Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Ergebnisse der Forschung zur freiwilligen Selbstverpflichtung im Zusammenspiel mit Selbstkontrolle zunächst ganzheitlich zu betrachten und zu vergleichen. Zudem sollen darauffolgend mit einem systematischen Literaturüberblick vertieft auf die verschiedenen Mechanismen zur Verbesserung von Selbstkontrolle und konkrete Anwendungsfelder mit Relevanz für Konsumenten eingegangen werden. Anhand dieser Erkenntnisgewinne sollen schließlich Implikationen für Wissenschaft und Praxis sowie praktische Handlungsempfehlungen für die optimale Gestaltung von Geschäftsmodellen abgeleitet werden.
Selbstkontrolle kann in vielen Lebensbereichen nützlich sein. So unterstützt Selbstkontrolle die Menschen dabei, den spontanen Versuchungen, wie beispielsweise dem Kauf und Konsum von Tabak, Alkohol, ungesundem Essen oder sonstigen Konsumgütern, zu widerstehen. Dies kann positive Auswirkungen auf die Finanzen von Individuen sowie deren Gesundheit haben.
Sowohl für den Bereich der Gesundheit als auch den Bereich der Finanzen lässt sich zeigen, wie weitreichend die Folgen unzureichender Selbstkontrolle von Einzelpersonen sein können. Den meisten Menschen sind die Missstände ihrer eigenen Lebensführung bewusst. Sie können reflektieren, wenn sie sich ungesund ernähren, zu wenig Sport treiben, Medikamente falsch einnehmen oder sich auf andere Weise entgegen einer gesunden Lebensführung verhalten. Doch trotzdem gelingt es ihnen häufig nicht, den Versuchungen zu widerstehen und dysfunktionale Verhaltensweisen abzulegen, welche ihren eigenen langfristigen Interessen entgegenstehen. Dadurch entfernen sie sich weiter von ihren Gesundheitszielen und es entstehen sowohl ihnen als auch der Gesellschaft immense finanzielle Kosten.
Wie kann solchen Menschen also geholfen werden? Welche Mechanismen gibt es, um Selbstkontrolle zu verbessern? Was können Unternehmen dafür tun, damit ihre Kunden ihre Ziele besser erreichen können? Oder auch umgekehrt: Was können Unternehmen dafür tun, damit ihre Kunden ihre Selbstkontrolle verlieren und den Versuchungen eher erliegen? Und wie lässt es sich eigentlich bewerkstelligen, dass diese auf den ersten Blick gegenläufigen unternehmerischen Interessen miteinander vereinbar werden? Auf diese Fragen bietet das Konstrukt der freiwilligen Selbstverpflichtung aufschlussreiche Erkenntnisse.
I. Inhaltsverzeichnis
I. Inhaltsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Tabellenverzeichnis
IV. Abkürzungsverzeichnis
1. Weitreichende Auswirkungen von Selbstkontrolle
2. Stand der Forschung
3. Theoretische Grundlagen
3.1 Interessenkonflikte und Zeitinkonsistenzen
3.2 Interne und externe Einflussfaktoren auf die Selbstkontrolle
3.3 Zeitkonsistente, naive und aufgeklärte Personen
3.4 Strategien und Mechanismen zur Verbesserung von Selbstkontrolle
3.4.1 Nachdenken über Auswirkungen
3.4.2 Selbstverpflichtung
4. Vergleichende Analyse
4.1 Literaturrecherche
4.1.1 Schematische Herangehensweise der Literaturrecherche
4.1.2 Suchstrategie und Studienauswahl der Literaturrecherche
4.1.3 Ergebnisse der Literaturrecherche
4.2 Analyse der Artikel
4.2.1 Unterscheidung nach Themenschwerpunkten
4.2.2 Vergleich der Artikel
5. Diskussion
5.1 Die wichtigsten Ergebnisse und Implikationen für Wissenschaft und Praxis
5.2 Zukünftige Forschung und praktische Handlungsempfehlungen
5.3 Restriktionen dieser Arbeit
V. Anhang
VI. Literaturverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Veröffentlichte Artikel zu Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle im Zeitablauf (eigene Darstellung)
Abbildung 2: Effektivitäts-Niveaus diskontierter verzögerter Belohnungen (eigene Darstellung auf Grundlage von Ainslie 1975, S. 472)
Abbildung 3: Verschiedene Formen von Anreizen (eigene Darstellung)
Abbildung 4: Schema für die systematische Literaturrecherche (eigene Darstellung)
Abbildung 5: Übersicht der Rechercheergebnisse (eigene Darstellung auf Grundlage von Moher, Liberati, Tetzlaff, Altman, & Group, 2009, S. 3)
Abbildung 6: Klassifizierung von Zeitkonsistenten, Naiven und Aufgeklärten (eigene Darstellung auf Grundlage von Mandel, Scott, Kim, & Sinha, 2017, S. 114)
III. Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Suchalgorithmen der systematischen Literaturrecherche und Anzahl der Ergebnisse
Tabelle 2: Liste der analysierten Artikel mit Kurzzusammenfassung
Tabelle 3: Übersicht der analysierten Studien
IV. Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Weitreichende Auswirkungen von Selbstkontrolle
Selbstkontrolle kann in vielen Lebensbereichen nützlich sein. So unterstützt Selbstkontrolle die Menschen dabei, den spontanen Versuchungen, wie beispielsweise dem Kauf und Konsum von Tabak, Alkohol, ungesundem Essen oder sonstigen Konsumgütern, zu widerstehen. Dies kann positive Auswirkungen auf die Finanzen von Individuen sowie deren Gesundheit haben (Baumeister, 2002; Haaser & Koch, 2019, S. 1-2; Hofmann et al., 2012, S. 1325).
Sowohl für den Bereich der Gesundheit als auch den Bereich der Finanzen lässt sich zeigen, wie weitreichend die Folgen unzureichender Selbstkontrolle von Einzelpersonen sein können. So werden in Deutschland zwar als „Top-Sparziele“ der Aufbau finanzieller Reserven im Allgemeinen oder die Vorsorge für das Alter genannt (Splendid Research, 2018). Doch vielen Haushalten, in Deutschland, aber auch in anderen Ländern der Welt, fällt es trotzdem schwer, Geld nicht für spontanen Konsum auszugeben, sondern damit ein Vermögen aufzubauen und nachhaltig sowie langfristig zu wirtschaften (Facundo Alvaredo, Lucas Chanel, Thomas Piketty, Emmanuel Saez, 2018, S. 205-211). In Deutschland besitzen im Jahr 2017 fast 40 Prozent der Bevölkerung nahezu kein Vermögen, was die gesamte Gesellschaft in ein Ungleichgewicht bringt und soziale Unruhen auslösen kann (Deutsche Bundesbank, 2019, S. 22).
