„Mädchenmörder Brunke“ handelt von dem „(…)Architekten D.H. aus Berlin, der Anfang der neunziger Jahre von einer wundersamen Besessenheit befallen wird, die ihn die Grenze zwischen Wünschen und Wissen, Heute und Damals, Lieben und Lassen und zwischen sich selbst und einem Fremden vollständig vergessen lässt, bis sie ihn in ein glückliches Sterben führt“. Ich wollte dieser Arbeit die Dialektik der Aufklärung zugrundelegen, wollte nachweisen, warum dieses Buch Thomas Braschs ein Buch der Aufklärung ist. Das werde ich auch versuchen zu tun. Aber unter anderen Sternen als geplant, denn das Werk Mädchenmörder Brunke, ist nicht in erster Linie ein Buch der Aufklärung, sondern es ist ein Buch über die Liebe und über die Irrtümer, die das Menschengeschlecht mit der Liebe verbindet.
Die vorliegende Arbeit ist eng an den Prozess von persönlicher Erkenntnis geknüpft, insofern der Eindruck entstehen kann, dass sie in Teilen nicht wissenschaftlichem Standard entspricht. Das aber ist durchaus von mir bezweckt, da ich den Leser nicht nur an meiner Erkenntnis, sondern auch an dem Weg dorthin teilhaben lassen möchte. Schwierig bis fast unmöglich war es, die in Mädchenmörder Brunke sowie in der Dialektik der Aufklärung auftretenden gegensätzlichen Kreisläufigkeiten aus dieser Arbeit herauszuhalten. Schlussendlich sollen diese aber auch hier zum besseren Verständnis beitragen.
Ich möchte - und das ist mitunter eigennützig gedacht - hiermit meinen Fokus abwenden von der Aufklärung und diesen auf die Liebe lenken. Sie soll Erkenntnisobjekt meiner Arbeit sein. Und das kommt mir gerade recht, denn wie D.H. passierte es auch mir, dass mir die Liebe abhanden kam und Schmerz und Unverständnis an ihre Stelle traten. Und da ich – wie ich vermute - nicht der Einzige mit einer solchen Erfahrung bin, wäre es doch ganz interessant mehr über die Ursachen des Scheiterns einer Liebe zu erfahren.
Ich werde versuchen mich vorsichtig der Liebe zu nähern, indem ich als Hilfsmittel die Dialektik der Aufklärung hinzuziehe. Sie soll dazu beitragen, mir die Gründe für das Scheitern der Liebe von D.H. und Brunke aufzuzeigen. Von ihr erhoffe ich mir eine objektivere, klarere Sicht auf das Handeln Brunkes. So also wie sie uns den jahrhundertealten Irrtum vom aufgeklärten Homo sapiens vor Augen führten, indem sie dem aufgeklärten Denken bewiesen „nur“ Mythos zu sein, sollen Horkheimer und Adorno auch mir jetzt behilflich sein zu verstehen, warum Brunke wie auch D.H. in der Liebe scheiterten.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffseinschränkung – Begriffsfindung - Was ist Liebe?
