Viele Menschen neigen dazu, Entscheidungen zum Abschluss einer Altersvorsorgemaßnahme aufzuschieben, obwohl sie wissen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus nutzen sie, wenn sie sparen, häufig Anlageformen, die wenig rentabel und kaum geeignet sind, die inflationsbedingten Einbußen auszugleichen. Die im Langzeitvergleich deutlich lukrativeren Aktien meiden hingegen viele Anleger und Anlegerinnen und nehmen sich damit eine renditeträchtige Möglichkeit zum Aufbau von Vermögen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, warum Menschen mit Anlageentscheidungen, die ihnen langfristig zugutekommen, Schwierigkeiten haben. Dazu sollen die Hemmnisse, in Aktien zu investieren, ergründet werden. Es wurde die folgende Forschungsfrage gestellt: Welche psychologischen Hemmnisse und irrationalen Überzeugungen halten Anleger und Anlegerinnen, aus der Sicht von Anlageberatern und -beraterinnen, davon ab, gute und zukunftsfähige Anlageentscheidungen im Hinblick auf ihre Altersvorsorge zu treffen?
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden Experteninterviews mit erfahrenen Anlageberatern und -beraterinnen der Deutschen Bank durchgeführt, mit dem Ziel, die Hemmnisse ihrer Kunden in Erfahrung zu bringen. Es stellte sich heraus, dass viele Anleger mit Finanzthemen überfordert sind und ihre Kenntnisse nicht ausreichen, um gute Entscheidungen zu treffen. Auch schätzen sie ihren Bedarf und die im Alter verfügbaren Mittel falsch ein und neigen hier zu übertriebenem Optimismus.
Unter Nutzung des Expertenwissens und der Literatur zum Thema zeigt die Arbeit auf, wie durch reflektierte Anlageberatung Hemmnisse (wie z. B. Neigung zur Prokrastination und zum Optimistic Bias) aufgedeckt und abgebaut werden können. Dies soll dazu führen, Anlegern und Anlegerinnen ein zeitnahes und zielführendes Entscheiden zu ermöglichen.
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
1.1 Problemstellung
1.2 ZlELSETZUNG UND FORSCHUNGSFRAGE
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Methodik
2 PER ENTSCHEIDUNGSPROZESS
2.1 Das Paradoxon der Wahlmoglichkeiten
2.2 Entscheidungen unter Sicherheit und unter Unsicherheit
2.3 Gute Entscheidungen
3 DIE VERHALTENSOKONOMIK
3.1 Der Homo oeconomicus - Rationalitat und deren Grenzen
3.2 Der Homo psychologies - Wir irren systematise
3.3 Diskussion uber den Nutzen intuitiver Entscheidungen
4 BEHAVIORAL FINANCE
4.1 Der Einflussvon Emotionen bei Geldanlageentscheidungen
4.2 Prokrastination in der Altersvorsorge
4.3 Neurobiologische Aspekte bei der Prokrastination
4.4 Heuristiken und Bias in Finanzentscheidungsprozessen
5 PER EINFLUSS PER FINANZIELLEN ALLGEMEINBILDUNG
6 UNTERSUCHUNGSDESIGN UND METHODIK
7 GENERALISIERENDE ANALYSE PER INTERVIEWINHALTE
7.1 Kundenreaktionen auf das Thema Altersvorsorge
7.1.1 INTUITIVES ODER RATIONALES ENTSCHEIDEN
7.1.2 Neigung zur Prokrastination
7.1.3 Kapitalanlagen, die als Altersvorsorge angesehen werden
7.2 GrundefurdieAbwehrhaltunggegenubereiner Altersvorsorge
7.3 Grunde fur die Abwehrhaltung gegenuber Aktien
7.4 Einflussfaktoren auf das Anlegerverhalten
7.5 Unterstutzung im Entscheidungsprozess durch reflektierte Beratung
7.5.1 Zielfuhrende Kundenansprachezum Aufbau einer Altersvorsorge
7.5.2 Sonstige unterstutzende Mabnahmen
8 ERGEBNIS UND BEANTWORTUNG PER FORSCHUNGSFRAGE
9 INTERPRETATION UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
10 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
11 LITERATURVERZEICHNIS
Abstract
Viele Menschen neigen dazu, Entscheidungen zum Abschluss einer Altersvorsorgema&nahme aufzuschieben, obwohl sie wissen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Daruber hinaus nutzen sie, wenn sie sparen, haufig Anlageformen, die wenig rentabel und kaum geeignet sind, die inflationsbedingten Einbu&en auszugleichen. Die im Langzeitvergleich deutlich lukrativeren Aktien meiden hingegen viele Anleger und Anlegerinnen und nehmen sich damit eine renditetrachtige Moglichkeit zum Aufbau von Vermogen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, herauszufinden, warum Menschen mit Anlageentscheidungen, die ihnen langfristig zugutekommen, Schwierigkeiten haben. Dazu sollen die Hemmnisse, in Aktien zu investieren, ergrundet werden. Es wurde die folgende Forschungsfrage gestellt: Welche psychologischen Hemmnisse und irrationalen Uberzeugungen halten Anleger und Anlegerinnen, aus der Sicht von Anlageberatern und -beraterinnen, davon ab, gute und zukunftsfahige Anlageentscheidungen im Hinblick auf ihre Altersvorsorge zu treffen?