Den meisten Menschen sind die Missstände ihrer eigenen Lebensführung bewusst. Sie können reflektieren, wenn sie sich ungesund ernähren, zu wenig Sport treiben, Medikamente falsch einnehmen oder sich auf andere Weise entgegen einer gesunden Lebensführung verhalten. Sie setzen sich regelmäßig selbst Ziele, ihre Lebensführung entsprechend anzupassen, und demonstrieren damit ihr Verlangen nach einer gesünderen Lebensführung (Ainslie, 1987; Mukhopadhyay & Johar, 2005; Schwartz et al., 2014). Zudem bekommen sie dazu auch von unternehmerischer Seite auf vielfältige Weise Hilfestellungen angeboten. Zum Beispiel wird bestimmtes Verhalten, wie regelmäßiger Besuch von Fitnessstudios, durch finanzielle Anreize belohnt (Beshears, Lee, Milkman, & Mislavsky, 2017; R. Jeffery et al., 1993; Miller, Gupta, Kropp, Grogan, & Mathews, 2016; Royer, Stehr, & Sydnor, 2015). Doch trotzdem gelingt es ihnen häufig nicht, den Versuchungen zu widerstehen und dysfunktionale Verhaltensweisen abzulegen, welche ihren eigenen langfristigen Interessen entgegenstehen. Dadurch entfernen sie sich weiter von ihren Gesundheitszielen und es entstehen sowohl ihnen als auch der Gesellschaft immense finanzielle Kosten. In Deutschland sind die Gesundheitsausgaben im Jahr 2017 gegenüber 2016 um 4,7 Prozent auf insgesamt 375,6 Milliarden Euro angestiegen, was 11,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht (Destatis, 2019). Es liegt also im Interesse des Staates und jedes Einzelnen, die persönlichen Gesundheitskosten nicht weiter ansteigen zu lassen oder idealerweise sogar zu senken. In vielen Fällen lassen sich durch eine Umstellung des Lebensstils teure Schadensfälle vermeiden und bereits dadurch Gesundheitsausgaben reduzieren (Fries et al., 1993). Zudem würde der Einzelne auch von dem „positiven Gefühl der Gesundheit“ sowie der Auflösung seines inneren Konflikts zwischen Verlangen und Willenskraft profitieren (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 498 ff.; Lane & Lovejoy, 2001).
Wie kann solchen Menschen also geholfen werden? Welche Mechanismen gibt es, um Selbstkontrolle zu verbessern? Was können Unternehmen dafür tun, damit ihre Kunden ihre Ziele besser erreichen können? Oder auch umgekehrt: Was können Unternehmen dafür tun, damit ihre Kunden ihre Selbstkontrolle verlieren und den Versuchungen eher erliegen? Und wie lässt es sich eigentlich bewerkstelligen, dass diese auf den ersten Blick gegenläufigen unternehmerischen Interessen miteinander vereinbar werden? Auf diese Fragen bietet das Konstrukt der freiwilligen Selbstverpflichtung aufschlussreiche Erkenntnisse.
Der Bereich, in dem bisher mit Abstand am meisten zu Selbstkontrolle geforscht wurde, ist der der Gesundheit (vgl. Kapitel 2). Die vorliegende Arbeit nimmt einen Bereich in den Blick, der bislang noch weniger umfangreich erforscht ist. Das Forschungsfeld zur freiwilligen Selbstverpflichtung von Konsumenten ist vergleichsweise jung und es existiert bisher noch kein veröffentlichter Literaturüberblick über Studien aus diesem Feld.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Ergebnisse der Forschung zur freiwilligen Selbstverpflichtung im Zusammenspiel mit Selbstkontrolle zunächst ganzheitlich zu betrachten und zu vergleichen sowie darauffolgend mit einem systematischen Literaturüberblick vertieft auf die verschiedenen Mechanismen zur Verbesserung von Selbstkontrolle und konkrete Anwendungsfelder mit Relevanz für Konsumenten einzugehen. Anhand dieser Erkenntnisgewinne sollen schließlich Implikationen für Wissenschaft und Praxis sowie praktische Handlungsempfehlungen für die optimale Gestaltung von Geschäftsmodellen abgeleitet werden.
In Kapitel 2 der Arbeit wird zunächst der Stand der Forschung aufgezeigt. Im darauffolgenden Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen zu Selbstkontrolle und Selbstverpflichtung gegeben (vgl. Kapitel 3). Hierzu werden Situationen, Einflüsse und Personen nach ihren verschiedenen Eigenschaften systematisiert, Probleme geschildert und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. In Kapitel 4 wird zunächst das Vorgehen der Literaturrecherche beschrieben. Anschließend werden die Ergebnisse aus der Recherche miteinander verglichen.
Zum Abschluss der Arbeit werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und der Erkenntnisbeitrag sowie die Implikationen für Wissenschaft und Praxis herausgestellt (vgl. Kapitel 5).
2. Stand der Forschung
Der Bereich, welcher sich bisher am meisten mit den Einflüssen verschiedener Anreizsysteme auf Selbstkontrolle beschäftigt, ist der der Gesundheit. Dies zeigt sich auch daran, dass in der Mehrzahl der Reviews zum Thema Selbstkontrolle ebenfalls hauptsächlich Studien mit Schwerpunkten aus dem weiten Spektrum gesundheitszentrierter Fragestellungen aufbereitet wurden. Im Folgenden wird anhand von drei nach Aktualität und Umfang ausgewählten Reviews, die Studien aus den Jahren 1974 - 2013 vergleichen, ein kurzer Überblick über den Stand der Forschung gegeben.
In zwölf Studien zu sportlicher Betätigung wurde die Wirksamkeit finanzieller Anreize auf eine Erhöhung von Selbstkontrolle überprüft. Insgesamt war die ausgewählten Studienteilnehmer über alle Studien hinweg sehr heterogen, wodurch eine hohe Repräsentativität der aggregierten Ergebnisse gewährleistet werden kann. Bei vier dieser Studien erhielten alle Teilnehmer bedingungslos Gutscheine, um kostenlos Sportstätten aufsuchen zu können. Dabei konnte kein signifikanter Effekt auf die Verhaltensänderung hin zu mehr sportlicher Betätigung festgestellt werden. In den verbleibenden acht Studien erhielten die Studienteilnehmer Belohnungen in Abhängigkeit von vereinbarten Zielen. Mit extrinsischen Anreizen zu mehr sportlicher Betätigung konnten deutliche Anstiege sportlicher Betätigung nachgewiesen werden. Die resultierenden Gewichtsverluste waren umso größer, je expliziter die Belohnungen von effektiver Gewichtsabnahme abhängig waren. Es konnte gezeigt werden, dass bedingte Belohnungen das Verhalten von Personen besser steuert als unbedingte und dass mit konkreten Zielvereinbarungen feine Justierungen der Verhaltensänderungen möglich sind. Als Limitation dieser Studien bleibt allerdings anzumerken, dass lediglich kurzfristige Auswirkungen analysiert wurden (Barte & Wendel-Vos, 2017).
