In den Theorien der internationalen Beziehungen spielen Staaten eine entscheidende Rolle, unabhängig davon, durch welche theoretische Brille man das internationale System betrachtet. Im Versuch, den Staat auf konzeptioneller Ebene zu beschreiben und zu definieren, gibt es dabei eine Vielzahl möglicher Herangehensweisen, die dabei zu mindestens so ebenso vielen Begriffsverständnissen führen (Schultze 2001: 476). Ein Element, das untrennbar mit moderner Staatlichkeit einher zu gehen scheint, ist die Souveränität. Als Grundlage von Staatlichkeit gibt es traditionell verschiedene Definitionen und Meinungen darüber, wie genau sich Souveränität gestaltet. Konsens scheint die grundsätzliche Unterteilung von Souveränität in einen Herrschaftsanspruch mit Innen- und Außendimension zu finden. (Seidelmann 2001: 449) “Internallyit means that the government of a State is considered the ultimate authority within its borders and jurisdiction.[…]External sovereignty means, that a state is not subject to the legal power of any other State or of any other higher authority”(Schrijver 1999: 70f.). Sinn scheint diese Unterscheidung in Außen- und Innendimension nicht zuletzt auch deshalb zu machen, weil sie sich auf die historische Entstehung des Souveränitätsbegriffs zurückführen lässt. Mittelalterliche Könige erwehrten sich der Einmischung in die Regierungsgeschäfte zum einen von außen durch Papst und Kaiser. Zum anderen galt es sich nach innen gegenüber untergebenen Adligen des feudalen Systems und deren Herrschaftsanspruch durchzusetzen. (Nay 2004: 154ff.) Seit dem zweiten Weltkrieg gab keine grundsätzliche Debatte mehr über Souveränität. Souveränität galt als „astatic, fixed concept: a set of ideas that underlies international relations, but is not changed along with them.“(Barkin/Cronin 1994: 107) Erst mit Beginn der 1990er Jahre fand das Thema in der Literatur wieder mehr Aufmerksamkeit. Unter dem Eindruck der verschiedenen tiefgreifenden Veränderungen des internationalen Systems wie dem Ende des Ost-West Gegensatzes, der zunehmenden Globalisierung, Interdependenz etc. setzte eine Diskussion über Souveränität ein, die bis zum heutigen Tag andauert.
Gliederung
1 Einleitung
2 Die Herausforderungen des Konzeptes der Souveränität am Beispiel des Souveränitätsverständnisses von Morgenthau
2.1 Die Konzeption der Souveränität bei Morgenthau
2.2 Die Herausforderung des Konzeptes in den 90ern
2.3 Staatliche Souveränität unter neuem Blickwinkel
3 Changing Sovereignty
3.1 Das komplementäre Zusammenspiel von Intervention und Souveränität - Ein sozialkonstruktivistischer Ansatz
3.2 Die Konstruktion von Souveränität durch humanitäre Interventionen
4 Schluss
1 Einleitung
In den Theorien der internationalen Beziehungen spielen Staaten eine entscheidende Rolle, unabhängig davon, durch welche theoretische Brille man das internationale System betrachtet. Im Versuch, den Staat auf konzeptioneller Ebene zu beschreiben und zu definieren, gibt es dabei eine Vielzahl möglicher Herangehensweisen, die dabei zu mindestens so ebenso vielen Begriffsverständnissen führen (Schultze 2001: 476).
Ein Element, das untrennbar mit moderner Staatlichkeit einher zu gehen scheint, ist die Souveränität. Als Grundlage von Staatlichkeit gibt es traditionell verschiedene Definitionen und Meinungen darüber, wie genau sich Souveränität gestaltet. Konsens scheint die grundsätzliche Unterteilung von Souveränität in einen Herrschaftsanspruch mit Innen- und Außendimension zu finden. (Seidelmann 2001: 449) “Internally it means that the government of a State is considered the ultimate authority within its borders and jurisdiction. […] External sovereignty means, that a state is not subject to the legal power of any other State or of any other higher authority” (Schrijver 1999: 70f.). Sinn scheint diese Unterscheidung in Außen- und Innendimension nicht zuletzt auch deshalb zu machen, weil sie sich auf die historische Entstehung des Souveränitätsbegriffs zurückführen lässt. Mittelalterliche Könige erwehrten sich der Einmischung in die Regierungsgeschäfte zum einen von außen durch Papst und Kaiser. Zum anderen galt es sich nach innen gegenüber untergebenen Adligen des feudalen Systems und deren Herrschaftsanspruch durchzusetzen. (Nay 2004: 154ff.)
