Es gilt in dieser vorliegenden Dissertation, lernförderliche Methoden in einer geeigneten Lernumgebung für einen Conceptual Change zu entwickeln und ihre Tragweite empirisch zu überprüfen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Thema Aufbau der Erde.
Eine Basis hierfür bietet die Arbeit von CONRAD (2014), auf die diese Forschungsarbeit aufbaut. Als theoretischer Rahmen wurde der Conceptual Change von POSNER et al. (1982) ausgewählt. Die vier Bedingungen Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit sind als Strukturvorgabe für die Entwicklung der didaktisch aufbereiteten Lernangebote leitend. Es wurden zehn Vermittlungsexperimente mit insgesamt 20 SchülerInnen aus bayerischen Realschulen und Gymnasien in einer qualitativen Studie durchgeführt. Die Vermittlungsexperimente beinhalten neben Interview- auch Interventionsphasen, um die ProbandInnen dazu anzuregen, ihre eigenen konstruktiven Denkprozesse zu reflektieren und ihre subjektiven Vorstellungen zu hinterfragen.
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass ein fachlich nahes Verständnis für den Aufbau der Erde erreicht werden konnte. Die didaktisch aufbereitete Lernumgebung zeichnet sich dadurch aus, dass die Thematik durch die eingesetzten Modelle und Materialien verständlicher und anschaulicher wurde. Das Lernen erfolgte selbstgesteuert, d.h. die aktive Rolle lag bei den Lernenden. 17 SchülerInnen haben eine Veränderung ihres Konzepts erreicht, wobei ein Großteil der ProbandInnen ein fachwissenschaftlich nahes Konzept mit über fünf adäquaten Begrifflichkeiten konstruierte. Es wurde deutlich, dass ein hohes Interesse der ProbandInnen für die Initiierung eines deutlichen Conceptual Changes vorteilhaft sein kann. Alle ProbandInnen, die ein hohes Interesse aufwiesen, haben einen deutlichen Conceptual Change vollzogen.
Ein weiteres Ergebnis ist, dass bei den ProbandInnen, bei denen kein Conceptual Change initiiert werden konnte, die Phase der Unzufriedenheit anscheinend nicht erreicht wurde. Um jedoch einen erfolgreichen Conceptual Change zu erreichen, müssen die Phasen Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit nacheinander durchschritten werden. Hieraus ergibt sich, dass die letzten drei Kriterien eines Conceptual Changes bei diesen ProbandInnen nie erreicht werden konnten, da sie bereits an der ersten Phase der Unzufriedenheit scheiterten.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abk ürzungsverzeichnis
Summary
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Schülervorstellungen – Begrifflichkeiten
2.2 Lerntheoretischer Hintergrund
2.3 Conceptual Change
2.3.1 Definition
2.3.2 Bedingungen
2.3.3 Motivationale Faktoren
2.3.4 Modelle
2.3.5 Der Zusammenhang der unterschiedlichen theoretischen Ansätze
2.3.6 Der Umgang mit Conceptual Change im Unterricht
2.3.7 Herausforderungen der Conceptual-Change-Forschung
2.4 Modell der didaktischen Rekonstruktion
3 Forschungsstand
3.1 Umstrukturierung von Schülervorstellungen
3.2 Schülervorstellungen zum Aufbau des Erdinneren
4 Forschungsfragen
5 Forschungsdesign
5.1 Modell der didaktischen Rekonstruktion als Grundlage
5.1.1 Fachliche Klärung
5.1.2 Untersuchung der Schülervorstellungen
5.1.3 Didaktische Strukturierung
5.2 Methodische Überlegungen
5.2.1 Leitfadengestütztes Interview
5.2.2 Zeichnung
5.2.3 Gütebestimmung
5.3 Phasen der Untersuchung
5.3.1 Präkonzept
5.3.2 Intervention
5.3.3 Postkonzept
5.3.4 Reflexion
5.4 Lernumgebung nach Posner et al. (1982)
5.4.1 Unzufriedenheit
5.4.2 Verständlichkeit
5.4.3 Plausibilität
5.4.4 Fruchtbarkeit
5.5 Sampling
6 Ergebnisse
6.1 Beschreibung der angewandten Verfahren
6.1.1 Qualitative Inhaltsanalyse
6.1.2 Diagnose von Schülerzeichnungen
6.1.3 Quantitative Erhebung
6.2 Auswertung
6.2.1 Präkonzept
6.2.2 Postkonzept
6.2.3 Veränderungen vom Prä- zum Postkonzept
6.2.4 Lernhinderliche Interventionen
6.2.5 Lernförderliche Interventionen
6.2.6 Interesse und zeitliche Bildung der Vorstellung
7 Beantwortung der Forschungsfragen
8 Fazit und Schlussfolgerungen
8.1 Herausragende Ergebnisse
8.2 Grenzen der Forschungsarbeit
8.3 Forschungsdesiderata
9 Literaturverzeichnis
Anhang
A1 Interviewleitfaden
A2 Materialien
A3 Kodierleitfaden
A4 Einzelauswertungen
A5 Auszüge aus den Pilotstudien
(Eidesstaatliche) Versicherungen und Erkl ärungen
Die vorliegende Arbeit wurde in der Zeit von Mai 2015 bis Februar 2019 in Bayreuth an der Professur Didaktik der Geographie unter Betreuung von Frau Prof. Dr. Gabriele Obermaier angefertigt.
Vollständiger Abdruck der von der Bayreuther Graduiertenschule für Mathematik und Natur-wissenschaften (BayNAT) der Universität Bayreuth genehmigten Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dank
An dieser Stelle möchte ich mich bei all denen bedanken, die mich bei der Entwicklung der Dissertation begleitet und damit die Entstehung dieses Werkes erst möglich ge-macht haben.
Meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Gabriele Obermaier möchte ich herzlich für ihr Vertrauen danken. Ich verdanke ihr jede erdenkliche Unterstützung und viele anregende Diskussionen. Jede Phase dieser Arbeit wurde von ihr intensiv, professionell und warmherzig begleitet. Besonders bedanken will ich mich auch für die Freiheit, die sie mir während des gesamten Forschungsprojektes gewährte. Ihr kompetenter Rat und ihre Hilfe kam mir in zahlreichen Angelegenheiten sehr zugute.
Mein besonderer Dank gilt auch meinem Zweitgutachter Herrn Prof. Dr. Ludwig Haag. Gleiches gilt für Herrn Prof. Dr. Ludwig Zöller für die anregenden fachlichen Diskussi-onen und Herrn Prof. Dr. Manfred Miosga.
Meinem Dank gilt auch dem Team des Lehrstuhls der Didaktik der Geographie Dr. Kati Barthmann, Anja Hager, Christoph Koch und Sandra Kopschitz an der Universität Bay-reuth, die mich in jeder Situation unterstützten und engagiert entlasteten.
Ein besonderer Dank gilt allen Probandinnen und Probanden, die diese Untersuchung ermöglichten.
Besonders möchte ich mich bei meinem Mann Florian mit seiner Familie für die Unter-stützung und vielen lieben Worte während der Erarbeitung meiner Dissertation bedan-ken, dass es neben der Arbeit auch viele andere wertvolle Dinge im Leben gibt.
Ich möchte mich ganz besonders herzlich bei meinen Eltern Christine und Bernd sowie meinem Bruder Maximilian und meinem Onkel Eckhard Melzer für die uneinge-schränkte, liebevolle und vielseitige Unterstützung bedanken, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre.
Mein ganz besonderer Dank aber gilt meinen Großeltern, Gerhard, Marie-Luise und Rosl Hildegard und meinem viel zu früh verstorbenen Großvater Wolfgang, denen vier ich diese Arbeit widmen möchte.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Struktur einer kindlichen Vorstellung von der Form der Erde
Abb. 2: Interpretationskontexte
Abb. 3: Das Modell der didaktischen Rekonstruktion
Abb. 4: Phasen der Untersuchung
Abb. 5: Arbeitsblatt: 1. Schülerzeichnung
Abb. 6: Zusammenhang der Phasen des CC mit den Lernmaterialien
Abb. 7: Steinmodell
Abb. 8: Materialmix
Abb. 9: Schaumstoffbällchen
Abb. 10: Wunderknete
Abb. 11: Platte
Abb. 12: Aufbau der Erde
Tabe ll env erzeichni s
Tab. 1: Untersuchungen zur Umstrukturierung von SV in der Geographie
Tab. 2: Untersuchungen zur Umstrukturierung von SV in der Biologie
Tab. 3: Untersuchungen zur Umstrukturierung von SV in der Chemie
Tab. 4: Untersuchungen zur Umstrukturierung von SV in der Physik
Tab. 5: Untersuchungen von SV zum Aufbau der Erde
Tab. 6: Didaktische Leitlinien
Tab. 7: Chemische Zonierung der Erde
Tab. 8: Rheologische Zonierung der Erde
Tab. 9: Zusammenfassung der didaktischen Leitlinien und der Materialien
Tab. 10: Transkriptionsregeln
Tab. 11: Begriffsklassen im Präkonzept
Tab. 12: Konzeptklassen im Präkonzept
Tab. 13: Zeichnungsklassen im Präkonzept
Tab. 14: Multiple-Choice-Test im Präkonzept
Tab. 15: Begriffsklassen im Postkonzept
Tab. 16: Begrifflichkeiten im Postkonzept
Tab. 17: Konzeptklassen im Postkonzept
Tab. 18: Zeichnungsklassen im Postkonzept
Tab. 19: Multiple-Choice-Test im Postkonzept
Tab. 20: Zeichnungsklassen im Prä-Post-Vergleich
Tab. 21: Erreichter Conceptual-Change-Grad
Tab. 22: Interessensverteilung
Tab. 23: Zusammenhang von Interesse, Zeitpunkt der Vorstellungsüberlegung und fachwissenschaftlicher Nähe der Vorstellung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Summary
The conceptual change research examines the question of how far students’ perceptions can be influenced by appropriate learning opportunities. There are only a few papers about the conceptual change in the didactics of geography. However, some results from other disciplines can be used for the scientific research in that area. In the present doctoral thesis, methods that support learning are developed in an appropriate learning environment for a conceptual change and their impact is checked empirically. The study wants to contribute to the promotion of geography lessons. Furthermore, the results provide a further development of the conceptual change theory. In the didactics of geography, mainly research results of students’ perceptions to physical-geographic concepts exist. The focus of this doctoral thesis is on the physical-geographic subject area structure of the earth. For this, a broad base due to the study of Conrad (2014) exists and the present paper builds upon it.
As a theoretical framework for a conceptual change, Posner et al. (1982) has been chosen. In 1982, they published four conditions for a successful conceptual change. Those four conditions function as structural guidelines for the development of the didactic prepared learning opportunities. To perform a successful conceptual change, the criteria dissatisfaction, comprehensibility, plausibility and fertility have to be passed through. It is important that the teacher is not only providing the conditions for a conceptual change, however, the learner also have to accept them in the learning environment. A conceptual change cannot be initiated, if those criteria are not given.