Auch bei neun Studien, in denen gezielt stark übergewichtige Personen zu einem gesünderen Lebensstil mit mehr Sport animiert werden sollten, wurden finanzielle Anreize eingesetzt. Teilnehmer in diesen Studien mussten zunächst eigenes Geld abgeben, das sie bei Erfolg wiedererlangen konnten. Wenn die Geldabgaben groß genug waren, sodass sie bei Verfehlen der Zielvorgabe einen zu schmerzhaften Verlust auslösen würden, konnten positive Effekte auf die Häufigkeit des Sporttreibens nachgewiesen werden. Langfristige Effekte wurden auch bei diesen Studien nicht untersucht (Paul-Ebhohimhen & Avenell, 2008).
Die Folgen von finanziellen Anreizen auf die Zeit nach dem letzten finanziellen Anreiz wurden in 39 Studien zu sportlicher Betätigung, gesunder Ernährung und Rauchentwöhnung untersucht. Waren bis zum letzten gegebenen Anreiz noch in allen drei Forschungsbereichen positive Wirkungen vorhanden, konnten drei Monaten nach Ende der letzten Intervention lediglich anhaltende Wirkungen bei Studien zur sportlichen Betätigung und Rauchentwöhnung nachgewiesen werden. Die durch externe Anreize ausgelösten Ernährungsumstellungen hin zu gesünderem Essen hatten drei Monate nach der letzten Intervention keine Nachwirkung mehr. Für Zeiträume danach lagen keine Daten vor. Hieraus lässt sich schließen, dass in zwei Anwendungsfeldern mittels finanzieller Anreize langfristige Wirkungen erzielt und dauerhafte Gewohnheiten gebildet werden konnten (Mantzari et al., 2015).
Aus diesen Resultaten zum heutigen Stand der Forschung geht deutlich die Vermutung hervor, dass mittels externer Anreize, die eine Selbstverpflichtung beinhalten, Verhalten und Selbstkontrolle von Menschen erfolgreich gesteuert, beziehungsweise gestärkt werden können. Trotz der Tatsache, dass langfristige Effekte bisher nur unzureichend untersucht wurden, konnten Nachwirkungen immerhin für erste Anwendungsbereiche ausgeschlossen, beziehungsweise bestätigt werden. Des Weiteren liegt der bisherige Forschungsschwerpunkt eindeutig auf Bereichen mit Bezug zum Thema Gesundheit. Anreizsetzungen zu anderen Bereichen, wie zum Beispiel solche mit Bezug zu Konsum von hedonischen Gütern, wie Unterhaltungsmedien oder Kleidung, wurden bisher kaum erforscht.
Da in dieser Arbeit verschiedene Mechanismen zur Verbesserung von Selbstkontrolle mit besonderer Relevanz für Konsumenten betrachtet werden, werden für die Analyse in Kapitel 4 solche wissenschaftlichen Arbeiten ausgewählt, welche Konfliktsituationen von Konsumenten behandeln, mit denen eine Vielzahl von Menschen regelmäßig in Berührung kommt. Da ein Großteil der Bevölkerung nur selten selbst von Rauch-, Kokain- oder anderen Entwöhnungen betroffen ist (UNODC, 2019), werden solche Studien nicht in der Analyse in Kapitel 4 berücksichtigt. Auch Studien zu sportlicher Betätigung werden in Kapitel 4 nicht analysiert, da es sich beim Sporttreiben häufig nicht um Konsum im Sinne von erwerben, aufbrauchen oder verzehren handelt. Studien zum Konsum von gesunden und ungesunden Lebensmitteln werden allerdings in die Analyse mitaufgenommen, da hiermit alle Menschen alltäglich konfrontiert sind. Ebenso werden für die Analyse Studien zu verschiedenem Sparverhalten und richtungsweisende theoretische Arbeiten zu Selbstverpflichtung miteinbezogen.
3. Theoretische Grundlagen
In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen erläutert, welche das Fundament des Analyseteils der vorliegenden Arbeit bilden. Zunächst werden die grundlegenden Ideen zu Interessenkonflikten und Zeitinkonsistenten erläutert und dabei die größten Entwicklungsschritte der wirtschaftswissenschaftlichen und der psychologischen Forschung zu Selbstkontrolle kurz nachgezeichnet. Dabei wird bereits deutlich, dass Personen auf verschiedene Weisen beeinflusst werden können. Deswegen werden darauffolgend interne und externe Einflussfaktoren auf die Selbstkontrolle voneinander abgegrenzt sowie die Eigenschaften und Folgen von Motivation erläutert. Danach wird gezeigt, welche Auswirkungen die Naivität, beziehungsweise Aufgeklärtheit einer Person auf ihre Entscheidungen hat. Abschließend wird anhand verschiedener Strategien gezeigt, wie durch Reduktion von Verlangen oder Stärkung der Willenskraft die Selbstkontrolle verbessert werden kann. Selbstverpflichtung wird hierbei als wichtigste Strategie am genauesten betrachtet. Dabei wird insbesondere auf die Anwendbarkeit und die Gestaltungsmöglichkeiten der zwei Systeme Belohnung und Bestrafung eingegangen.
