Die Wissenssoziologie beschreibt allgemein den Entstehungsprozess einer Institution durch das Handeln von Individuen. Als Prämisse der Theorie gilt, dass menschliches Tun mit dem Gesetz der Gewohnheit verbunden ist. Der erste Schritt ist die Habitualisierung, bei der bestimmte Handlungen von einem Individuum routiniert ausgeführt werden, um Kraft einzusparen. Individuen nutzen dabei den allgemeinen Wissensvorrat, der aus vorhergegangenen Erfahrungen entstanden ist, um eine Handlungsoption zu wählen.
In diesem Prüfungsessay wird zuerst die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann genauer erläutert, und im Anschluss diese auf den Gegenstandsteil der Entstehung der Universität als Institutionsform angewendet. Die zentrale Frage des Essays lautet: „Wie stellt sich die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann anhand der Entstehung der Universität als Institutionsform dar?“.
Gliederung
I. Einleitung
II. Die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann
III. Die Entstehung der Universität als Institutionsform
V. Fazit
Einleitung
In den 1970er Jahren prägten Peter Ludwig Berger und Thomas Luckmann mit ihrer Theorie der neuen Wissenssoziologie die kulturwissenschaftliche Wende. Diese kennzeichnet sich durch das Interesse an traditionellen Richtungen aus, die neu interpretiert werden (vgl. Kruse 2012: 25). Der amerikanische Soziologe Peter Ludwig Berger ist 1929 geboren und im Juni 2017 gestorben. Im Jahr 1927 wurde der deutsch-amerikanische Soziologe Thomas Luckmann geboren. Berger sowie Luckmann spezialisierten sich auf die Religionssoziologie. Außerdem waren sie Schüler von Alfred Schütz, der sie besonders zu ihrem Werk inspirierte. Berger und Luckmann brachten zusammen 1966 ihr Werk „The social construction of reality“ raus, welches über die neue Wissenssoziologie handelt. Die deutsche Ausgabe erschien erstmals 1969. (ebd.: 301f.).
In diesem Prüfungsessay werde ich zuerst die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann genauer erläutern, und im Anschluss diese auf den Gegenstandsteil der Entstehung der Universität als Institutionsform anwenden. Die zentrale Frage des Essays lautet: „Wie stellt sich die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann anhand der Entstehung der Universität als Institutionsform dar?“.
II Die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann
Die erste Grundlage der neuen Wissenssoziologie bietet die Phänomenologie nach Edmund Husserl. Sie beschreibt die Strukturen der Erfahrung, der Handlung, der Kommunikation, sowie des Wissens aus dem Alltag. Die Fortführung der Phänomenologie nach Husserl ist die Analyse der Strukturen der Lebenswelt von Alfred Schütz, die ebenfalls zum Anreiz der Wissenssoziologie beiträgt (vgl. Berger, Luckmann 1980: 5).
Die Wissenssoziologie beschreibt allgemein den Entstehungsprozess einer Institution durch das Handeln von Individuen. Als Prämisse der Theorie gilt, dass menschliches Tun mit dem Gesetz der Gewohnheit verbunden ist. Der erste Schritt ist die Habitualisierung, bei der bestimmte Handlungen von einem Individuum routiniert ausgeführt werden, um Kraft einzusparen. Individuen nutzen dabei den allgemeinen Wissensvorrat, der aus vorhergegangenen Erfahrungen entstanden ist, um eine Handlungsoption zu wählen. Der Prozess der Gewöhnung und Routine verringert somit viele Handlungsmöglichkeiten auf die eine richtige. Daher kommt es zu einer psychologischen Entlastung, bei der gegebenenfalls aufkommende Spannungen abgebaut werden. Die Entlastung setzt gleichzeitig Energien frei, die neuen Einfällen und Innovationen dienen. Das Individuum hat die Kenntnis über den Handlungsvorgang und wird dadurch gleichzeitig stetig sicherer in seinem Tun. Nebenbei findet eine Spezialisierung der Handlung statt, die den Prozess erleichtert. Die Habitualisierung ist die Vorstufe der Institutionalisierung (vgl. Berger, Luckmann 1980: 56f.).