Seit dem zweiten Weltkrieg gab keine grundsätzliche Debatte mehr über Souveränität. Souveränität galt als „a static, fixed concept: a set of ideas that underlies international relations, but is not changed along with them.“ (Barkin/Cronin 1994: 107) Erst mit Beginn der 1990er Jahre fand das Thema in der Literatur wieder mehr Aufmerksamkeit. Unter dem Eindruck der verschiedenen tiefgreifenden Veränderungen des internationalen Systems wie dem Ende des Ost-West Gegensatzes, der zunehmenden Globalisierung, Interdependenz etc. setzte eine Diskussion über Souveränität ein, die bis zum heutigen Tag andauert.
Die hier vorliegende Arbeit greift den Gedanken der Veränderlichkeit von Souveränität auf und versucht ein Erklärungsmodell zu liefern, auf welche Art und Weise sich Souveränität verändern kann. In einem ersten Schritt soll gezeigt werden, dass die lange angenommene statische Auffassung von Souveränität sich als theoretisch nicht mehr vollkommen haltbar erweist. Hierzu wird zunächst der Souveränitätsbegriff des Realismus angenommen, wie er von Morgenthau selbst in Politics among Nations[1] (1962: 317) formuliert wurde. Diese realistische Definition von Souveränität wird dann herausgefordert durch das Konzept der humanitären Intervention, einem Typus von Intervention, der vor allem während der 90er Jahre verstärkt auftrat. Es wird gezeigt werden, dass durch humanitäre Interventionen der realistische Souveränitätsbegriff nicht mehr ohne weiteres hält und in Konsequenz daraus der Souveränitätsbegriff einem Wandel zu unterliegen scheint.
In einem zweiten Schritt soll daher ein Mechanismus aufgezeigt werden, der den Wandel von Souveränität zu erklären vermag. Ein konstruktivistischer Ansatz erklärt, wie die Auffassung von Intervention, und dabei insbesondere humanitärer Intervention, das Verständnis von Souveränität beeinflussen kann. Es wird abschließend argumentiert werden, dass momentan eine Debatte stattfindet, die grundlegend die Idee von Souveränität und Staatlichkeit verändern kann. Dies könnte eine grundlegende Änderung der Rechte und Pflichte von Staaten und des internationalen Systems insgesamt verursachen.
2 Die Herausforderungen des Konzeptes der Souveränität am Beispiel des Souveränitätsverständnisses von Morgenthau
In diesem ersten Abschnitt der Arbeit soll sich also zunächst auf das Verständnis von Souveränität bei Hans J. Morgenthau (1962) konzentriert werden. Es gilt zu zeigen, dass die statische Auffassung von Souveränität, wie sie von ihm entwickelt wird, in Anbetracht der Wandlung des internationalen Systems v.a. in den 1990er Jahren in dieser Form nicht mehr vertretbar ist.
Hans J. Morgenthau ist Mitbegründer des Realismus, einer Theorierichtung internationaler Beziehungen, die ihren Ursprung in der Kritik am scheiternden Völkerbund findet. Zentrales Anliegen bestand darin, ein Modell rationalen Handelns zu liefern, in denen Staaten in einem im Sinne von Macht verstandenen Interesse durch seine Politiker gelenkt werden. (List et al. 1995: 37ff) Staaten sind dabei wichtiger Akteur in einem anarchischen internationalen System. Die staatliche Handlungslogik liegt in der Anhäufung und Erhaltung von Macht, um damit letztendlich das eigene Überleben zu sichern. (Jacobs 2003: 46)
Die Souveränität ist dabei in der realistischen Logik ein Schlüsselbegriff, denn sie konstituiert den Staat. „It is the fundamental assumption from which the realist notion of anarchy is derived“ (Barkin/Cronin 1994: 108) Erst durch Souveränität wird einem Staat der Aufbau von Machtpotentialen zur Durchsetzung seiner Interessen ermöglicht, bietet doch die Souveränität die Möglichkeit, sich von anderen Staaten abzugrenzen und zu emanzipieren. (Seidelmann 2003: 567)
2.1 Die Konzeption der Souveränität bei Morgenthau
Morgenthau widmet der Souveränität in seinem Buch Politics among Nations (1962) ein ganzes Kapitel. Es ist eingebettet in die Diskussion über Begrenzungen der Macht von Nationalstaaten. Konkret geht es ihm um die Frage, in wie weit internationales Recht diese Aufgabe zu erfüllen vermag. Um ein Verständnis der Morgenthauschen Idee von Souveränität zu ermöglichen, soll zunächst kurz darauf eingegangen werden, was er unter nationalem und internationalem Recht versteht, um schließlich vor diesem Hintergrund seine Definition von Souveränität einzuführen.