Ten teaching experiments with 20 pupils from Bavarian secondary schools (Realschule and Gymnasium) were carried out in a qualitative study. The experiments consist of sections of interviews and of interventions in order to stimulate the learners to reflect their own constructive thinking process and to question their subjective concepts. The present study comprises the following aspects:
- Sections of interviews to capture the level of knowledge of the test persons
- Sections of interventions to develop technical concepts in a didactic prepared learning environment
- Drawings as survey method for the students’ perceptions
- Questionnaires (multiple choice test, scale of interest and time of consideration of the concept)
At the beginning of the study, four students’ concepts are shown: closely related to the subject, model of a magma cover, model of rock stratum and no concentricity. In the preconcept the majority of learners comply with the model of rock stratum. The research results show that an understanding for the structure of the earth can be achieved, when learners reflect their own concepts and restructure their existing preconcept to a concept that is closely related to the subject with the help of a didactic prepared learning environment. The learning environment is characterized by the way that it presents clearly the topic due to used models and materials. The learning was self-regulated and the investigator stepped back in order to give the learners an active role.
17 of 20 pupils achieved a conceptual change to the topic structure of the earth and the majority of the test persons designed a concept that was closely related to the subject with more than five adequate terminologies. It becomes clear that a high interest of learners are advantageous for the initiation of a significant conceptual change. All learners with a high interest carried out a significant conceptual change. Furthermore, contrary to the assumption, the extent of anchoring of the concept (time of consideration of the concept) does not seem to be related to the conceptual change itself. The three learners, who were not able to do the conceptual change, have apparently not reached the stage of dissatisfaction according to Posner et al. (1982). They showed a lack of interest, demotivation and a low level of commitment. In addition, their statements in the first interview revealed a satisfaction with their preconcept. The result of all this was that apparently no dissatisfaction has been generated. In order to reach a successful conceptual change, all conditions, namely dissatisfaction, comprehensibility, plausibility and fertility have to be fulfilled. Consequently, the last three criteria of the conceptual change have never been reached, because they failed already in the first stage of dissatisfaction.
Zusammenfassung
Die Conceptual-Change-Forschung verfolgt die Fragestellung, inwieweit Schülervor-stellungen durch geeignete Lernangebote beeinflusst werden können. In der Geogra-phiedidaktik liegen bis jetzt nur sehr wenige Arbeiten zum Conceptual Change vor. Teilweise können jedoch Ergebnisse auch aus anderen Fachdidaktiken für die geogra-phiedidaktische Forschung fruchtbar gemacht werden. Es gilt in dieser vorliegenden Dissertation, lernförderliche Methoden in einer geeigneten Lernumgebung für einen Conceptual Change zu entwickeln und ihre Tragweite empirisch zu überprüfen. Damit soll auch ein Beitrag für die Förderung des Geographieunterrichts geleistet werden.
In der Didaktik der Geographie liegen vor allem Forschungsergebnisse über Schüler-vorstellungen zu physisch-geographischen Themen vor. Der Schwerpunkt dieser Dissertation liegt auf dem Thema Aufbau der Erde. Eine breite Basis hierfür bietet die Arbeit von Conrad (2014), auf die die vorliegende Forschungsarbeit aufbaut.
Als theoretischen Rahmen wurde der Conceptual Change wurden Posner et al. ausge-wählt, bei dem 1982 vier Bedingungen für einen erfolgreichen Conceptual Change pos-tuliert wurden (vgl. Posner et al. 1982, S. 211ff.). Diese vier Bedingungen sind als Strukturvorgabe für die Entwicklung der didaktisch aufbereiteten Lernangebote leitend. Um eine erfolgreiche Veränderung des Konzepts durchzuführen, müssen die Kriterien Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit nacheinander durch-schritten werden. Dabei ist ausschlaggebend, dass der Lehrende die Bedingungen für einen Conceptual Change nicht nur ermöglicht, sondern dass diese auch vom Lernenden in der Lernumgebung erfasst werden, da sonst kein Conceptual Change initiiert werden kann. Es wurden zehn Vermittlungsexperimente mit insgesamt 20 SchülerInnen aus bayerischen Realschulen und Gymnasien in einer qualitativen Studie durchgeführt. Die Vermittlungsexperimente beinhalten neben Interview- auch Interventionsphasen, um die ProbandInnen dazu anzuregen, ihre eigenen konstruktiven Denkprozesse zu reflek-tieren und ihre subjektiven Vorstellungen zu hinterfragen.
Die vorliegende Studie besteht aus folgenden Teilbereichen:
- Interviewphasen zur Erfassung der Wissensstände der ProbandInnen
- Interventionsphasen zur eigenen Erarbeitung von fachwissenschaftlichen Konzepten in einer didaktisch aufbereiteten Lernumgebung
- Zeichnungen als Erhebungsmethode der Schülervorstellungen
- Fragebogen (Multiple-Choice-Test, Interessenskala und Erhebung des Zeitpunkts der Vorstellungsüberlegung)
Zu Beginn der Untersuchung konnten vier Schülervorstellungskonzepte herausgearbei-tet werden: fachliche Nähe, Magmahüllenmodell, Gesteinsschichtenmodell und keine Konzentrizität. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass ein fachlich nahes Ver-ständnis für den Aufbau der Erde erreicht werden konnte. , Die ProbandInnen hinter-fragten und es gelang ihnen ihr bestehendes Präkonzept zu einem fachwissenschaftlich nahen Ansatz umstrukturieren. Die didaktisch aufbereitete Lernumgebung zeichnet sich dadurch aus, dass die Thematik durch die eingesetzten Modelle und Materialien ver-ständlicher und anschaulicher wurde. Das Lernen erfolgte selbstgesteuert, d.h. die akti-ve Rolle lag bei den Lernenden.
17 von 20 SchülerInnen haben eine Veränderung ihres Konzepts zum Aufbau der Erde erreicht, wobei ein Großteil der ProbandInnen ein fachwissenschaftlich nahes Konzept mit über fünf adäquaten Begrifflichkeiten konstruierte. Es wurde deutlich, dass ein ho-hes Interesse der ProbandInnen für die Initiierung eines deutlichen Conceptual Changes vorteilhaft sein kann. Alle ProbandInnen, die ein hohes Interesse aufwiesen, haben ei-nen deutlichen Conceptual Change vollzogen. Es kann keine Aussage über den Zu-sammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Vorstellungsüberlegung und einem erfolgrei-chen Conceptual Change getroffen werden. Die ProbandInnen waren anscheinend nicht in der Lage darüber zu reflektieren, ob sie ihre Vorstellungen ad hoc oder schon vor einem längeren Zeitraum gebildet haben. Ein weiteres Ergebnis ist, dass bei den Pro-bandInnen, bei denen kein Conceptual Change initiiert werden konnte, die Phase der Unzufriedenheit nach Posner et al. (1982) anscheinend nicht erreicht wurde. Zu be-obachten war bei ihnen mangelndes Interesse, Demotivation und geringe Leistungsbe-reitschaft. Außerdem zeigten ihre Äußerungen in der 1. Interviewphase, dass sie mit ihrem Präkonzept zufrieden waren. Um jedoch einen erfolgreichen Conceptual Change zu erreichen, müssen die Phasen Unzufriedenheit, Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit nacheinander durchschritten werden. Hieraus ergibt sich, dass die letzten drei Kriterien eines Conceptual Changes bei diesen ProbandInnen nie erreicht werden konnten, da sie bereits an der ersten Phase der Unzufriedenheit scheiterten.
1 Einleitung
„If I had to reduce all of educational psychology to just one principle, I would say this: The most important single factor influencing learning is what the learner already knows. Ascertain this and teach him accordingly.” (David Paul Ausubel 1918-2008)
Ausubel stellt in diesem Zitat fest, dass ein wichtiger Faktor für das Lernen im Unter-richt die Berücksichtigung des Vorwissens ist. So wurde auch schon im Jahre 1844 im „Wegweiser zur Bildung für deutsche Lehrer“ Folgendes deklariert: „Beginne den Un-terricht auf dem Standpunkte des Schülers, führe ihn von da aus stetig, ohne Unterbre-chung, lückenlos und gründlich fort! Der Standpunkt des Schülers ist der Ausgangs-punkt. Dieser ist also vor dem Unterricht zu erforschen. [...] Ohne die Kenntniß des Standpunktes des Schülers ist keine ordentliche Belehrung desselben möglich. Man weiß ja sonst nicht, was vorauszusetzen, wo anzuknüpfen ist“ (Diesterweg 1844, S. 156 f.). Es wird deutlich, dass schon damals die Sichtweise vertreten wurde, dass die Standpunkte und subjektiven Theorien der Schülerinnen und Schüler im Unterricht von Lehrkräften zu berücksichtigen sind, damit die Lernenden auch erfolgreich Wissen kon-struieren können.
Die vorliegende Arbeit handelt von der Umstrukturierung eines bestehenden Präkon-zepts hin zu einem fachwissenschaftlich nahen Ansatz durch eine didaktisch aufbereite-te Lernumgebung. Es soll erforscht werden, welche Prä- und Postkonzepte die Schüle-rInnen verwenden, inwieweit sich die Schülervorstellungen durch die didaktisch aufbe-reitete Lernumgebung verändern, welche Interventionen lernförderlich und lernhinder-lich für die Entwicklung einer fachwissenschaftlichen Vorstellung sind und ob ein Zu-sammenhang zwischen Interesse, Zeitpunkt der Vorstellungsüberlegung und fachwis-senschaftlicher Nähe der Vorstellung besteht. Als Referenzrahmen wird hierbei auf die Bedingungen eines Conceptual Changes (Posner et al. 1982) zurückgegriffen.
In der vorliegenden Arbeit wird zunächst auf den theoretischen Hintergrund eingegan-gen (Kapitel 2). Der aktuelle Forschungsstand wird in Kapitel 3 vorgestellt. Es zeigt sich ein großes Forschungsdesiderat zur Umstrukturierung von Schülervorstellungen.
Hieraus ergeben sich die Forschungsfragen (Kapitel 4). Das Forschungsdesign wird im Kapitel 5 vorgestellt. Das Modell der didaktischen Rekonstruktion bildet den Schwer-punkt dieser Studie (5.1). Im Abschnitt 5.2 werden die methodischen Überlegungen dargelegt. Nach der Begründung der Verwendung des leitfadengestützten Interviews wird auf die Zeichnung, die Ratingskala zur Feststellung des Interesses, die Erhebung des Zeitpunkts der Vorstellungsüberlegung und die Gütebestimmung eingegangen. Die Phasen der Untersuchung sind Gegenstand von Abschnitt 5.3. Sie setzen sich aus der Erhebung der Präkonzepte, den Interventionen, der Erhebung der Postkonzepte und der Reflexion zusammen. Die Entwicklung der Lernumgebung wird unter 5.4 beschrieben. Sie folgt den Bedingungen nach Posner et al. (1982). Das Sampling (5.5), das die Stichprobe charakterisiert, wird anschließend dargestellt. Die Ergebnisse der Studie werden in Kapitel 6 zusammengefasst. In Kapitel 7 werden die Forschungsfragen be-antwortet. Schließlich wird in Kapitel 8 die Arbeit mit einem Fazit und Schlussfolge-rungen abgerundet.
