herausforderungen stellen und bei diesen die Überzeugung entstehen lassen etwas verändern zu müssen. Generell gehe es beim Co-Management des Betriebsrats darum, auch abseits des Betriebsverfassungsgesetzes personelle und soziale Angelegenheiten mitzubeeinflussen und zu gestalten. Da die Möglichkeiten dafür jedoch in vielen Themenbereichen begrenzt seien, benötige es der Legitimation der Beleg-schaft, da diese dem Betriebsrat die notwendige Anerkennung und Kompetenz zuspreche. Je-doch sei diese Minssen (2012: 173) zufolge reziprok, da einerseits die „Anerkennung des Be-triebsrats durch das Management“ (ebd.) gewährleistet werden muss wie auch die „Anerken-nung der Leistungsfunktion des Managements durch die Betriebsräte“ (ebd.). Voraussetzung für eine derartige Politik der Interessenvertretung sei „eine hohe Verhandlungs- und Gestal- tungskompetenz und die Verfügbarkeit über das erforderliche Wissen“ (ebd.). Insbesondere in dieser Professionalisierung der Interessenvertretung, dessen Bedarf sich den kommenden Jah-ren in Anbetracht zunehmend angestrebter Modernisierungsbemühungen23 weiter verstärken werde, grenze sich der Typus Co-Manager von den anderen Betriebsratstypen ab (Vgl. ebd.). Die Relevanz, die verschiedenen Betriebsratstypen in Zusammenhang des Betriebsrat-Mana-gement- Verhältnisses vorzustellen, liegt weniger darin, die Art und Weise zu entschlüsseln, wie in der Politik der Arbeitnehmervertretung verfahren wird. Vielmehr soll dadurch gezeigt werden, dass sich infolge von Veränderungsprozessen in den industriellen Beziehungen ein struktureller Wandel abzuzeichnen scheint, der sich in der Beziehung zwischen Betriebsrat und Management widerspiegelt (Vgl. Minssen/ Riese 2007: 25). Es wird dadurch aber auch deutlich, dass das Verhältnis Betriebsrats-Management und dessen Intensität der Zusammen-arbeit vom jeweiligen Betriebsratstypus abhängig ist.
3.2.2 Betriebsrat und Belegschaft
Der Betriebsrat fungiert ebenso als „Sprachrohr der Belegschaft“ (Hocke 2012: 28), die das Verhältnis durch eine vierjährige demokratische Wahl steuern kann. Eine Pflicht des Betriebs-rats der Belegschaft gegenüber besteht darin, in den vierteljährlich stattfindenden Betriebsver-sammlungen Rechenschaft über seine Handlungen und Vorhaben abzulegen. Die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen und damit das Verhältnis zur Belegschaft unterliegt allerdings zu-nehmender Komplexität und einiger Probleme, sodass es illusionär sei, als Betriebsrat mit nur einer homogenen Interessenlage konfrontiert zu sein, die es noch zu vertreten gelte (Vgl. ebd.: 29). Vielmehr existieren aufgrund „der Zergliederung in unterschiedliche Abteilungen und Ar-beitsbereiche, aufgrund der Breite der Beschäftigungsstruktur und aufgrund unterschiedlicher Varianten der konkreten Arbeitsverhältnisse“ (ebd.) zum Teil gänzlich unterschiedliche Inter-essen innerhalb eines Betriebes. Beispielsweise ziehen strukturelle Veränderungen wie Leihar-beit, Arbeitszeitflexibilisierung oder die Zunahme an erwerbstätigen Frauen eine „Heterogeni-sierung der zu vertretenden Interessen“ (ebd.) nach sich. Die Herausforderung des Betriebs-rats besteht somit darin, die komplexer werdenden Interessen der verschiedenen Gruppen in der Belegschaft so weit es geht zu sammeln, für die Verhandlungen mit dem Management zu vereinheitlichen und im Gremium auszuhandeln. Die Betriebsräte würden dabei nicht nur die Interessen der Belegschaft in ihre Verhandlungsarbeit mit einfließen lassen, sondern seien oft-23 Höpner (2003: 210) führt dazu etwa an, dass sich