3.1 Interessenkonflikte und Zeitinkonsistenzen
Selbstkontrolle ist kein neuartiges Thema. Bereits die Literaten im antiken Griechenland beschäftigten sich mit dieser Thematik. So schilderte beispielsweise Homer in seinem Epos Odysseus, wie sein gleichnamiger Held mithilfe bestimmter Vorkehrungen den betörenden Gesängen von Sirenen widerstehen kann. Im 20. Jahrhundert wurde diese Thematik von verschiedenen Forschern im Feld der Wirtschaftswissenschaften wieder aufgegriffen. 1956 formalisierte Strotz das Problem der intertemporalen Nutzenmaximierung eines ökonomischen Entscheiders, bei welchem das Individuum zu verschiedenen Zeitpunkten eine andere Nutzenbewertung von Zuständen oder Gegenständen vornimmt und deswegen Ziele neu gesetzt und zuvor getroffene Entscheidungen wieder revidiert werden müssen. Es kommt zum Konflikt der Interessen eines früheren Selbst mit dem jetzigen Selbst sowie mit allen zukünftigen Identitäten (Strotz, 1956, S. 166-174). In einem ähnlichen Modell von Thaler und Shefrin (1981) treffen verschiedene Identitäten eines Selbst zur gleichen Zeit aufeinander: Eine konstante Identität als „Planer“ und jeweils eine Identität als „Handelndem“ je zu treffender Entscheidung. Am Beispiel des Sparens veranschaulichen die beiden Forscher, dass es einen Interessenkonflikt zwischen diesen Identitäten gibt. Der Planer ist weitsichtig und denkt in mehreren Zeitabschnitten. Er weiß, dass er nur in manchen Zeitabschnitten Einkommen erzielen wird und dass er, wenn er über alle Zeitabschnitte hinweg Geld zur Verfügung haben möchte, sparen muss. Der Handelnde hingegen ist kurzsichtig und egoistisch. Ihm geht es nur um die Bedürfnisbefriedigung in seinem aktuellen Zeitabschnitt. Er möchte nicht sparen, sondern das gesamte Einkommen sofort für Konsum verwenden. Der Planer muss es also irgendwie bewerkstelligen, dass die Handelnden nach seinem Interesse handeln. Er möchte Kontrolle über sie ausüben und schlussendlich, wenn die modellierten Identitäten wieder zu einer Person zusammengeführt werden, über sich selbst. Dies kann er unter anderem durch freiwillige Selbstverpflichtung erreichen (Strotz, 1956, S. 173-180; Thaler & Shefrin, 1981, S. 394 ff.). Thaler und Shefrin gelingt es, eine wissenschaftliche Nähe zwischen ihrem Modell und der klassischen Prinzipal-Agenten-Theorie herauszuarbeiten, welche unter anderem in der Organisationsforschung angewendet wird (Jensen & Meckling, 1976; Ross, 1973; Spremann, 1987). Sie stellen dabei den Interessenkonflikt zwischen Planer und Handelnden dem Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern gleich (Thaler & Shefrin, 1981, S. 394 ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Veröffentlichte Artikel zu Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle im Zeitablauf1 (eigene Darstellung)
Mit der Verbindung des Selbstkontroll-Problems mit dem Agency Problem war der Grundstein gelegt für ein von da an kontinuierlich wachsendes Forschungsfeld zu Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle. Das Jahr 2016 war hierzu mit 45 neuen Veröffentlichungen bisher das forschungsreichste Jahr (vgl. Abbildung 1).
Doch nicht nur im ökonomischen Lager wurde sich mit den Eigenheiten und Problematiken der Selbstkontrolle befasst. Auch Wissenschaftler mit psychologischem Hintergrund betrachteten diese Thematik intensiv. Sie erforschten die inneren Vorgänge eines Individuums, wenn es mit Konfliktsituationen konfrontiert wird und wie es Selbstkontrolle zur Auflösung dieser erfordert. Ainslie (1975) erörtert die Frage, weshalb Menschen häufig freiwillig eine schlechtere Alternative wählen, obwohl ihnen die besseren Alternativen bekannt sind. Er führt dieses Verhalten auf Impulse zurück (Ainslie, 1975, S. 463). Impulsives Verhalten erklärt er anhand der Diskontierung verzögerter Belohnung („discounting of delayed reward“) (Ainslie, 1975, S. 470). Demzufolge resultieren aus der Entscheidung für eine bestimmte Alternative zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene potenzielle Belohnungen, welchen daraufhin bestimmte Effektivitäts-Niveaus zugeordnet werden. Diese Niveaus werden von ihrem Eintrittszeitpunkt aus auf verschiedene frühere Zeitpunkte bis zum Betrachtungszeitpunkt diskontiert, wodurch sich grafisch eine ansteigende Kurve ergibt (vgl. Abbildung 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Effektivitäts-Niveaus diskontierter verzögerter Belohnungen (eigene Darstellung auf Grundlage von Ainslie 1975, S. 472)
Aufgrund der Diskontierung, die alle Menschen gedanklich vornehmen, verläuft die Belohnungskurve zum Betrachtungszeitpunkt umso flacher, je weiter eine Belohnung in der Zukunft liegt und umso steiler, je näher eine Belohnung bevorsteht. Während bei einer exponentiellen Diskontierung das Verhältnis der betrachteten Alternativen jedoch gleichbleibt, ändert es sich, wie in Abbildung 2, aufgrund einer hyperbolischen Diskontierung. Diese Eigenschaft wird Zeitinkonsistenz genannt (Frederick, Loewenstein, & O’Donoghue, 2002, S. 358-362). Während der jeweiligen Betrachtungszeitpunkte hat diejenige Alternative die größten Aussichten darauf, ausgewählt zu werden, welche das höchste Effektivitäts-Niveau hat. Zum Beispiel ist in Abbildung 2 zu einem Betrachtungszeitpunkt die Alternative A, deren Belohnung dann sofort eintritt, attraktiver als die Alternative B, bei welcher die Belohnung erst 11 Sekunden später, also zu eintritt. Wird allerdings die Betrachtung zu durchgeführt, so hat B ein höheres Effektivitäts-Niveau als A und wird deswegen ausgewählt. Es kommt folglich ein Konflikt zwischen den verschiedenen Betrachtungszeitpunkten zustande und es lässt sich zeigen, dass Menschen generell ungeduldig sind und Belohnungen möglichst zeitnah erhalten möchten. Konkret könnte es sich bei Alternative A um eine Packung Gummibärchen und bei B um drei Packungen Gummibärchen handeln, die jemand in wenigen Sekunden erhalten kann. Vorausgesetzt, dass mehr Gummibärchen zu erhalten erstrebenswert ist, sollte B gegenüber A stark präferiert werden. In Abbildung 2 wird B tatsächlich während der meisten Zeit gegenüber A bevorzugt. Allerdings gibt es einen kurzen Moment, in diesem Fall {]3,4]}, in welchem das Interesse an A gegenüber der Alternative B größer ist. Wird in diesem Moment eine impulsive Entscheidung getroffen, dann wird die schlechtere Alternative ausgewählt. Impulsives Verhalten beeinträchtigt also eine optimalen Entscheidungsfindung (Ainslie, 1975, S. 470-473). Dieses Verhalten hat nicht nur Auswirkungen auf konkrete Ziele oder Mehrwerte, die nicht erreicht werden, sondern kann auch Schuldgefühle und Scham zur Folge haben. So kann der Anblick von Fehlkäufen, wie zum Beispiel nie getragener Schuhe im Schuhschrank, die vor vielen Monaten impulsiv gekauft wurden, den Käufer peinlich berühren und an der Konsistenz seiner Interessen zweifeln lassen (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 503).
Eine alternative Erklärung für zeitinkonsistente Präferenzen, die ohne Diskontierung argumentiert, arbeitet mit Referenzpunkten. Referenzpunkte reflektieren den Fakt, dass Menschen weniger in absoluten Einheiten, als vielmehr in relativen Bezügen zu einem psychologisch relevanten Vergleichspunkt denken. Wenn ein Individuum vor der Wahl steht, ein Konsumgut zu kaufen, dann hat bereits das bloße Nachdenken darüber, was das Gut in seinem Besitz auslösen würde, eine Verschiebung des Referenzpunktes ausgelöst. Denn im Geiste hat das Individuum das Konsumgut bereits besessen und leidet nun unter Entzug des Noch-nicht-gekauften Gutes. Dadurch erhöht sich das Verlangen sowohl nach dem Konsumgut an sich, aber auch nach einer frühestmöglichen Stillung seines Bedürfnisses (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 494-496).