2 Theoretische Grundlagen
Drei Theorien bilden die Basis, auf der diese Arbeit aufbaut. Die aus dem Konstrukti-vismus abgeleiteten Grundlagen des Lernens, die Conceptual-Change-Theorie und das Modell der didaktischen Rekonstruktion. Diese drei Theorien wurden für die vorliegen-de Studie ausgewählt, da sich der theoretische Rahmen zur Optimierung des Unterrichts unter Bezug der Schülervorstellungen bereits z. B. in GROPENGIEßER (2001), Zabel (2009) und Niebert (2010) als erfolgsversprechend gezeigt hat.
2.1 Sch ülervorstellungen – Begrifflichkeiten
Bereits vor der Einschulung besitzen Kinder umfassende Vorstellungen zu vielen The-menbereichen. Diese Vorstellungen haben sie aus Alltagserfahrungen heraus gebildet (vgl. Duit 2002, S. 1). Auch zum Erdinneren gibt es unterschiedlichste Vorstellungen. Zum einen sind SchülerInnen der Ansicht, dass das Erdinnere aus Humus besteht. Diese Sichtweise könnte dadurch entstanden sein, indem die Kinder mit den Händen im Bo-den gegraben haben. Des Weiteren gibt es die Annahme, dass die Erde aus Gestein be-steht (vgl. Gapp & Schleicher 2010, S. 39 f.). „Diese Annahme könnte darauf beru-hen, dass die Kinder annehmen, dass etwas sehr stabiles im Erdinneren sein muss, da es da Gewicht der Erdoberfläche tragen muss. Der Blick auf Gebirge unterstützt diese Sichtweise: Sie treten aus der Erde empor und sind sehr stabil“ (Gapp & Schleicher 2010, S. 40). Neben Humus oder Gesteinen wird Magma bzw. Lava als Material be-schrieben, aus dem das Erdinnere besteht (Conrad 2014).
„Der Begriff Schülervorstellungen bezeichnet ganz allgemein die Vorstellungen von Lernenden zu Phänomenen und Begriffen“ (Hamann & Asshoff 2014, S. 15). Häufig werden in der Fachliteratur auch folgende Begriffe für Schülervorstellungen verwendet: alternative Vorstellungen, subjektive und implizite Theorien, Alltagsvorstellungen, All-tagstheorien, intuitive oder naive Konzepte sowie Präkonzepte. Man findet sie oft auch als Synonyme, da sich die Begriffe nicht präzise voneinander abgrenzen lassen. Subjek-tive Denkweisen, die nicht mit den fachwissenschaftlichen Sichtweisen übereinstim-men, werden auch als (school-made) Misconcept(ion)s, (hausgemachte) Fehlvorstellun-gen oder Schülerfehlvorstellungen definiert (vgl. Bellmann et al. 2011, S. 12 f.). Die genannten Termini sind jedoch negativ behaftet. Folglich wird in der vorliegenden Stu-die der Begriff Schülervorstellungen verwendet, da der Begriff Neutralität und keinerlei negative Wertung aufweist.
Nach GROPENGIEßER lässt sich der Begriff der Vorstellung in drei Bereiche differenzie-ren (vgl. GROPENGIEßER 2001, S. 31):
- Kontext der Verwendung: lebensweltliche (Alltagsvorstellung) oder wissenschaftli-che Vorstellung
- Grad der Bewusstheit: implizite oder explizite Vorstellung
- Grad der Komplexität: Begriff, Konzept, Denkfigur oder subjektive Theorie
Allerdings reichen die Vorstellungen der Lernenden nicht aus, um das Fachwissen voll-ständig zu erklären (Treagust & Duit 2008).
Die Bezeichnung „concept“ wird in der Regel im englischen Sprachgebrauch für „Be-griff“ verwendet. Im Sinne des Conceptual-Change-Ansatzes wird hierunter die Idee, die Vorstellung und das Konzept verstanden (Neressian 2008). Ebenso kann Konzept in diesem Zusammenhang als mentales Bild, als Vorstufe einer Theorie also als Vorstel-lung eines umfangreichen Ansatzes beschrieben werden. In hierarchisch geordneten semantischen Netzwerken dienen Konzepte der Strukturierung kategorialen Wissens. Durch die Konzepte wird das Langzeitgedächtnis geordnet und es werden Kategorien und Klassen mental repräsentiert (vgl. Heran-Dörr 2006, S. 164).
Kindern entwickeln bereits in jungen Jahren Präkonzepte (vorunterrichtliche Vorstel-lungen), um sich die eigene Lebenswelt zugänglich und begreiflich zu machen. Sie be-ziehen sich auf Phänomene der sozialen sowie physikalischen Welt und werden indivi-duell konstruiert. Sie stellen somit das Resultat eines subjektiven und gedanklichen Konstruktionsprozesses dar. Damit können sich Schülervorstellungen immens von fachwissenschaftlichen Vorstellungen unterscheiden (vgl. Schuler 2011, S. 16 ff.). Die individuelle kognitive Konstruktion von Wissen ist ein komplexer und in sich nicht abgeschlossener Prozess. Nach Schuler werden sieben Quellen unterschieden, aus denen die Lernenden ihre Informationen für eine subjektive Theorie schöpfen. Hierzu zählen Bücher, Massenmedien, Alltagssprache, Sinneserfahrungen aus dem Alltag, (bisheriger) Unterricht, alltägliches Agieren und Gespräche mit Eltern, Geschwistern sowie Freunden (vgl. Schuler 2011, S. 24).
Möller (1999) definiert zwei Formen von Präkonzepten, die Lernende vor Beginn des Unterrichts verwenden: Deep Structures und Current Structures. Unter Deep Structures versteht man tief verankerte Vorstellungen, die gegenüber Veränderungen als stabil gelten. Die Ursache hierfür liegt in der Plausibilität und in der Bewährung im Alltag (vgl. Schuler 2011, S. 14). Diese Vorstellungen sind nicht isoliert, sondern mit anderen tief verankerten Vorstellungen vernetzt. Current Constructions sind Vorstellungen, die spontan konstruiert werden. Sie werden auch als ad hoc-Vorstellungen bezeichnet. Sie gelten als instabil und leicht veränderbar (vgl. Hamann & Asshoff 2014, S. 23). Folglich wird in der vorliegenden Studie auch der Zeitpunkt der Vorstellungsüberle-gung erhoben, um die Tiefe des verankerten Präkonzepts festzustellen.
2.2 Lerntheoretischer Hintergrund
Lerntheorien befassen sich mit Lernprozessen und gehen der Frage nach, wie gelernt wird. Die moderne psychologische Lernforschung unterscheidet drei große Lerntheo-rien, den Behaviorismus, den Kognitivismus und den Konstruktivismus (vgl. Baum-gartner & Payr 1994, S. 100).
Der Ansatz des Behaviorismus (Reiz-Reaktions-Lernen) gilt nach Hasselhorn & Gold (2013, S. 51) als überholt, da nach dem Konzept das Wissen abgelagert wird und Lernen nur durch Verstärkung erfolgen kann. Ab den 1960er Jahren wurde der Behavi-orismus durch den Kognitivismus abgelöst: kognitive Wende (vgl. Hasselhorn & Gold 2013, S. 51). Die kognitivistische Theorie (lat. cognitio: Erkennen, Erkenntnis und Vorstellung) charakterisiert den Lernenden als aktiv. Beim Lernen werden neue Informationen aus der Umwelt verarbeitet, wobei nun auf die Prozesse des Wahrneh-mens, Verstehens, Erkennens, Denkens und Sprechens geachtet wird. Durch Assimilation (Einpassen von Umweltanreizen in bereits bekannte kognitive Schemata) und Ak-kommodation (Anpassung der kognitiven Schemata an unerwartete, neue Gegebenhei-ten) werden die Informationen in eine innere, mentale Repräsentation umgewandelt (vgl. Hasselhorn & Gold 2013, S. 51 ff.). Nach Ansicht des Kognitivismus erfolgt Lernen durch Einsicht und Erkenntnis. Wissen wird durch einen adäquaten internen Verarbeitungsprozess entwickelt und soll der Lösung von Problemstellungen dienen. Die Lehrkraft ist in dem Prozess als Tutor tätig ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Kognitivismus einen dynamisch gesteuerten Ablauf mit einer vorgegebenen Problemstellung und einer Antwortanalyse als Merkmale aufweist (vgl. Baumgartner & Payr 1994, S. 103 ff.).
Der Konstruktivismus vertritt die Ansicht, dass die Wahrnehmung der Realität durch individuelles Verarbeiten im Gehirn stattfindet und jeder Einzelne sein Wissen subjek-tiv konstruiert. Eine präzisere Definition des Konstruktivismus ist nicht möglich, da der Begriff in verschiedenen Zusammenhängen verwendet wird und sich unterschiedliche Sichtweisen des Konstruktivismus entwickelt haben (vgl. Reinmann & Mandl 2006, S. 625 f.). Auch beim konstruktivistischen Lernen werden Informationen aktiv und selbstgesteuert verarbeitet (vgl. Hasselhorn & Gold 2013, S. 66). Nach der Ansicht des Konstruktivismus ist der Lernende ein „informationell geschlossenes System, welches auf zirkulärer Kausalität und Selbstreferentialität beruht und autonom strukturde-terminiert ist“ (Baumgartner & Payr 1997, S. 92). Der Unterschied zum kognitiven Lernen besteht allerdings darin, dass der konstruktive und individuelle Wissensaufbau im Vordergrund steht. Der Schwerpunkt liegt mehr auf dem Verständnis als auf dem Behalten von Informationen (vgl. Hasselhorn & Gold 2013, S. 66). Lernziele zielen darauf ab, komplexe Situationen bewältigen zu können. Die Lehrkraft fungiert in die-sem Fall als Coach, Moderator und Begleiter (vgl. Baumgartner & Payr 1997). In didaktischer Hinsicht lässt sich somit schlussfolgern, dass bereits subjektiv vorhandene Vorstellungen der Lernenden mit dem neu gelernten Wissen in Verbindung gebracht werden müssen.
Nach dem radikalen Konstruktivismus ist das Erfassen der Realität nicht möglich. Dies hat zur Konsequenz, dass keine objektive Erkenntnis und kein objektives Wissen exis-tiert. Der Mensch konstruiert sich das Wissen ausgehend davon, was ihm in der Realität als wichtig erscheint. Folglich kann das Wissen nicht von einer Lehrperson übertragen werden, sondern der/die Lernende muss selbst aktiv den Lernprozess in einer Lernsitua-tion konstruieren (vgl. Reinmann & Mandl 2006, S. 626). Da nach der Sichtweise des radikalen Konstruktivismus das Lernen nicht durch das Lehren angeregt werden kann, da die Wirklichkeit ausschließlich individuell konstruiert wird, wird der radikale Ansatz für die vorliegende Studie nicht verwendet.