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden Experteninterviews mit erfahrenen Anlageberatern und -beraterinnen der Deutschen Bank durchgefuhrt, mit dem Ziel, die Hemmnisse ihrer Kunden in Erfahrung zu bringen. Es stellte sich heraus, dass viele Anleger mit Finanzthemen uberfordert sind und ihre Kenntnisse nicht ausreichen, urn gute Entscheidungen zu treffen. Auch schatzen sie ihren Bedarf und die im Alter verfugbaren Mittel falsch ein und neigen hier zu ubertriebenem Optimismus.
Unter Nutzung des Expertenwissens und der Literatur zum Thema zeigt die Arbeit auf, wie durch reflektierte Anlageberatung Hemmnisse (wie z. B. Neigung zur Prokrastination und zum Optimistic Bias) aufgedeckt und abgebaut werden konnen. Dies soil dazu fuhren, Anlegern und Anlegerinnen ein zeitnahes und zielfuhrendes Entscheiden zu ermoglichen.
Abstract
Many people tend to postpone decisions about their private pension arrangements although they are aware of the need for action. In addition, if they wish to save money, they often use types of investments that generate low profits that barely compensate for inflation losses. Investments in shares, which are clearly more lucrative in the long term, are avoided by many investors. As a result, they miss a profitable opportunity to grow their assets.
The aim of this work is to ascertain, why people have such difficulty with investment decisions that would be of benefit to them in the long term. In addition, the obstacles to investing in shares are examined. These matters are summarized in the following research question: What psychological obstacles and irrational convictions, from the perspective of investment consultants, keep investors from making good sustainable investment decisions about their pension arrangements?
To answer this research question, expert interviews were conducted with experienced investment consultants at Deutsche Bank, with the aim of discovering obstacles their customers face. It becomes clear that many investors are overwhelmed by finance-related topics and that their knowledge thereof is insufficient for them to make sound decisions. In addition, they incorrectly estimate their needs and their available financial resources in old age, tending to excessive optimism.
On this basis, this work reveals how obstacles (such as procrastination and optimism bias) and irrational convictions can be uncovered by considered investment consultancy and how they can be diminished. This should enable investors to make appropriate decisions in a timely manner.
Keywords
- Entscheidungen
- Prokrastination
- Verhaltensokonomik
- Behavioral Finance
- Heuristiken
- Bias
- Altersvorsorge
- Anlageberatung
- FinanzielleAllgemeinbildung
- Aktien
1 Einleitung
Seit den Finanzkrisen in den Jahren 2000 und 2008 sanken die europaischen Leitzinsen bis hin zum Nullpunkt (vgl. Deutsche Bundesbank, 2015, S. 14).
Die Auswirkungen reichen weit in die Guthabenverzinsung von Privatanlegern hinein. Das von deutschen Anlegern und Anlegerinnen historisch bevorzugte Sparbuch erwirtschaftet nicht einmal mehr annahernd die Ertrage, die zum Ausgleich der Inflation von derzeit 2,1% geeignet waren (vgl. Statista, Juni 2018). Einlagen werden zum Verlustgeschaft. Auch in den nachsten Jahren kann von einer deutlich spurbaren Erhohung der europaischen Zinsen durch die Europaische Zentralbank nicht ausgegangen werden. Grund hierfur sind die hohe Verschuldung der Mitgliedsstaaten, sich abkuhlende Stimmungsindikatoren fur die Euro-Wirtschaft und eine Zunahme internationaler Handelskonflikte.
1.1 Problemstellung
Diese Niedrigzinssituation hat auch auf die Renditen von Lebensversicherungen einen negativen Einfluss. Die gesetzlichen Garantieverzinsungen werden weiter gesenkt und Uberschussbeteiligungen reduziert. Dazu stellt der demographische Wandel eine Herausforderung fur die gesetzliche Rentenversicherung dar. Eine private Gestaltung der Altersvorsorge zur Vermeidung von Engpassen, bis hin zur Altersarmut, istdringend angeraten.
Obwohl sich viele Europaer/innen dieser Problematik grundsatzlich bewusst sind, stellen z. B. Aktien und Investmentfonds, die langfristig deutlich hohere Renditen in Aussicht stellen, im Anlegervermogen noch eine Seltenheit dar. Die Deutsche Bundesbank verglich in ihrem Monatsbericht im Oktober 2015 die Entwicklung der realen Renditen einzelner Anlageformen uber einen Zeitraum von 25 Jahren. Hierfiel auf, dass Einlagen sich inflationsbereinigt seit den 90er Jahren meist unter 1 % Realrendite bewegten, bisweilen sogar negativ. Versicherungsanspruche lagen, auch im Niedrigzinsumfeld, bei etwa 2 % pro Jahr. Aktien hingegen erbrachten im Mittel eine jahrliche Rendite von gut 8 %. Allerdings waren die Renditen hier auch deutlich gro&eren Schwankungen unterworfen. Investmentfonds zeigten sich weniger volatil als reine Aktienanlagen, die Rendite lag im Mittel bei 5 % (vgl. Deutsche Bundesbank, 2015, S. 15-20).