Nationales und internationales Recht = zentrales und dezentrales Recht
Für Morgenthau kann man dort von Recht sprechen, wo eine Autorität „nach bestimmten Verfahrensregeln zustande gekommene Normen gegen jeden denkbaren Widerstand durchsetzt“. (Dicke 1995: 96) Zentral ist in seiner Auffassung von Recht also das Gewaltmonopol, das er insbesondere im inländischen Recht verwirklicht sieht: “Domestic law can be imposed by the group that holds the monopoly of organized force; that is, the officials of the state.“ (Morgenthau 1993: 255) Es gibt in einem Staat also eine zentrale gesetzgebende und -umsetzende Gewalt. Demgegenüber steht das Recht im internationalen System, welches sich vor allem durch seinen dezentralen Charakter auszeichnet: „International law owes its existence and operation to two factors, both decentralized in character: identical or complementary interests of individual states and the distribution of power among them.“ (Morgenthau 1993: 256) Hier wird Recht also nicht von einer zentralen gesetzgebenden Gewalt verfügt, sondern speist sich aus der Interaktion zwischen Staaten. Im sich hieraus manifestierenden internationalen Recht kommt es auf dieser Grundlage zu zwei Arten von Regeln: Zum einen ein paar wenige, auf der Meta Ebene angesiedelte Übereinkünfte. Sie organisieren den grundsätzlichen Umgang der Staaten miteinander und ermöglichen so grundsätzliche Kooperation auf zwischenstaatlicher Ebene. Zum anderen existieren die eigentlichen Regeln des internationalen Rechts, die aus dem Abschluss von Verträgen zwischen Staaten entstehen. Sie besitzen Gültigkeit, weil alle betreffenden Staaten diese Regeln anerkennen und haben nur so lange Gültigkeit, wie sie von allen betreffenden Staaten für gültig angesehen werden. (Morgenthau 1993: 256f.)
Souveränität
Der Umstand, dass internationales Recht nur durch die Anerkennung aller beteiligten Staaten zu Stande kommen kann, hat zwei Konsequenzen: Erstens gibt es im internationalen System damit keine Instanz, die durch ein Gewaltmonopol die Staaten zwingen kann bestimmte Regelungen anzuerkennen. Es herrscht das für den Realismus typische System der Selbsthilfe und Anarchie. Zweitens muss es natürlich einen Grund geben, weshalb internationales Gesetz nur dann zu Stande kommt, wenn alle beteiligten Staaten dem zustimmen. Oder anders formuliert: Weshalb sich ein Staat dem internationalen Recht einfach so entziehen kann.
Ein Staat entzieht sich internationalem Recht in dem er sich auf seine Souveränität beruft. Souveränität fungiert somit als Legitimation, sich internationalem Recht zu widersetzen. Warum ein Staat das kann, wird durch die Definition von Souveränität klar: „Sovereignty is the supreme legal authority of the nation to give and enforce the law within a certain territory“. (Morgenthau 1962: 318) Zentraler Punkt bei Morgenthaus Souveränität ist also der rechtliche Aspekt, die Möglichkeit eines Staates in seinem Territorium alleinig Recht zu erlassen und durchzusetzen. Ein anderes wirkliches Recht, das über dem nationalen Recht angesiedelt ist, könnte es für einen Staat gar nicht geben.
Grunddilemma zwischen internationalem Recht und Souveränität
Internationales Recht und nationale Souveränität scheinen dabei zueinander im Widerspruch zu stehen: Einerseits will internationales Recht dem Nationalstaat Regelungen vorschreiben, andererseits sind diese Nationen souverän und unterliegen einzig ihrer eigenen nationalen Regelungskompetenz. In Wahrheit, so argumentiert Morgenthau, existiert dieses Dilemma aber nicht wirklich, den Souveränität „is only incompatible with a strong and effective, because centralized system of international law. It is not at all inconsistent with a decentralized, and hence weak and ineffective, international legal order. For national sovereignty is the very source of that decentralization, weakness and ineffectiveness.” (Morgenthau 1962: 313)
Die Folgen für Unabhängigkeit, Gleichheit und Einstimmigkeit
Aus dieser Konzeption der Souveränität ergeben sich Folgen für den Umgang der Staaten miteinander, die sich im Bereich der Freiheit, Gleichheit und Einstimmigkeit ausdrücken. (Morgenthau 1962: 315f.)