3. Das Scheitern der Liebe D.H.’s
3.1. Die weibliche Vorstellung vom gemeinsamen Haus
3.2. D.H.’s Vorstellung vom gemeinsamen Haus
3.3. Das Scheitern - Aufklärung gegen Mythos
4. Von D.H. zu Karl Brunke
4.1 Brunkes Liebe gegenüber der abwesenden Person
5. Die Fehlattributation der beiden Männer
5.1 Das Paradies - Es scheint als wären Frauen schuld
6. Das Gegenteil
7. D.H. wird Aufklärer
8. Brunke auf dem Weg zum Aufklärer
9. Das System
9.1 Das System verweigert ihm den Zutritt
9.2. Die List – oder die Fuge
10. Der Glaube und der Fanatiker D.H
10.1. Brunke ist Chef einer Firma
10.2 Die Mittel mutieren zum Zweck
11. Kollaps
11.1. Hilflosigkeit
11.2. Sterben
11.3. Brunkes Verstehen
11.4. Ein Schuss in die Stirn, ein Schuss in den Mund
11.4.1 Der Schuss in die Stirn
11.5.2 Der Schuss in den Mund
11.5. Der Zylinder
11.6. Brunkes Ende
11.7. Warum Brunke sich aufhängt
12. Thesenhafte Zusammenfassung
13. Was mich betrifft zum Schluss
14. Bibliografie
1. Einleitung
„ Mädchenmörder Brunke “ handelt zuallererst und unter anderem von dem „(…)Architekten D.H. aus Berlin, der Anfang der neunziger Jahre von einer wundersamen Besessenheit befallen wird, die ihn die Grenze zwischen Wünschen und Wissen, Heute und Damals, Lieben und Lassen und zwischen sich selbst und einem Fremden vollständig vergessen lässt, bis sie ihn in ein glückliches Sterben führt “[1]. Ich wollte dieser Arbeit die Dialektik der Aufklärung zugrundelegen. Ich wollte nachweisen, warum dieses Buch Thomas Braschs ein Buch der Aufklärung ist. Das werde ich auch versuchen zu tun. Aber unter anderen Sternen als geplant, denn das Werk Mädchenmörder Brunke, ist nicht in erster Linie ein Buch der Aufklärung, sondern es ist ein Buch über die Liebe und über die Irrtümer, die das Menschengeschlecht mit der Liebe verbindet.
Die vorliegende Arbeit ist eng an den Prozess von persönlicher Erkenntnis geknüpft, insofern der Eindruck entstehen kann, dass sie in Teilen nicht wissenschaftlichem oder rationalem Standard entspricht. Das aber ist durchaus von mir bezweckt, da ich den Leser nicht nur an meiner Erkenntnis, sondern auch an dem Weg dorthin teilhaben lassen möchte. Schwierig bis fast unmöglich war es, die in Mädchenmörder Brunke sowie in der Dialektik der Aufklärung auftretenden gegensätzlichen Kreisläufigkeiten aus dieser Arbeit herauszuhalten. Schlussendlich sollen diese aber auch hier zum besseren Verständnis beitragen.
Ich möchte, und das ist mitunter eigennützig gedacht, hiermit meinen Fokus abwenden von der Aufklärung und diesen auf die Liebe lenken. Sie soll Erkenntnisobjekt meiner Arbeit sein. Und das kommt mir gerade recht, denn wie Brunke und D.H. passierte es auch mir gerade eben, dass mir die Liebe abhanden kam und Schmerz und Unverständnis nun an ihre Stelle getreten sind. Und da ich – wie ich vermute - nicht der Einzige bin, der von sich dachte geliebt zu haben und irgendwann vor den Scherben dieser Liebe stand, wäre es doch ganz interessant mehr über die möglichen Ursachen des Scheiterns einer Liebe zu erfahren. Dabei sollen mir der Architekt D.H., sowie Karl Brunke behilflich sein.
Das Interessante ist, dass ich nicht nach dem suchen darf, was die Liebe ist, um zu erfahren, wie sie funktioniert. Das wäre fatal und würde meine angestrebte Erkenntnis schon jetzt zunichte machen. Diese Behauptung begründet sich im gesamten weiteren Verlauf dieser Arbeit von selbst. Somit versuche ich mich der Liebe nur zu nähern, indem ich als Hilfsmittel die Dialektik der Aufklärung hinzuziehe. Sie soll dazu beitragen, mir die Gründe für das Scheitern der Liebe von D.H. und Brunke aufzuzeigen. Von ihr erhoffe ich mir eine objektivere, klarere Sicht auf das Handeln Brunkes. Und so wie sie uns den jahrhundertealten Irrtum vom aufgeklärten Homo sapiens sapiens vor Augen führten, indem sie dem aufgeklärten Denken bewiesen „nur“ Mythos zu sein, sollen Horkheimer und Adorno auch mir jetzt behilflich sein zu verstehen, warum Brunke, wie auch D.H., in der Liebe scheiterten.