Einer Studie des Deutschen Aktieninstitutes DAI zufolge investierten im Jahr 2016 knapp 9 Millionen Deutsche in Aktieninvestments. Dies entspricht einem Anteil von 14 % der Bevolkerung uber 14 Jahren. Uberproportional viele Aktionare haben ein relativ hohes Bildungsniveau und ein uberdurchschnittliches Einkommen (vgl. Deutsches Aktieninstitut, 2016, S. 4-6).
In der Beratung von Privatkunden wird immer wieder festgestellt, dass viele Kunden und Kundinnen zwar unzufrieden mit den vorhandenen Zinskonditionen sind, der Schritt in Richtung Aktieninvestments aber dennoch oftmals nicht vollzogen wird. Entscheidungen werden hinausgezogert, die Kunden und Kundinnen kommen wieder und wieder zur Beratung, oftmals uber Jahre hinweg, ohne eine Investitionsentscheidung zu treffen. Ein Prozess, der den Menschen wertvolle Zeit des Vermogensaufbaus nimmt und die Rendite aufflachem Niveau halt.
1.2 Zielsetzung und Forschungsfrage
Ziel dieserArbeit soil es sein, durch Experteninterviews herauszufinden,
- welche die wesentlichen psychologischen Hemmnisse im Entscheidungs- prozess des Anlegers bzw. derAnlegerin sind, und
- wie durch eine auf die individuellen Entscheidungsblockaden der Menschen abgestimmte Anlageberatung und eine Reduktion von Komplexitat eine Unterstutzung des Anlegers bzw. der Anlegerin bei der Entscheidungsfindung erfolgen kann.
Hierzu sollen sowohl die Erkenntnisse der Entscheidungstheorie als auch die der Verhaltensokonomik, insbesondere der Behavioral Finance, herangezogen werden.
Es liegen zu diesem Themengebiet einige Studien vor, die erwahnenswert sind. Von Lude beschaftigte sich vor allem mit dem Einfluss kulturspezifischer Normen sowie Konventionen auf das Anlegerverhalten als Parameter fur das risikoaverse Anlageverhalten und kam zu dem Schluss, dass Verhaltensanderungen in diesem Kontext ein hochst schwieriges und langwieriges Unterfangen sind (vgl. von Lude, 2013, S. 328-335; von Lude 2014, S. 668).
Sachse forschte im Bereich Risikobereitschaft als Personlichkeitsmerkmal der Anlegenden sowie in der Frage, welchen Einfluss die generelle Risikoneigung des Menschen aufseineAnlageentscheidungen hat (vgl. Sachse, 2008, S. 40 ff.).
Daruber hinaus gibt es zahlreiche Studien, z. B. von Lusardi und Mitchell, die sich mit der individuellen finanziellen Allgemeinbildung als Parameter wirtschaftlicher Entscheidungen beschaftigen (vgl. Lusardi und Mitchell, 2007, S. 35-44 und 2014, S. 5-44).
In dieser Arbeit soil die Frage beantwortet werden, welche Hemmnisse und Einflusse Kunden davon abhalten zukunftsfahige Anlageentscheidungen zu treffen. Au&erdem soil es urn die psychologische Unterstutzung der Menschen in der Entscheidungsfindung durch die Anlageberatung gehen und urn die Frage, welche Uberzeugungsstrategien hier konkret eingesetzt werden konnen.
Die Forschungsfrage lautet:
Welche psychologischen Hemmnisse und irrationalen Uberzeugungen halten Anleger und Anlegerinnen, aus der Sicht von Anlageberatern und -beraterinnen, davon ab, gute und zukunftsfahige Anlageentscheidungen im Hinblick auf ihre Altersvorsorge zu treffen?
1.3 AufbauderArbeit
In Kapitel 2 wird zunachst dargestellt, wie Menschen Entscheidungen treffen und welchen Einfluss dabei die zur Verfugung stehenden Wahlmoglichkeiten haben. Im dritten Kapitel werden die Unterschiede zwischen dem Modell des Homo oeconomicus und dem weniger perfekten, dafur aber haufig anzutreffenden, Homo psychologies herausgestellt. Die Grundlagen der Behavioral Finance sind Inhalt des Kapitels 4, wobei der Schwerpunkt auf der Prokrastination und den im Anlagekontext relevanten Heuristiken und Bias liegt. In Kapitel 5 wird der Einfluss der finanziellen Allgemeinbildung des Anlegers bzw. der Anlegerin auf den Anlageentscheidungsprozess verdeutlicht. Die Methodik der Forschung wird in Kapitel 6 ausfuhrlich erlautert. Im daran anschlie&enden Kapitel 7 erfolgt die Analyse der durchgefuhrten Experteninterviews. In Kapitel 8 werden die Erkenntnisse aus den Interviews zusammengefasst und die Forschungsfrage wird beantwortet. Im Anschluss werden in Kapitel 9 die Ergebnisse diskutiert und Losungswege zum Abbau der Hemmnisse im Anlage-Entscheidungsprozess durch reflektierte Anlageberatung aufgezeigt. Kapitel 10 bildet den Abschluss der Arbeit und dient der Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Projektarbeit.
