James Fenimore Coopers Werk markiert den Beginn der Indianerliteratur des 19. Jahrhunderts. In seinen Indianerromanen stellt Cooper die Beziehung der Angloamerikaner zu den Indianern dar und entwirft darüber hinaus ein Bild des Indianers, das am nachhaltigsten die Vorstellung vom typischen Indianer in der Literatur geprägt hat. Hierbei ist Cooper einerseits der europäischen Aufklärung verpflichtet, die den "noble savage" „erfand“. Andererseits greift Cooper auch das puritanische Feindbild des Indianers, den "satanic savage", auf. Darüber hinaus orientiert sich Cooper aber auch an zeitgenössischen spezifisch amerikanischen Vorstellungen von Indianern, wie dem "vanishing American". Im Ganzen präsentiert Cooper ein stereotypisiertes Bild des Indianers, indem er ihn unter die simple Dichotomie des „guten“ und des „bösen“ Indianers subsumiert. Dennoch problematisiert Cooper bestimmte Klischees des Fremden, indem er einzelne Indianer individualisiert.
Diese Arbeit untersucht, wie Cooper den „typischen“ Indianer darstellt und wie er zentrale Indianergestalten individualisiert. Hierbei wird zunächst auf die Traditionen und Quellen eingegangen, denen Coopers Indianerdarstellung verpflichtet ist. Diese Arbeit richtet sich vor allem an Studierende und Mitarbeiter im Fachbereich Amerikanistik, sowie an alle Interessierten auf dem Gebiet der Indianerliteratur.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Stereotypisierende Indianerbilder in der nordamerikanischen Literatur
1.1. Der „teuflische Wilde" der Puritaner
1.2. Der „edle Wilde" der europäischen Aufklärung
1.3. Der „edle Wilde" der Amerikaner und andere amerikanisch-indianische Stereotypen
1.3.1. The vanishing American
1.3.2. Der „gute" Indianer
1.3.3. Der blutrünstige und der degenerierte Indianer
2. Coopers problembewusste Indianer-Bearbeitung
2.1. Coopers Informationsquellen
2.2. Festschreibung und Verarbeitung der Quellen
2.2.1. Captivity narratives und melodramatische
2.2.2. Der Missionar Heckewelder
3. Indianer-Typen in The Last of the Mohicans
3.1. Stereotype Charakterisierung des indianischen Wesens
3.1.1. „Typische" Indianer und die „guten" Delawaren
3.2. Naturgebundenheit und Statik als Merkmale der indianischen Zivilisation
4. Magua: Der „teuflische Wilde" mit komplexem Charakter
4.1. Äußere Erscheinung und Verhalten
4.2. Negative Charakterentwicklung und Widerspruch
5. Uncas: Der zivilisationswillige „edle Wilde"
5.1. Äußere Erscheinung und Verhalten
5.2. Positiver Entwicklungsprozess und Affiliation mit der angloamerikanisehen Zivilisation
6. Chingachgook: Der unzivilisierbare „edle Wilde"
6.1. Ambivalentes Wesen des nicht zivilisierbaren „guten" Indianers
6.2. Vom „guten" zum degenerierten Indianer
7. Resümee
8. Anmerkungen
9. Literaturverzeichnis
9.1. Primärliteratur
9.2. Sekundärliteratur
0. Einleitung
The Leather-Stocking stories illustrate (…) the Indian's shifting role on the American frontier.1
James Fenimore Cooper gilt als Amerikas erster Mythopoet, Vater der amerikanischen Nationalliteratur und als „amerikanischer Scott", 2 weil er Themen aus der amerikanischen Geschichte verarbeitete. Dabei „fiktionalisierte" er historische Ereignisse, indem er sie in die tradierten Formen einer Romanhandlung umgoss und von der Ebene des individuellen Erlebens her beleuchtete. Hierbei bekannte sich Cooper nicht nur zu einem genuin amerikanischen Schauplatz (setting), sondern erstritt mit seinen indianischen Protagonisten die Literaturwürdigkeit der nordamerikanischen Ureinwohner. Im Rahmen seines umfangreichen Werkes stellen die Leatherstocking Tales den amerikanischen Mythos schlechthin dar und bilden darüber hinaus den Beginn der Indianerliteratur des 19. Jahrhunderts.3 Coopers Indianerfiguren wurden infolge der breiten Rezeption sowohl in Amerika als auch in Europa zum Inbegriff des „Roten Mannes". So schrieb beispielsweise Paul Wallace im Jahr 1954: „For a hundred years The Leather-Stocking Tales' cast a spell over the reading public of America and Europe and determined how the world was to regard the American Indian".4 Coopers Indianerdarstellung hat also wesentlich dazu beigetragen, dass sich das gegensätzliche Indianerbild vom „guten" und „bösen" Indianer zu dem Mythos vereinigen konnte, der sich bis in die heutige Zeit hinein durchsetzen konnte: „by developing powerful images to symbolize both extremes of feeling about the red man (...) [Cooper] created one of the major nineteenth-century myths about America".5
Die Lederstrumpf-Romane verarbeiten also Grunderfahrungen und -probleme der jungen amerikanischen Nation und rufen somit auf der Ebene der literarischen Realität vor allem die Indianerfrage als ein amerikanisches Grundsatzproblem ins öffentliche Bewusstsein. Auf diese Weise sind einerseits narzisstische Selbstspiegelung, ob des unaufhaltsamen Wachsens der jungen amerikanischen Nation, sowie andererseits bußfertige Selbstanklage, ob der rücksichtslosen Vertreibung der Ureinwohner und der damit verbundenen Trauer über den Untergang der indianischen Welt, in ihrer unaufhebbaren Ambivalenz literarisch in den Leatherstocking Tales greifbar.
The Pioneers (1823) und The Last of the Mohicans (1826) sind dabei diejenigen Werke aus dem Lederstrumpf-Zyklus, die den historischen Prozess, d.h. die Wildniskämpfe und die Ansiedlung der Weißen, thematisieren und am deutlichsten geschichtlich konzipiert sind.6 Entsprechend befasst sich Cooper in diesen Werken mit Indianern und den Vorgängen bei der Inbesitznahme des nordamerikanischen Kontinents durch die angloamerikanische Zivilisation. Hierbei stellt Cooper in The Last of the Mohicans, aber auch in dem zeitlich später angesiedelten The Pioneers, die Beziehung der weißen Amerikaner zu den Indianern dar und entwirft darüber hinaus ein Bild des Indianers,7 das am nachhaltigsten die Vorstellung vom typisc hen Indianer in der Literatur geprägt hat.8 In diesem Zusammenhang ist jedoch zu bemerken, dass The Pioneers zwar intensiv die Siedlungsproblematik behandelt, aber The Last of the Mohicans der indianischen Tragödie sehr viel mehr Raum widmet, die in der unseligen Verknüpfung zwischen der Eroberung des Kontinents durch die weißen Einwanderer und der damit ausgelösten Vernichtung der Indianer besteht. In beiden Romanen präsentiert Cooper jedoch im Ganzen ein stereotypisierendes Bild des Indianers, indem er dessen Eigenschaften auf wenige Merkmale reduziert und ihn somit generell unter die simple Dichotomie des „guten" und des „bösen" Indianers subsumiert. Gleichwohl greift Cooper bestimmte Klischees des Fremden auf, um sie dadurch zu problematisieren, dass er einzelne Indianer individualisiert. Auf diese Weise lässt sich aufzeigen, dass Cooper eine Differenz zwischen den Stereotypen seiner Zeit und konkreten indianischen Protagonisten darstellt. Somit lässt sich die These aufstellen, dass sich in Coopers Indianerdarstellung insofern ein neuer Zug findet, als über die bekannte Typisierung in „gute" und „böse" Indianer hinaus, Widersprüche, Divergenzen und eine Zerrissenheit zur Geltung kommen.