Die alleinige Autorität in einem Gebiet zu sein bedeutet, es gibt nichts und niemand darüber - jeder Einfluss einer anderen Autorität ist ausgeschlossen. Ein souveräner Staat ist in der Gestaltung seiner Außen- und Innenbeziehungen frei. Er unterliegt dabei lediglich den zwei bereits erwähnten Zwängen: Den Metaregeln, ohne die Kooperation überhaupt nicht denkbar wäre und den selbst auferlegten Bestimmungen, die sich aus abgeschlossenen Verträgen ergeben. (Morgenthau 1962: 315f.) Souveränität bedeutet also nicht vollkommene Freiheit von rechtlichen Zwängen. Ein Staat kann sehr wohl internationalem Recht unterliegen. Allerdings nur in so weit, wie er diesem Gesetz selber zugestimmt hat. Dabei ist die Souveränität eines Staates auch nicht eine Frage der Quantität der Regelungen, der er sich unterwirft, sondern vielmehr eine Frage der Qualität: So lange ein Staat das Monopol behält Gesetze zu erlassen und durchzusetzen, gibt es für seine Souveränität keinen Zweifel. Erst wenn diese zentrale Regelungskompetenz in einem Vertrag verloren ginge, würde die Souveränität eines Staates in Mitleidenschaft gezogen. (Morgenthau 1962: 317)
Wenn alle Nationen über die alleinige Autorität in ihren jeweiligen Gebieten verfügen, dann kann kein Staat in der Ausübung seiner souveränen Rechte unter den Willen eines anderen Staates fallen. Alle Staaten sind in der souveränen Ausübung ihres Regelungsmonopols gleichberechtigt und können keinem anderen Staat durch internationales Recht Regelungen aufzwingen. „International law is a law among co-ordinated, not subordinated, entities.“ (Morgenthau 1962: 316) Vor dem internationalen Gesetz besteht also Gleichheit insofern, dass jeder Staat internationalem Recht zustimmen muss, damit es Gültigkeit hat. Das bedeutet aber nicht, dass es auf internationaler Ebene nicht auch zu Ungleichheiten oder Benachteiligungen von Staaten kommen kann. Als Beispiel wird von Morgenthau der Vertrag von Versaille angeführt, in dem Deutschland, Österreich, Ungarn und Bulgarien als Verlierer des Ersten Weltkriegs erhebliche Lasten aufgetragen wurden. Dennoch blieb ihnen die Souveränität erhalten, stimmten sie doch den in dem Vertrage festgehaltenen Bestimmungen zu. (Morgenthau 1962: 317)
Wenn aber kein Staat gegen seinen Willen zu etwas gezwungen werden kann, dann kann dies nur eine Konsequenz haben für zwischenstaatliche Verträge und Abkommen: Sie müssen einstimmig verabschiedet werden. Dabei spielen Bevölkerungsgröße, wirtschaftliche oder militärische Macht keine Rolle. „In any international conference creating new law for the international community, the vote of Panama counts as much as the vote of the United States, and the votes of both are required to make the new rules of international law binding for both.” (Morgenthau 1962: 316)
UN und Souveränität
Morgenthau geht auch auf die damals gerade entstandenen Institutionen der Vereinten Nationen ein. Er hinterfragt die in der Charta vorgesehenen Bestimmungen hinsichtlich des möglichen Verlustes von Souveränität der Mitgliedstaaten, wobei insbesondere der Sicherheitsrat betrachtet wird.
[...]
[1] In der Erstauflage erschien dieses Buch bereits 1948. In dieser Arbeit wurde jedoch die 3.Auflage von 1962 verwandt, weshalb im fortlaufenden Text bei Literaturangaben auch diese Jahreszahl angeführt werden soll. Diese Bemerkung erscheint dabei insofern sinnvoll, als dass auf die Entstehung von Politics among Nations direkt nach dem Zweiten Weltkrieg und unter Eindruck der Entstehung der Vereinten Nationen verwiesen werden soll.
- Arbeit zitieren
- Christian Arnold (Autor:in), 2006, Der Wandel von Souveränität unter dem Eindruck humanitärer Interventionen der neunziger Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59362
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