Weiter gehen die Forscher davon aus, dass Menschen grundsätzlich über die nötige Ausstattung verfügen, ihre Impulse oder ihr Verlangen kontrollieren zu können, also über Selbstkontrolle verfügen. Das Ziel dieser Impulskontrolle muss es sein, die gesamte Zeit über, während der die zeitnahen Belohnungen attraktiver sind, durchzuhalten, ohne eine Entscheidung zu treffen (Ainslie, 1975, S. 473-474; Hoch & Loewenstein, 1991, S. 498-504). Dieses Durchhalten erfordert Energie. Die Energie für Selbstkontrolle oder auch Selbstregulierung, wie sie ebenfalls oft genannt wird, ist begrenzt und kann nicht unendlich aufrechterhalten werden. Intensiver Gebrauch davon führt zu kognitiver Erschöpfung. Diese Erschöpfung schlägt sich auch auf andere Leistungen des Gehirns nieder. So ist beispielsweise bei stark geforderter Selbstkontrolle mit messbaren intellektuellen Einbußen zu rechnen (Muraven, Tice, & Baumeister, 1998, S. 774-787; Vohs & Baumeister, 2004, S. 407-413). Ebenso ist ein Individuum, das sich gerade intellektuell stark angestrengt hat, weniger dazu in der Lage, mittels aktiver Selbstkontrolle Versuchungen zu widerstehen. Diese Energie lässt sich aber auch wieder regenerieren, zum Beispiel durch Selbstbestätigung (Vohs & Baumeister, 2004, S. 407-413). Im Verlauf der weiteren Arbeit werden verschiedene Möglichkeiten vorgestellt, wie der Energiebedarf der Selbstkontrolle möglichst geringgehalten werden kann.
3.2 Interne und externe Einflussfaktoren auf die Selbstkontrolle
Einflussfaktoren auf die Selbstkontrolle sind vielfältig. Sie lassen sich aber in interne und externe Faktoren unterteilen. Die im vorangegangenen Abschnitt erwähnten Auswirkungen intellektueller Anstrengungen auf die Effektivität von Selbstkontrolle waren bereits ein Beispiel interner Einflussfaktoren. Ebenfalls sind Krankheit und Erschöpfung interne Faktoren, die Selbstkontrolle erschweren. So wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein Diäthalter gegen die eigenen Ernährungsregeln verstößt mit jeder Stunde des Tages größer. Er wird höchstwahrscheinlich nicht sofort nach dem Aufstehen seinen Versuchungen erliegen. Aber im Laufe des Tages, wenn er schon Erschöpfung zeigt, fehlt ihm die Kraft, gegen die Versuchungen Widerstand zu leisten (Baumeister, 2002, S. 673).
Einen großen Einfluss auf den Verlust der Selbstkontrolle hat auch der aktuelle emotionale Zustand, in dem sich eine Person befindet. So neigen beispielsweise traurige Menschen eher dazu, sich beim Essen nicht kontrollieren zu können und größere Portionen zu sich zu nehmen, da sie glauben, dass ihnen das Essen die Laune verbessern wird (Baumeister, 2002, S. 672). In einer Studie von Tice und Kollegen wurde jedoch gezeigt, dass die Neigung zu sofortiger Belohnung als Lösung gegen emotionalen Stress reduziert werden kann, wenn im Voraus die vermeintliche Lösung als wirkungslos erklärt wird. Wenn einer traurigen Person also klar ist, dass viel zu essen sie nicht glücklicher machen wird, wird sie bei der nächsten Mahlzeit auch nicht aus emotionalen Gründen übermäßig viel essen (Tice, Bratslavsky, & Baumeister, 2001, S. 56-57).
Gewohnheit setzt ein, wenn keine bewussten Überlegungen angestellt werden (Andrews, 1903, S. 145-148). Da bei ökonomischen, aber vor allem auch bei alltäglichen Aktivitäten nur wenige Entscheidungen durch intensives Nachdenken getroffen werden, ist die Macht der Gewohnheit eine große. Wenn man sein bisheriges Verhalten ändern möchte und dafür Selbstkontrolle benötigt, kann Gewohnheit ein großes Hindernis darstellen. Sind die Gewohnheiten aber in die gewünschte Richtung ausgerichtet, dann sind sie ein starker Helfer, um in schwierigen Momenten die Selbstkontrolle zu bewahren (Katona, 1953, S. 309-310). Ein Raucher, der das Rauchen gerne aufhören möchte und auf einer Party eine Zigarette angeboten bekommt, wird Schwierigkeiten haben, seinem Impuls, diese anzunehmen, zu widerstehen. Ein Nichtraucher, der dies auch bleiben möchte, muss dagegen kaum darüber nachdenken, um die angebotene Zigarette auf der Party abzulehnen.
Auch der familiäre Hintergrund kann Einfluss auf die eigene Selbstkontrolle nehmen. Dieser Einfluss ist aber überwiegend indirekt und wirkt sich über die (abgeschauten) Gewohnheiten als interner Faktor aus. Besonders deutlich wird das beim Verhalten von Kindern, das dem ihrer Eltern gleicht (Ainslie, 1975, S. 465-466).
Wesentliche externe Faktoren sind die Art und Darstellung, wie etwas präsentiert wird. Beispielsweise macht es einen Unterschied, ob ein Produkt mit 25 Prozent Fettanteil oder als zu 75 Prozent fettfrei beschrieben wird. Eine Tüte Chips, die mit 25%igem Fettanteil vermarktet wird, suggeriert ein eindeutig ungesundes Produkt, während eine zu 75 Prozent fettfreie Tüte Chips den Eindruck erweckt, dass dieses Produkt weniger ungesund ist, obwohl beide Tüten denselben Inhalt haben. Für Personen, welche aus Gesundheitsgründen Chips gerne meiden würden, ist es schwieriger, sich selbst zu kontrollieren und die Tüte nicht zu kaufen, wenn auf der Chipstüte 75 Prozent fettfrei steht (Wertenbroch, 1998, S. 320-323). In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass die Positionierung von Lebensmitteln Einfluss auf die Konsumentscheidungen der Besucher von Cafeterien haben. Jenes Essen wurde häufiger ausgewählt, welches räumlich näher positioniert war oder an Buffets am Anfang aufbereitet war (Bucher et al., 2016, S. 2254). Wenn die Besucher einer Cafeteria viel von den sich am Anfang einer Essensausgabe befindlichen Lebensmitteln auswählen, lässt sich der Anteil ausgewählter gesunder Produkte dadurch erhöhen, dass diese an den Anfang gestellt werden. Wenn vormals am Anfang der Essensausgabe Schokoriegel und am Ende Obst und Gemüse standen und nun Obst und Gemüse am Anfang stehen, dann greifen nun deutlich mehr Besucher zu Obst und Gemüse. Das Verhalten von Konsumenten lässt sich also extern steuern (Sunstein & Thaler, 2003).