Dennoch verdanken Coopers „primitive Wilde" ihre Existenz grundsätzlich weniger seinen ethnologisch präzisen Kenntnissen als einer langen und komplizierten europäischen Tradition, die sich seit dem Zeitalter der Entdeckungen in Auseinandersetzung mit den Ureinwohnern der amerikanischen Kontinente entwickelt hatte. Der nordamerikanische Indianer war also mythisch als barbarische, wilde Kreatur und als unverdorbenes, glückseliges Naturgeschöpf existent, lange bevor Cooper ihn episch stilisierte.9 Im ersten Kapitel soll deshalb die historische Entwicklung des stereotypisierenden Indianerbildes skizziert werden, um zunächst klären zu können, welcher Tradition Cooper generell verpflichtet ist. Hierbei wird es auch um eine historische Einbettung beider Romane gehen. Dabei ist zu klären, wie in der literarischen Tradition mit dem Fremden, Wilden und Neuen umgegangen wurde. In diesem Kontext wird zudem zu zeigen sein, dass sich vor allem die kulturkritische Philosophie Rousseaus in The Pioneers und The Last of the Mohicans spiegelt, denn Cooper verdeutlicht, dass erst die Viren der weißen Zivilisation das „Schlechte" in die indianische Lebensweise eingeführt und das Edle und Tugendhafte im Charakter der Indianer zunehmend zersetzt haben.10
Die Gestaltung des Indianers als literarische Figur erweiterte Cooper aber auch durch umfangreiche Quellenstudien, deren Ursprünge seine eigene inventio sowohl antezedieren als auch überschreiten. Darauf wird im zweiten Kapitel eingegangen werden. Zu bemerken ist, dass sich gerade im 18. Jahrhundert Reisebeschreibungen, Expeditions- und Missionarsberichte über die nordamerikanischen Indianer häufen, die sich im Unterschied zu den eher pauschalen Abhandlungen früherer Jahrhunderte mit einzelnen Stämmen und ihren Traditionen befassen. Es wird deshalb zu klären sein, wie Cooper die Klischees, die in frühen, aber auch noch in zeitgenössischen Schriften kursierten, unterläuft, hinterfragt oder gar aufhebt. In diesem Zusammenhang wird zudem analysiert werden, wie Indianer in Coopers Hauptquellen dargestellt werden, und wie er diese kritisch und problembewusst bearbeitet. Hierbei ist auch der Wahrheitsgehalt der historischen Quellen an sich zu prüfen sowie zu klären, ob diese Texte lediglich den Klischees verhaftet bleiben, oder ob auch sie schon individualisierte Indianerfiguren präsentieren.
Jedoch ist Coopers Indianerdarstellung bereits von Zeitgenossen kritisiert worden, mit dem Vorwurf, seinen Indianern fehle es an Lebensechtheit.11 Entscheidend ist hierbei, dass Cooper seine Indianer stets als Figuren seiner dichterischen Freiheit verstanden hat, also gar nicht für sich in Anspruch nahm, nordamerikanische Ureinwohner tatsächlich realistisch gezeichnet zu haben.12 Coopers antithetisches Bild des Indianers scheint somit in der Tat idealisiert und eine grobe Vereinfachung zu sein, wobei die Stereotypen grundsätzlich rassistisch erscheinen. Dennoch kann generell gesagt werden, dass kein weißer amerikanischer Schriftsteller des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts vollkommen vorurteilsfrei gegenüber Indianern war. Das gilt auch für Cooper. Insofern kann auch seine Präsentation des Indianers zu den rassischen Stereotypen gezählt werden, die das amerikanische Denken im 19. Jahrhundert geprägt haben. Aus diesem Grund erscheint Coopers polares Indianerbild als Spiegel seines kulturellen Hintergrunds. Darum auch wurde oft betont, dass Cooper die Indianer so hinnahm, wie sie ihm durch seine Kultur präsentiert wurden.13 Verdeutlicht soll aber auch werden, dass Cooper nach einem Kompromiss zwischen seinen eigenen, vorurteilsbeladenen Vorstellungen vom Typ Indianer und seinen epischen und politischen Intentionen suchte, denn auch er teilte prinzipiell die Überzeugung seiner Zeitgenossen von der historischen Notwendigkeit des weißen Siegs. Auf diese Weise wird die Stereotypisierung seiner indianischen Protagonisten auch als Beweis für seine ethno-chauvinistische Vorurteilsbeladenheit zitiert. Nicht ohne Grund gilt Coopers Interesse primär dem Wilden, den man durch die Vorstellungen und Erfordernisse des zivilisierten Lebens definiert.14 Die Tatsache aber, dass die Entstehung von The Pioneers und The Last of the Mohicans generell in eine Periode relativer Indianerfreundlichkeit in Politik und Literatur fallen,15 legt nahe, dass Cooper bei der Darstellung von Indianern in der Tat nicht bloß den Konventionen folgt, sondern zentrale Indianergestalten mehrschichtig anlegt und sie dementsprechend komplexer gestaltet.
Auf diese Weise stellt Elisabeth Hermann bereits in ihrer 1986 veröffentlichten Dissertation über die Darstellung der nordamerikanischen Indianer im Werk James Fenimore Coopers und seiner Zeitgenossen16 fest, dass Cooper mit der Möglichkeit experimentiert, das scheinbar Unvereinbare, nämlich die dynamische angloamerikanische und die statische indianische Zivilisation, zusammenzubringen und die Indianer in den Ablauf der Geschichte des nordamerikanischen Kontinents einzubeziehen. Diese einschlägige Studie über die Gestaltung und Funktionalisierung indianischer Charaktere in Coopers Romanen gelangt zu dem Ergebnis, dass Cooper bei der Präsentation seiner Indianer zwar auf einer Darstellungsebene die Konventionen seiner Zeit aufgreift, wenn es darum geht, den „typischen" Indianer zu präsentieren. Alte Leservorurteile und damit zusammenhängende grundlegende Urteilssicherheit des Lesers über indianische Eigenheiten werden damit bestätigt. Jedoch betont Hermann auch, dass es darüber hinaus noch eine zweite Ebene gibt, auf der Cooper in der Gestaltung einzelner Indianer über diese automatisierte Rechtfertigung mittels schablonenhafter Handlungsträger und Gestaltung des kollektiven Schicksals der Zivilisation hinausgeht, und mithilfe von „Akkulturationsexperimenten" Möglichkeiten ausleuchtet, durch die eine Einbeziehung der indianischen Zivilisation in den Ablauf amerikanischer Geschichte ermöglicht werden könnte. Hermann gelangt zu dem Schluss, dass die Indianer die Lösung aus der Gebundenheit an ihre wenig entwickelte Zivilisationsstufe,17 den Schock des Herausgerissenwerdens aus einem Jahrhunderte währenden Zustand, nicht überstehen und folglich auch nicht als aktive Teilnehmer in den Verlauf von Geschichte integriert werden können. Aufgezeigt an dominanten Indianerfiguren, führt der plötzliche, erzwungene Übergang nach Hermann eher zu einem Prozess der Desintegration, in dessen Verlauf die Indianer entweder ihr Leben verlieren oder als passive Mündel der weißen Zivilisation enden, ohne an deren Zukunft teilhaben zu können.