1.4 Methodik
Neben einer umfangreichen Literaturrecherche, mit dem Schwerpunkt Entscheidungslehre und Verhaltensokonomie, soil die Moglichkeit genutzt werden, das Erfahrungswissen von Kundenberatern und -beraterinnen im Bereich Geldanlage und Vorsorge zu nutzen. Da Hemmnisse im Kundenverhalten haufig von Kunden und Kundinnen selbst nicht bemerkt werden, sondern unterbewusst in Erscheinung treten, soil durch eine Erhebung im Feld durch Einnahme der Beraterperspektive ein Kenntnisgewinn entstehen. Als Methode wird die unter Kapitel 6 naher erlauterte empirische Analyse mit qualitativem Forschungsansatz gewahlt, die durch einen offenen Zugang zum Forschungsgegenstand und den Einsatz unstrukturierter und offener Erhebungsverfahren gekennzeichnet ist (vgl. Bassler, 2016, S. 63-67).
2 Der Entscheidungsprozess
Unter dem Begriff Entscheidung wird ein mentaler Prozess verstanden, dessen zentrale Komponenten Beurteilungen, Bewertungen und Wahlen sind. Entscheidung setzt Wissen und Motivation voraus, aber auch Emotionen spielen eine wesentliche Rolle. Die meisten Menschen halten Freiheit, auch die Freiheit sich entscheiden zu konnen, fur das hochste Gut. Gleichwohl zeigen empirische Untersuchungen, dass zu viele Entscheidungsmoglichkeiten den Menschen uberfordern und Stress und Frustration auftreten konnen (vgl. Pfister, 2017, S. 3-8).
In der Entscheidungsforschung gibt es verschiedene Betrachtungsweisen, die eng miteinander verknupft sind:
- Die normative Entscheidungstheorie beschreibt, wie der Mensch sich verhalten sollte, namlich rational unter Nutzung vollstandiger Informationen und unter Einsatz seiner kognitiven und mathematischen Fahigkeiten.
- Die deskriptive Entscheidungsforschung beschreibt das tatsachliche Entscheidungsverhalten, denn der Mensch entscheidet, wie Beobachtungen und Experimente zeigen, nur beschrankt rational.
- Die praskriptive Entscheidungsforschung sieht ihre Aufgabe darin, Menschen in der Entscheidungsfindung zu unterstutzen (vgl. Pfister et al., 2017, S. 6).
Viele Menschen haben Schwierigkeiten damit, Entscheidungen souveran zu treffen. Entscheidungen werden aufgeschoben, auf andere Personen abgeschoben, impulsiv Oder sogar defensiv getroffen. Menschen entscheiden sich ungern, weil sie keine Fehler machen mochten und die bestmogliche Entscheidung treffen wollen. Au&erdem konnten sie im Faile einer Fehlentscheidung verantwortlich gemacht werden (vgl. Sauerland und Gewehr, 2017, S. 2 und 19). Daher ist das Treffen von Entscheidungen nicht leicht - es erfordert Entscheidungskompetenz. Nach uber 50 Jahren Forschungsarbeit haben Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen (Psychologie/Neuropsychologie, Philosophie und Okonomie) ein detailliertes Bild von Entscheidungsprozessen entwickelt. Dadurch ist es inzwischen moglich, zu beschreiben, wie Menschen Entscheidungen fallen und nach welchen Regeln sie dabei vorgehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass zugleich auch wesentliche Fortschritte bei der Beantwortung der Frage gemacht wurden, wie Menschen Entscheidungsfehler vermeiden Oder Verzerrungen uberwinden (vgl. Sauerland und Gewehr, 2017, S. 5).
2.1 Das Paradoxon derWahlmoglichkeiten
Iyengar und Lepper untersuchten die Auswirkungen von Wahlmoglichkeiten auf die Motivation, Kaufentscheidungen zu treffen. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass die Kaufmotivation mit der Zahl der zur Wahl stehenden Alternativen steigt, kamen sie in ihren Studien zu dem Ergebnis, dass sich zu viel Wahlmoglichkeiten negativ auf die Kaufmotivation auswirken. Das als Marmeladen-Paradoxon bekannte Experiment wurde in einem Supermarkt durchgefuhrt. Es wurde getestet, wie sich das Probier- und anschlie&ende Kaufverhalten der Kunden unterscheidet, wenn ihnen
a) sechs Marmeladensorten und
b) 24 Marmeladensorten zurAuswahl stehen.
Wahrend die Verkostung bei 30 % der Kunden, denen sechs Marmeladensorten zur Auswahl standen, in einem Kauf resultierte, war dies nur bei 3 % der Kunden der Fall, die 24 Marmeladensorten zur Auswahl hatten. Zu viele Alternativen wirken sich demnach kontraproduktiv auf die Kaufentscheidung aus (vgl. Iyengar und Lepper, 2000).
2.2 Entscheidungen unter Sicherheit und unter Unsicherheit
In der Entscheidungstheorie wird zwischen Entscheidungssituationen unter Sicherheit und unter Unsicherheit unterschieden. Im ersten Fall sind die mit der Wahl einer Handlungsalternative verbundenen Zielauspragungen vorhersehbar. Bei Entscheidungen unter Unsicherheit ist dies nicht der Fall. Hier ist mindestens ein Ergebnis aufgrund der Abhangigkeit von bestimmten Umweltbedingungen unsicher (vgl. von Nitzsch, 2015, S. 73-74). Bei Entscheidungen im Geldanlagebereich sowie auch in der Altersvorsorge handelt es sich meistens urn Entscheidungen unter Unsicherheit, da Einflussfaktoren wie z.B. die Entwicklung des Kapitalmarktes, des Einkommens sowie auch der personlichen Situation im Alter nicht vorhersehbar sind. Das erschwert die Entscheidungsfindung. Viele Menschen schieben Geldanlageentscheidungen dahergern auf.