Wenn, wie nach Wittgenstein, die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch sein soll, so hieße das, dass ich nicht einmal weiß, was Liebe an sich bedeutet, da ich im Gebrauch bisher gescheitert bin. Ein Grund diese Arbeit, weniger der Aufklärung als vielmehr der Liebe zu widmen, denn obwohl ich schon des Öfteren von Liebe sprach, musste ich doch nun, ähnlich D.H. und Brunke, feststellen, dass ich eigentlich gar nichts weiß.
2. Begriffseinschränkung – Begriffsfindung - Was ist Liebe?
Das Grimmsche Wörterbuch bietet uns beim Stichwort Liebe neun Definitionen auf 23 Seiten mit Belegen an. Also ist Liebe, und sei es auch vorerst nur das Wort, scheinbar ein sehr umfassender Begriff.
Um mich der Liebe, die Brunke und D.H. betrifft nähern zu können, muss ich sie einschränken. Vordergründig für die Liebe, von der ich zu reden gedenke, sind vier der grimmschen Definitionen. Diese wiederum lassen sich mit Hilfe der Ersten verallgemeinern: „liebe, die innige zuneigung eines wesens zu einem andern. “[2].
Belegt mit Luther klingt das folgendermaßen: „liebe aber heiszet auf deudsch (wie jederman weis) nichts anders, denn von herzen einem günstig und hold sein, und alle güte und freundschaft erbieten, und erzeigen. LUTHER 6, 35b“ [3] .
Speziell soll es hier aber gehen um „(…) insbesondere die innige neigung zu einer person des andern geschlechts“.[4]. Also ließe sich schlussfolgern, dass für das Funktionieren der Liebe eine innige Neigung vonnöten ist.
3. Das Scheitern der Liebe D.H.’s
Der Architekt D.H. ist verlobt mit einer Kinderärztin. Sie wohnen in getrennten Wohnungen und er begann mit dem Bau eines gemeinsamen Hauses. „Nach Aussagen der Verlobten kam es über die Ausführung des Baus zu einem Streit, in dem sich plötzlich herausstellte, dass beide abweichende Vorstellungen mit den Worten Zusammenleben und Einanderlieben verbanden, was sich an den Wünschen an das gemeinsame Haus als unüberwindliche Unterschiedlichkeit erwies, die ihnen, bis zu diesem Zeitpunkt in zwei Wohnungen lebend nie derart deutlich vor Augen getreten war.“ [5] . Die bis dato gelebte Liebe beider Personen besteht aus deren Wohnen in getrennten Wohnungen und gerät im Folgenden arg in Not, als sich herausstellt, dass fortan gemeinsam gewohnt werden soll.
Laut Horkheimer/Adorno (im Folgenden mit H/A abgekürzt) ist für ein Scheitern der romantischen Liebe die Trennung selbiger in zwei Bereiche verantwortlich. Im Entfernten lassen sich diese beiden Bereiche als Das Geistige und Das Körperliche charakterisieren. Wichtiger aber als die Charakterisierung und Definition in Form von Begriffen ist das generelle Problem der Dissoziation der Liebe. Diese Trennung hat sich im Laufe der Geschichte entwickelt und mündet im Denken der Aufklärung und im Bedeutungsverlust der Familie durch Verwirtschaftung und Kapitalstreben. „ Geist und Körper werden in Wirklichkeit getrennt (…)“, was dazu führt , „daß es eine höchst verschiedene Sache ist, zu lieben und zu genießen“ [6]. Die Dissoziation findet sich im Text eindrucksvoll in der antithetischen Gegenüberstellung der Begriffe Zusammenleben und Einanderlieben wieder.