Es lässt sich Hermann darin zustimmen, dass Cooper bei der Darstellung des „typischen" Indianers, d.h. des Indianers als Angehörigen eines Volkes, im Ganzen den Konventionen seiner Zeit folgt und diesen Indianer stereotypisiert darstellt. Im dritten Kapitel wird entsprechend analysiert werden, welche Funktion die Übernahme von Klischees für die Darstellung des „typischen" Indianers einnimmt. In diesem Zusammenhang wird auch darauf einzugehen sein, dass das Fremde vorwiegend aus der sentimentalisierenden Perspektive der Weißen geschildert wird. Darum ist auch zu beachten, ob ein kritisches Verhältnis Coopers gegenüber der Sicht der Angloamerikaner deutlich wird. Zu bemerken ist nämlich, dass Cooper durchaus den Versuch unternimmt, aus der ethnozentrischen Sichtweise der euro-amerikanisehen Literatur auszubrechen und sich ansatzweise auch in die Angehörigen der Nationen hineinzuversetzen, die diese Literatur zu Objekten der Betrachtung reduziert. Aus diesem Grund kann man die These aufstellen, dass Cooper speziell in The Last of the Mohicans nicht mehr die Konfrontation von Zivilisation und Barbarei, sondern vielmehr das Nebeneinander mehrerer Kulturen gestaltet.18
Es ist deutlich geworden, dass Coopers Indianerdarstellung nicht nur eine bedeutende Rolle hinsichtlich der Präsentation des Indianers in der Literatur zukommt, sondern dass seinem Indianerbild auch das Potential zugestanden werden muss, den kulturellen Hintergrund des 19. Jahrhunderts näher beleuchten und die Einstellung der Angloamerikaner zu den Native Americans verdeutlichen zu können. Aus diesem Grund erscheint eine eingehende Betrachtung der Bedeutung der stereotypisierenden Indianerdarstellung und deren Modifizierung anhand individualisierter Indianergestalten ein angemessener und geeigneter Aspekt für eine Interpretation von Coopers Romanen The Pioneers und The Last of the Mohicans.
Festzustellen ist hierbei, dass den drei individualisierten indianischen Hauptfiguren aus The Pioneers und The Last of the Mohicans - Magua, Uncas und Chingachgook - durch ihre Rollen als „gute" beziehungsweise „böse" Indianer eine symbolische Funktion zukommt, so dass sie zu Repräsentanten der verschiedenen Stadien der Extermination der Indianer werden und dabei auch die sich verändernde Rolle des Indianers an der American frontier widerspiegeln. Auf diese Weise lässt sich an ihnen aufzeigen, inwiefern Cooper die Stereotypen problematisiert und verkompliziert. Die Bedeutung der Abweichungen werden an diesen Beispielen in den folgenden drei Kapiteln gedeutet werden. Der Protagonist Uncas und der Antagonist Magua aus The Last of the Mohicans sollen dabei vornehmlich als Prototypen des „guten" beziehungsweise des „bösen" Indianers betrachtet werden. Hierbei ist festzuhalten, dass der „böse" Magua als Gegenwartsindianer konzipiert ist, während der „gute" Uncas von vornherein als Vergangenheitsindianer erscheint, der bereits bei Entstehung des Romans The Last of the Mohicans der Vergangenheit angehörte und damit zur Glorifizierung freigegeben war. Somit repräsentieren Uncas und Magua beide eine jeweils andere Phase in der Ausrottung der Indianer durch den unaufhaltsamen Fortschritt der weißen Zivilisation. Interessant ist hierbei insbesondere, inwiefern Magua vom Prototyp des „schlechten" Indianers abweicht. Bei Chingachgook scheint Cooper zwei typische Entwicklungsstadien indianischer Existenz vor Augen gehabt zu haben, denn Chingachgook erscheint in The Pioneers als degenerierter Gegenwartsindianer, während er in The Last of the Mohicans eher dem „edlen Wilden" gleicht.19 Die Verteilung bewegt sich also entlang einer Grenze, die von Vergangenheit (d.i. gut, edel) und Gegenwart (d.i. schlecht, degeneriert) gebildet wird. Hierbei wird generell eine bedauernde Haltung Coopers hinsichtlich des Absterbens der reinrassigen, edlen Wilden deutlich.20 Zudem wird letztlich auch sichtbar werden, dass der Unterschied zwischen dem „guten" und dem „bösen" Indianer in der Tat nicht sehr groß ist, sondern dass der „edle Wilde" nur die Kehrseite des „teuflischen Wilden" bedeutet.
1. Stereotypisierende Indianerbilder in der nordamerikanischen Literatur
1.1. Der „teuflische Wilde" der Puritaner
For them [the Puritans], Indians were direct instruments of Satan's bidding, if not actual devils themselves.21
Bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts spielte das Verhältnis der Angloamerikaner zu den Indianern eine zentrale Rolle für die Entwicklung der vom Pioniergeist geprägten Siedlerkultur zur hochzivilisierten Nation. Es lässt sich vom ersten Kontakt bis zur eskalierenden Konfrontation aufzeigen, wie sich die amerikanische Kultur verstanden hat. Literarische Schriften erscheinen hierbei prinzipiell als Mittel zur Verarbeitung von Geschichte sowie als Ausdruck von Ideenprozessen. Denn sie erlauben es, Rückschlüsse auf die Einstellung der weißen Amerikaner zum Anderen, d.h. zum Fremden, zu ziehen. Diese Literatur spiegelt dabei einen Prozess der Entstehung von Stereotypen wider, wobei festzuhalten ist, dass diese in erster Linie Konstruktionen von Nicht-Indianern darstellen und somit grundsätzlich wenig mit der Realität des indianischen Lebens gemein haben.