Externen Einflussfaktoren kann ein Individuum leichter entkommen als internen. Unliebsamen Situationen zu meiden ist die beste Methode, um gar nicht erst in das Selbstkontrollproblem zu kommen. Einer Person, der es schwerfällt, vor einem Regal voller Chipstüten zu stehen und keine Tüte zu kaufen, kann man raten, das Regal komplett zu meiden (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 499). Andererseits lässt sich die nötige Willenskraft, um den Versuchungen zu widerstehen, durch wiederholte Konfrontation trainieren und steigern. Wenn die gleiche Person regelmäßig vor dem Regal voller Chipstüten steht und unter Aufbringen ihrer Willenskraft keine Chipstüten kauft, fällt es ihr immer leichter, keine Chips zu kaufen. Das Selbstkontrollproblem wird somit immer kleiner. Außerdem löst die erfolgreiche Selbstkontrolle positive Emotionen wie Stolz und Zufriedenheit bei der Person aus (Dhar & Wertenbroch, 2012, S. 23).
Ein sehr entscheidender Einflussfaktor auf Selbstkontrolle ist die Motivation. Diese wirkt auf Selbstkontrolle moderierend, nur Selbstkontrollenergie hat direkten Einfluss auf Selbstkontrolle (vgl. Kapitel 3.1). Personen können mithilfe von Motivation trotz erschöpfter Energiespeicher erfolgreich Selbstkontrolle ausüben (Muraven & Slessareva, 2003, S. 903-904). Motivation kann extern und intern induziert sein. Intrinsische Motivation zeichnet sich durch die Entkopplung von externen Belohnungen aus. Lediglich durch die ausgeführte Aktivität selbst und die dadurch ausgelösten Gefühle erfährt die intrinsisch motivierte Person ihren Antrieb. Extrinsische Motivation kommt dagegen von außerhalb. Eine Person lässt sich beispielsweise durch Geld, Preise oder Worte extrinsisch motivieren. Dabei muss es sich allerdings keinesfalls ausschließlich um Belohnungen handeln, auch Bestrafungen und Entbehrungen können extrinsische Motivatoren darstellen (Deci, 1972, S. 217). Während in einzelnen Situationen sowohl intrinsische als auch extrinsische Motivation ihre erwünschte Wirkung erzielen, ist bei der Betrachtung der Langfristigkeit ein deutlicher Trend feststellbar. Für die Aufrechterhaltung langfristiger Veränderungen erweist sich intrinsische Motivation als wirkungsvoller als extrinsische (Curry, Grothaus, & McBride, 1997, S. 737). Extrinsische Motivation kann sogar negative Konsequenzen haben. Wenn beispielsweise eine Person für die Bearbeitung einer bestimmten Aufgabe intrinsisch motiviert ist, eine andere Person der ersten Person aber für die Fertigstellung dieser Aufgabe eine Belohnung in Aussicht stellt, gibt es plötzlich intrinsische und extrinsische Motivatoren für die gleiche Sache. Allerdings verstärken sich diese oftmals nicht, sondern die intrinsische Motivation verschwindet. Dieser Effekt wird als Crowding-Out bezeichnet. Allerdings gibt es aber auch den Crowding-In-Effekt, bei welchem in den Personen durch externe Interventionen die intrinsische Motivation hervorgerufen oder verstärkt wird (Bénabou & Tirole, 2003, S. 492; Frey, 1997, S. 24-25). Darüber hinaus lässt sich intrinsische Motivation auch durch positive Gefühle und Emotionen steigern (Harackiewicz, 1979, S. 1354; Isen & Reeve, 2005, S. 298). Externe Interventionen sollten also vorsichtig angewendet werden.
3.3 Zeitkonsistente, naive und aufgeklärte Personen
Genauso wie ein Medikament in unterschiedlichen Individuen unterschiedliche Ergebnisse produziert, so entfalten unterschiedliche Instrumente, die zur Lösung von Problemen gedacht sind, bei manchen Menschen einen größeren Effekt als bei Anderen oder sie wirken sogar gänzlich in andere Richtungen (O’Donoghue & Rabin, 2000, S. 246–247). Jeder Mensch ist individuell und deswegen sind sämtliche Probleme bei verschiedenen Menschen auch verschieden stark ausgeprägt (vgl. Kapitel 3.2). Trotzdem lassen sich aber gleiche, immer wieder auftretende Merkmale und Tendenzen erkennen, aus welchen sich wiederum Kategorien von ähnlichen Individuen ableiten lassen. Damit die Konsequenzen eines Instruments (annähernd) so wie gewünscht eintreten, ist es daher wichtig, die markanten Eigenschaften einer jeden Personenkategorie genau zu kennen. Nur so können große Zusammenhänge erkannt und geeignete Lösungen vorgeschlagen werden.
In der Forschung werden Menschen häufig in zeitkonsistente und zeitinkonsistente Personen eingeteilt (O’Donoghue & Rabin, 1999a, 2000). Da zeitkonsistentes Verhalten ein Idealzustand darstellt, der in der Realität nicht erreichbar scheint, bleiben für O’Donoghue und Rabin die zeitkonsistenten Personen eine theoretische Gruppe, die lediglich zur Gegenüberstellung der Eigenschaften der anderen Gruppen in ihren Modellen dient. Die zeitinkonsistenten Personen hingegen sind für die Autoren real und werden weiter in Naive („ naifs “) und Aufgeklärte („ sophisticates “) unterschieden.
- Zeitkonsistente Personen haben zeitkonsistente Präferenzen mit einem exponentiellen Diskontsatz zukünftiger Belohnungen und Kosten. Zu jedem Zeitpunkt verhalten sich die zeitkonsistenten Personen nach einem optimalen Lebenszeit-Plan, gegeben ihrer heutigen Präferenzen. Da das zurückliegende Verhalten bereits optimal ausgerichtet war, muss zu zukünftigen Zeitpunkten keine Verhaltenskorrektur vorgenommen werden und es ist weiterhin optimal, sich entsprechend des Plans zu verhalten.
- Naive Personen haben zeitinkonsistente Präferenzen mit einem hyperbolischen Diskontsatz, der konkaver ist als der der zeitkonsistenten Personen. Dadurch wird die sofortige Belohnung sehr viel attraktiver. Zu jedem Zeitpunkt verhalten sich die Naiven nach ihren momentanen Präferenzen, unter der falschen Annahme, dass sie sich in der Zukunft entsprechend ihrer jetzt aktuellen Präferenzen verhalten würden.