Diesem radikalen Ansatz des Lernens steht der gemäßigte, moderate bzw. wissensba-sierte Konstruktivismus gegenüber. Der moderate Konstruktivismus setzt auf den akti-ven und eigenständigen Aufbau von kognitiven Strukturen, ohne dabei eine objektive Erkenntnis infrage zu stellen. Der moderate Konstruktivismus formuliert nach Rein-mann und Mandl sechs Leitprinzipen des Lernens (vgl. Reinmann & mandl 2006, S. 638):
- Aktiver Lernprozess: Lernen findet ausschließlich über die aktive Teilnahme statt.
- Selbstgesteuerter Prozess: Der Lernende steuert und kontrolliert sein Lernen in ei-gener Verantwortung.
- Konstruktiver Prozess: Auf der Basis von bereits vorhandenen Kenntnissen, Fähig-keiten und Einstellungen erfolgt das Lernen.
- Emotionaler Prozess: Der Antrieb des Lernens ist immens von sozialen und leis-tungsbezogenen Emotionen abhängig.
- Situativer Prozess: Lernen ereignet sich im Kontext der Lernsituation. Dieser Kon-text spielt eine bedeutende Rolle für die Beurteilung der Lerninhalte.
- Sozialer Prozess: Soziokulturelle Einflüsse und ein interaktiver Ablauf bestimmen das Lernen.
In neurobiologischer Hinsicht korrelieren die Aktivitätsmuster eng mit den Vorstel-lungskonstrukten. Lernen führt zu Veränderungen des neuronalen Aktivitätsmusters und damit auch zu einer Veränderung des mentalen Erlebens (Vorstellung) (Riemeier 2005). Die neuronale Umstellung zeigt sich in der Anzahl und der Qualität der Vernet-zung von Neuronen. Beim Lernen sind die bereits vorhandenen Strukturen die Basis für neue weitere neurobiologische Abläufe. Es finden Modifikationen statt und so werden neue neuronale Muster generiert. Wenn die Lernenden Vorstellungen zu einem gewis-sen Sachverhalt haben, so wurde diese Vorstellung durch verschiedene vorausgehende Erfahrungen situativ konstruiert (Kandel et al. 2000).
Damit Wissen dauerhaft erworben werden kann, müssen die allgemeinen Leitlinien des erfolgreichen Wissenserwerbs eingehalten werden. Der Lernende soll der neuen Information genügend Beachtung schenken. Außerdem soll ausreichend geübt und wieder-holt werden. Ebenso soll das neue Wissen mit dem bisherigen Wissen abgeglichen und abgestimmt werden. Schließlich soll eine Konsolidierung des neuen Wissens (Vertie-fung) erfolgen (vgl. Hasselhorn & Gold 2013, S. 51 ff.).
Der Konstruktivismus bildet zwar eine Grundlage hierfür, ist aber keine Anleitung für den Aufbau einer Lernumgebung. Reinmann und Mandl (2006) beschreiben verschie-dene Bedingungen für die Gestaltung von Lernumgebungen aus konstruktivistischer Perspektive. Wie bereits oben angeführt, ist Lernen ein aktiver, selbstgesteuerter, kon-struktiver, situierter, sozialer und emotionaler Prozess. Vier der Leitprinzipien unter-stützen die Entwicklung von Lernangeboten. Für die Entwicklung einer Lernumgebung lassen sich aus dem moderaten Konstruktivismus für die sozialen und emotionalen Pro-zesse keine gestalterischen Hinweise ableiten. Im Schulalltag findet zwar ein sozialer Austausch zwischen Lehrkräften und SchülerInnen statt, doch letztlich sind die Lernen-den immer für ihre Wissenskonstruktion selbst verantwortlich. Dass ein Zusammenhang zwischen Emotionen und Lernen besteht, soll nicht in Frage gestellt werden, doch auch hier können keine Gestaltungshinweise aus dem moderaten Konstruktivismus abgeleitet werden. Es lässt sich Folgendes aus dem Konstruktivismus (Glasersfeld 1989) und der Neurobiologie (Roth 2009) für die Entwicklung einer Lernumgebung schließen: Wichtig ist erstens, dass die Lernenden nicht nur eine wissenschaftliche Vorstellung wiedergeben, sondern sich auch der Grenzen ihrer bereits vorhandenen subjektiven Vorstellungen bewusst sind. Zweitens muss den Lernenden die Möglichkeit gegeben werden, eine Vorstellung zu konstruieren, die nach Glasersfeld im wissenschaftli-chen Kontext viabel (gangbar, passend, brauchbar oder funktional) ist (vgl. Glasers-feld 1989, S. 162 f.). Um dies zu erreichen, müssen die Schülervorstellungen dem Leh-renden bekannt sein, um die Lernumgebung auf sie abstimmen zu können. Die vorlie-gende Untersuchung baut auf den Vorstellungen, die von Conrad (2014) erhoben wur-den, auf. Sie bilden die Grundlage für die Gestaltung der Lernumgebung zum Aufbau der Erde, mit dem Ziel eine Vorstellungsveränderung einzuleiten. Eine wichtige Rolle bei der Vorstellungsveränderung spielt die Conceptual-Change-Theorie, die im nächs-ten Abschnitt 2.3 vorgestellt wird.
2.3 Conceptual Change
„Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“
(Albert Einstein 1879-1955)
Das folgende Kapitel widmet sich dem Conceptual Change. Zunächst ist es notwendig, den Begriff zu definieren und abzugrenzen. Anschließend werden Bedingungen für einen Conceptual Change erläutert. Dabei wird auch auf motivationale Faktoren einge-gangen. Es existieren einige Erklärungsmodelle für den Conceptual Change, die vorge-stellt werden. Im Anschluss daran wird der Umgang mit Conceptual Change im Unter-richt veranschaulicht.
2.3.1 Definition
Der Begriff Conceptual Change wird mit einer direkten Übersetzung (Konzeptwechsel) aus dem Englischen missverstanden. Es werden unter der Bezeichnung Conceptual Change generell Veränderungen von bestehendem begrifflichem Wissen durch Unter-richt zusammengefasst. Die Reichweite der Veränderung kann sich bis zum Weglassen, Hinzufügen oder Revidieren von einzelnen Wissenselementen erstrecken (Thagard 1992). Conceptual Change bedeutet also mehr die Umstrukturierung von Präkonzepten als die Erweiterung oder Anhäufung von Wissen (vgl. Rhöneck & Niedderer 2006, S. 73). Im Zusammenhang mit dem Unterricht versteht man unter dem Begriff Conceptual Change die Veränderung von bereits vorhandenem Wissen. Dabei können Veränderun-gen einzelner Wissenselemente die Veränderung von ganzen Wissensstrukturen bedin-gen (Schnotz 2006). Hingegen verwendet Kattmann (2005) den Terminus der kon-zeptionellen Rekonstruktion (Conceptual Reconstruction). Er versteht darunter die Be-reicherung, Modifikation und Ausdifferenzierung von bestehenden Konzepten. Duit (1999) sowie Duit und Treagust (2003) definieren Conceptual Change als Conceptual Development, Conceptual Growth und Conceptual Reorganisation. Vosniadou und Schnotz beschreiben Conceptual Change folgendermaßen: „a domain-general modification of cognitive structures which affect knowledge acquisition processes in all subject-matter areas“ (Vosniadou & Schnotz 1997, S. 106). Dieser Ansatz verfolgt die Beschreibung eines Lernprozesses, seine Entwicklung innerhalb bestimmter Bereiche und beinhaltet die Veränderung eines Konzepts. Es soll nicht zwangsläufig eine Vor-stellung ersetzt werden, sondern sie kann auch eine multiple Perspektive im Bereich verschiedener Anwendungskontexte umfassen (vgl. Vosniadou & Schnotz 1997, S. 106).
Der Conceptual Change unterscheidet zwei Lernprozesse. Unter Weak Conceptual Change versteht man die Erweiterung von Präkonzepten um fachliches Wissen. In die-sem Fall gibt es keinen direkten Gegensatz zwischen der Schülervorstellung und dem fachwissenschaftlichen Sachverhalt (Carey 1985). Dies entspricht nach Piaget der Assimilation (Erklären neuer Problemstellungen mit bereits vorhandenen Vorstellun-gen) (vgl. Piaget 2003, S. 16 ff.). In diesem Lernprozess erfolgt eine Anreicherung des Vorwissens mit neuen Informationen, so dass eine Wissenserweiterung als Wachstum stattfindet (vgl. Heran-Dörr 2006, S. 165). Der zweite Lernprozess nach Carey (1985) wird als Radical Conceptual Change bezeichnet. Die Alltagsvorstellungen stehen im direkten Widerspruch zur Wissenschaft. Die Vorstellung muss verworfen werden, um ein fachliches Konzept neu aufzubauen. Piaget (1973) versteht darunter die Ak-kommodation (vgl. Piaget 2003, S.17 ff.). Es findet ein Wandel vorhandener Inhalte, Theorien und Konzepte statt, sodass eine Veränderung nicht mehr tragfähiger Vorstel-lungen hin zu einem richtigen Konzept erfolgt (vgl. Heran-Dörr 2006, S. 165). Nach Piaget haben die Lernenden die Tendenz, ein Gleichgewicht (Äquilibration) zwischen den beiden Mechanismen von Assimilation und Akkommodation herzustellen (vgl. Pi-aget 2003, S. 17).
Problematisch ist, dass die Vorstellungen langlebig und widerstandsfähig gegenüber Umbrüchen sind (vgl. Mietzel 2007, S. 292). Menschen neigen dazu, bereits vorhan dene Präkonzepte, mit denen sie auf einen Sachverhalt schließen können, zu behalten und neue disgruente Informationen zu ignorieren. Diese Neigung resultiert aus der Vor-liebe des Menschen, Ordnung zu halten und Verhaltenssicherheit zu gewinnen. Dieser Ansatz wird auch als „auf Voreingenommenheit beruhende Bestätigungstendenz“ (confirmation bias) bezeichnet (Mietzel 2007, S. 292).
2.3.2 Bedingungen
Das Ziel eines Lernprozesses liegt darin, eine Veränderung von einer Alltagsvorstellung zu einem wissenschaftlichen Konzept zu erreichen. Damit ein Conceptual Change er-folgt, müssen die Voraussetzungen eines gelungenen Lernens erfüllt werden. Posner et al. veröffentlichten 1982 vier Bedingungen für einen erfolgreichen Conceptual Change (vgl. Posner et al. 1982, S. 211 ff.):
1. Unzufriedenheit mit vorhandener Vorstellung
Voraussetzung für die Vorstellungsveränderung ist es, Unzufriedenheit beim Ler-nenden über seine bereits vorhandenen Vorstellungen hervorzurufen, indem er keine zufriedenstellende Antwort auf eine Frage findet.
2. Verständlichkeit der neuen Vorstellung
Die neue Vorstellung muss rational, verständlich und nachvollziehbar sein, damit die beim Umlernen bzw. Erweitern der Schülervorstellung vorkommenden Sicher-heitsverluste und Anstrengungen in Kauf genommen werden.