Auf diese Weise war das dichotome Bild von den amerikanischen Ureinwohnern, der Widerspruch zwischen Verteufelung und Verherrlichung, bereits bei Kolumbus und anderen Entdeckungsreisenden der Renaissance angelegt und kennzeichnet alle folgenden Indianerdarstellungen der Kolonialzeit. Die Auffassungen vom edlen und unedlen Wilden formten also schon relativ früh feste Bestände westlicher Kultur und ermöglichten den Repräsentanten der abendländischen Kultur, sich selbst zu bestätigen, abzugrenzen, eigenes unrechtmäßiges Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen, aber auch sich selbst zu kritisieren.22 Die intellektuelle und moralische Qualifizierung des Indianers erscheint somit auch als ein Mittel zur Bestimmung des kulturellen Selbstwertes. Denn die Berührung mit den Eingeborenen führte den Weißen das vor Augen, was sie nach ihren Wertmaßstäben nicht sein sollten und forderte von ihnen somit eine Definition ihrer eigenen Kultur. Das Bild des Indianers als „roter Teufel" ist im Wesentlichen als Resultante einer biblisch fundierten Weltbetrachrung der puritanischen Siedler zu verstehen. Diese Vorstellung vom Indianer geht hauptsächlich auf die eurozentrische, christlich-theologische Voreingenommenheit der Puritaner zurück, die den Indianer notwendig als dämonisch, da ungläubig, sehen und ihm mit unverhohlenem Misstrauen und unerschütterlichem Glauben an die eigene Überlegenheit sowie die Gottgewolltheit ihrer Anwesenheit in der Neuen Welt begegnen mussten. Somit erblickte der puritanische Geist in den Indianern von Anfang an die teuflische Opposition gegen die göttliche Ordnung.23 Darüber hinaus trug die mangelnde Bereitschaft der Indianer, sich bekehren zu lassen, zu der Überzeugung der Puritaner bei, dass diese der höheren Zivilisation zu weichen hatten. Auf diese Weise konnten die Puritaner die Eliminierung der Ureinwohner sowie die Urbarmachung des Landes als göttlichen Willen deklarieren. Dabei betrachteten sie ihre Beziehung zu den Indianern einseitig als eine Gefährdung ihrer selbst, aus der allein Gott sie erretten konnte. Um die Aneignung von Land rechtfertigen zu können, haben die Puritaner den Indianern das Menschsein und somit auch das Recht auf ihr Land abgesprochen.24 Den Puritanern konnten die Indianer somit nur fremd und unmenschlich bleiben, da sie sie nie als gleichberechtigte Wesen betrachtet haben.
Da die Puritaner allein in Gottes Wort eine Richtlinie für die innere wie äußere Ordnung des Gemeinwesens erblickten, die somit auch eine Folie zur Interpretation der fremden Kultur lieferte, passten die Indianer lediglich als Teil des bereits Gewussten in einer abstrakten Menschlichkeit in dieses Gefüge. Diese Haltung impliziert generell, dass die Puritaner die Indianer gar nicht als ein Anderes erkennen konnten, das zur kritischen Reflexion der eigenen Kultur aufforderte.25 Dementsprechend ist vor allem in den historischen Dokumenten der Puritaner selten Verständnis für die indianische Kultur als solche vorhanden. Vor diesem Hintergrund erscheint der Hass der Puritaner auf die ihnen fremden Indianer primär als Ausdruck eines institutionalisierten, strukturellen Ethnozentrismus, der die Aufrechterhaltung der puritanischen Herrschaft mit theologischen Argumenten legitimierte.26
Die Indian-devil- Stereotypie findet sich also erstmals als Form mit religiösem Hintergrund in den Erfahrungsberichten (factual prose) und in den Berichten über Gefangenschaften bei den Indianern (captivity tales/narratives) der puritanischen Kolonisatoren des 17. Jahrhunderts. Vor allem die captivity tales dienten zu jener Zeit als einzige Informationsquelle über das Leben der Indianer und beeinflussten somit sehr stark das Bild vom „Wilden" in den Augen derer, die fern der Erfahrung der Wildnis lebten. In diesen Erzählungen werden indianische Ureinwohner im Allgemeinen nicht als erkennbare Individuen oder als Menschen anderer Kultur dargestellt, sondern vielmehr als stereotype Handlanger von teuflischen Mächten, die zu bekämpfen die Puritaner sich an Gottes Seite berufen fühlten.27 Die wohl bekannteste Erzählung dieser Art ist Mary Rowlandsons A Narrative of the Capt ivity and Restoration of Mrs. Mary Rowlandson von 1682.
Zu den wiederkehrenden Gräultaten der Indianer in diesen Berichten gehören neben Skalpieren auch Kannibalismus und Vampirismus.28 Diese Handlungen werden gewöhnlich ausgeschmückt und detailliert wiedergegeben. Da vor allem die Erfahrung der Angst das konstitutive Element der Gefangenschaftsberichte darstellt und die menschlichen Qualitäten lediglich an den moralischen und kulturellen Maßstäben der Zivilisation gemessen wurden, konnten die captivity narratives weder ein objektives noch ein realistisches Bild des Indianers und seiner Kultur liefern.29 Dennoch bildete dieses Genre einen konstitutiven Bestandteil der Literatur nach 1680 und übte einen entsprechend großen Einfluss auf die anti-indianische Haltung der Kolonialliteratur aus. Da die captivity tales als wesentlicher Bestandteil der frontier romances dann vor allem im 19. Jahrhundert sehr populär wurden, haben diese auch sehr zur Vorstellung des Indianers als „roter Teufel" in der Literatur dieser Zeit beigetragen: „Bis zu den Groschenromanen des ausgehenden 19. Jahrhunderts bleiben die Gefangenschaftsberichte mit ihrem geschlossen negativen Indianerbild (...) eines der stabilsten Genres der amerikanischen Literatur".30
1.2. Der „edle Wilde" der europäischen Aufklärung
(…) a Noble Savage is any free and wild being who draws directly from nature virtues which raise doubts as to the value of civilization.31
Parallel zu der Abwertung des nordamerikanischen Ureinwohners zum „teuflischen Wilden" lässt sich bereits zum Ausgang des 17. Jahrhunderts eine weitere Tendenz in der Auseinandersetzung mit dem Fremden feststellen, die zunächst von Europa ausgeht. Das ist die Vorstellung vom „edlen Wilden" (noble savage), welche primär ein Produkt des 18. Jahrhunderts ist. Denn diese Vorstellung hat ihren Ursprung wesentlich in der Philosophie der Aufklärung. Die Idealisierung des primitiven, „archaischen" Menschen in der Literatur sowie die Idee des Primitivismus ist hauptsächlich als ein Produkt der europäischen Kultur zu verstehen, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in der amerikanischen Literatur auftritt, wobei es aber erst im 19. Jahrhundert größere Bedeutung erlangt.32 Obwohl sich in Nordamerika nach der endgültigen Vertreibung der Indianer aus den Gebieten der Ostküste ein generell positiveres Interesse an den Eingeborenen und ihren Kulturen andeutete, muss das in der amerikanischen Romantik bedeutsame Bild des noble savage hauptsächlich als das Resultat europäischer Entwicklungen angesehen werden.33