Die Institutionalisierung beschreibt den Prozess, bei dem habitualisierte Handlungen reziprok von Typen wiederholt werden. Diese Typisierung stellt in jedem Fall eine Institution dar. Die habitualisierten Handlungen, die wiederholt werden, sind dabei zugänglich für alle Individuen der Gesellschaft und gelten somit als Allgemeingut. Anders herum sorgen Institutionen dafür, dass aus Individuen und ihren Handlungen, Typen entstehen. Allgemein sind Institutionen daher immer abhängig von Individuen, z. B. in welcher Form sie entstanden sind und sich weiterentwickeln. Als Beispiel führen Berger und Luckmann hier die Form des Gesetzes als Institutionsform an, da das Gesetz bestimmt, wer sich an welche Regeln halten muss und somit Individuen zu Typen formt (ebd.: 58f.).
„Institutionen setzen weiter Historizität und Kontrolle voraus. Wechselseitige Typisierungen von Handlungen kommen im Lauf einer gemeinsamen Geschichte zustande. Sie können nicht plötzlich entstehen. […] Es ist unmöglich eine Institution ohne den historischen Prozess, der sie heraufgebracht hat, zu begreifen.“ (Berger, Luckmann 1980: 58)
Somit muss jede Institution in Bezug auf ihren Entstehungsprozess in der Geschichte betrachtet werden. Außerdem besitzt eine Institution nach Berger und Luckmann einen Kontrollcharakter, der das menschliche Verhalten kontrolliert. Dieser besitzt oberste Priorität und ist unabhängig von jeglicher Veränderung der Institution. Die soziale Kontrolle in der Gesellschaft geschieht durch die Existenz der Institutionen (ebd.: 59).
Zu Beginn einer jeden gesellschaftlichen Situation steht die Institutionalisierung. Für den Institutionalisierungsprozess sind zwei Individuen ausreichend, wenn sie sich wechselseitig typisieren, das bedeutet: Individuum A und Individuum B interagieren miteinander. Dabei beobachtet A, wie sich B verhält. Aus der Beobachtung heraus, zieht A Schlüsse darüber, aus welchen Beweggründen B handelt und typisiert die Beweggründe, die bei wiederholter Beobachtung als wiederkehrend erachtet werden und im Gedächtnis gefestigt werden. Der Prozess tritt ebenfalls in Bezug von B zu A auf, und lässt typische Verhaltensmuster erkennen. Daraus entsteht eine ganze Sammlung von wechselseitig typisierten Handlungen, die als Basis zum Aufbau einer Institution dient. In jeder wiederholten Handlung steckt eine Neigung zur Habitualisierung. Eine Typisierung tritt jedoch erst auf, wenn die habitualisierten Tätigkeiten der beiden Individuen an eine dauerhafte gesellschaftliche Situation gebunden sind (vgl. Berger, Luckmann 1980: 60f.).
Aus der Typisierung von Individuum A und Individuum B wird der Institutionalisierungsprozess vervollständigt, wenn Dritte dazukommen und die Sammlung von wechselseitig typisierten Handlungen weitergegeben wird. Je mehr Individuen sich anschließen, desto mehr kräftigt sich die Institutionsform. Durch die Vollendigung ergibt sich zudem der Faktor der Objektivität. Dieser bedeutet, dass entstandene Institutionen über mehrere Generationen hinweg existieren und nicht mehr an Individuen ihres Ursprungs gebunden sind. Die folgenden Generationen nehmen die Institution als selbstverständlich und unveränderlich wahr, daher festigt sich durch das Weiterreichen die institutionale Welt. Sie wird als objektive Wirklichkeit verstanden. Berger und Luckmann definieren den Begriff der Objektivation, der den Vorgang des Zurückstellens der eigenen Bedürfnisse meint, als Vergegenständlichung. „Die institutionale Welt ist vergegenständlichte menschliche Tätigkeit, und jede einzelne Institution ist dies ebenso.“(Berger, Luckmann 1980: 65) In dieser Welt steht das Individuum nicht isoliert, sondern in Wechselwirkung zu der gesellschaftlichen Welt (ebd.: 62-65).