2.3 Gute Entscheidungen
Eine gute Entscheidung ist im Alltagsverstandnis eine Entscheidung, die zu guten Ergebnissen fuhrt. Die Uberprufung ist jedoch schwierig, da viele Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden mussen und man nie wissen kann, ob wirklich ein gutes Ergebnis eintritt. Und wenn das Ergebnis als gut eingeschatzt wird, kann es auch Gluck gewesen sein, wahrend die Entscheidung unvernunftig getroffen wurde. Der Entscheidungstheoretiker mochte daruber hinaus nicht bis zum Bekanntwerden des Resultates der Entscheidung warten, daher versteht von Nitzsch unter einer guten Entscheidung:
- eine rationale Entscheidung
- eine reflektiert-intuitive Entscheidung Oder
- eine geeignete Kombination aus diesen beiden genannten
(vgl. von Nitzsch, 2015, S. 24-25).
Aufbauend auf die Studie von Iyengar und Lepper zum Paradoxon der Wahlmoglichkeiten unterscheidet Schwartz Menschen im Hinblick auf die Zufriedenheit mit ihren Entscheidungen. Er bezeichnet sie als Optimizer und Satisfizer.
Maximizer akzeptieren nur die beste Alternative. Sie erschopfen sich in der Selektion, urn sicherzustellen, dass sie die beste Wahl im Hinblick auf Preis, Qualitat Oder ahnliche Gutekriterien treffen. Haben sie sich dann entschieden, sind sie haufig weniger zufrieden mit ihren Entscheidungen, es konnte ja noch etwas Besseres auf dem Markt sein. Demgegenuber kaufen Satisfizer das Produkt, das gutgenug ist. Sie machen sich uber die Alternativen dann keine Gedanken mehr und sind zufrieden mit ihrerWahl (vgl. Schwartz, 2007, S. 47 ff.).
Ob eine Entscheidung richtig ist, hangt also von der Person, der Situation, den individuellen Vorlieben und Bewertungen aber auch von sozialen und kulturellen Einflussen ab (vgl. Hertwig, 2018, S. 26-29).
3 Die Verhaltensokonomik
3.1 Der Homo oeconomicus - Rationalitat und deren Grenzen
Bis in die 1970er Jahre standen die meisten Sozialwissenschaftler auf dem Standpunkt, dass Menschen sich in der Regel rational verhalten und nur durch das Wirken starker Emotionen wie Furcht, Hass Oder Zuneigung von dieser Rationalitat abweichen. In der Modelvorstellung der Wirtschaftswissenschaft ist dieser Rationalist als Homo oeconomicus bekannt, der Nutzenmaximierer, der ausschlie&lich nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entscheidet (vgl. Duden Wirtschaftvon A-Z, 2016).
Im Jahr 1974 veroffentlichten die PsychoIogen Tversky und Kahneman einen Artikel mit dem Titel Judgement under Uncertainty: Heuristics and Biases", in dem erstmals die vereinfachenden Abkurzungen des intuitiven Denkens beschrieben und zwanzig kognitive Verzerrungen (Bias) bei der Urteilsbildung in Fallbeispielen vorgestellt wurden. Die Autoren stellten die Annahmen des rational und logisch denkenden Menschen infrage. Dieser Artikel ist einer der meistzitierten Beitrage der Sozialwissenschaften. Die Idee, dass unser Denken anfallig fur systematische Fehler ist, gilt heute als allgemein anerkannt (vgl. Kahneman, 2011, S. 19-20).
Viele Okonomen begegneten den Erhebungen von Kahneman und Tversky anfanglich mit grower Skepsis, widersprachen sie doch der auf den Okonomen Adam Smith zuruckgehenden klassischen Schule der Nationalokonomie, nach der das Marktgeschehen eine ordnende und regulierende Kraft ist, die den Einzelnen bzw. die Einzelne dazu bringt, die wirtschaftlichen Interessen bestmoglich und somit rational zu verfolgen und dabei gleichzeitig dem Interesse der Gesellschaft nach bestmoglicher Guterversorgung zu dienen (vgl. Duden Wirtschaft von A-Z, 2016). Einer der Okonomen, der sich den Theorien Kahneman und Tverskys von Beginn an aufgeschlossen gegenuber zeigte und sich diesem Forschungsgebiet etwa zeitgleich von der okonomischen Seite aus widmete, war Richard Thaler. Er gilt als der ma&gebliche Begrunder der Verhaltensokonomie und erhielt fur seine Modelle und Theorien, die die beeinflussenden Aspekte der Psychologie in der Wirtschaftswissenschaft etablieren, im Jahr 2017 den Alfred-Nobel-Gedachtnispreis fur Wirtschaftswissenschaften.
3.2 Der Homo psychologies - Wir irren systematisch
Kahneman und Tversky unterscheiden, wie bereits vor ihnen die PsychoIogen Stanovich und West (2000, S. 658), zwei kognitive Systeme:
- System 1 arbeitet automatisch und schnell. Das Denken und Entscheiden erfolgt muhelos und ohne willentliche Steuerung (intuitiv, aus dem Bauch heraus).