Trends wie Effizienz- und Konsensorientierung wie auch Systemkonformität durch die Shareholder-Value-Orientierung verstärken wird. mals auch „von partikularen Perspektiven und Interessen geleitet, die sich aus ihrer eigenen Gruppenzugehörigkeit ergeben“ (ebd.: 29f.). Insbesondere in größeren Betrieben bestehe da-bei die Gefahr, dass der Betriebsrat sich von der Basis, den Arbeitnehmern also, entferne und zudem an Transparenz verliere. Insgesamt ließe sich aber sogar eine gegenseitige Entfrem-dung von Belegschaft und Betriebsrat diagnostizieren: Erstere nehmen ihre Interessenvertreter zuweilen als „bürokratische(n) Apparat, repräsentiert durch ein Büro, das man genauso meidet wie das des_der Vorgesetzten“ (ebd.: 30) wahr. Vo n Seiten des Betriebsrats hingegen sei die Belegschaft passiv, desinteressiert und sich den Leistungen eines Betriebsrats gar nicht be-wusst. Als weitere Herausforderung des Betriebsrats gegenüber der Belegschaft komme hin-zu, dass sich die genannten strukturellen Veränderungen in der Belegschaft auch auf die Ver-haltensebene der Betriebsräte auswirken. Aufgrund der vielen sich daraus ergebenen Interes-senlagen unterschiedlicher Gruppen, besteht die Aufgabe des Betriebsrats darüber hinaus auch darin, innerhalb der Belegschaft vorherrschende Divergenzen auszugleichen oder diese gar zu schlichten (Vgl. ebd.). Eine Veränderung des Verhältnisses der beiden „Parteien“ ergebe sich zusätzlich daraus, dass das Qualifikationsniveau der Angestellten zunehmend höher werde und diese einen gleichermaßen anspruchsvolleren Kommunikationsstil und Umgangsformen pflegen und diese entsprechend auch vom zuständigen Betriebsrat(sgremium) erwarten:
„Arbeiter, die in ihrer Arbeit als Problemlöser angesprochen werden, die Entscheidungen zu treffen haben, und die sich von ihren Vorgesetzten ernst genommen fühlen, werden selbstverständlich die Erwartung entwickeln, auch im Kontext von Interessenvertretung und Mitbestimmung als Problemlöser ernst genommen zu werden und die Anlässe und Vorgehensweise der Intervention des Betriebsrats mitdefinieren zu können“ (Kotthoff 1995: 440).
Ursprünglich „neigten die Betriebsräte häufig dazu, mit den Arbeitern im Habitus des Funk-tionärs, der es besser weiß, der die Interventionssituation definiert, und der sein Programm durchzieht, zu kommunizieren“ (ebd.).
Das bedeutet somit, dass sich die Beziehung zwischen Betriebsrat und Belegschaft infolge struktureller Veränderungsprozesse gewandelt hat und sich der Betriebsrat sowohl fachlich als auch habituell an die neuen strukturellen Gegebenheiten und steigende Qualifikationen und Ansprüche der Belegschaft anpassen, diese anerkennen und entsprechend reagieren muss.
[...]
1 Dass jegliche Aufgaben von Seiten der Betriebsräte hinzu übernommen wurden ist etwa seit den 1980er-Jahren zu beobachten und kann der so genannten Verbetrieblichung zugesprochen werden. Gemeint ist damit die Verlagerung von Regelungen von der überbetrieblich-tariflichen auf die betriebliche Ebene (Vgl. Wassermann 2002: 59).
2 Konkret bedeutet das, dass „die betriebliche Ausgestaltung von (…) Tarifnormen der Arbeitszeitregulierung nun durch die Akteure der Betriebsverfassung“ (Haipeter 2009: 72f.) vollzogen wird. Siehe dazu ausführlich Haipeter 2009.
3 Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi 2014: 98) war im Jahr 1997 der Höchststand mit 998 Insolvenzen im verarbeitenden Gewerbe in den ostdeutschen Ländern erreicht. Bis 2005/ 2006 blieb dieser Wert mehr oder weniger konstant und sank im Jahr 2013 allerdings bis auf 344 Insolvenzen.