3.1. Die weibliche Vorstellung vom gemeinsamen Haus
Ein Scheitern des Zusammenlebens liegt daran „(…) daß sie sich beispielsweise einen hohen schlanken gläsernen Turm vorgestellt habe, in dem jede Etage von einem anderen ihre Freunde oder Freundinnen oder ehemaligen Liebhaber oder Liebhaberinnen und deren Kinder bewohnt werden könne, die sich den Turm teilten und bei Bedarf und neuen Freundschaften diesen um die nötigen Stockwerke hätten erhöhen können, um darin zu arbeiten und Erfindungen machen zu können. “[7] Ihre Vorstellung klingt modern, ein hoher, schlanker, gläserner Turm. Es wird ein moderner Baustoff verwendet – Glas – und die Bewohner sind auf geistiger oder körperlicher (sexueller) Ebene alles alte Bekannte. Ihre Wunschvorstellung ist die des Zusammenlebens im wörtlichen Sinn. Wobei nicht das Zusammenleben explizit mit ihrem Verlobten gemeint ist. Es geht um ein Zusammenleben von Verfügbarkeiten bisher gesammelter Erfahrungen unter vollkommener Transparenz in einem Turm aus Glas. LiebhaberInnen und FreundInnen sowohl der Vergangenheit als auch der Gegenwart und der Zukunft, soll dieses Gebäude aufnehmen. Erweiterbar um jegliche neue Erfahrung soll es sein. Offensichtlich ist auch hier das, was man Dissoziation nennt: FreundInnen als der geistige, LiebhaberInnen als der körperliche Bereich. Wiederum getrennt in unterschiedlichen Etagen oder Schichten. Geordnet nach der Zeit, gleich einem Sedimentgestein, ist das gesamte Gebäude ein Hinweis auf Dissoziation in jeglicher Hinsicht. Auf die Spitze getrieben wird diese Isotopie in der Nennung der in dem Gebäude zu verrichtenden Tätigkeiten Arbeiten und Erfindungen machen, die man auch Produktivität und Fortschritt nennen kann.
Und H/A sagen: „ Unter der großen Industrie wird die Liebe kassiert. (…) früher entzündete die Knechtschaft im Vaterhaus beim Mädchen die Leidenschaft, die in die Freiheit zu führen schien, erfüllte sie sich auch weder in der Ehe noch irgendwo draußen. (…) Indem sich für das Mädchen die Aussicht auf den job eröffnet, versperrt sich ihr die Liebe.“ [8] Zurückzuführen ist dies auf den Bedeutungsverlust der Familie. „Die Menschen gewinnen das rationale, kalkulierende Verhältnis zum eigenen Geschlecht(…) “[9] heißt es und was daraus folgt ist: „Geist und Körper werden in Wirklichkeit getrennt(…)“ [10] . Weiter heißt es: „daß es eine höchst verschiedene Sache ist, zu lieben und zu genießen (...)“ [11] und dass „Die unvermeidliche Konsequenz, die mit der (…) Aufteilung des Menschen in denkende und ausgedehnte Substanz schon implizit gesetzt war, (…) in aller Klarheit als Destruktion der romantischen Liebe ausgesprochen “[12] wird. Die Trennung der Liebe in die Bereiche Geist und Körper ist der Angriff gegen die romantische Liebe. „Wahr ist an all dem die Einsicht in die Dissoziation der Liebe, das Werk des Fortschritts. Durch solche Dissoziation, welche die Lust mechanisiert und die Sehnsucht in den Schwindel verzerrt, wird Liebe im Kern angegriffen.