Die Tradition des „edlen Wilden" in der europäischen Geistesgeschichte reicht in die Anfänge der westlichen Zivilisation zurück. Denn in Europa hatte man seit Menschengedenken immer wieder Unbehagen an der eigenen Zivilisation geäußert. Dieser Zweifel hatte zur Folge, dass man sich den Völkern zuwandte, die von der westlichen Kultur noch unberührt waren, und sie zu „edlen Wilden" hochstilisierte.34 Auf diese Weise findet sich bereits in der Schilderung der Germanen bei Tacitus der doppelte Aspekt von der Unverdorbenheit des naturnahen Lebens der „edlen Wilden" und ihrer Gebräuche, die mit Laster, Dekadenz und Verweichlichung auf der „höheren" Kulturstufe konfrontiert werden.35
Da das Stereotyp des „edlen Wilden" also bereits vor der Entdeckung Amerikas und seiner Bewohner in seinen Grundzügen existierte, wird verständlich, dass die Entdecker, mit dieser Tradition vertraut, diese auch bereitwillig auf die Indianer Amerikas übertrugen und gleichzeitig mit dem neuen Kontinent den noble savage „entdeckten".36 Auf diese Art nahm der unzivilisierte Mensch in den Reiseberichten dieser Entdecker Vorbildcharakter an, da er in seinem unwissenden Stadium ein glücklicheres und tugendhafteres Leben führen konnte als der zivilisierte Mensch der Städte und Höfe. Das Bild dieses nicht-existenten Indianers nahm also primär die Funktion ein, den Komplexitäten der Zivilisation zu entfliehen. Diese Ansicht wird auch durch die Tatsache gestärkt, dass der „edle Wilde" im Prinzip ein ins Positive gekehrte Spiegelbild des Barbaren darstellt.37 Dies legt wiederum nahe, dass der noble savage gerade dann an Interesse gewinnt, wenn der Mensch seiner eigenen Kultur nicht mehr unkritisch gegenübersteht. Festzuhalten ist somit, dass das Konzept des „edlen Wilden" aus einer zivilisationskritischen Haltung und nicht aus unmittelbaren Beobachtungen heraus entwickelt wurde.
Dennoch ist die Tradition des „edlen Wilden" hauptsächlich mit den führenden Philosophen und Intellektuellen der Aufklärung wie Montesquieu, Monboddo, Montaigne und Rousseau verknüpft.38 Die Idealisierung des primitiven Menschen entstand also in aufgeklärter Infragestellung der absolutistischen Strukturen der Zeit und ihrem ökonomischen Überflüssigwerden vor der Französischen Revolution. Vor allem Rousseaus Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes (1754) gilt dabei als Schrift, in der das Bild des „edlen Wilden" gebraucht wird, um die Absurdität des überlegenen europäischen Kulturanspruchs aufzuweisen. Rousseau bezieht nämlich den Maßstab des „natürlichen Menschen" (homme naturel) auf den tatsächlichen Zustand der Zivilisation und macht diese als Ganzes für die Verdorbenheit der Menschen verantwortlich.39 Jedoch stellt Rousseaus homme naturel bereits ein Stereotyp dar, eine hypothetische, idealtypische Figur, die durch Abstraktion gekennzeichnet ist, nämlich durch das Wegdenken alles dessen, was am und im Menschen erst durch das Dasein in der Gesellschaft entstanden ist. Dieses Denkmodell zwang dennoch in erster Linie zur kritischen Selbstergründung sowie zur Überprüfung gesellschaftlicher Lebensformen.40
Im Hinblick auf das gegensätzliche Indianerbild vom „edlen" und „teuflischen Wilden" im Nordamerika des 19. Jahrhunderts kann man deshalb generell sagen, dass dieses keineswegs das Produkt einer tatsächlichen Konfrontation zwischen Indianern und weißen Amerikanern darstellt. Vielmehr handelt es sich bei den polarisierten Indianerbildem um bereits vorhandene Vorstellungen, die erlernt beziehungsweise übernommen wurden. Dabei beruht das Bild des noble savage auf den rein theoretischen Ideen europäischer Philosophen, während das Bild des satanic savage primär auf der puritanischen Vergangenheit der weißen Siedler basiert. Bemerkt sei jedoch, dass das Indianerbild in der amerikanischen Literatur im Gegensatz zu dem der europäischen Literatur charakteristischen Einflüssen und Fluktuationen unterliegt. Aus diesem Grund wird im Folgenden dargestellt werden, dass man von einem spezifischen amerikanischen „ edlen Wilden " sprechen muss, der sich in mancher Hinsicht von dem der europäischen Literatur absetzt.
1.3. Der „edle Wilde" der Amerikaner und andere amerikanisch-indianische Stereotypen
1.3.1. The vanishing American
America's noble savage was not Rousseau's natural man (...) but a doomed figure about to succumb 'before the spirit of civilization'.41
Die amerikanische Literatur des 19. Jahrhunderts vermittelt, wie bereits vor dieser Zeit, zwei verschiedene Bilder des Indianers. Neben dem Bild des „edlen Wilden" existierte die Vorstellung des Indianers als unzivilisierbarer „wilder Barbar" und Behinderer des Fortschritts der Nation.42 Es ist dabei die Tendenz zu beobachten, dass Verfasser von literarischen Werken, die sich in der Nähe (geografisch und/oder historisch) der frontier befanden, dazu neigten, den Indianer zu verteufeln. Demgegenüber zeigten Verfasser mit größerer sozialer Distanz zu den Indianern (beispielsweise Autoren der Ostküste wie Cooper) eine Neigung, diese zu verherrlichen. Somit erscheint das Auftreten des noble savage in der nordamerikanischen Literatur zunächst generell abhängig vom aktuellen Stand der Konfrontation beider Zivilisationen.43
Die Angloamerikaner mussten sich also erst in eine Position der Distanz zu den Indianern setzen, um diese idealisieren zu können. Dies konnte erst geschehen, nachdem sie die Indianer Südneuenglands im King Philip's War eliminiert hatten. Da der Indianer somit zum Aussterben verurteilt war, wurde gewissermaßen die Voraussetzung geschaffen, um ihn romantisieren und zu einer Figur mit literarischer Freiheit hochstilisieren zu können.44 Eine weitere wesentliche Bedingung, die zur romantischen Indianervorstellung führte, war die Tatsache, dass sich vor allem an der Ostküste Nordamerikas eine ähnliche Gesellschaftsform, ein nationaler Kapitalismus, wie in Europa herausbildete. Dies führte dazu, dass die Stadtbewohner zivilisationsmüde wurden und sich in nostalgischer Verklärung an das „Goldene Zeitalter" zurückerinnerten, in dem Indianer als „edle Wilde", unberührt vom korrumpierenden Einfluss europäischer Agenten des Kolonialimperialismus, in Freiheit zu leben vermochten.45 Bei dem Bild des amerikanischen „edlen Wilden" handelt es sich also primär um eine Projektion der Weißen, die ihre vielfältigen Interessen widerspiegeln. Hierbei wird dann das Verschwinden der Indianer zu einem naturwüchsigen Phänomen deklariert, so dass die Indianer in der amerikanischen Romantik zu einer sich existentiell „distanzierenden" Rasse (a vanishing race) werden.