4 Laut Untersuchung des DGB Sachsen-Anhalt (2015: 38) ist der Anteil im Bereich Verkehr, Handel und Gaststätten sowie in anderen unternehmensbezogenen Dienstleistungen am höchsten.
5 Geht man nach der empirischen Studie von Röbenack und Artus (2015), so lassen sich generell steigende Zahlen von Betriebsratsgründungen in Ostdeutschland verzeichnen. Es sei allerdings zu erwähnen, dass sich die Untersuchungen hinsichtlich dieser Thematik auf die Gewerkschaften IG Metall und IG BCE beschränken. Die IG Metall konnte dabei eine höhere Dynamik für Betriebsratsgründungen aufweisen. Jedoch kann diesbezüglich kein genereller Anstieg für Ostdeutschland diagnostiziert werden, da sich die Gründungen von Betriebsräten je nach Region erheblich unterscheiden können. Das bedeutet, dass sich in Großstädten und Ballungsräumen mit viel Industrie entsprechend auch mehr Betriebsratsgründungen verzeichnen lassen und ebenso dort, wo sich in den letzten 20 Jahren neue Industrie gegründet hat und die Betriebe ein Wachstum erfahren. Entsprechend sei es nicht sonderlich überraschend, dass sich speziell in den ostdeutschen Ländern wie Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vermehrt Betriebsräte gegründet hätten. Die höchsten Gründungsraten gäbe es dabei in der Metall- und Elektroindustrie sowie in der Kunststoffindustrie (Vgl. Röbenack/ Artus 2015: 55). Generell könne infolge der Untersuchungen aber trotzdem von einem „ostdeutschen Phänomen“ (ebd.) hinsichtlich der Betriebsratsgründungen gesprochen werden. Schließlich sei die Gründungsquote von Betriebsräten in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie im Wahlzeitraum 2010 mit 23,8 % nahezu 1,7 Mal so hoch wie in den westdeutschen Ländern gewesen. Ebenso bei der IG BCE, wo der gleiche Wert in Ostdeutschland 1,4 Mal so hoch war wie der in Westdeutschland (Vgl. ebd.).
6 Stand: 09.04.2016
7 Ende des Jahres 2013 lebten laut Statistischem Bundesamt (2015) rund 80,8 Millionen Menschen in Deutschland.
8 Mit diesem Wert wurde die höchste Bevölkerungszunahme seit 1992 verzeichnet. Damals wurde ein Zuwachs von über 700.00 Menschen registriert.
9 Zum Vergleich: Im Vorjahr lag dieser Wert bei 429.000 (Siehe Statistisches Bundesamt 2015).
10 Ende des Jahres 2015 wurden rund 2 Millionen ausländische Zuwanderer registriert, jedoch verließen auch 860.000 Ausländer das Land, wodurch sich ein Wanderungssaldo von 1,14 Millionen ausländischen Menschen ergibt.
11 Ein derart hoher Wert an Wanderungsüberschuss wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie zuvor gemessen (Vgl. Statistisches Bundesamt 2016).
12 Grund für den starken Geburtenrückgang nach Ende der 60er Jahre war neben steigendem Wohlstand auch die Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten für Frauen und Mädchen, was unter anderem einen Wandel des Rollenbildes der Frau in der Gesellschaft hervorbrachte. Zudem stieg infolge höherer Qualifikation bei den Frauen das Bedürfnis danach, sich beruflich zu verwirklichen und sich nicht mehr ausschließlich mit der Rolle der Hausfrau zufrieden zu geben. Hinzu kam die Einführung der „Pille“, die eine bewusstere und sicherere Familienplanung möglich machte (Vgl. Klingholz 2016: 5).
13 Im Vergleich dazu lag die durchschnittliche Kinderzahl je Frau 1964 in beiden deutschen Staaten zusammen bei rund 2,6 Kindern (siehe Kröhnert 2013: 87).