“[13] Dieser Angriff infolge der Dissoziation findet seine Entsprechung in der Überbetonung des Körperlichen allein dadurch, dass der Entwurf der Verlobten nicht nur entfernt an ein Phallussymbol erinnert. Ein Phallussymbol, das nie innehält zu wachsen, das größer und größer wird mit jedem neuen Freund und Liebhaber oder den entsprechenden weiblichen Formen, während - und das betrachte man genauer - die ganze Welt zuzuschauen in der Lage ist, dank gläserner Transparenz. Öffentlichkeit spielt bei einem Haus aus dem Fortschrittsbaustoff Glas eine große Rolle. Was aber macht diese Eigenschaft der Transparenz so wertvoll? „Der Fortschritt hält die Menschen buchstäblich auseinander. Der kleine Schalter am Bahnhof oder auf der Bank machte es dem Angestellten möglich, mit dem Kollegen zu tuscheln und das karge Geheimnis mit ihm zu teilen; die Glasfenster moderner Büros (…)gestatten keine Privatunterhaltungen und Idyllen mehr (…).“ [14] Glas, und damit Transparenz, verkehrt sich in das Gegenteil seiner Bedeutung. Die überall anwesende Öffentlichkeit produziert die Einsamkeit des Einzelnen, die dieser fälschlich als Individualismus auslegt. In der Öffentlichkeit ist man allein. Individualist und doch gleicher unter gleichen. Austauschbar. „Die vollendete Ähnlichkeit ist der absolute Unterschied.“ [15]
„Die Kulturindustrie hat den Menschen als Gattungswesen hämisch verwirklicht. Jeder ist nur noch, wodurch er jeden anderen ersetzen kann: fungibel, ein Exemplar. Er selbst, als Individuum, ist das absolut Ersetzbare, das reine Nichts, und eben das bekommt er zu spüren, wenn er mit der Zeit der Ähnlichkeit verlustig geht.“ [16] Der Turm ist die Spitze aufgeklärten Denkens, sein Symbolgehalt ist erschreckend ebenso wie die Vorstellung, dass er das gemeinsame Wohneigentum zweier sich Liebender darstellen soll. Die Vorstellung der Frau verkörpert die des aufgeklärten Menschen. Die Liebe, die wohl Auslöser der Verlobung gewesen ist und die auch Ursache des Willens zum gemeinsamen Wohnen sein sollte, taucht gar nicht erst auf in den Vorstellungen der Verlobten. Allein ein Fragment des Wortes wird in [lieb-haber] ersichtlich. Wo in ihrer Vorstellung vom gemeinsamen Haus ist ihr Verlobter eingeplant gewesen?
Die von der Frau repräsentierte aufgeklärte Art und Weise das Wesen der Liebe zu beschreiben, aufgedeckt durch H/A, findet sich im Ansatz in unser aller Denken wieder, besonders wenn wir in der heutigen Gesellschaft wandelnde Individuen sind. Um das zu belegen, verweise ich hier auf Goethe: „ist unter liebe das edelste bedürfnis geistiger, vielleicht auch körperlicher vereinigung gedacht, welches die einzelnen in bewegung setzt und, auf die schönste weise, in freundschaft, gattentreue, kinderpietät und auszerdem noch auf hundert zarte weisen befriedigt und lebendig erhält. GÖTHE 45, 322“ [17] . Wenn zwar durch ein vielleicht relativiert, so ist auch bei dem aufgeklärten Dichter die Trennung
in Geistiges und Körperliches mehr als präsent.
3.2. D.H.’s Vorstellung vom gemeinsamen Haus
Für D.H. müsse ein Heim die Möglichkeiten bieten: „ sich aus dem Öffentlichen in das Private zurückziehen zu können und seine Liebe auf ihre Kraft, Neugier und ihr Geheimnis immer wieder neu zu prüfen.“ [18] . Seine Vorstellung eines gemeinsamen Heimes nennt Liebe zumindest beim Wort. Die Liebe als Wort führt auch die Liebe als Begrifflichkeit ein und reichert sie sofort um die Konnotationstrias Kraft, Neugier und Geheimnis an. Dass Kraft und Liebe korrelieren formulierte auch der diesmal romantische Goethe: „die that allein beweist der liebe kraft. 9, 384 (nat. tochter 5, 9);“ [19] . Dass die Liebe Geheimnisse birgt, wusste Gellert: „Julchen. kennen sie denn die liebe recht genau? was ist sie denn? ein rätzel, das niemand auflösen (…)“ [20] .