3. Plausibilität der neuen Vorstellung
Das wissenschaftliche Konzept muss dem Lernenden mehr Aspekte der Erklä-rungsmächtigkeit als das bisher genutzte Präkonzept bieten. Nur so wird künftig ei-ne neue Vorstellung zu einer Erklärung eines Sachverhalts hinzugezogen. Der fach-liche Ansatz ist umso besser integriert, je mehr er mit der übrigen Vorstellungswelt des Lernenden übereinstimmt.
4. Fruchtbarkeit der neuen Vorstellung
Die neu erworbene Vorstellung sollte Wissen beinhalten, die Lernenden auch in an-deren Kontexten anzuwenden können. Dies geschieht, wenn das fachliche Konzept erklärungsmächtiger als das Präkonzept ist.
Die Bedingungen nach Posner et al. (1982) sind hierarchisch angeordnet und müssen nacheinander erfüllt werden. Ausschlaggebend ist, dass die Bedingungen für einen Conceptual Change in einer Lernumgebung nicht nur zur Verfügung stellt werden, son-dern dass sie auch bewusst angenommen werden. Guzzetti und Glass untersuchten in einer Meta-Analyse unterschiedliche Mechanismen zur Initiierung eines Conceptual Changes. Es konnte ein wirksamer Zusammenhang bei der Gegenüberstellung des Präkonzepts mit dem naturwissenschaftlichen Ansatz festgestellt werden (vgl. Guzzet-ti & Glass 1992, S. 1 ff.).
Posner et al. stellen jedoch eine Abneigung der Lernenden bezüglich der Akkommoda-tion (Anpassung) fest. Sofern die metaphysischen und epistemologischen Überzeugun-gen fest und tief verankert sind, findet eher ein Assimilationsprozess (Angleichung) statt, (vgl. Posner et al. 1982, S. 211 ff.). Gregoire vertritt die Meinung, dass die In-tensität des Conceptual Changes von der Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Vorwissens abhängig ist. Assimilation tritt ein, wenn der Akkommodationsprozess scheitert. Allerdings verhindert Assimilation ein tiefgründiges Verstehen und eine radi-kale Veränderung der individuellen Vorstellung (vgl. Gregoire 2003, S. 157 f.).
Wenn der Lernprozess jedoch keinen Erfolg hat, dann tritt die Kompartmentalisierung des Wissens ein. Kompartmentalisierung bedeutet, dass Wissen über einen bestimmten Bereich aus unterschiedlichen und nicht miteinander verknüpften Teilen besteht. In diesem Fall bleibt das Präkonzept bestehen und die wissenschaftliche Vorstellung wird zusätzlich akzeptiert. Diese Art des zusammengesetzten Wissens ist normalerweise nicht anwendbar. Alltagserfahrungen und Theorie können nicht in Einklang gebracht werden. SchülerInnen beziehen sich deshalb bei der Konfrontation mit wissenschaftli-chen Problemstellungen eher auf ihre eigenen individuellen Vorstellungen als auf wis-senschaftliche Theorien (vgl. Mandl et al. 1993, S. 21 ff.).
2.3.3 Motivationale Faktoren
Motivationale Faktoren in Conceptual-Change-Prozessen werden in der Literatur nur wenig diskutiert, obwohl sie eine bedeutende Rolle nach Bendixen (2002, S.191 ff.) und Pintrich (1999, S. 33 ff.) spielen.
Es werden fünf motivationale Faktoren nach Pintrich unterschieden (vgl. Pintrich 1999, S. 33 ff.):
1. Zielorientierung beim Lernen
Dieser motivationale Faktor beinhaltet eine intrinsische Aufgabenorientierung (Zielorientierung) und grenzt sich von der extrinsischen Leistungsorientierung ab. Die extrinsische Leistungsorientierung bezieht sich auf eine gute Note oder auf eine gute Leistung im Vergleich zu anderen. Die intrinsische Zielorientie-rung hingegen korreliert mit dem verstehenden Lernen und gehört zu den wich-tigsten didaktischen Prinzipien des Unterrichts. Die Zielorientierung steuert das unterrichtliche Handeln und ist ein Kriterium des Unterrichtserfolgs (vgl. Glö-ckel 1996, S. 127 ff; Meyer 1993, S. 135). Da die SchülerInnen sich individuell an verschiedenen Zielen orientieren, findet eine unterschiedliche kognitive Aus-einandersetzung mit dem Thema statt. Pintrich (1999) vertritt die Meinung, dass die Zielorientierung im Gegensatz zur Leistungsorientierung eher zu einem Conceptual Change führt, da hierbei eine tiefere und metakognitive Verarbei-tungsstrategie angewendet wird. Aufgaben mit einem hohen Anwendungscha-rakter fördern eine intrinsische Zielorientierung.
2. Konstruktivistisch epistemologische Überzeugungen über Lernen und Wissen
In Anlehnung an Schommer definiert Pintrich (1999) fünf Aspekte von kon-struktivistisch epistemologischen Überzeugungen. Eine Überzeugung ist, dass die Sicht auf Fähigkeiten als veränderbar oder gegeben angesehen werden kann. Lernende, die der Meinung sind, ihre Fähigkeiten verändern zu können, lassen sich auf tiefere kognitive Verarbeitungsprozesse ein als die Lernenden, die ihre Fähigkeiten als gegeben ansehen. Außerdem gibt es die Sichtweise, Wissen als unsicher oder sicher anzusehen. Sicheres Wissen gilt als Hürde für einen Conceptual Change, da dies Sicherheit in Bezug auf individuelles Wissen bedeutet und somit die Lernenden nicht bereit sind, sich auf neue Konzepte einzulassen. Desweiter kann Wissen als komplex oder einfach angesehen werden. Sofern Wissen als komplex betrachtet wird, gibt es eine größere Offenheit für einen Conceptual Change. Eine weitere Überzeugung besteht darin, dass der Lernpro-zess komplex oder schnell erfolgt. So sind mit einer Sichtweise auf das Lernen als komplexen Prozess eher Conceptual Change möglich. Schließlich definiert Pintrich als letzten Aspekt von konstruktivistisch epistemologischen Überzeu-gungen die Quelle des Wissens als intern oder extern zu erachten. Die interne Einstellung begünstigt einen Conceptual Change (interne Quelle), da in diesem Fall eigenes Wissen individuell konstruiert wird. Von einer externen Quelle, wie z. B. von ExpertInnen oder Lehrkräften, wird das Wissen nicht hinterfragt, da es als extern gegeben erachtet wird.
3. Interesse
Interesse begünstigt die Bereitschaft, sich mit neuen Sachverhalten zu beschäfti-gen. Ebenso steigert es die Qualität der Auseinandersetzung und fördert den Einsatz von metakognitiven Strategien. Somit ist das Interesse der Lernenden am Thema für einen Conceptual Change vorteilhaft, da die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Informationen gefördert wird.
In der Interessensforschung wird zwischen situationalem und individuellem In-teresse unterschieden (Schiefele 1996). Situationales Interesse bezeichnet den psychologischen Zustand, der durch die Interessantheit einer konkreten Lernsi-tuation entsteht. Individuelles Interesse dagegen beruht auf einer persönlichen Disposition (vgl. Hidi & Berndorff 1998; Krapp 2002, 2003; Renninger et al. 1998).
4. Gefühl der Selbstwirksamkeit in Bezug auf das eigene Lernen
Menschen, die davon überzeugt sind, eigene Ziele zu schaffen und Veränderun-gen im Denken zuzulassen, besitzen eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Conceptual Change wird durch das Gefühl „etwas selbst bewirken zu können“ begünstigt.
5. Gefühl der Kontrolle über das eigene Lernen
Wenn ein Subjekt das Gefühl hat, das eigene Lernen und die daraus resultieren-de Leistung kontrollieren zu können, kommt es zu einer stärkeren Motivation und einer höheren Leistung. Es werden tiefere kognitive Verarbeitungsprozesse in Gang gesetzt, bei denen auch Widersprüche zwischen den Präkonzepten und den fachlichen Ansätzen überwunden werden können.
Motivationale Faktoren können somit einen Conceptual Change behindern oder begüns-tigen (vgl. Pintrich 1999, S. 38 f.).
2.3.4 Modelle
Der klassische Conceptual-Change-Ansatz
Die Ursprünge der Conceptual-Change-Forschung basieren auf der konstruktivistisch-epistemologischen Sichtweise, in der die Lernenden ihr Wissen individuell und selbst-ständig konstruieren. PIAGETs (1973) Konzept des Wechselspiels von Assimilation und Akkommodation sowie der KUHNnsche Paradigmenwechsel (Kuhn 1962) haben den klassischen Conceptual-Change-Ansatz von Posner, Strike, Hewson und Gertzog (1982) maßgeblich beeinflusst. Der klassische Ansatz wurde viele Jahre zum Exempel in der Conceptual-Change-Forschung. Nach diesem Ansatz soll den Lernenden ihr Präkonzept bewusstgemacht werden, bevor eine wissenschaftliche Sichtweise erarbeitet wird. Erst dann kann eine Vorstellungsveränderung herbeigeführt werden, da die Ler-nenden mit ihrer bereits vorhandenen Vorstellung unzufrieden sind und ihr mentales Gleichgewicht durch einen kognitiven Konflikt gestört wurde. So kann eine lebenswelt-liche Vorstellung zu einem fachlich angemessenen Konzept gewandelt werden (vgl. Posner et al. 1982, S. 211 ff.).
Der klassische Conceptual-Change-Ansatz gehört zu den radikalen konstruktivistisch-epistemologischen Theorien. Diese Sichtweise wird auch auf die kognitive Entwicklung des Lernenden übertragen. Posner et al. (1982) vergleichen diese kognitive Verände-rung mit der Akkommodation PIAGETs (1973). Der Conceptual Change kann dauerhaft, vorübergehend oder zu gering für eine Wahrnehmung sein. Häufig wird lediglich ein peripherer Conceptual Change erreicht, bei dem nur Bereiche des Präkonzepts mit dem neuen wissenschaftlichen Ansatz verknüpft werden. Das Ergebnis dieses Conceptual Changes wird als Hybridvorstellung oder Synthesemodell bezeichnet. Es ist zu beach-ten, dass ein Conceptual Change Zeit in Anspruch nimmt und die kognitive Verände-rung immer wieder neu umstrukturiert werden muss. Hierbei können von Zeit zu Zeit Fehlstarts oder neue Fehler auftreten.