Bei Philip Freneau, dem „Vater der amerikanischen Lyrik",46 deutet sich erstmals die spezifisch amerikanische Darstellung des „edlen Wilden" an, die im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt finden sollte. Freneau präsentiert den Indianer in seinen Gedichten, beispielsweise in „The Indian Burying Ground" (1788), als Angehörigen einer sterbenden Rasse, die vor der Zivilisation zurückweichen muss. Im Gegensatz zu Rousseaus Idee vom homme naturel isolierte Freneau den „edlen Wilden" jedoch von seiner Umwelt und deutete somit an, dass dieser nur fern von den Einflüssen der Zivilisation existieren konnte.47 Aus diesem Grund erscheint Freneaus Naturmensch, der vanishing American, als eine Widerspiegelung seiner Vertreibung von der Ostküste Nordamerikas. Für Freneau nimmt der Indianer somit tragische Qualitäten an, da er nur noch als ein Relikt aus der Vergangenheit erscheint. Der „edle Wilde" als Symbol für Freiheit und Natürlichkeit ist für ihn zum Sterben verurteilt, weil sich seine Lebensweise nicht mit der Zivilisation vereinbaren lässt. Somit war mit Freneaus Darstellung des vanishing American die Hauptbedingung für die Romantisierung der Gestalt des Indianers gegeben. Auf diese Weise entsprach auch James Fenimore Coopers The Last of the Mohicans (1826) im Ganzen dieser Vorstellung. Aus diesem Grund kann man in diesem Kontext mit Berkhofer zusammenfassend sagen: „In short, they [the writers of the 19th century] portrayed the Noble Savage as safely dead and historically past".48
Es ist jedoch wichtig zu bemerken, dass sich die Darstellung des spezifischen amerikanischen „edlen Wilden" grundsätzlich aus der unterschiedlichen Bestimmtheit der indianischen und der angloamerikanischen Zivilisation begründen lässt. Im Gegensatz zu der progressiven Zivilisation der Weißen, die Veränderungen in der Neuen Welt ursächlich in Gang gesetzt haben und insofern ihren Ablauf bestimmt hat, schien der indianischen Zivilisation kein Entwicklungspotential innezuwohnen. Dementsprechend ist es der indianischen Zivilisation nicht möglich gewesen, an der progressiven Entwicklung teilzuhaben.49 Für die Indianerdarstellung bedeutete dies notwendigerweise, dass die Statik der indianischen Zivilisation die Annahme der Unveränderlichkeit indianischer Eigenheiten erlaubt und somit auch eine Stereotypisierung des Indianers bedingt hat. Darüber hinaus wird das Motiv der Verdrängung der statischen zu Gunsten der dynamischen Zivilisation zur notwendigen Folge der progressiven Expansion, die sowohl in Coopers The Pioneers als auch in The Last of the Mohicans eine entscheidende Rolle spielt.
Der Indianer, als indigener „Bestandteil" des amerikanischen Kontinents und als an dem Prozess amerikanischer Geschichte zumindest passiv Beteiligter, war aber auch für das Streben der Angloamerikaner nach einer eigenen Identität notwendig, verkörperte er doch die amerikanische Vergangenheit. Im frühen 19. Jahrhundert rückte nämlich nach der Erlangung der nationalen Unabhängigkeit die Suche nach geistig-kultureller Eigenständigkeit, einem genuin amerikanischen Selbstbild und einer Abgrenzung von Europa in den Vordergrund. Geeignete Themen für das literarische Schaffen jener Zeit lagen deshalb vor allem in der amerikanischen Geschichte selbst und in dem indianisch-weißen Konflikt.50 Hierbei wurde der Indianer zunehmend zum Eigentum der amerikanischen Nation aufgrund der ihm zugeschriebenen Verhaltens- und Wesensmerkmale wie körperliche Stärke, Mut, Ausdauer, Heroismus, aber auch Grausamkeit und Rachsucht. Auf diese Weise bietet das Verlangen der jungen Nation, kulturell unabhängig zu werden, eine Erklärung für das Auftreten eines spezifischen amerikanischen „edlen Wilden" in der amerikanischen Literatur des beginnenden 19. Jahrhunderts.
1.3.2. Der „gute" Indianer
(...) the good [Indian] was truly the beau idéal (...), the Indian conceived in white guilt who embodied a wishful notion of what a 'civilized' Indian might have been: a friend and companion of white men.51
In frontier romances, einem neuen Typus amerikanischer Nationalliteratur des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts, der inhaltlich stark an die captivity -Tradition anknüpft, finden sich zwei Typen von Indianern, die nur aus der Situation des Kontaktes der indianischen Bevölkerung mit der weißen Zivilisation heraus zu verstehen sind.52 In der frontier romance treten nämlich „edle Wilde" und „rote Teufel" zugleich auf. Während der noble savage dabei an der Seite des Befreiers von meist weiblichen Gefangenen oder innerhalb der Befreiergruppe mitkämpft, gehört sein „natürlicher" Gegenpart, der red devil, zu den Aggressoren, die Gefangene drangsalieren. Hierbei nehmen aber sowohl die „edlen" als auch die „blutrünstigen Wilden" nur schablonenhafte Rollen innerhalb des Melodramas ein.53
In der frontier romance ist jedoch zu beobachten, dass sich generell eine Umschichtung des positiven Extrems vom (nicht akkulturierten) „edlen Wilden" (zum teilweise kulturell angeglichenen) „guten" Indianer vollzieht.54 Hierbei wird sichtbar, dass allein das Verhalten des Indianers gegenüber der angloamerikanischen Zivilisation darüber entscheidet, ob er als „gut" oder „schlecht" angesehen werden muss. Auf diese Weise ist ein Indianer nur dann „gut", wenn er sich gegenüber den weißen Siedlern als hilfreich erweist, d.h. vor allem, „schlechte" Indianer auszulöschen und den Weißen bei ihrem Vordringen in die Wildnis und damit bei der progressiven Inbesitznahme des nordamerikanischen Kontinents behilflich zu sein. Somit kann der good Indian nämlich dazu beitragen, den notwendigen Ablauf von Geschichte in Gang zu halten. In frontier romances wird also bereits eine Frühform der Kulturverflechtung, eine Akkulturation als Prozess gegenseitiger Anpassung, sichtbar, denn es deutet sich an, dass es zwischen den beiden unterschiedlichen Kulturen die Notwendigkeit zur existenzsichernden Kooperation gibt sowie das Bewusstsein einer Aufeinanderangewiesenheit.55
Grundsätzlich unterscheidet sich der good Indian der frontier romance vom noble savage der Aufklärung auch dadurch, dass seine Gutheit nicht seinem Wesen als „Wildem" inhärent ist, sondern sich erst durch den Kontakt mit der weißen Zivilisation entwickelt und sich somit als ein Verdienst der Weißen darstellt.56 Es ist also gerade die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Angloamerikanern, die einen good Indian auszeichnen. Diese Bereitschaft impliziert zugleich, dass dieser Indianer gewillt sein muss, einen wesentlichen Teil der eigenen Identität aufzugeben.57 Es zeichnet sich hier eine für jede Kulturverflechtung charakteristische Übertragung von spezifischen Vorstellungen, Wertbegriffen und Verhaltensweisen von der zuvor in sich geschlossenen weißen auf die indianische Kultur und umgekehrt ab.