D.H. trennt die Liebe nicht in zwei Bereiche. Er sieht die Liebe als etwas Ganzes, bestehend aus Kraft, Neugier und Geheimnis. Der Rückzug ins Private macht Transparenz in Form von Glas unmöglich. Sein Entwurf sieht die Verwendung von Holz vor. Holz als ältester Baustoff, der in Form von Täfelungen ein Abbild der Natur in das Haus bringen soll. D.H.’s Vorstellung von Liebe orientiert sich an der Natur. Liebe ist etwas rational nicht Greifbares, etwas Bewahrenswertes, Geheimnisvolles. „ Diesen [seinen] Entwurf hatte sie abgelehnt wegen seiner Hoffnungslosigkeit und in Anbetracht seiner sentimentalen Resignation.“ [21] Unfassbar die Kälte und die Zerstörungskraft dieses Satzes ihrer Ablehnung ihm gegenüber und wieder Zeichen auch für ihren rationalen Umgang mit der Liebe. Das Geheimnis seines Vorschlages, der den Bau einen Labyrinthes vorsah, in welchem beide die Nähe des anderen immer wieder neu suchen müssten, ist für sie Hoffnungslosigkeit. Es ist die Angst vor dem Geheimnis, die Angst vor dem Nichtanwendenkönnen der Vernunft, die Angst vor der Unvorhersehbarkeit, die sie hier zurückschrecken lässt. Sentimentale Resignation: Sentimental, semantisiert als „von unechter, gemachter empfindung erfüllt oder zeugend“ [22] sowie das Substantiv Resignation, das ein Sichfügen in aussichtslose Lagen bedeutet, stehen für eine Abwertung der romantischen Liebe. Liebe bekommt hier den Charakter einer Hoffnungslosigkeit oder anders gesagt einer falschen Gefühlsschwäche. Ihrer Ansicht nach steht seine Vorstellung von Liebe nicht im Einklang mit der Vernunft und deren Drang, jegliche Natur nebst ihrer Geheimnisse zu erklären und zu beherrschen. Das rationale Sezieren der Ganzheit der Liebe, führt zu einer Abwertung, ja zur Negierung derselben und zu einer Trennung der Liebe in zwei Bereiche, genauso, wie man im Zuge aufgeklärten Denkens die Kunst von der Wissenschaft abtrennte.
3.3. Das Scheitern - Aufklärung gegen Mythos
D.H. nebst Verlobter stellten fest: „ wie trügerisch ihre Nähe und wie vergeblich ihr Beieinander gewesen war: Dies sei der große Vorzug des Streits gewesen, der beide die schmerzhafte Missverständlichkeit des Wortes Liebe gelehrt hatte.“ [23]
Die Liebe beider scheitert an verschiedenartigen Vorstellungen über die gemeinsame Behausung. Ihr Vorschlag trägt all die Errungenschaften in sich, die die Aufklärung uns bis heute hinterlässt, einschließlich der freien Liebe, während sein Vorschlag Ausdruck der romantischen Liebe ist, mit den Konnotationen Kraft, Neugier und Geheimnis. Aber Geheimnisse sind der Aufklärung seit jeher ein Dorn im Auge, denn Geheimnis heißt Mythos. Und Mythos ist dasjenige, gegen das die Aufklärung all ihr Streben richtet. Wohlgemerkt ohne den Kreis des Mythischen selber zu verlassen. H/A meinen dazu: „Es soll kein Geheimnis geben, aber auch nicht den Wunsch seiner Offenbarung.“ [24] Liebe - und somit Geheimnis - hat allzu viel von Natur in sich, als das es einfach existieren dürfte ohne entmythifiziert zu werden. Die Angst vor dem Geheimnis ist die Angst vor der Natur, die Angst vor der Liebe, der romantischen und irgendwie unerklärlichen Liebe. Im Kampf gegen die Natur, in dem Willen sie zu beherrschen, liegt die Angst vor dem Geheimnis, dem Unerklärlichen. „Nicht auf jene Befriedigung, die den Menschen Wahrheit heiße, sondern auf »operation«, das wirksame Verfahren, komme es an; nicht in »plausiblen, ergötzlichen, ehrwürdigen oder effektvollen Reden, oder irgendwelchen einleuchtenden Argumenten, sondern im Wirken und Arbeiten und der Entdeckung vorher unbekannter Einzelheiten zur besseren Ausstattung und Hilfe im Leben« liege »das wahre Ziel und Amt der Wissenschaft«“ [25] . Das Forschen und das Arbeiten, als Mittel das Lebenkönnen besser auszustatten, ist es, das aus der Angst vor dem Geheimnis folgt. Es ist dies die Aufgabe der Aufklärung. Und es sind die Dinge, für die die Verlobte ihr Bauwerk vorsieht: Arbeiten und Erfindungen machen. Diesem Bild fügen sich weitere Formulierungen ein. So heißt es: „ Nach mehreren Erpressungsversuchen ihrerseits und einigen Vergewaltigungsversuchen von seiner Seite habe man die endgültige Trennung beschlossen.“ [26] Die Erpressung als geplanter Akt der Schädigung eines anderen in Form einer Zwingklausel, steht für durchdachtes Denken, für kühle Logik und deren Vermögen anderen Schaden zuzufügen, zum eigenen Vorteil und unter Zuhilfenahme des Kalküls.