Die Bedingungen Verständlichkeit, Plausibilität und Fruchtbarkeit der neuen Vorstel-lung bestimmen den konzeptionellen Status und bieten Anhaltspunkte beim Vergleich der Schülervorstellung mit einem neuen wissenschaftlichen Sachverhalt. Die kognitive Rivalität zwischen den beiden Vorstellungen unterliegt vielen Einflüssen, wie z. B. Bil-dern, Analogien, Metaphern, früheren Erfahrungen und epistemologischen Annahmen. Falls das neue Konzept beim Lernenden keine Unzufriedenheit auslöst, tritt die Assimilation ein. Ist der Lernende mit seiner bisherigen Vorstellung unzufrieden und sein mentales Gleichgewicht durch einen kognitiven Konflikt gestört, können folgende zwei Wege eingeschlagen werden. Besitzt die fachliche Vorstellung einen höheren Status als das Präkonzept, erfolgt eine Akkommodation. Wenn allerdings die bisherige Schüler-vorstellung im Gegensatz zu der neuen Vorstellung einen höheren Status innehat, kommt es zu keinem Conceptual Change (Posner et al. 1982). Der Lernende ist nach Posner et al. (1982) und nach Hewson (1982) selbst dafür verantwortlich, ob er einen Status einer Vorstellung verändert. Sinatra und Pintrich (2003) bezeichnen die indi-viduelle Eigenverantwortung als Intentional Conceptual Change.
Der Rahmentheorieansatz
Vosniadou und Brewer veröffentlichten 1992 den Rahmentheorieansatz (Abb. 1), in dem Vorstellungen in theoretische Strukturen eingebettet sind. Der Rahmentheoriean-satz beinhaltet die allgemeine Rahmentheorie (Framework Theories) und die inhalts-spezifischen Theorien (Specific Theories).
Abb. 1: Struktur einer kindlichen Vorstellung von der Form der Erde (in Anlehnung an Vosniadou et al. 2008, S.8)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Gegensatz zur konstruktivistisch-epistemologischen Sichtweise des klassischen Conceptual-Change-Ansatzes berücksichtigt dieses Modell auch eine ontologische Per-spektive in der Conceptual-Change-Forschung. Die ontologischen Überzeugungen ent-sprechen Überzeugungen über „fundamentale Kategorien und Eigenschaften der Welt“ (Chinn & Brewer 1993, S. 17). Hierbei werden die Entwicklungen der Schülervorstel-lungen über naturwissenschaftliche Ansätze und die Veränderungen ihrer Sichtweise auf die Realität unter dieser Perspektive untersucht. Bereits 1985 wurde in einer Studie von Carey gezeigt, dass schon sehr junge Kinder Theorien mit ontologischen Einstel-lungen entwickeln. In ihren Theorien befinden sich erklärende Ansichten und erlauben verschiedene Beschreibungen sowie Prognosen. Sie werden während der Kindheit oft-mals neu konstruiert.
Zu der Rahmentheorie gehören die tief verankerten Vorstellungen aus der Kindheit, die im alltäglichen Kontext entwickelt und durch Erfahrungen immer wieder bestätigt wer-den. Daraus entwickeln sich epistemologische Überzeugungen, die z.B. aussagen, dass die Dinge so sind, wie man sie sieht, oder dass sich unbelebte Objekte nicht bewegen können, so dass jegliche Bewegung erklärt werden muss. Spezifische Theorien basieren auf einer Rahmentheorie. Die Lernenden nehmen die Beobachtungen der Welt und die kulturell vermittelten Informationen vor dem Hintergrund der Rahmentheorie wahr. Sie entwickeln Annahmen (Beliefs) über Sachverhalte, wie beispielsweise die Form der Erde ist. So könnten ihre Annahmen sein, dass die Erde flach, unbeweglich und fest ist. Die Wahrnehmungen im kulturellen Kontext und die eigenständig konstruierten An-nahmen (Beliefs) bilden die spezifische Theorie. Sie definiert die Struktur, in der die Vorstellung enthalten ist (Stark 2003). Hieraus entsteht für den Lernenden ein menta-les Modell, wie z. B. bei jenem, bei dem die Erde eine Scheibe ist oder bei dem die Menschen auf der Südhalbkugel von der Erde stürzen könnten. Nach dem Rahmentheo-rieansatz ist ein Conceptual Change auf der spezifischen Theorieebene relativ leicht durchführbar, wenn die Rahmentheorie keine Veränderung erfährt. Eine Vorstellungs-veränderung auf der Rahmentheorieebene führt jedoch zu Auflehnungen der Lernenden und Lernprozesse gestalten sich schwierig (Vosniadou 2002; Schuler 2011).
Die Rahmentheorie entspricht einem kohärenten Erklärungssystem. Sie basiert auf den Erfahrungen aus der Kindheit, die sich bewährt haben und vor allem im Unterbewusst-sein ablaufen. Doch durch die Lernprozesse werden neue Vorstellungen in die Rahmen-theorie integriert, wobei die bisherigen Konzepte verändert werden. Damit wird deren Kohärenz zerstört. Es werden über die Jahre Teile von Wissen angesammelt und zu einer fachlich ähnlichen Theorie konstruiert. Mischformen aus Präkonzepten und wis-senschaftlichen Vorstellungen, so genannte Synthesemodelle, werden gebildet, die sich im Laufe der Kindheit weiterentwickeln (Schnotz 1996; Vosniadou & Brewer 1992). Bedeutende Wissensrevisionen führen zu Veränderungen in der Rahmentheorie, also auch der ontologischen und epistemologischen Überzeugungen. Wenn sich die Rah-mentheorie verändert, hat das Auswirkungen auf die spezifische Theorie, die auf der Rahmentheorie basiert. Ein Conceptual Change ist so dauerhaft und schwer umzuset-zen, da mit einer Vorstellungsveränderung nicht nur eine Konzeptveränderung verbun-den, sondern die individuelle Gesamtsichtweise betroffen ist. Sie dient der Bewahrung der individuellen Weltsicht (Stark 2003).
Das Kontextmodell von Caravita und Halldén (1994) betont den Kontextbezug von Wissen. Es orientiert sich an den konstruktivistischen Annahmen von Wygotski (1964), in denen das Wissen ein Werkzeug darstellt, das in sozial-kulturellen Kontexten angeeignet und verwendet wird. Folglich ist die Beschaffenheit von Wissen immens von Kontexten abhängig, in denen es verwendet wird (vgl. Caravita & Halldén 1994, S. 89 ff.).
Es wurde ein hierarchisches Kontextmodell entwickelt (Abb. 2), in dem ein Sachverhalt auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Kontexten dargestellt wird. Im Mittel-punkt des Modells steht das Wissen, im wissenschaftlichen Kontext und im Alltagskon-text. Auf der ersten Ebene (Ebene der Praxis) steht die Empirie im Wissenschaftskon-text den Alltagserfahrungen und der Wahrnehmung im Alltagskontext gegenüber. Im wissenschaftlichen Kontext sind auf der zweiten Ebene (Ebene der Erklärung, Analyse und Interpretation) die theoretischen Konzepte angelegt. Ausschlaggebend im Alltag sind Konventionen und Handlungsnormen sowie der gesunde Menschenverstand. Auf der dritten Ebene (Metaebene) spielt für den wissenschaftlichen Kontext die Theorie eine entscheidende Rolle. Beim Alltagskontext sind hingegen Weltanschauung und Ide-ologie von großer Relevanz (Caravita & Halldén 1994; Stark 2003).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Interpretationskontexte
(in Anlehnung an Caravita & Halldén 1994)
Fehlkonzepte bei Lernenden entstehen, wenn ein Sachverhalt im wissenschaftlichen Kontext interpretiert werden soll und dabei auf den Alltagskontext zurückgegriffen wird (Stark 2003). Die Problematik für die SchülerInnen besteht darin, den richtigen Kon-text für eine Aufgabenbearbeitung zu erkennen. Aus diesem Grund betonen Caravita und Halldén (1994) die Berücksichtigung von Kontextualität im Unterricht. Die Ler-nenden sollen differenzieren können, in welchem Kontext welches Konzept adäquat ist und verwendet werden kann. Ebenso haben die Lehrenden darauf zu achten, dass das wissenschaftliche Wissen vor allem in alltagsnahen Kontexten zur Anwendung kommt. Caravita und Halldén definieren Lernen als eine Änderung des Kontextes, von ei-nem Alltagskontext zu einem Wissenschaftskontext hin.
Der Kohärenzansatz wurde 2008 von Vosniadou, Vamvakoussi und Skopeliti entwi-ckelt. In diesem Ansatz werden die vorunterrichtlichen, naiven Vorstellungen als kohä-rente (zusammenhängende) und theorieähnliche Wissensstrukturen betrachtet. Die Präkonzepte unterliegen ontologischen Bestimmungen, wobei die Struktur logische Beziehungen verfolgt. Um wissenschaftliche Vorstellungen zu entwickeln, müssen die bis dato naiven, individuellen Theorien umstrukturiert werden. Es werden neue Begriffe oder Verknüpfungen beigefügt, um somit nacheinander das fachliche Wissen aufzubau-en. Die Entwicklung einer wissenschaftlichen Theorie kann als Bewältigung einer Se-quenz unterschiedlicher subjektiver Theorien bezeichnet werden (vgl. Vosniadou et al. 2008, S. 3 ff.).
Der Fragmentierungsansatz von diSessa (2008) betrachtet im Gegensatz zum Kohä-renzansatz die Alltagsvorstellungen als inkohärent, d. h. nicht zusammenhängend. Das vorunterrichtliche Wissen besteht nach diesem Ansatz aus vielen isolierten Bruchstü-cken und ist fragmentiert. Die subjektiven Theorien sind nur wenig bzw. lose an die Kontexte, in denen sie erworben wurden, gebunden. Die einzelnen Bruchstücke werden als P-Prims (Phenomenological Primitives) bezeichnet. Sie wurden intuitiv aus einer alltäglichen Erfahrung gebildet und sind daher weniger umfangreich. Einige P-Prims können Alltagserfahrungen erläutern, wie z. B. dass alle Gegenstände nach unten fallen. Allerdings fehlt den P-Prims die Einbindung in allgemeine Wissensstrukturen, wie es z. B. das Gravitationsgesetz ist. Die meisten Einzelelemente bleiben unverbunden ne-beneinander bestehen, da im Alltag nicht überprüft wird, ob sie in einem Gesamtzu-sammenhang stehen. Eine bedeutende Ursache von Fehlvorstellungen besteht darin, dass Widersprüche überhaupt nicht erkannt werden. Somit sind die Inkonsistenzen der subjektiven Vorstellungen eine direkte Folge der Fragmentierung und der fehlenden Kohärenz. Nach diSessa gilt es, die Systematisierung von Alltagsvorstellungen zu stei-gern (vgl. diSessa 2008, S. 35 ff.).
2.3.5 Der Zusammenhang der unterschiedlichen theoretischen Ans ätze
Die Basis der Conceptual-Change-Ansätze ist der Konstruktivismus. Die Lernenden sollen eine aktive und intentionale (zielsichere) Rolle im Prozess der Wissensmodifika-tion ausüben. Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt für die Wissensumstrukturierung sind die Motivation und das Interesse des Lernenden. Posner et al. (1982) beachten diesen Einflussfaktor zumindest implizit, da für sie die Auslösung von Unzufriedenheit beim Lernenden über seine subjektive Vorstellung eine wichtige Rolle bei einem Conceptual Change spielt. Conceptual Change sind nicht nur ein innerer rationaler Prozess, sondern auch vom schulischen und kulturellen Umfeld abhängig und werden maßgeb-lich von sozialen Prozessen, wie Kommunikation und Interaktion, bestimmt.