Der good Indian fungiert dabei meistens als Scout, der die Siedler, und auch schon deren Vorläufer, sicher durch die Wildnis leitet, in die sie notwendigerweise eingeführt werden müssen, um sich ihrer Bestimmung gemäß auf dem nordamerikanischen Kontinent ausdehnen zu können. In diesem Kontext sei für die Indianerstereotypie festgehalten, dass sich in der frontier romance eine prinzipiell neue Personenkonstellation herausbildet, nämlich die Beziehung eines Indianers zu einem weißen Protagonisten. Diese Paarbildung bedeutet dabei einen Autonomieverlust des Indianers, denn der akkulturierte good Indian verliert seine Anbindung an die Natur und Freiheit von euroamerikanischer Zivilisation, indem er an einen ihm überlegenen Weißen gebunden wird.58
1.3.3. Der blutrünstige und der degenerierte Indianer
(...) the stereotypically 'bad' Indian (...) lived a rude, nomadic existence generally characterized by the basest of emotions and motives. Simply put, the 'bad' Indian was a barbarian.59
In Amerika hatte sich in den Kämpfen mit den indianischen Ureinwohnern eine Indianervorstellung herausgebildet, die durch Furcht und Hass der Weißen gekennzeichnet war und die auch teilweise die Ausrottung der Natives in der Realität motivierte. Hierbei wurde der Indianer in den Erzählungen der Siedler zum savage beast. Das Stereotyp des den weißen Amerikanern feindlich gesinnten „schlechten" Indianers wurde dabei aus der Tradition der captivity tales übernommen und basiert somit vornehmlich auf der puritanischen Weltsicht. Auf diese Weise findet sich das Bild des Indianers als „böser" Aggressor in kaum modifizierter Form in der frontier romance wieder.60 In diesem Genre wurde dem Indianer jedoch generell ein größerer Spielraum für seine Machenschaften gegen die Weißen eingeräumt.
Jedoch verlor die Vorstellung vom „blutrünstigen Wilden" in der frontier romance im Gegensatz zu der in den captivity tales zunehmend seine religiösen Konnotationen.61 Das Bild des bloodthirsty savage wurde hierbei stets dann evoziert, wenn Indianer weder romantisierend noch idealisierend aus einer Position der Distanz dargestellt wurden. Festzuhalten ist somit, dass dieses Bild in der amerikanischen Literatur tendenziell dann verstärkt auftrat, als die Konfrontation der beiden Zivilisationen in der Wirklichkeit unmittelbar, bedrohlich und nicht mittels philanthropischer Kategorien beizukommen war. Der Indianer wurde auf diese Art zu einer zwar externen, jedoch ständig präsenten, unkontrollierbaren Gefahr abgestempelt, indem sein Verhalten den Weißen gegenüber allein von ungezügelter Grausamkeit bestimmt dargestellt wurde. Dieser Indianer tötete meist ohne ersichtlichen Grund und ohne Unterschied weiße Siedler.62 Darüber hinaus finden sich in frontier romances auch häufig Beschreibungen von barbarischen Blutritualen, die den Indianer weittestmöglich von jeglichem zivilisatorischen Ideal entfernt scheinen lassen. Den Indianern wurden außerdem noch andere verwerfliche Charakteristika wie übersteigerte Rachsucht, Aberglaube und Verrat zugeschrieben.63 Indem die Indianer somit als eine akute Gefahr für die progressive Expansion der Angloamerikaner auf dem nordamerikanischen Kontinent erscheinen, wird das Vorgehen der Weißen in ihrer Auseinandersetzung mit der indianischen Zivilisation grundsätzlich legitimiert.
Da die Grausamkeit des „blutrünstigen Wilden" seiner Natur als savage generell inhärent erscheint, ist seine „Schlechtheit“ nicht notwendigerweise als ein Produkt des Kontakts der beiden Zivilisationen zu verstehen. Demgegenüber erscheint aber der degenerierte Indianer erst durch die negativen Einflüsse der weißen Zivilisation entstanden zu sein. Dieses Bild verdankt seine Existenz also der Konfrontation beider Zivilisationen, wobei es in äußerst drastischer Weise die Gestaltung der Unmöglichkeit einer Koexistenz der Zivilisationen vor Augen führt. Die Figur des heruntergekommenen, ständig betrunkenen Indianers verdeutlicht nämlich, dass die indianische Zivilisation nicht in der Lage ist, sich fortzuentwickeln und mit der dynamischen angloamerikanischen Zivilisation Schritt zu halten. Hierbei erscheint der drunken Indian stets als faul, unzuverlässig, selbstzerstörerisch und ungepflegt. Er lungert gewöhnlich in der Nähe weißer Siedlungen herum und bietet auf diese Weise einen vollkommenen Kontrast zum strahlenden weißen Helden, mit dem er auf die eine oder andere Weise interagiert. Darüber hinaus impliziert die Erweiterung „dumb and drunken Indian" ein niedriges Intelligenzniveau dieses Menschen.64 Das Auftreten des degenerierten Indianers impliziert jedoch auch eine Kritik an der weißen Zivilisation. Denn an diesem Indianer exemplifizieren sich ihre negativen Auswirkungen auf die Ureinwohner. Auf diese Weise verkörpert der degenerierte Indianer die Realität der Natives, so dass man an dieser Stelle mit Barnett zusammenfassend sagen kann: „the degraded settlement Indian (...) is reality intruding into a romantic literary age, living testimony to the dubious blessings which white civilization brought to the native inhabitants of the continent".65
Dennoch ist ausschlaggebend, dass die Idee der „Indian degeneracy",66 gekoppelt mit dem Stereotyp vom betrunkenen Indianer, zur Rechtfertigung und Entschuldigung für Exterminationskriege und Zwangsumsiedlungen benutzt wurde. Die Degenerationstheorie beruht nämlich auf zwei Prämissen: Zum einen wird vorausgesetzt, dass die Indianer im Zuge der Zivilisierung nur diejenigen Charaktermerkmale der Kolonisatoren annahmen, die verwerflich waren, und zum anderen, dass sie zugleich nur diejenigen ursprünglichen Charaktereigenschaften ablegten, die wünschenswert waren. Die Indianer stellten somit ein Konglomerat der übelsten Wesenszüge beider Zivilisationen dar, indem sie ihre eigenen Tugenden zu Gunsten der Laster der Weißen - also unter anderem die Alkoholsucht - eintauschten.67
2. Coopers problembewusste Indianer-Bearbeitung
2.1. Coopers Informationsquellen
Born with [the] background of romance, philosophy, and history, Cooper's Indians were unlikely to be recognizable copies of flesh-and-blood aborigines, even if he had attempted to copy them from nature. 68
Cooper, der die meisten seiner kreativen Jahre in Europa zubrachte,69 war generell auf detaillierte Informationen angewiesen, um die ihm fremde Welt der Indianer darstellen zu können. Da er kaum persönlichen Kontakt zu Indianern hatte, musste er sich notgedrungen auf bereits vorliegende Textquellen stützen. Dies führte dazu, dass er zum Teil die literarischen Traditionen seiner Zeit fortsetzte. So beschreibt er in den Einleitungen und in den Anmerkungen zu seinen Romanen, auf welche Quellen er sich bezieht. Er möchte dabei als Kenner der Materie erscheinen, zugleich aber auch als Schöpfer einer eigenen literarischen Welt.