- System 2 lenkt die Aufmerksamkeit auf anstrengende mentale Aktivitaten, darunter auch komplexe Berechnungen. Aktivitaten des Systems 2 gehen haufig mit einem subjektiven Handlungsmachterleben und mit Konzentration einher, sie erfordern Aufmerksamkeit (vgl. Kahneman, 2011, S. 33-35).
Der gro&te Teil der Entscheidungen im Alltag geht aus System 1 hervor. Man stutzt sich auf Erfahrungen und auf Vorwissen und wendet Faustregeln an. System 2 ubernimmt, sobaid es schwierig wird. Die Leistungsfahigkeit von System 1 wird haufig und oft unbemerkt durch kognitive Verzerrungen beeinflusst, fur die Menschen in verschiedenen Situationen in hohem Ma&e anfallig sind. Diese Fehler erkennen Menschen bei anderen leichter als bei sich selbst (Kahneman, 2011, S. 38-42).
3.3 Diskussion uber den Nutzen intuitiver Entscheidungen
Wahrend Kahneman also das System 2 fur das uberlegene System halt, wirft ihm Gigerenzer dies als „Verleumdung der Intuition" vor (Gigerenzer, 2013, S. 145). Er halt es fur ein Missverstandnis, dass sich alle Probleme durch Logik und Berechnung losen lassen. Au&erdem ist er der Ansicht, dass, wenn Menschen mit Ungewissheit und nicht mit bekannten Risiken (wie bspw. bei einer Lotterie) konfrontiert werden, Logik und Berechnung nicht ausreichend seien. Hier konne etwas, das wie ein logischer Fehler aussieht, durchaus eine vernunftige Strategie sein. Die Uberzeugung, dass gute Urteile sich auf Logik und Berechnung reduzieren lassen, halt er fur einen Irrtum. Gerade in einer ungewissen Welt sei Intuition dringend notwendig (vgl. Gigerenzer, 2013, S. 145-147).
Er ist folgender Auffassung:
- Intuition ist die unbewusste Intelligenz, die die meisten Gehirnregionen nutzt.
- Intuition ist dem logischen Denken nicht unterlegen, beide sind erforderlich.
- Intuition beruht auf intelligenten Faustregeln und viel Erfahrung, die im Unbewussten verborgen liegt (vgl. Gigerenzer, 2013, S. 145-147).
Gigerenzer weist bspw. auf Untersuchungen zum Nutzen kollektiver Intelligenz hin, die trotz des Vorhandenseins individueller Unwissenheit erwachsen kann. Es handelt sich hierbei urn ein Phanomen, bei dem Gruppen von Individuen durch Zusammenarbeit, trotz geringer Kenntnisse der einzelnen Teilnehmer, intelligente Entscheidungen treffen konnen (vgl. Gigerenzer, 2008, S. 128-129). Auch fuhrt er den Nutzen sozialer Instinkte als Argument an, urn die Berechtigung der Intuition als urteilsbildendes Instrument darzustellen. Soziale Interaktionen sind demnach weniger das Ergebnis komplexer Berechnungen als das Resultat besonderer Bauchgefuhle. Diese fuhren zur Bildung von Gemeinschaftssinn und Findung einer Gruppenzugehorigkeit, die wiederum in Vertrauensbildung resultiert (vgl. Gigerenzer, 2008, S. 220 ff.).
Inzwischen mehren sich die Befunde, die belegen, dass in komplexen Situationen durchaus zufriedenstellende Entscheidungen getroffen werden konnen, wenn sich Menschen auf ihre Intuition, ihr Bauchgefuhl, verlassen. Das kapazitatsbeschrankte Bewusstsein kann komplexe Situationen ohnehin nur verzerrt abbilden, wahrend unbewusste Informationsmechanismen geringeren Kapazitatsbeschrankungen unterliegen. Eine Trennung von Kopf- und Bauchentscheidungen Oder ein Werturteil uber das bessere System zur Entscheidungsfindung ist somit weder hilfreich noch sinnvoll (vgl. Sauerland und Gewehr, 2017, S. 72 ff.).
4 Behavioral Finance
Die Behavioral Finance ist ein Teilbereich der Verhaltensokonomik und beschaftigt sich mit der Psychologie von Kapitalanlegern und Kapitalanlegerinnen. Sie beschreibt Anomalien, die die klassische Finanzmarkttheorie nicht zufriedenstellend erklaren kann, und bietet mithilfe der Entscheidungsforschung Erklarungsansatze an (vgl. Pfister et al., 2017, S. 378 ff.).
4.1 Der Einfluss von Emotionen bei Geldanlageentscheidungen
Entscheidungen des taglichen Lebens gehen meist mit einem recht geringen kognitiven Aufwand einher, denn hier unterstutzen Routinen und Stereotype.
Bei Anlageentscheidungen handelt es sich hingegen urn reflektierte Entscheidungen mit grower Tragweite, die mit einem gro&eren Einsatz kognitiver Ressourcen (Informationsbeschaffung und -bewertung) einhergehen, seltener und weniger routiniert getroffen werden und daher von vielen Menschen als muhsam Oder anstrengend erlebt werden (vgl. Pfister et al., 2017, S. 26-28).