2.3.6 Der Umgang mit Conceptual Change im Unterricht
Die Alltagsvorstellungen der Lernenden, die bereits in der Kindheit gebildet wurden, unterscheiden sich vehement von den fachwissenschaftlichen Ansätzen. Ein Unter-schied liegt im metakonzeptionellen Bewusstsein, also der Einschätzung und Hinterfra-gung der Bedeutung von Thesen und wissenschaftlichen Modellen sowie der Klarheit darüber, dass Hypothesen überprüft werden müssen (Wiser & Smith 2008). Den Ler-nenden fehlt das Bewusstsein über ihre Präkonzepte und über die hypothetische Natur der Vorstellungen, beides kann sich lernhinderlich auswirken. Folglich sind sich die Lernenden nicht bewusst, dass ihre eigenen Präkonzepte im Vergleich zu fachwissen-schaftlich gesicherten Fakten nur Hypothesen sind und andere Personen andere An-nahmen über die Welt aufweisen (Vosniadou 2008). Problematisch ist außerdem, dass die Vorstellungen der Lernenden zur Einsichtsgewinnung absolut, nicht-konstruktivistisch und subjektivistisch sind, wodurch das Lernen behindert wird. Es wurde bewiesen, dass eine negative Korrelation zwischen einem Conceptual Change und einem stabilen Wissen, das autoritär z. B. durch die Lehrkraft vermittelt wurde, besteht. Das bedeutet, dass hierdurch kein erfolgreicher Conceptual Change erreicht werden kann, wenn das Wissen nicht eigenständig erarbeitet wird, sondern nur durch Belehren vermittelt wird (Stathopoulou & Vosniadou 2006, 2007).
Nach Ansicht der kognitiven Psychologie besteht hinsichtlich des Lernens bis zu einem gewissen Grad ein fächerspezifischer Unterschied (Seiler 1973; Vosniadou 2007). Die Erkenntnisse der situierten Kognition nach Hennessy (1993) belegen dies auch. So ist neu erworbenes Wissen ist von der Situation abhängig, in der es erlangt wird. Der Vergleich zu anderen Fächern, wie z. B. zur Geschichte, zeigt, dass die Art und Weise eines Conceptual Changes oft unterschiedlich ist (Günther-Arndt 2006; Limón 2001). In der Geschichtsdidaktik gibt es im Gegensatz zu den Naturwissenschaftsdidak-tiken keine Vorstellungen, die nicht fachlich nah sind, da Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass Lernende im Fach Geschichte nur selten ein konzeptuelles Verständnis von Geschichte entwickeln (Günther-Arndt 2003).
Unterricht, der auf den Prinzipien des Konstruktivismus basiert, scheint wirksamer als traditioneller Unterricht zu sein (Beeth et al. 2003; Guzzetti et al. 1993). Die Studie von Baumert und Köller im Jahr 2000 belegt allerdings, dass eine einzige Intervention, wie das Ansprechen von Präkonzepten, nicht per se zu besseren Unterrichtserfolgen führt. Ein Conceptual Change benötigt ein entsprechend konstruktivistisch organisiertes Lernumfeld. Die Qualität des Unterrichts ist dabei abhängig von der Konstellation verschiedener Unterrichtsstrategien und Unterrichtsmethoden (vgl. Oser & Baeriswyl 2001). Wobei die Merkmale eines guten Unterrichts nach Meyer (1993) sowie die Zielorientierung und eine hohe Schüleraktivität (Seidel et al. 2002) grundlegend sind.
Seit der Entwicklung der klassischen Conceptual-Change-Ansätze nimmt der kognitive Konflikt in den Ansätzen zum Conceptual Change eine bedeutende Rolle ein (Scott et al. 2007). Zur Auslösung eines kognitiven Konflikts kann u.a. eine besondere Frage-technik, die als Discrepant Questioning bezeichnet wird, eingesetzt werden. Die Ler-nenden erfahren eine kognitive Dissonanz, da sie Unstimmigkeiten zwischen dem wis-senschaftlichen Konzept und ihrem Präkonzept wahrnehmen und dazu aufgefordert werden, diese Widersprüche zu erläutern. Mit dieser speziellen Fragetechnik werden kleinere, sofortige Erkenntnisse in einem langsamen und schrittweisen Conceptual-Change-Prozess ermöglicht (Rea-Ramirez & Núñez-Oviedo 2008).
Nach Duit et al. werden folgende Unterrichtsstrategien für einen erfolgreichen Conceptual Change empfohlen (vgl. Duit et al. 2008, S. 629 ff.):
1. Zu Beginn werden die Lernenden mit dem Phänomen vertraut gemacht.
2. Die Lernenden sollen sich ihrer eigenen subjektiven Vorstellungen bewusst sein.
3. Das wissenschaftliche Konzept soll im Unterricht eingeführt werden.
4. Daraufhin soll die neue Sichtweise auch angewendet werden.
5. Die Lernenden sollen auf ihren eigenen Lernprozess einen Rückschau halten.
Eine zentrale Rolle in der Conceptual-Change-Forschung spielt das Phasenmodell von Duit et al. In ihm werden sowohl kognitive, motivationale als auch situationale Fakto-ren einbezogen. Die Lehrperson setzt hierfür lerngegenstandsangemessene Materialien und Methoden ein. Folgende fünf Phasen lassen sich in diesem Modell für konstrukti-vistische Lehr-Lern-Sequenzen unterscheiden (vgl. Duit et al. 2008, S. 134 ff.):
1. Orientierung
Zunächst werden die Lernenden mit dem Phänomen konfrontiert und vertraut gemacht. Durch die Schaffung von situationalem Interesse sollen die Lernenden motiviert wer-den. Hierbei können sie ihre eigenen Alltagserfahrungen mit einbringen.
2. Hervorlocken
In dieser Phase wird die subjektive Vorstellung der SchülerInnen über das zu lernende Phänomen bewusst gemacht, indem z. B. in der Gruppe diskutiert, eine Concept Map erstellt oder ein Text verfasst wird. Weitere Möglichkeiten sind die Interpretation eines Phänomens, eines Bildes oder eines Experiments oder die Beantwortung eines Frage-bogens. Es werden unterschiedliche Perspektiven und Vorstellungen aufgezeigt. Dadurch kann ein Spannungsbogen für die Erarbeitungsphase geschaffen werden (kog-nitive Dissonanz). Grundsätzlich gilt es, dass die Lernenden ihr Vorwissen nicht als unzureichendes Wissen, sondern als besondere Basis für ihr eigenes individuelles Ler-nen einschätzen.
3. Umstrukturierung der Schülervorstellungen
In dieser Phase werden die SchülerInnen mit der fachwissenschaftlichen Theorie kon-frontiert. Das Fachwissen ist mit einem angemessenen Beispiel einzuführen. Damit eine Wissensumstrukturierung erfolgen kann, soll ein Vergleich zwischen der Schülervor-stellung und dem wissenschaftlichen Sachverhalt vorgenommen werden. Gemeinsam-keiten und Widersprüche sollen dabei diskutiert werden. Als Beispiel für den Unterricht bietet sich die gezielte Konfrontation der Lernenden mit Widersprüchlichkeiten an, so-dass ein kognitiver Konflikt provoziert wird. Außerdem werden die SchülerInnen dazu angeregt, ihre bisherigen Vorstellungen auf Grundlage des neu erworbenen Wissens umzustrukturieren bzw. zu erweitern. Am Vorwissen ist anzuknüpfen, um ein Gesamt-verständnis für den Sachverhalt zu entwickeln.
4. Anwenden der neuen Vorstellung
Das neu erworbene Wissen soll in Anwendungsaufgaben erprobt und gefestigt werden. Beispiele hierfür sind die Bearbeitung von Übungs- und Transferaufgaben, die Planung und Weiterentwicklung von Experimenten durch Hypothesenbildungen, die Beobach-tung und Erklärung von neuen Phänomenen sowie die Beschäftigung mit alltagsbezo-genen Aufgaben. Dadurch steigt die Komplexität des vorhandenen Wissens kontinuier-lich.
5. Vergleich und Rückblick
In der letzten Phase wird die Metaebene des Lernens durch die Reflexion der Lerner-gebnisse angesprochen. In diesem Zusammenhang soll die Lehrkraft die SchülerInnen anregen die zuvor bestehende Alltagsvorstellunge dem Fachwissen gegenüber zu stellen und über die Veränderung zu reflektieren. Eine weitere Möglichkeit für die unterrichtli-che Umsetzung besteht darin, dass die Lernenden die Tauglichkeit ihrer neuen Vorstel-lung mit der Tauglichkeit ihres Präkonzepts hinsichtlich der Beschreibung von Phäno-menen vergleichen.
Duit et al. heben noch zwei weitere wichtige Aspekte hervor. Einerseits soll das Pha-senmodell nicht starr ausgelegt werden. So können Aspekte der dritten Phase beispiels-weise bereits in der zweiten Phase aufgegriffen werden. Anderseits spielt der spiralför-mige Aufbau des Lernprozesses bei dem Erlernen von abstrakten Sachverhalten eine wichtige Rolle. Nach der ersten Unterrichtssequenz sind oft noch deutliche Diskrepan-zen zwischen dem Fachwissen und der neuen Vorstellung der Lernenden auszumachen. Nur durch ein immer wieder erneutes Aufgreifen des Sachverhalts kann kontinuierlich Wissen aufgebaut werden. Das bestehende Wissen kann auch durch ein außerschuli-sches und selbstständiges Lernen, z. B. durch Medien erweitert werden (Duit et al. 2008).
Untersuchungen bei Reinfried et al. im Jahr 2010 ergaben, dass Unterricht, der sich an den Lernenden und an den konstruktivistischen Prinzipen orientiert, den Conceptual Change unterstützen kann. Die metakognitiven Phasen sind nicht zu vernachlässigen, in denen der Lernende sich mit seinen eigenen kognitiven Prozessen auseinandersetzt. Somit kann durch eine zielstrebig lernpsychologisch geplante Lernumgebung ein nach-haltiger Conceptual Change erreicht werden (vgl. Reinfried et al. 2010a, S. 123 ff.).