14 Laut amtlicher Bevölkerungsstatistik sind grundsätzlich alle weiblichen und männlichen Personen zwischen
15 und 65 Jahre, unabhängig einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit, im erwerbsfähigen Alter (Vgl. Schmidt 2016). Tivig/ Hetze (2007: 62) zufolge wird in Deutschland hinsichtlich des erwerbsfähigen Alters die Spanne zwischen 18/20 bis 60/64 betrachtet. Innerhalb der EU werde allerdings mit einer Bandbreite von 15-74 Jahre gerechnet.
16 Momentan liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 65 Jahren. Aufgrund des demografischen Wandels wurde von Seiten der Bundesregierung allerdings ein Beschluss verabschiedet, nach dem das Renteneintrittsalter seit 2012 bis zum Jahr 2029 schrittweise bis auf 67 Jahre angehoben werden soll (Siehe dazu Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2016).
17 In Anlehnung an den so genannten „Rostocker Indikator“ (Siehe bei Tivig/ Hetze 2007) wird von den im Durchschnitt geleisteten Arbeitsstunden pro Kopf und Woche ausgegangen, „vom Säugling bis zum Greis, gleich ob erwerbstätig oder nicht“ (Vaupel/ Loichinger 2007: 64). Dabei liegt der der durchschnittliche Wert ganz deutlich unter dem Vollerwerbsumfang von 40 Stunden: Vo r rund 20 Jahren lag der Wert bei damals noch höherer Beschäftigungsquote bei 16,9 und wird Vorausrechnungen zufolge in den kommenden 20 Jahre bis auf 15 sinken. Der Grund für einen Rückgang der Arbeitsstunden kann neben steigender Arbeitslosigkeit auch in einer geringen Frauenquote oder aber an längeren Ausbildungszeiten verortet werden. Jedoch könne festgehalten werden, dass allein der Aspekt des Alterns der Beschäftigungsstruktur dafür sorgt, dass die letztendlich geleistete Anzahl an Arbeitsstunden zurückgeht (Vgl. ebd.).
18 An dieser Stelle sei jedoch anzumerken, dass die Erwerbstätigenquote bei den 60-65-Jährigen im Vergleich zum Jahr 2000 extrem angestiegen ist: Damals waren 27,8% der Männer und 12,2 der Frauen zwischen 60 und 65 erwerbstätig. Im Jahr 2010 ist dieser Wert bei den Männern auf 49% und bei den Frauen auf 33% angestiegen (Vgl. Statistisches Bundesamt 2015b: 353). Dieser Anstieg ist möglicherweise durch das sukzessive Anheben des Renteneintrittsalters sowie des Wegfallens der Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit zu erklären.
19 Altersteilzeit ist noch immer möglich, allerdings ohne Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit.
20 Ifb – Institut zur Fortbildung von Betriebsräten KG: Mitwirkungsrechte des Betriebsrats In: Lexikon für die tägliche Betriebsratsarbeit, Staffelsee, 2016, zuletzt überprüft am 30.09.2016. https://www.betriebsrat.de/portal/betriebsratslexikon/M/mitwirkungsrechte-des-betriebsrats.html Neben dem Informationsrecht gehören ebenso das Recht auf Anhörung, Beratung und Widerspruch zu den Mitwirkungsrechten des Betriebsrats. Siehe dazu genauer bei Scheriau 2014: 120ff. und ifb 2016).
21 Darunter sind unter anderem die Einberufung von Sitzungen, die Teilnahme der Gewerkschaften oder die Übertragung von Aufgaben auf Ausschüssen zu verstehen, siehe dazu sowie weitere bei Scheriau 2014: 125f.).
22 Das Vorhandensein eines solchen Spannungsverhältnisses von Kooperation und Konflikt ist sogar in den Grundsätzen zur Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat miteinbezogen: „Das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit schließt die Wahrnehmungen gegensätzlicher Interessen nicht aus. Interessengegensätze sollen aber möglichst durch gegenseitige vertrauensvolle Zusammenarbeit ausgeglichen werden, ohne dass es einer Anrufung der Einigungsstelle oder der Arbeitsgerichte bedarf. Die Zusammenarbeit soll sich in gegenseitiger Ehrlichkeit und Offenheit vertrauensvoll vollziehen“ (Fitting et al. 2014 § 2 Rdnr. 21 in Scheriau 2014: 42).
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