Finanzentscheidungen in Bezug auf die Altersvorsorge sind besonders komplex, da das Resultat der Entscheidung erst in der Rentensituation, also weit in der Zukunft, spurbar ist und auf ihren Nutzen hin uberpruft werden kann. Besonders in jungen Jahren ist es ungewiss, wie sich bis dahin die verschiedenen Einflussfaktoren (wie die Entwicklung des Einkommens, die politischen und wirtschaftlichen Verhaltnisse im Zeitverlauf sowie auch der spatere Kapitalbedarf) darstellen. Die Folgen einer Altersvorsorgeentscheidung sind also mit erheblicher Unsicherheit behaftet (vgl. Sauerland und Gewehr, 2017, S. 19). Auch halten viele Menschen, aufgrund der Langfristigkeit von Altersvorsorgeentscheidungen und dem Wissen urn lange Vertragslaufzeiten, z. B. bei Rentenversicherungen, diese fur nicht revidierbar. Dies macht die Entscheidung noch schwerer (vgl. Sauerland und Gewehr, 2017, S. 34).
Um dieser Anstrengung zu entgehen, neigen Menschen dazu, Entscheidungen in dem Kontext aufzuschieben Oder sie zumindest, durch Anwendung von Heuristiken, mental zu vereinfachen.
4.2 Prokrastination in der Altersvorsorge
Der Begriff Prokrastination entstammt dem lateinischen Begriff procrastinatio und bedeutet Verschiebung Oder Aufschieben von anstehenden Aufgaben Oder Tatigkeiten. Haufig werden Entscheidungen aufgeschoben, die Unlust Oder Angst auslosen.
Durch das Aufschieben soil eine befurchtete Fremd- Oder Selbstverurteilung verhindert werden, die dem Selbstwertgefuhl schaden konnte. Besonders gefahrdet sind zu Perfektionismus neigende Menschen aufgrund ihres Anspruches vollkommene Ergebnisse zu produzieren (vgl. Ruckert, 2011, S. 43). Eine gro&e Rolle bei der Prokrastination spielen die personlichen Interessen und Werte sowie die Beurteilung der eigenen Fahigkeiten und Fertigkeiten (Skills). Menschen neigen eher zum Aufschieben, wenn sie sich uberfordert fuhlen (vgl. Ruckert, 2011, S. 66 ff.).
Aqiotherorie nach Bohm-Bawerk
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts postulierte Bohm-Bawerk in seiner Agiotheorie des Zinses, dass Konsumenten und Konsumentinnen dazu neigen, den Nutzen aktuellen Konsums grower zu bewerten als den Nutzen zukunftigen Konsums. Sie neigen demnach dazu, ihre zukunftigen Bedurfnisse zu unterschatzen (da sie sich diese nicht vorstellen konnen) und seien nicht bereit, dafur auf gegenwartigen Konsum zu verzichten. Auch Fishervertrat in seinerTime-Preference- Theorie die Ansicht, dass gegenwartige Guter hoher bewertet werden als zukunftige, was zu einer „Abneigung gegen Abstinenz" fuhre (Kruse, 1997, S. 16 ff.). Konsumieren ist also freudvoller als Sparen. Au&erdem beinhaltet das Thema Altersvorsorge, sich mit negativ belegten Themen, wie Krankheit, Altern und Pflege, zu beschaftigen. Themen, die gerne verdrangt werden, haufig bis es zu spat fur sinnvolle Prevention ist.
Optimistic Bias bei derAltersvorsorqe
Weinstein bestatigte in seinen Studien, dass Menschen tendenziell zu unrealistischem Optimismus (Optimistic Bias) bezuglich ihrer eigenen Zukunft neigen. Demnach geht das Individuum eher von unglucklichen Umstanden bei anderen Personen aus als bei sich selbst (vgl. Weinstein, 1980, S. 806-820). So werden Risiken, wie z. B. personlich von Altersarmut betroffen zu sein, unterschatzt, was sich dann negativ aufdie Altersvorsorge-Motivation auswirken kann.
4.3 Neurobiologische Aspekte bei der Prokrastination
In Anlehnung an Kuhls und Beckmanns Studien zur Handlungs- und Lage- orientierung ist Pinnow der Ansicht, eine Disposition zu gering ausgepragter Handlungsorientierung des Individuums sei fur das Aufschieben von Tatigkeiten Oder Entscheidungen verantwortlich. Lageorientierte, also Personen mit gering ausgepragter Handlungsorientierung (sprich vermindertem Tatendrang), verfugen uber weniger volitionale Strategien und setzen somit weniger von ihren Absichten in Taten um. Da sie bei ihren Entscheidungen unsicher und risikoavers sind, neigen sie haufiger zur Prokrastination (vgl. Pinnow, 2018, S.67 ff.). Pinnow und Forschungskollegen des Institutes fur Biopsychologie der Ruhr-Universitat Bochum sehen den Grund fur das Personlichkeitsmerkmal der Handlungs- und Lage- orientierung u. a. in basalen Prozessen im Gehirn. Bei Untersuchungen mittels Kernspintomographie stellten sie einen kausalen Zusammenhang zwischen schlechter Handlungskontrolle und einer vergro&erten Amygdala fest. Dieses Kerngebiet des Gehirns ist zustandig fur die Beurteilung einer Situation und deren Ausgang. Au&erdem sei demnach die Verbindung zwischen der Amygdala und dem dorsalen anterioren cingularen Kortex weniger ausgepragt als bei Personen mit hoher Handlungsorientierung. Der cingulare Kortex verbindet die Informationen uber den potenziellen Ausgang der Handlung mit der Handlung, die dann in die Tat umgesetzt wird. Gehirne von Aufschiebern und Machern unterscheiden sich demnach sichtbar. Menschen mit gro&erer Amygdala neigen zu gro&erer Furcht und daraus resultierendem Aufschiebeverhalten (vgl. Schluter et al., 2018, S. 16201630).