Vorstellungen von Lehrkräften über die Alltagstheorien von Lernenden sind immer noch weitestgehend unerforscht. Barthmann erforschte 2018 in einer Studie die Vor-stellungen von Geographielehrkräften über Schülervorstellungen und den Umgang mit ihnen in der Unterrichtspraxis. Die Ergebnisse zeigen, dass Lehrende vorwiegend durch ihre Berufserfahrungen und nicht durch ihre Ausbildung erworbenes Professionswissen theorieähnliche subjektive Konzepte über Schülervorstellungen entwickelt haben. Schü-lervorstellungen werden sowohl als Lernchance als auch Lernhindernis beurteilt. Unab-hängig von der Berufserfahrung stimmen die Vorstellungen der befragten Geographie-lehrkräfte im Umgang mit Schülervorstellungen größtenteils überein. Ein Conceptual-Change-Ansatz nach Posner et al. (1982) wird von den befragten Lehrkräften erst in Ansätzen umgesetzt. Barthmann erforschte ebenfalls, dass die Berufserfahrung der Geographielehrkräfte allein nicht ausreicht, um Schülervorstellungen umzustrukturieren (Barthmann 2018). Es ist problematisch, dass es immer noch Lehrkräfte gibt, die das instruktionelle Vermitteln von Fachwissen als Erfolgsrezept für ein aussichtsreiches Lernen sehen und den Präkonzepten der Lernenden keine Bedeutung beimessen. Bis dato spielt bei der Unterrichtsplanung der befragten Lehrkräfte der Stoffinhalt immer noch eine übergeordnete Rolle. Treagust und Duit (2008) vertreten die Meinung, dass generell die Kluft zwischen Praxis und Theorie noch größer wird. Das bedeutet, dass die Diskrepanz zwischen der Conceptual-Change-Lernstrategie und die von den Lehr-kräften im Unterricht eingestetzten Strategien größer wird.
Die Anwendungsphase ist für die Vermeidung von trägem Wissen von Bedeutung. Für eine umfassende Wissensverarbeitung und Schaffung von aktivem Wissen sind bei-spielsweise nach Hasselhorn und Gold (2013) sowie nach Mietzel (2007) folgende Verfahren förderlich: Elaborierende Übungen und Entkontextualisierung. Sie führen zu einer Steigerung der Flexibilität des Wissens, da das neu Erworbene an verschiedenen Beispielen in unterschiedlichen Kontexten erprobt wird. Ebenfalls empfiehlt es sich, eine anspruchsvolle Fragetechnik zu verfolgen. Ein Beispiel hierfür ist das Erkundungs-training, in dem die Lernenden der Lehrkraft die Fragen so stellen, dass diese nur noch mit „Ja“ bzw. „Nein“ beantwortet werden können. Ein weiteres Verfahren, um träges Wissen zu vermeiden, ist die Anwendung in möglichst authentischen Situationen. Ein Beispiel hierfür wäre ein Unterrichtsgang, bei dem sich die Lernenden nur mithilfe ei-ner Karte und eines Kompasses orientieren müssen. Dadurch werden die Lernenden zu intensiven und nachhaltigen Denkprozessen angeregt. Eine reale Lernumgebung ist allerdings nicht in allen Lernbereichen anwendbar, so dass auf konkrete Fallbeispiele zurückgegriffen werden muss (vgl. Hasselhorn & Gold 2013; Mietzel 2007).
2.3.7 Herausforderungen der Conceptual-Change-Forschung
Die Conceptual-Change-Forschung verfolgt die Fragestellung, inwieweit Schülervor-stellungen durch den Unterricht beeinflusst werden. In der Geographiedidaktik liegen bis jetzt nur sehr wenige Arbeiten zum Conceptual Change vor. Teilweise können je-doch Ergebnisse auch aus anderen Fachdidaktiken für die geographiedidaktische For-schung fruchtbar gemacht werden. Es sind nicht nur die Alltagsvorstellungen der Ler-nenden zu untersuchen, sondern auch die Prozesse, die einen Conceptual Change för-dern. Treagust und Duit erläuterten 2008 die Herausforderungen der Conceptual-Change-Forschung, die sich für die Naturwissenschaften ergeben. Die Herausforderun-gen lassen sich ebenso auf die Geographie übertragen:
Konzeptveränderungen sollen in einem explizit formulierten Theorierahmen aufge-klärt werden, wobei sowohl die soziokulturellen also auch die kognitiven Aspekte des Lernens einbezogen werden. Der Schwerpunkt der Forschung soll darauf liegen, wie Lernende einen Conceptual Change in vielfältigen Zusammenhängen vollzie-hen.
Conceptual-Change-Prozesse sollen durch erforderliche und angemessene Nachwei-se identifiziert werden. Somit werden die Aspekte des Wechselprozesses, wie z. B. durch Lernprozessstudien, offenkundig dargelegt und erläutert. Außerdem sind die Prozesse kausal zu begründen, durch die ein Conceptual Change hervorgerufen wird.
Außerdem gilt es, lernförderliche Methoden in einer geeigneten Lernumgebung für einen Conceptual Change zu entwerfen, und ihre Tragweite empirisch zu überprü-fen.
Der letzten Herausforderung „praktischer Art“ wird sich in der vorliegenden Arbeit gestellt . Der Schwerpunkt dieser Dissertation liegt auf dem Conceptual Change im physisch-geographischen Themenbereich „Aufbau der Erde“. Der Ansatz von Posner et al. (1982) wird verwendet, um eine Lernumgebung mit lernförderlichen Methoden für die Umstrukturierung von Schülervorstellungen zu entwickeln und ihre Wirksamkeit empirisch zu überprüfen. Die Vermittlungsexperimente beinhalten neben den speziellen Lernangeboten auch metakognitive Phasen, um die Lernenden dazu anzuregen, ihre eigenen Denkprozesse zu reflektieren und retroperspektiv ihre subjektiven Vorstellungen zu hinterfragen.
2.4 Modell der didaktischen Rekonstruktion
Im Modell der didaktischen Rekonstruktion werden Schülervorstellungen und fachwis-senschaftliche Vorstellungen so zueinander in Beziehung gesetzt, dass daraus ein Lern-gegenstand entwickelt werden kann (vgl. Kattmann et al. 1997, S. 3). Damit bezieht sich das Modell der didaktischen Rekonstruktion direkt auf die Kritik KLAFKIs an der Abbilddidaktik (vgl. Jank & Meyer 2009, S. 339).
Der Lerngegenstand lässt sich nicht einfach aus der Fachwissenschaft ableiten, sondern muss zunächst noch entwickelt werden. Als Hilfe lassen sich folgende Aspekte anfüh-ren: effektive methodische Umsetzung der fachwissenschaftlichen Theorie, didaktische Reduktion der fachwissenschaftlichen Fülle und didaktische Transformation. Allerdings geht im Modell der didaktischen Rekonstruktion das Verständnis über die Transformation hinaus (vgl. Kattmann et al. 1997, S. 4). „Die Didaktische Rekonstruktion umfaßt sowohl das Herstellen pädagogisch bedeutsamer Zusammenhänge, das Wiederherstellen von im Wissenschafts- und Lehrbetrieb verlorengegangenen Sinnbeziigen, wie auch den Ruckbezug von Primdrerfahrungen sowie auf origindre Aussagen der Bezugswis-senschaften " (Kattmann et al. 1997, S. 4).
Das Modell der didaktischen Rekonstmktion „ist ein fachdidaktisch akzentuierter For-schungsansatz, mit dem drei Aufgaben gelost werden sollen " (JANK & MEYER 2009, S. 338). Diese drei Aufgaben umfassen folgende Bereiche (vgl. Kattmann 2015, S. 15):
- Ermittlung des Lernpotenzials der Lernenden: Schiilervorstellungen sowie Kennt-nisse, Fertigkeiten, Verstandnisse und Kompetenzen der Lernenden
- Fachliche Klarung des Lerngegenstandes: Erkenntnisse, Methoden, Theorien und Termini der Fachwissenschaftler
- Didaktische Struktur(ierung): Gestaltung der Lernumgebung sowie Unterricht, Lernsequenzen und Lernangebote
Die Abbildung 3 veranschaulicht das Modell der didaktischen Rekonstruktion., Inner-halb dessen die drei Aufgabenbereiche bewaltigt werden miissen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Das Modell der didaktischen Rekonstruktion (in Anlehnung an KATTMANN2015, S. 15)
Die drei Aufgaben sind nicht sukzessiv (nacheinander) zu bearbeiten, sondern immer im Zusammenhang zu sehen. Indem das Modell der didaktischen Rekonstruktion auf den Einsatz in der Praxis im Unterricht zielt, ist es sowohl fur die Fachdidaktik als auch Unterrichtpraxis niitzlich. Es wird deutlich, dass die fachwissenschaftlichen Vorstellun-gen und die Schiilervorstellungen fiir das Lernen gleichrangig bedeutend sind (vgl. Kattmann 2015, S. 15).
Die Untersuchung eines Zusammenhangs zwischen fachlichen Vorstellungen und Schü-lervorstellungen ist besonders wichtig, da sich die Methoden und Erklärungen der Fachwissenschaft nicht einfach auf den Unterricht übertragen lassen. Die Lerngegen-stände werden im Gegensatz zu den Fachwissenschaften in einem individuellen und gesellschaftlichen Kontext dargestellt, damit die besondere Bedeutung des Inhalts für den Lernenden hervorgehoben werden kann. Nur so kann vom Lernenden eine adäquate Vorstellung konstruiert werden (vgl. Kattmann et al. 1997, S. 3).
3 Forschungsstand
Im folgenden Kapitel wird eine Auswahl an Studien aus der Geographie, Biologie, Chemie und Physik vorgestellt, die auf eine Umstrukturierung von Schülervorstellun-gen zielen. Ebenso wird auf Untersuchungen eingegangen, in der Alltagsvorstellungen zum Aufbau des Erdinneren behandelt wurden.
Zur Feststellung des Forschungsstands wurde u. a. der Fokus auf die Ludwigsburger-Luzerner Bibliographie (LLBG) gelegt. Sie ist eine systematisch aufbereitete Bibliogra-phie über Forschungsarbeiten und Grundlagenliteratur zu Schülervorstellungen bzw. Alltagsvorstellungen und Conceptual Change in der Geographie und den Geowissen-schaften (vgl. https://www.ph-ludwigsburg.de/llbg.html). Mit über 600 Forschungsar-beiten (letzter aktualisierter Stand: 04. 08. 2011) umfasst diese Bibliographie schon ein recht weites Forschungsspektrum. Dennoch existieren hier keine Studien über die Um-strukturierung von Schülervorstellungen zum Aufbau der Erde. Ebenfalls wurde keine Forschungsarbeit in grundlegender Literaturrecherche entdeckt, die den Themenbereich Aufbau der Erde aufgreift und einen Conceptual Change in einer didaktisch aufbereite-ten Lernumgebung in Vermittlungsexperimenten nach den wesentlichen Anforderungen von Posner et al. (1982) einleitet. Hieraus ergibt sich die Legitimation der vorliegenden Dissertation.
3.1 Umstrukturierung von Sch ülervorstellungen
In folgenden Tabellen werden ausgewählte Untersuchungen zu den Umstrukturierungen von Schülervorstellungen aus den Naturwissenschaften Geographie, Biologie, Chemie und Physik dargestellt. Die Studien sind nach den Erscheinungsjahren sortiert. An-schließend ist die Tabelle jeweils detailliert beschrieben, sodass eine Beurteilung des Forschungsstandes zu den Umstrukturierungen von Schülervorstellungen erfolgen kann.
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- Arbeit zitieren
- Dr. Catharina Denk (Autor:in), 2019, Lernförderliche Methoden für einen Conceptual Change von Schülervorstellungen zum Aufbau der Erde, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/587993
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