- Aufgeklärte Personen haben dieselben zeitinkonsistenten Präferenzen wie die Naiven. Was sie voneinander unterscheidet, ist, dass die Aufgeklärten über ihre sich ändernden Präferenzen Bescheid wissen, und dass sie sich zu jedem Zeitpunkt entsprechend ihres korrekt prognostizierten zukünftigen Verhaltens verhalten.
Interessanterweise bedeutet das bewusste Verhalten der Aufgeklärten aber nicht, dass sie sich deswegen automatisch besser als die Naiven oder sogar immer optimal verhalten würden. Dies lässt sich anhand eines einfachen Beispiels veranschaulichen. Angenommen, verschiedene Personen haben die Möglichkeit, einmal innerhalb der nächsten vier Wochen ins Kino zu gehen, wobei jede Woche jeweils ein Film gezeigt wird, ein mittel-guter in der ersten Woche, ein besserer in der zweiten, ein noch besserer in der dritten und der beste Film in der vierten Woche. Durch den Kinobesuch erzielen die Personen verschiedene Nutzenwerte. Für den Film der ersten Woche 3 Nutzeneinheiten, für die Folgenden jeweils 5, 8 und 13. Die betrachteten Personen diskontieren die zukünftigen Nutzenwerte. Denn zum Betrachtungszeitpunkt können sie noch nicht den vollen Nutzen genießen, dieser entfaltet sich erst in dem Moment der Konsumption, zum jetzigen Zeitpunkt müssen die Personen noch warten. Anhänger der verschiedenen Kategorien durchlaufen folgende Szenarien:
- Wenn die Aufgeklärten den Nutzen zum Betrachtungszeitpunkt hin mit 0,5 diskontieren, wissen sie, dass sie in der dritten Woche vor der Wahl stehen, den vollen Nutzen des dritten Films in Höhe von 8 zu konsumieren oder aber noch eine Woche auf den besten Film zu warten, was zum Betrachtungszeitpunkt einem diskontierten Nutzen von 6,5 entspricht. Sie würden sich also nicht für den besten Film entscheiden. Wenn sie sich dessen bewusst sind, wissen sie, dass sie in der zweiten Woche nur noch die Wahl hätten zwischen dem Film der zweiten Woche mit Nutzen 5 und dem Film der dritten Woche mit Nutzen 8. Dieser hat aber in der zweiten Woche nur einen Nutzen von 4, weshalb die Aufgeklärten sich in dieser Woche für den Film der zweiten Woche entscheiden würden. Diese Logik setzt sich fort, sodass die Aufgeklärten am Ende den schlechtesten der vier Filme sehen werden.
- Die Naiven hingegen werden schlussendlich den zweitbesten Film sehen. Denn sie möchten den besten Film sehen und diskontieren jeweils in den ersten beiden Wochen den Nutzen des besten Films und vergleichen ihn mit den sofort zur Verfügung stehenden Filmen. Dabei ist . Allerdings ist in der dritten Woche . Darauf waren die Naiven nicht vorbereitet. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass für sie eine sofortige Belohnung größer sein könnte als auf die beste zu warten.
- Zeitinkonsistente Personen sehen den besten Film. Denn dieser hat den höchsten Nutzenwert und da die Zeitkonsistenten mit ihrem exponentiellen Diskontsatz anders diskontieren als die Zeitinkonsistenten, sind sofortige Belohnungen nicht stärker gewichtet als zukünftige. Die Zeitinkonsistenten haben keine Selbstkontrollprobleme, um bis zum besten Film durchzuhalten.
Wird allerdings das Verhalten dieser drei Kategorien nicht in Bezug auf Belohnungen, sondern auf Kosten betrachtet, dann ändert sich die Reihenfolge der besten Verhaltensweisen der Kategorien. Die Zeitkonsistenten verhalten sich weiterhin optimal und treffen die beste Wahl. Die Naiven schieben das Unangenehme so weit wie möglich vor sich her, bis am Ende das schlechteste Ergebnis erzielt wird. Die Aufgeklärten treffen eine Entscheidung, die weder optimal noch ganz schlecht ist. Mit kleinen Anpassungen des vorherigen Beispiels lässt sich dies leicht nachvollziehen. Weiterhin werden die vier Filme in den vier Wochen gezeigt. Allerdings können die Individuen nun drei dieser Filme sehen, für den vierten haben sie keine Zeit, da sie eine Hausarbeit schreiben müssen. Das Entscheidungsproblem lautet also nun, die Alternative mit den geringsten entstehenden Kosten zu finden. Die Zeitkonsistenten schreiben die Hausarbeit in der ersten Woche und sehen die besseren Filme in den folgenden Wochen. Die Naiven sehen die ersten drei Filme und müssen in der vierten Woche die Hausarbeit schreiben. Die Aufgeklärten versetzen sich in die Lage, wie sie sich in der dritten Woche entscheiden würden und sehen, dass mit die diskontierten Kosten für das Verpassen des besten Films kleiner sind, als den zweitbesten Film sofort zu verpassen. Da den besten Film zu sehen nun immer noch die überlegene Alternative darstellt, werden in der zweiten Woche 6,5 diskontierte Kosten mit 5 Kosten verglichen. Jetzt sind die Kosten für das Verpassen des besten Films größer, als den Film der zweiten Woche sofort zu verpassen. In der ersten Woche gilt , weshalb der Film in der ersten Woche geschaut wird und der Aufgeklärte die Hausarbeit in der zweiten Woche schreiben wird.
Zusammenfassend lässt sich aus dieser Betrachtungsweise also festhalten, dass Menschen zeitinkonsistente Personen sind, die in Aufgeklärte und Naive unterteilt werden können. Alle Menschen prokrastinieren und präproperieren („preproperate“). Sie prokrastinieren, wenn sie mit unmittelbaren Kosten konfrontiert werden, warten also, obwohl sie sofort handeln sollten, und sie präproperieren, wenn sie mit unmittelbaren Belohnungen konfrontiert werden, handeln also sofort, obwohl sie noch warten sollten. Naive vergleichen lediglich die sofortigen Kosten und Belohnungen. Sie überkonsumieren die Belohnungen und schieben die Kosten auf. Aufgeklärte sind pessimistischer als Naive und wissen, dass sie Selbstkontrollprobleme haben (werden). Sie stellen komplexe Überlegungen an und treffen präventive Maßnahmen, um Prokrastination und Präproperation zu reduzieren. Der Pessimismus der Aufgeklärten, dass sie sich in der Zukunft falsch verhalten werden, hat aber auch zur Folge, dass sie oftmals suboptimale Entscheidungen treffen und dadurch das Selbstkontrollproblem verschlimmern (O’Donoghue & Rabin, 1999, S. 103–112, 2000, S. 235–240).