4.4 Heuristiken und Bias in Finanzentscheidungsprozessen
In der psychologischen Entscheidungsforschung unterscheidet man regelbestimmte und intuitive Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen (vgl. Teigen, 1994, S. 211-238). Sofern ausreichende Informationen, Regeln Oder Hilfsmittel fur Entscheidungen vorhanden sind, urteilen Menschen demnach regelbestimmt nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie. Da jedoch oftmals die benotigten Informationen Oder Hilfsmittel nicht ausreichend Oder schnell genug vorhanden sind, neigen Menschen zu intuitiven Urteilen, bei denen sie oft die Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie au&er Acht lassen. Dieser Mechanismus des spontanen Urteilens uber unsichere Sachverhalte Oder komplexe Probleme mittels Faustregeln wird als Heuristik bezeichnet. Die Ergebnisse sind zwar nicht zwingend korrekt, aber im Alltag meist gut genug, urn pragmatisch zurechtzukommen. Das Individuum denkt nicht lange nach, sondern fallt ein spontanes Urteil. Kommt es hierbei zu Wahrnehmungsverzerrungen und daraus resultierenden Fehlurteilen, spricht man von Bias (Pfister et al., 2017, S. 132-133).
Die im Zusammenhang mit der Forschungsfrage stehenden Heuristiken und Bias sollen nachfolgend beispielhaft in Anlehnung an Kahnemans und Tverskys Artikel Urteile unter Unsicherheit: Heuristiken und kognitive Verzerrungen und Entscheidungen, Werte und Frames verdeutlicht werden (vgl. Kahneman, 2011, S.521 ff. und Bak, 2014, 78-84):
Verfuqbarkeitsheuristik
Entscheidungen werden durch aktuelle, mental verfugbare, Informationen beeinflusst. Die Bedeutsamkeit Oder Haufigkeit, in der ein Individuum Informationen zu Sachverhalten erhalt, wirkt sich auf sein Denken und seine Entscheidungen aus. Liest und hort man bspw. regelma&ig etwas uber die Finanzkrise, so erscheint diese relevanter und auch bedrohlicher und folgenschwerer als sie tatsachlich in ihren Auswirkungen fur den einzelnen Anleger ist. Die Beeinflussung wird nicht bewusst wahrgenommen, wirkt sich jedoch auf das Anlageentscheidungsverhalten aus (z. B. durch ein Aufschieben der Entscheidung aus Unsicherheit). Auch die Salienz, die Auffalligkeit, beeinflusst die Abrufbarkeit von Ereignissen. So beeinflusst der direkte Blick auf ein brennenden Hauses ein Individuum mehr als das Lesen eines Zeitungsartikels uber einen Brand, da die Abrufbarkeit besser ist.
Reprasentativitatsheuristik
Diese Daumenregel orientiert sich an der Typikalitat eines Ereignisses (Oder einer zu beurteilenden Person). Es entsteht eine Wahrscheinlichkeitsvermutung, die nicht unbedingt der wirklichen Wahrscheinlichkeit entspricht, jedoch die Beurteilung des Ereignisses (Oder das Urteil uber eine Person) beeinflusst. So konnte bspw. im Zusammenhang mit Bankprodukten aufgrund der negativen Berichterstattung bezuglich des Verhaltens von Banken in Zeiten der Finanzkrise davon ausgegangen werden, dass Banken Oder Bankern generell nicht getraut werden kann.
Verlustaversion
Potentiellen Verlusten wird eine starkere Bedeutung beigemessen als gleich gro&en moglichen Gewinnen. So wiegt der Arger uber den Verlust von 1000 Euro schwerer als die Freude uber den Gewinn von 1000 Euro. Dieses ist ein Bias, der im Zusammenhang mit Aktiengewinnen und -verlusten haufig zu beobachten ist.
Besitztumseffekt/Endowment-Effekt
Verluste werden als schwerwiegender erlebt als Gewinne. Begrundet wird dies dadurch, dass Dinge, die einem Menschen gehoren, fur ihn in ihrem Wert steigen. So trennt sich ein Individuum bspw. ungern wieder von Dingen, die zu Testzwecken uberlassen wurden. Dieser Effekt fuhrt im Anlagegeschaft haufig dazu, dass Anleger an verlustbringenden Aktienpositionen zu lange festhalten, weil sie sich von der Aktie buchstablich nicht mehrtrennen konnen.
Uberoptimismus/Overoptimistic Bias
Menschen neigen dazu, ihren eigenen Einfluss auf den Verlauf der Dinge zu uberschatzen. Ein Individuum konnte z. B. davon ausgehen, dass Unglucke wie Krankheit Oder Altersarmut zwar passieren, jedoch vor allem anderen und nicht ihm selbst.
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- Citation du texte
- Sandra Mandera (Auteur), 2019, Prokrastination bei der finanziellen Altersvorsorge, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/585257
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