Cooper wurde in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts sowohl mit primitivistischen als auch mit anti-primitivistischen Positionen in der Diskussion um den Native American konfrontiert. Da Cooper deshalb sehr stark von zeitgenössischen Vorstellungen von Primitivität abhängig gewesen ist, entwarf er entsprechend ein in ethnologischer und anthropologischer Hinsicht vereinfachtes und stilisiertes Bild der Indianer. Diese Tendenz wird beispielsweise in der Einleitung zu The Last of the Mohicans von 1831 sichtbar:
Few men exhibit greater diversity, or (...) greater antithesis of character, than the native warrior of North America. In war, he is daring, boastful, cunning, ruthless, self-denying, and self-devoted; in peace, just, generous, hospitable, revengeful, superstitious, modest, and commonly chaste. These are qualities (...) which (...) are (...) the predominating traits of these remarkable people, as to be characteristic.70
Coopers Gestaltung des Indianers ist also primär in der europäischen Tradition des Umgangs mit dem Fremden verwurzelt. Er erweiterte jedoch die aus ihr gewonnenen Konzepte durch umfangreiche Quellenstudien. Aus diesem Grund stellen sich nun im Folgenden die Fragen, welche schriftlichen Quellen ihm über die indianische Lebensweise zugänglich waren; inwiefern er Informationen aus persönlichen Erlebnissen mit Indianern schöpfte, und wie er diese Fakten kritisch und problemorientiert verarbeitete. Im Vordergrund steht dabei zu klären, wie Cooper literarische Traditionen miteinander verband und umgestaltete, um etwas Neues, Eigenes, schaffen zu können. Doch zunächst erscheint es sinnvoll, Coopers persönliche Beziehung zum Indianer näher zu beleuchten.
Als Coopers Vater auf dem Boden einer alten Indianersiedlung Cooperstown gründete, waren die Irokesen der Gegend bereits ausgerottet oder vertrieben. Die verbliebenen Indianer degenerierten im unkongenialen Milieu der weißen Kultur.71 Cooper selbst kannte also keine kriegerischen Indianer mehr, so dass seine Beschreibungen von Indianern nahezu ausschließlich literarischen Eindrücken zu Grunde liegen. Im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen ist er auch nie den Mississippi-Missouri hinaufgereist, um selbst freie Prärie- und Plainsindianer zu besuchen. Auf diese Weise traf Cooper nur einige „zivilisierte", verelendete Restgruppen im Osten. Die einzige direkte Begegnung mit freien Indianern verdankte Cooper einer Delegation aus dem Westen, die 1826 ihrerseits zu Verhandlungen nach Washington gereist kam.
Demgemäß bemerkte Cooper Folgendes über seinen unmittelbaren Umgang mit Indianern und den Kenntnissen, die er aus mündlichen oder schriftlichen Quellen gewinnen konnte: „I never was among the Indians. All that I know of them is from reading, and from hearing my father speak of them".72 Da Cooper also kaum direkten Umgang mit Indianern pflegte, widmete er sich intensiv den Schriften über verschiedene Indianerstämme, die von den kompetentesten Forschern und Publizisten seiner Zeit stammten. In diesem Kontext bemerkt Muszynska-Wallace: „he [Cooper] had never seen the Indians in their native environment. Those whom he did see (...) no doubt fired his imagination, but the sum total of his knowledge regarding aboriginal life, as culled from direct observation, was still negligible".73
In diesem Sinne versichert auch Susan Fenimore Cooper in dem von ihr edierten Buch Pages and Pictures from the Writings of James Fenimore Cooper (New York, 1861) die Vertrautheit ihres Vaters mit zeitgenössischen Darstellungen von Indianern. Sie betont jedoch auch die Bedeutung seiner Begegnungen mit indianischen Verhandlungsdelegationen in Washington, Albany und New York. Darüber hinaus hebt sie auch sein quellenorientiertes Vorgehen bei der Materialsammlung zu The Last of the Mohicans hervor: „[Cooper] had been at pains to obtain accurate details regarding Indian life and character, although the sources of information open to him at that day were very few indeed".74 Dennoch bezeugt auch sie im Ganzen die Begrenztheit von Coopers einschlägigen Kenntnissen aus erster Hand über Indianer:
His [Coopers] own opportunities of intercourse with the red men had been few (...) since the idea of introducing these wild people into his books had occurred to him, he had been at no little pains to seize every opportunity offered for observation. Fortunately for his purpose, deputations to Washington from the Western tribes were quite frequent at that moment; he visited these different parties as they passed through Albany and New York, following them (...) to Washington, and with a view also to gathering information from the officers and interpreters who accompanied them.75
Susan Cooper erwähnt jedoch gleichzeitig konkrete literarische Quellen, die Cooper zur Darstellung seiner Indianer herangezogen hat: „the earlier writers on these subjects, Heckwelder [sic], Charlevoix, Penn, Smith, Elliott [sic], Colden, were studied. The narratives of Lang, of Lewis and Clarke [sic], of Mackenzie, were examined".76
Cooper gewann also die meisten seiner Kenntnisse aus von Weißen verfassten schriftlichen Quellen über Indianer. Darunter befinden sich historische Werke wie die von Cadwallader Colden, John Smith und William Penn77 aber auch Reise- und Expeditionsberichte wie beispielsweise die Werke von P. de Charlevoix, A. Mackenzie, William Bartram, M. Lewis & W. Clarke und den Bericht von Major Stephen H. Long.78 Coopers Quellenmaterial war also in hohem Maße authentisch, basierte jedoch auf einem ausschließlich angloamerikanischen Blickwinkel. Eine zweite Gruppe dieser von Weißen verfassten Quellen über Indianer sind die captivity narratives. Cooper verarbeitete beispielsweise die Gefangenschaftsberichte Alexander Henrys und Jonathan Carvers,79 zog jedoch bei der Gestaltung seiner Indianer, insbesondere für die in The Last of the Mohicans, auch captivity tales von Frauen wie Hannah Dustan und Mary Kinnan mit ein.80
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