Eine andere Beschreibung, wie sich naive und aufgeklärte Personen voneinander unterscheiden, geben beispielsweise Mukhopadhyay und Johar (2005). Demzufolge sind die aufgeklärten Personen der Auffassung, dass Selbstkontrolle aufrechtzuerhalten, wie in Kapitel 3.1 beschrieben, anstrengend sei und sie nicht abschätzen könnten, ob sie zukünftig über genug Selbstkontrolle verfügen werden, um einer Versuchung zu widerstehen. Deswegen suchen sie nach unterstützenden, präventiven Maßnahmen. Die naiven Personen hingegen glauben, dass sie auch in Zukunft über genügend Selbstkontrolle verfügen werden. Die Naiven sind optimistischer als die Aufgeklärten (Mukhopadhyay & Johar, 2005, S. 780).
3.4 Strategien und Mechanismen zur Verbesserung von Selbstkontrolle
Bisher wurden bereits einige Probleme geschildert, welche durch einen Mangel an Selbstkontrolle hervorgerufen oder verschlimmert werden. Im Folgenden werden verschiedene Strategien und Mechanismen vorgestellt, mit welchen die Selbstkontrolle verbessert werden kann.
Während bei manchen Autoren in großer Fülle kreative Ideen für die Lösung ganz spezieller Selbstkontrollprobleme genannt werden, wie zum Beispiel für jede gerauchte Zigarette 100 Dollar an einen verachteten Politiker zu spenden (Schelling, 1984, S. 6-7), werden in anderen Arbeiten Lösungsvorschläge mit ähnlicher Funktionsweise unter größeren Strategien zusammengefasst. Bei Hoch und Loewenstein (1991) gibt es zwei Herangehensweisen, um den intrapersonellen Konflikt zu minimieren. Entweder muss das Verlangen reduziert werden oder die ihm entgegenstehende Willenskraft verstärkt werden.
Da Verlangen vielfach durch Nähe ausgelöst und intensiviert wird, kann es durch Distanz verringert werden. Räumliche Nähe kann umgangen werden, indem vorsorglich gewisse Orte gemieden werden. Beispielsweise macht ein ehemaliger Alkoholiker einen großen Bogen um Bars. Vielfach ist Verlangen nur vorübergehend. Deswegen kann es eine Strategie sein, Entscheidungen auf spätere Zeitpunkte hinauszuzögern oder sich mit etwas anderem von dem Verlangen abzulenken. Zu guter Letzt kann Verlangen auch durch Ersatz gestillt werden. Beispielsweise kann in einer Person beim Anblick von Schokokuchen ein starkes Verlangen nach einem süßen Snack ausgelöst werden. Da die Person aber aufgrund von Diätvorgaben keine süßen Backwaren verzehren möchte, befindet sie sich nun in einer problematischen Situation. Die Person könnte versuchen, den Schokokuchen mit Obst zu substituieren. Dieses ist in ihrer Diät erlaubt und stillt das Verlangen nach einem süßen Snack. Allerdings ist Obst eben doch nicht der gewünschte Schokokuchen, weshalb nur eine Komponente des Verlangens gestillt wurde und das Verlangen nach Schokokuchen, zwar momentan reduziert aber dennoch vorhanden, weiterhin fortbesteht. Eine dauerhaft wirkungsvolle Lösungsstrategie ist das Hinauszögern durch Ablenkung oder Ersatzkonsum nicht (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 499-500).
Strategien, die die Willenskraft stärken sollen, basieren auf der Annahme, dass es mehrere Identitäten innerhalb einer Person gibt (vgl. Kapitel 3.1). Das gemeinsame Ziel der folgenden Strategien ist es, dem Verlangen der handelnden Identität nicht nur zeitweilig nicht nachzugeben, sondern es vollständig zu überwinden. Um genau dies zu erreichen, liegt der Fokus der folgenden Strategien auf den potenziellen Kosten, die entstehen können, falls die Anstrengungen fehlschlagen und dem Verlangen nachgegeben wird. Wenn die Kosten groß genug erscheinen, ist es einer sich im inneren Konflikt befindlichen Person nicht mehr wert, der Versuchung nachzugeben (Hoch & Loewenstein, 1991, S. 500).
3.4.1 Nachdenken über Auswirkungen
Die Idee, dass das menschliche Verhalten durch das Erwägen von Auswirkungen beeinflusst wird, ist nicht neu. Nicht nur als Strategie zur Selbstkontrolle, sondern auch bei Forschungsfragen zu Motivation nehmen solche zukunftsgewandten Was-wäre-wenn-Überlegungen schon lange eine prominente Rolle ein. Dabei wird gezeigt, dass Menschen die prognostizierten Auswirkungen ihres momentanen Verhaltens mit ihren Zukunftswünschen und Motivationen abgleichen und daraufhin entsprechend ihr zukünftiges Verhalten beibehalten oder verändern (Bandura, 1997, S. 122-137).
Eine Voraussetzung für das Anstellen ernsthafter Überlegungen zu möglichen Konsequenzen des eigenen (Nicht-)Handelns ist, dass die Person nachdenkt. Viele Autoren haben bereits beschrieben, dass der menschliche Geist in zwei Systeme geteilt werden kann (Metcalfe & Mischel, 1999; Stanovich & West, 2000). Die von Stanovich und West gewählte Etikettierung System 1 und System 2 wurde von Kahneman aufgenommen und ist seit einigen Jahren auch einer breiten Bevölkerung, die sich nicht notwendigerweise wissenschaftlich mit diesen Themen befasst, ebenfalls vertraut geworden (Kahneman, 2011; Kahneman & Frederick, 2002, S. 52). System 1 ist ein emotionales, hauptsächlich unterbewusst und schnell arbeitendes System. System 2 ist für komplexe Problemlösung und rationales Verhalten zuständig (Stanovich & West, 2000, S. 658-659). Ein Reiz, wie er von verschiedenen Versuchungen ausgeht, stimuliert also zuerst System 1 und löst dort den Drang zu impulsiven Reaktionen aus. Der Abgleich, ob ein Nachgeben dann im Konflikt zu den eigenen Regeln steht, erfolgt in System 2, genauso wie das Nachdenken darüber, welche Mechanismen zur Überwindung der Versuchung anwendbar sind (Metcalfe & Mischel, 1999, S. 9).
[...]
1 Ergebnisse der EBSCO-Suche nach der Formel der 2. Ebene (b) zuzüglich Magazine, Bücher, Diskussionspapiere, Dissertationen (siehe Tabelle 1 in Kapitel 4.1.2).
- Citar trabajo
- Michael Bucher (Autor), 2019, Freiwillige Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle. Mechanismen und konkrete Anwendungsfelder für Konsumenten, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/591904
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