Bedeutet das, dass nur sie für ein Scheitern der Liebe verantwortlich war? War sie es, der der Wille zur innigen Neigung fehlte?
D.H. hingegen steht für Trieb und Unkontrollierbarkeit, welche die Entsprechung im Wort Vergewaltigung finden. Die Vergewaltigung ist das Zufügen von Gewalt. Gewalt die sich in der Urform in der „ Gewalt der Natur “[27] wiederfindet. D.H. ahmt hier durch Vergewaltigung die Natur nach. Sein Hütenwollen des Geheimnisses steht für die Ehrfurcht vor der Liebe, ähnlich dem Gläubigen in seiner Ehrfurcht vor den Göttern. Und Erfurcht war Furcht resultierend aus Unerklärbarkeit, aus der den Menschen vor der Aufklärung nur der Mythos zu retten vermochte. Sein Bedürfnis zur Nachahmung in Form der Vergewaltigung steht für das Nachahmen oder Abbilden von Göttern. Dies ist ein Wesenszug des Mythischen. Belege dafür werde ich im Folgenden im Kapitel Das Scheitern der Liebe Brunkes zu Tage fördern. D.H.’s Vorschlag sah den Bau eines Labyrinthes vor , „(…)in dem man die Nähe des anderen immer wieder neu suchen müsse.“ [28] Dieses Labyrinth nennt sie hoffungslos und bestätigt so die Angst vor dem Unbestimmbaren, vor dem Nichtwissen, was hinter der nächsten Wand passieren wird. Seine Huldigung des Unbekannten ist ihr derart zuwider, dass sie sich ein solches Leben gar nicht vorstellen kann. Um die Bekanntschaft mit dem Unbestimmten zu meiden, plant sie einen transparenten Turm, der alles Gewesene und alles Zukünftige beinhalten soll, im Blick der Öffentlichkeit. Einer Öffentlichkeit, die – wie gezeigt worden ist – Unvorhersehbares verhindert. Er vergöttert das Geheimnis der Liebe, wohingegen sie dieses Vergöttern des Geheimnisses als Hoffnungslosigkeit darstellt.
Es ist der Kampf von Vernunft gegen Mythos, den beide ehemals Liebenden ausfechten und an dem ihr Beieinander zerbricht. Und da es ein Kampf ist, kann es unmöglich innige Zuneigung sein. Dabei ist beider Denken durchaus gleichwertig, glauben H/A: „ Aber die Mythen, die der Aufklärung zum Opfer fallen, waren selbst schon deren eigenes Produkt.“ [29] Diese Feststellung legt nahe, dass alles, was Brunke und D.H. suchen, ganz einfach zu finden sein muss. Doch dazu später mehr.
[...]
[1] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 13
[2] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd. 12 Sp. 917,57
[3] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd. 12 Sp. 917,57
[4] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd. 12 Sp. 917,57
[5] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 15-16
[6] Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 128
[7] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 16
[8] Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 127
[9] Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 128
[10] ebd., 128
[11] ebd., 128
[12] ebd., 128
[13] ebd., 129
[14] ebd., 252
[15] ebd., 168
[16] Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 168
[17] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd. 12 Sp. 917,57
[18] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 16
[19] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd.21 Sp. 309,19
[20] ebd., Bd. 12 Sp. 917,57
[21] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 16-17
[22] Grimm, Jacob und Grimm Wilhelm, Frankfurt Main, 2004, Bd.16,Sp.615,3
[23] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 17
[24] Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 21
[25] ebd., 21
[26] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 18-19
[27] Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 56
[28] Brasch, Thomas, Mädchenmörder Brunke, Frankfurt Main, 2001, 16
[29] Horkheimer, Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1984, 24
- Quote paper
- Eric Wallis (Author), 2006, Über die Liebe und das Scheitern der Liebe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59144
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