Die objektivierte soziale Welt basiert auf der Sprache der Gesellschaft. Die Sprache gilt als Grundstein für die Legitimationen der Handlungen, um eine Ordnung für die Allgemeinheit herzustellen. Die Gesellschaft bietet dafür einen Wissensvorrat, der die Lösung von Problemen durch bereits vorhandene Handlungsmuster umfasst, die durch andere Individuen entwickelt wurden. Jedes Individuum der Gesellschaft kann auf die Muster zugreifen. Der gesellschaftliche Wissensvorrat lässt sich in zwei Bereiche gliedern. Zum einen das für jeden relevante und frei zugängliche Allgemeinwissen, und zum anderen das Sonderwissen, welches nur für bestimmte Typen entscheidend ist. Der subjektive Wissensvorrat verkörpert hingegen dabei alle Lösungsansätze, die das Individuum aus vorangegangenen Erfahrungen und Handlungen erlangt hat (vgl. Zifonun 2008: 117). Der gesellschaftliche Wissensvorrat wird nach Berger und Luckmann auch objektive Wahrheit genannt, und bildet mit der subjektiven Wirklichkeit den gesamten Wissensbereich der Individuen. Dieser ist nötig damit der Institutionalisierungsprozess stattfindet (vgl. Berger, Luckmann 1980: 69ff.).
Dreiundvierzig Jahre nach dem Ursprungswerk der neuen Wissenssoziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann, brachte Hubert Knoblauch ein Werk heraus, in dem er die Theorie der beiden Soziologen neu verknüpft und erweitert. In die „Phänomenologische Soziologie“ stellt Knoblauch ein Modell dar, welches den Institutionalisierungsprozess in einem Kreislauf mit drei Phasen darstellt. Er nennt dies die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, welche ihren Fokus auf die Verschmelzung von Wissen und Interaktion zu einer Institution legt (vgl. Knoblauch 2009: 311).
Die erste Phase ist die Externalisierung, in der die Habitualisierung sowie die Typisierung der Individuen stattfinden. Zur Verdeutlichung der Habitualisierungen bzw. Routinisierungen dient das Beispiel des Fahrkartenkontrolleurs und des Fahrgastes, weil das Vorzeugen der Fahrkarte eine routinierte Handlung ist. Der zweite Schritt umfasst die Objektivierung, für die die routinierten Handlungen an Dritte weitergegeben werden. Die Weitergabe kann entweder bei der Nachahmung durch tradierte Handlungen oder beim Handeln durch eine selbst erlernte Einweisung erfolgen. In der zweiten Phase geschieht folglich die Institutionalisierung im Alltagsleben. Außerdem finden Legimitationen statt, die sich auf folgende vier Ebenen gliedern lassen: das System sprachlicher Objektivationen, das Regelwissen durch Sprichwörter, die aus Sonderwissen entstehenden Legimitationstheorien und die zusammengestellten Traditionsgesamtheiten. Die erlernte Objektivität bleibt im handelnden Subjekt verankert, sowie die Institutionen in der Gesellschaft verankert sind. Die dritte Phase nennt Knoblauch die Internalisierung, in der durch den Vorgang der Sozialisation, signifikante und generalisierende Individuen der institutionalen Welt hervorgebracht werden, die dann wiederum neue Institutionen durch routinierte Handlungen erschaffen (ebd.: 311ff.).
Zusammengefasst spiegelt die Theorie der neuen Wissenssoziologie mit ihrem Institutionalisierungsprozess nach Berger und Luckmann, den Formungsprozess der institutionalen Welt durch das Individuum in einem wiederkehrenden Kreislauf wieder: „Gesellschaft ist ein menschliches Produkt. Gesellschaft ist eine objektive Wirklichkeit. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Produkt.“ (Berger, Luckmann 1980: 65).
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- Arbeit zitieren
- Annkatrin Falke (Autor:in), 2018, Wie stellt sich die neue Wissenssoziologie nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann anhand der Entstehung der Universität als Institutionsform dar?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/591660
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